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scher Präferenzen

7. Abschließende und bilanzierende Bemerkungen

Das Plädoyer des Verfassers für dynamische Analysen soll nicht so verstanden wer­

den, daß generell zeitbezogenen Informationen in der Umfrageforschung der Vorrang gegeben werden sollte. Das Argument richtet sich vielmehr gegen Standpunkte, die zeitbezogene Fragestellungen weitgehend zu ignorieren versuchen. Ob der zusätzli­

che relative Gewinn der Nutzung von Längsschnittdaten den großen Aufwand solcher Erhebungen rechtfertigt, ist nicht allgemein zu beantworten. Dennoch sollte deutlich geworden sein, daß die Analyse dynamischer Prozeßverläufe in ihrem informativen Gehalt weit über das hinausgeht, was durch querschnittsbezogene Daten zu vermit­

teln ist. Sie erleichtert durch ihre Prozeßorientierung das Verständnis, wie sich beste­

hende Strukturen herausbilden bzw. verändern und entspricht damit eher der häufig an die Umfrageforschung herangetragenen Forderung, Erklärungen für soziale Tatbe­

stände zu liefern (ESSER 1987).

Die Gegenüberstellung von Individualdaten- und Kontextanalyse wies auf wichtige Zusammenhänge hin, deren Analyse in der Forschungspraxis bislang vernachlässigt wurde. Im Interview geäußerte Meinungen seitens der Befragten sollten vorab weder in ihren Verteilungen noch in ihren Verläufen ausschließlich als Produkt der kogniti­

ven, affektiven und evaluativen Strukturen von Einzelpersonen aufgefaßt bzw. in empirischen Auswertungen gedeutet werden, denn häufig reflektieren sie auch das Ergebnis gruppenspezifischer Anpassungs- und Vergleichsprozesse und sind damit erst als unmittelbare Folge des Zusammenlebens mehrerer Personen verständlich zu machen. Mag dieser Sachverhalt für die Analyse bestehender Strukturen manchem noch als von zweitrangiger Bedeutung erscheinen, so muß doch spätestens bei der Frage nach den Herausbildungs- und Veränderungsprozessen von Meinungen und Überzeugungen (die letztlich zu bestimmten Strukturen führen!) möglichen Kontext­

einflüssen Rechnung getragen werden.

Kontextanalysen - in Gestalt der systematischen Einbeziehung des sozialen Umfeldes von individuellen Akteuren zur Erklärung individuellen Handelns und individueller Meinungsbildungsprozesse - gehen in ihrer Reichweite unter Umständen jedoch noch über die in diesem Beitrag vorgestellten Bezüge hinaus. In Kapitel 6 stellte sich die Fluktuation des individuellen Wandels insbesondere der politisch weniger Interessier­

ten in nicht unerheblichem Umfang als ein zufallsgesteuertes Schwanken politischer Präferenzen dar. Der nachweisbare Einfluß sozialer Bezugsgruppen bei der Variabili­

tät individueller Überzeugungen (Kapitel 5) wirft nun allerdings die Frage auf, ob nicht ein Teil des (auf Individualdatenebene) identifizierbaren Ausmaßes stochasti­

scher Veränderungen einer gruppenspezifischen sozialen Logik folgt, die - unter anderem - auf Prozessen zur Gruppenkonformität beruht. Damit würde auch ein Bei­

trag zur Erklärung eines in der Sozialwissenschaft häufig vorfindbaren Phänomens geleistet werden können, das als das "Mikro-Makro-Puzzle" der empirischen Sozial­

forschung umschrieben wurde (KAASE 1986a). Individuelle Veränderungen im Zu­

sammenhang mit gruppenintemen Homogenisierungsprozessen dürften, gerade bei den in bezug auf Parteineigungen weitgehend symmetrischen Kontexten, zu keinen wesentlichen Veränderungen der Randverteilungen dieser Präferenzen führen.

Der Verfasser stimmt prinzipiell mit jenen Kritikern überein, die hervorheben, daß die empirische Sozialforschung sowohl in der Komplexität ihrer Theoriebildung als auch in deren Umsetzung in überprüfbare Forschungspläne Defizite aufweist. Nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann weiterhin, daß die empirische Sozialforschung durch ihre Erfolge im Bereich der gesellschaftlichen Dauerbeobachtung zu einer

"Strukturwissenschaft" zu stagnieren droht. Das Anliegen dieses Beitrages ist in direktem Zusammenhang mit dieser Problematik zu sehen. Sein Ziel war es weniger, mit fertigen LösungsStrategien für bestehende Theorie- und Methodenprobleme auf­

zuwarten. Vielmehr versuchte es, einen einfachen, empirisch überprüfbaren Sachver­

halt - Veränderungen von Parteipräferenzen - von mehreren Forschungsperspektiven heraus zu betrachten und verständlich zu machen, welche Vorteile, aber auch welche neuen Fragen sich mit der Verwendung längsschnittbezogener und/oder mehrebenen­

orientierter Ansätze verbinden. Sollte der Vorschlag einer solchen perspektivischen Veränderung sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze bei einigen Lesern Anklang finden und als Anregung dienen, so wäre ein Hauptanliegen dieses Beitrages erfüllt.

Anmerkungen

1) Alle empirischen Auswertungen wurden mit den Daten des Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) durchgeführt. Das SOEP ist eine jährliche Wiederholungsbefragung, die mit ca. 12.000 Personen in ca. 6.000 Haushalten der Bundesrepublik 1984 begonnen wurde (s. Hanefeld, 1987). Alle Zahlen beziehen sich auf die deutsche Wohnbevölkerung über 20 Jahre.

2) Für eine detailliertere Vorstellung entsprechender Ergebnisse vgl.: P. Gluchowski, 1983: 444f.; so­

wie: M. Berger, 1973:215.

3) Das "Party-Identification"-Konzept wurde von Angus Campbell und seinen Mitarbeitern am Sur­

vey Research Center (University of Michigan, Ann Arbor) in (kn 50er Jahren entwickelt Es war in den U.S.A. vor allem zur Beschreibung aber auch zur Erklärung des Wählerverhaltens von zentra­

ler Bedeutung ("normal vote", "critical elections") und stellt einen der weitentwickelsten theoreti­

schen Ansätze in der empirischen Wahlforschung dar. S. hierzu: Campbell et al., 1960; sowie Campbell et al., 1966. Mittlerweile sind mehrere Operationalisierungen des Konstrukts "Par­

teiidentifikationen" vorgeschlagen worden. Die hier verwendete Frage geht auf einen Vorschlag des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung von 1971 zurück. Sie lautet:

"Viele Leute in der Bundesrepublik neigen längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Dinen: Neigen Sie - ganz allgemein gesprochen - einer bestimmten Partei zu?" (Wenn ja: "Welcher Partei?")

4) Eine allgemeine Abhandlung zu diesen Grundgedanken findet sich bei P.E. Converse, 1969:139- 171.

5) Hartmut Esser (1984) formulierte in einer Gegenüberstellung der beiden soziologischen Theorie­

programme des Methodologischen Individualismus und der Figurationssoziologie eine grundle­

gende Kritik an statischen Theorie- und Forschungsperspektiven, bzw. die Begründung für die Notwendigkeit einer Prozeßorientierung innerhalb der empirischen Umfrageforschung. Die weitreichenden Implikationen dieses Diskussionsstranges sollen und können hier nicht weiter fortgeführt werden. Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt vielmehr darin, in möglichst einfacher und anschaulicher Weise, Möglichkeiten und Grenzen von Querschnitts- und Längsschnitterhebun­

gen aufzuzeigen.

6) Die integrierten Längsschnittinformationen des SOEP werden in diesem Kapitel zu Darstellungs­

zwecken in einzelne, separierte Querschnittsdatensätze für jedes Jahr zerlegt

7) Die hier vorgestellten Befunde beziehen sich auf einen auch in anderen empirischen Untersuchun­

gen identifizierten Trend; vgl. bspw. M. Kaase, 1986b).

8) Die Bezeichnung "Anhänger" einer Partei wird hier zur sprachlichen Vereinfachung der Textgestal­

tung und nicht etwa im Sinne einer inhaltlichen Anlehnung an die "Partei-anhänger"-Frage verwen­

det (vgl. hierzu J.W. Falter, 1977:499).

9) Der Begriff des "ökologischen Fehlschlusses" ist allgemein zu verstehen als der unzulässige Schluß von einer "Korrelation" auf der Aggregatebene auf das individueUe Verhalten von Personen. Eine aUgemeine DarsteUung der analytischen Probleme von Mehrebenen-Analysen gibt H.J. Hummell, 1972).

10) Die entsprechenden Sorgen wurden mittels folgender Fragen ermittelt: "Wie ist es mit den folgen­

den Gebieten? Machen Sie sich da Sorgen? - Um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung?; Um Ihre eigene wirtschaftliche Situation?; Um den Schutz der Umwelt?; Um die Erhaltung des Frie­

dens?; (Nur wenn Sie erwerbstätig sind:) Um die Sicherheit Ihres Arbeitsplatzes?" Vorgaben:

"Große Sorgen", "Einige Sorgen", "Keine Sorgen".

11) Interviews bei denen ein Ehepartner nur "teilweise" anwesend war, wurden zur eindeutigen Effekt­

bestimmung in den Auswertungen nicht berücksichtigt

12) Die Analysen der Markov-Modelle wurden mittels des Programms "PANMARK" durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein speziell zur Analyse von Paneldaten entwickeltes Software-paket. Die Verlaufsdaten werden hierzu in Form einer (bei simultaner Analyse einzelner Gruppen auch meh­

rerer) Zahlenkolonne(n) eingelesen, wobei die erste Zahl der untersten Kategorie zu allen (hier fünf) Zeitpunkten und die letzte Zahl der höchsten Kategorie zu allen (fünf) Zeitpunkten entspricht (vgl. van de Pol/ Langeheine/ de Jong 1989).

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