698 Notizen tmd Correspondenzen.
Verba i's» und yy .
Von A. Mflller.
Einen neuen Versuch zur Erklärung der Verbalformen von
Wurzeln i"? und yy mitzutheilen beabsichtigte ich seit längerer
Zeit. Da ich indess weder bisher die zu einer ausführlichen Dar¬
legung notbwendige Müsse finden konnte, noch in nächster Zukunft
finden werde , so begnüge icb micb meine Ansicht hier kurz aus¬
zusprechen: sollte sie Berücksichtigung verdienen, so würde auch
die aphoristische Form nicbt vom Uebel sein, während ich mich
andernfalls dabei beruhigen kann, wenigstens den Raum der Zeit¬
schrift nicht ungebührlich in Anspruch genommen zu haben.
Im wesentlichen giebt es drei Wege zur Erklämng der Verbal¬
formen l"y und y'y. Auf dem einen constraiert man nach Analogie
des starken Verbums hypothetische Formen wie jaqwum vmd
jasbub ; es ist wohl jetzt ziemlich allgemeine Ansicht, dass solche
Formen in keiner semitischen Sprache existirt haben können. Der
andere führt bei den l"y zur Annahme einer Wurzel, welcher
zwischen den zwei starken Radicalen von Anfang an der Vocal ü
eignete. Hier kommt es auf den BegrifF an, welchen man mit
dem Worte „Wurzel" verbindet. Verstebt man darunter nichts
weiter, als ein X, welches man in Ermangelung von etwas posi¬
tivem der etymologischen Rechnung zu Grunde legt, so kann man
es bei jener Theorie bewenden lassen; soll indess Wurzel eine
Summe von Lauten bedeuten, welche bestimmt in den wie immer
gestalteten Gmndformen einer bestimmten Grappe von Wörtem
ursprünglich vorkamen, so kann die Erklärang nicht genügen.
Ich weise in dieser Beziebung nur darauf hin, dass eine Wurzel
qiim bei Antritt von Affixen unmöglich Formen wie qämta er¬
zeugen könnte; der Ewald'schen Vorstellung, dass zwischen dem
radicalen ü und dem nach Analogie der sonstigen Verbalbildung
eindringenden ä gewissermassen ein Kampf entstände, bei dem im
Arabischen das a, im Hebräisehen das u unterliege, bekenne ich
nicbt folgen zu können, da eine Form quainta, die doch eine wenn
auch kurze selbständige Existenz geführt haben müsste, mir eben¬
falls im Semitischen als ausgeschlossen erscheint.
Auf dem dritten Wege gelangt Böttcher zu einer im ganzen
Wesen der Verba i'y und v'y wohl begründeten Subsumtion der¬
selben unter gleichartige zweiradicalige Wurzeln, aus denen durch
Verstärkung des vocalischen Elements Verba -i'y , durch Ver¬
stärkung des consonantischen Bestandtheils Verba y y her¬
vorgehen. Diesem Gedanken, welcher auf s glücklichste die Bildung
dieser Verbalclassen mit der allgemeinen Ausbildung zweiradicaliger
zu dreiradicaligen Wurzeln in Verbindung setzt, giebt Böttcher
Notizen und Corretpondenzen. 699
leider eine wiederum zu mechanistischen Anschauungen führende
Wendung dadurch , dass er die Verstärkung des vocahschen
Elements ganz äusserlich, z. B. im Nif'al durch Einschiebung eines
Diphthongs aw vornimmt. Dem gegenüber möchte ich darauf
aufmerksam machen, dass die Formen der Verba wiö sie uns
im Hebräischen jetzt vorliegen, genau dieselben sind, welche man
erhält, wenn man aus der zweiradicaligen Wurzel mit den sonst
üblichen Fimctionsvocalen Formen mit einsylbigem Stamme bildet,
dann den Vocal der Stammsylbe einfach verlängert vmd die so
entstehenden Formen nach den Tongesetzen des Hebräiscben be¬
handelt. Dass dabei ä im Qal als ä, im Nif'al als 6 erscheint,
ist natürlich ohne Anstoss. Danach wäre also die Entwickelung
der einzelnen Formen
Qal Perf. qäm qäm DP.
qämat qämat ^Vi?
qämta
qämü
qämta (fc^aajo) qämü
r\TzpI ;
Inf. abs. qäm qäm aip
estr. qüm qüm Dip
Impt. qüm qüm Dip
Impf. jäqüm
täsübna
jaqüm Dip;
täsübna nraiiin.
Jussiv jäqüm jaqüm ') Dp;
Ptc. act. (= Perf.) qäm qäm
pass. qüm qüm Dip
Nif'al Perf näqäm naqäm Dipa' T
näqämtum näqämtum 2v}'3p:
Inf Impt. hiqqäm hiqqäm Dip- '
Impf jiqqäm jiqqäm Dip;
Hif'il Perf. (haqam) biqim biqim o^pr?
biqimta hiqimta nia-ipr;f ts
Inf abs. häqim haqim ^) Dp.7
häqim haqim DT.?
1) Die Verlängerung unterblieb — oder musste wobl vielmehr (^MIpP) neuer Verkürzung weichen — der beim Befehlsmodus beliebten Formkürze wegen. Die Form blieb durch das Präfi.x an sich gewichtiger, als das bei der Analogie verharrende qüm dos Impf
2) Wohl nicht Erhaltung des ursprünglichen a, sondern jener Uebergang des T in gescblossner Sylbe in ä, den Philippi nachgewiesen hat. rWprt ist entweder eine Mischform , oder durch Analogie des von S V beeinflussten ly^ltn zu erklären.
3) Hier unterblieb die Verlängerung; ob dor Dissimilation halber? Oder späte Bildung nach äusserlicher Analogie von bup—
700 Notizen und Corretpondenzen.
Impt. häqim haqim apfl ')
Impf. jaqlm jaqim a-'p;
Hof'al hüqäm hüqam *) apin
Dass bei den yy dasselbe Verfahren die gleichen Resultate
giebt , braucht nicht im einzelnen dargelegt zu werdenBei
ihnen wird man dadurch auch die immer missliche „Uebertragung
der Verdoppelung" los, die man freilich auch durch Annahme von
Analogiebildimgen nacb dem starken Verb beseitigen könnte.
Ist obiges richtig, so erhalten wir folgendes Resultat:
Ursprünglich zweiradicahge Wurzeln sind im Semitischen
bei dem Durchdringen der Analogie der dreiradicaligen den
letzteren dadurch gleiohwertbig geworden, dass entweder
der Vocal oder das zweite (gelegentlich auch das erste)
consonantische Element in der Aussprache verstärkt wurde :
qäm — qäm oder sab — säbb ; jäqüm — jaqüm oder jäsflb
— jäsubb, jissub.
Dass dies Princip sich durch seine Einfachheit und Consequenz
sehr empfehlen würde, leuchtet ein. Gleichwohl verkenne ich die
Bedenken nicht, weicbe sich meinem Versuch entgegenstellen.
Einwendungen zwar aus dem Gebiete des Arabiscben und Aethio¬
pisehen würden mir nicht allzuschwer wiegen; die Gewaltsamkeit,
mit welcher diese Sprachen ihre eignen Analogien durchführen,
ist jetzt wohl aUgemein anerkannt, und qümta (das ja, wie oben
bemerkt, von Vqüm aus nicht erklärt werden darf) qömka möchten
durch Eindringen des mehr und mehr um sich greifenden ü lo
zu motiviren sein (vgl. ^ys mit der Thatsache, dass es im wirk-
hchen Hebräisch keine Pi'elformen von Verbis i"? giebt). Auch
nu *), nis u. dgl. würden mir keine Sorge machen. Dagegen ist
die Analogie von Substantiven wie nrjj, yy, die doch von vialk
nicht zu trennen sind und gewiss zu den ältesten der Sprache
gehören, allerdings geeignet, Zweifel zu erwecken; und die i"y
von den i"d und i"b zu trennen, könnte in manchen Beziehungen
auch nicht rätblich erscbeinen. Doch muss ich , wie gesagt . auf
eine Discussion dieser und anderer mit der Sache in Verbindung
stehender Prägen hier verzichten.
1) = Juss. QbI.
2) Der erste statt des zweiten Vocals wurde verlängert , weil der ciiarac- teristische Passivvocal sich besonders vordrängte. Genau so aOIH, wo das ft doch nicht aus einer Metathese erklärt werden kann.
3) Sehr interessant sind die XiPalformcn wie Ott! , die doch gewiss ent¬
standen, weil man nicht daran dachte, dass eine Nif'alform vorlag, und daher gelegentlich OU: uach "iaa aussprach (bei o könnte man Analogie von
/.
1 y annehmen).
4) Ich halte das — darin für keinen Diphthongen, sondern fiir i, welches unvcrlängert blieb. Vgl. 1,IS«.2D neben
Notizen und Correspondenzen 701
Ans einem Briefe des Herrn Prof. 6. Bickeü
an die Eedaction.
InnsbiTick, den 10. Juli 1879.
— Gelegentlich der Einsendung meines Schriftchens Metrices
hihliccLe retjulae ejcsmplis illustratae und des dazu gehörigen
Supplementum metrices biblicae (S. 73— 9ü) für die Bibliothek
der D. M. G. möchte ich mir einige Bemerkungen zu Herrn Schlott¬
mann's Einwendimgen gegen meine Hypothese (ZDMG XXXIII,
S. 278—279) erlauben.
Wenn mein geehrter Gegner mit der Behauptung beginnt, ich
habe den Grundcharakter der hebräischen Sprache , wonach sie
wegen ihrer vielen Abstufungen der langen und kurzen Vocale,
der Sylben und Halbsylben, ihren Versbau nicht auf die Quantität,
sondem nur auf den Accent, also auf die Zählung der Hebungen,
mit sehr freier Gestaltung der dazwischen liegenden Senkungen,
begininden könne, gänzlich verkannt, so triift er mich damit in
der Hauptsache gar nicht, da ich ja ebenfalls die hebräische
Metrik, mit gänzlichem Ausschlüsse einer Einwirkung der Quan¬
tität, auf die Zählung der Hebungen begründet habe. Unsere
Differenz besteht nur darin, dass ich die Anzahl der Senkungen
nicht behebig sein, sondem immer, wie im Syrischen, je eine
Senkung mit je einer Hebung abwechseln lasse. In wie fern diese
Regelmässigkeit mit der vielfachen Abstufung der hebräischen
Vocale unvereinbar sein soll , vermag ich nicht einzusehen. Das
Hebräische bat genau dieselben Vocalabstufungen wie das Syrische,
nämlich : Halbvocale , kurze Vocale (in beiden Spracben fast nur
in geschlossenen oder vor halbvocalischen Sylben) und lange Vocale.
Dass letztere in ursemitische Längen und in Steigerungen (die
das Syrische wenigstens in unbetonten Sylben nicht besitzt) zer¬
fallen , macht nur für die sprachgeschichtliche Forschimg, nicht
für die Aussprache einen Unterschied: der Hebräer sprach sicher
qödesch = qudsch- ebenso lang aus, wie mötb = mavt-, gerade
wie wir keine Quantitätsverschiedenbeit zwischen , der Name '
(got. namö) und ,wir nahmen" (got. nemum) empfinden.
Was den Vorwurf der Willkür betrifft, weicbe es ermögliche,
aus allem alles zu machen, so habe ich nur die in meinen Prole¬
gomena zu den , Cai-mina Nisibena" des b. Ephraem bewiesenen
Regeln der syrischen Metrik auf das Hebräische angewendet und
dabei noch auf manche Licenzen, welche mir dem Genius der
hebräisehen Sprache zu widerstreben schienen , verzichtet . z. B.
auf die Aus.stossung eines Vocals nach wortanlautendem Con¬
sonanten. wenn das vorhergehende Wort vocalisch auslautet, oder
auf das Verschlucken eines woi-tanlautenden Ajin nebst dem darauf
folgenden Vocale. .\uf eigene Hand musste ich freilich betreffs
der im Syrischen nicht vorhandenen Hilfsvocale vorgehen; dass