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Nikolaj Fedorov Studien zu Leben, Werk und Wirkung

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Academic year: 2022

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(1)

Marburger Abhandlungen ∙ Band 28

(eBook - Digi20-Retro)

Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D.C.

Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG-Projekt „Digi20“

der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner:

http://verlag.kubon-sagner.de

© bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages unzulässig.

Michael Hagemeister

Nikolaj Fedorov

Studien zu Leben, Werk

und Wirkung

(2)

Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen ReiheH

M arb u rg er A b h an d lu n g en

z u r G eschichte u n d K ultur O steu ro p as

Im Auftrag der Philipps-Universität Marburg herausgegeben von

Hans-Bernd Harder und Hans Lemberg

Band 28

00052974

Verlag Otto Sagner

München

(3)

Michael Hagemeister

NIKOŁAJ FEDOROV

STUDIEN ZU LEBEN, WERK UND WIRKUNG

Verlag Otto Sagner • München

(4)

ISBN 3-87690-461-7

Copyright by Verlag Otto Sagner, München 1989 Abteilung der Firma Kubon und Sagner, München

Drude Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

(5)

V O R W O R T

Vorliegende Arbeit wurde 1989 vom Fachbereich Neuere Fremdsprachen und Literaturen der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen.

Das Thema der Arbeit geht auf eine Anregung von Herrn Prof. Dr. Peter Scheibert zurück. Betreut und gefördert wurde die Arbeit von Herrn Prof. Dr.

Hans-Bernd Harder; ihm gilt mein besonderer Dank.

Für Informationen und Materialien sowie für ihre stete Anteilnahme danke ich Ol’ga Nikolaevna Setnickaja, die mir bei meinen Besuchen in Ljubimovka bei Moskau auch Einblicke in ihr Privatarchiv gewährte. Leider hat sie, die von der Bedeutung Fedorovs überzeugt war und das Werk seiner Anhänger bewahrt und fortgesetzt hat, die Fertigstellung dieser Arbeit nicht mehr erlebt.

Für Hinweise, Auskünfte und Materialien und nicht zuletzt für ihr ermuti- gendes Interesse danke ich Elisabeth Koutaissoff (Oxford) und Taras Zaky- dalsky (Toronto) sowie den Moskauer Freunden und Bekannten Pavel Floren- skij, Arsenij Gulyga, Valentin Nikitin, Svetlana Semenova, Elena Setnickaja und Julij Berkovskij. Dankbar erinnere ich mich an Aleksej Losev, den ich im März 1984 besuchen und befragen durfte.

Da mir ein längerer Forschungsaufenthalt in Moskau nicht möglich war und somit auch auf Studien in staatlichen Archiven verzichtet werden mußte, wurde das Material in Moskauer Privatarchiven gesammelt. Dies geschah während zahlreicher Touristenreisen sowie zweier kurzfristiger Studienaufenthalte im Rahmen des Partnerschaftsabkommens zwischen der Philipps-Universität Mar- bürg und der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität.

Die Literatur wurde überwiegend durch den internationalen Leihverkehr be- schafft. Dank gebührt den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Marburg, der Universitätsbibliothek Basel, der Universitätsbibliothek Helsinki und der Lenin- Bibliothek Moskau. Zu danken habe ich auch den Mitarbeitern der Gedenk- stätte für Nationales Schrifttum in Prag für die Möglichkeit, die Bestände des dortigen Fedorov-Archivs einzusehen und auszuwerten.

Für finanzielle Unterstützung, ohne die diese Arbeit nicht in der vorliegen- den Form hätte veröffentlicht werden können, danke ich meiner Tante Maria Schroeder (Lübeck). Den Herausgebern der "Marburger Abhandlungen" danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe.

M.H.

(6)

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II

Inhaltsverzeichnis

Vorwort I

Inhaltsverzeichnis II

Abkürzungsverzeichnis IV

E IN L E IT U N G 1

T E IL I: L E B E N U N D W E R K

15-127

1. N .F . Fe d o r o v: Bio g r a p h is c h e r Ab r is s

15

2 . Fe d o r o v s Sc h r if t e n

47

3 . Gr u n d z ü g e d e r Fil o s o f u a o bSCe g o d e l a

59

3.0. Die ’Philosophie’ des obščee delo 59

3.1. Die Begründung des obščee delo 63

3.1.0. Die Diskrepanz zwischen der "Welt, wie sie ist"

und der "Welt, wie sie sein soll" 63

3.1.1. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur 64

3.1.2. Das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch(heit) 74

3.1.3. Das Verhältnis zwischen Denken und Handeln

88

3.2. Die Verwirklichung des obščee delo 104

3.2.0. Der utopische Entwurf 104

3.2.1. Projektivismus 105

3.2.2. Vereinigung 110

3.2.3. Umgestaltung und Auferweckung 117

T E IL II: B E IT R Ä G E Z U E IN E R W IR K U N G S G E S C H IC H T E

129-457

1. Fe d o r o v s Ze it g e n o s s e n

129

1.1. L.N. Tolstoj 129

1.2. F.M. Dostoevskij 140

2 . Vo n d e r Ja h r h u n d e r t w e n d e b is z u r Ok t o b e r r e v o l u t io n

155 2.1. Zwischen Fortschrittsglauben und Endzeiterwartung -

Das Problem des Todes im russischen Denken um die

Jahrhundertwende 155

2.1.1. Das Problem des Todes im idealistischen und

religiösen Denken 155

2.1.2. Das Problem des Todes im marxistischen

(revisionistischen) Denken 169

2.1.3. Das Problem des Todes im naturwissenschaftlichen

Denken 183

(7)

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2.2. Überblick über die Fedorov-Rezeption 1904-1917 188

2.2.1. Philosophen und Theologen 188

2.2.2. Symbolisten 203

2.3. Die Anfänge der Fedorov-Bewegung 217

2.3.1. I.P. Brichničev und die Zeitschrift

,Novoe Vino’ (1912-13) 217

2.3.2. A.K. Gorskij und der Sammelband

’Vselenskoe delo’ (1914) 230

3.

Die FRÜHE SOWJETZEIT

241

3.1. D e r ’Prometheismus’ der frühen Sowjetzeit 241

3.1.0. ’Prometheismus’ 241

3.1.1. Allorganisation, Universalwissenschaft, Monismus 246

3.1.2. Kosmismus 254

3.1.3. Überwindung des Todes 259

3.2. Die künstlerische Avantgarde 267

3.2.0. Fedorov und die Avantgarde 267

3.2.1. V.V. Majakovskij 269

3.2.2. V.V. Chlebnikov 276

3.2.3. K. S. Malevič 284

3.2.4. V.N. Ćekrygin 286^

3.3. Die Biokosmisten 300

3.4. V.N. Murav’ev 318

4 . Die z w a n z ig e r u n d d r e ir ig e r Ja h r e 3 4 3

4.1. Die Fedorov-Anhänger in Moskau 343

4.2. N.A. Setnickij in Harbin 363

4.2.1. Der Weg nach Harbin: N.V. Ustrjalov und das

’smenovechovstvo’ 363

4.2.2. Setnickij und Maksim G or’kij (I) 368

4.2.3. Setnickij und Gorskij 380

4.2.4. Setnickij und Maksim G or’kij (II) 392

4.2.5. Setnickij 1928-1937 403

4.3. Die europäische Emigration 417

4.3.0. Die "nachrevolutionären" Bewegungen 417

4.3.1. Die Eurasier in Paris 418

4.3.2. Die Eurasier in Prag: KLA. Čcheidze 430

4.3.3. Der Sam m elband’Vselenskoe delo’ (1934) 436

4.3.4. Kleinere "nachrevolutionäre" Bewegungen

in der Pariser Emigration 443

Bibliographie 459

Personenregister 541

III

(8)

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IV

ABKURZUNGSVERZEICHNIS

a) allgemeine Abkürzungen

kn. kniga

Masch. maschinenschriftlich

Ms. Manuskript

PSS Polnoe sobranie sočinenij

sb. sbornik

SS Sobranie sočinenij

t., tt. tom(a)

vyp. vypusk

b) abgekürzt zitierte Archive und Bibliotheken

CGALI Central’nyj gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva, Moskva

FAP Fedorov-Archiv Prag; Památník národního písemnictví, Literární pozûstalost č. 142:

Fedoroviana Pragensia, I, 318-342

GBL Gosudarstvennaja biblioteka SSSR

im. V.l. Lenina, Moskva

GPB Gosudarstvennaja publičnaja biblioteka im. M.E. Saltykova-Ščedrina, Leningrad IMLI Institut mirovoj literatury

im. A.M. Gor’kogo, AN SSSR, Moskva IRLI Institut russkoj literatury (Puškinskij dom)

AN SSSR, Leningrad

VINITI Vsesojuznyj institut naučnoj i techničeskoj informacii, Ljubercy [bei Moskau]

ed. ehr. edinica chranenija

f. fond

k. karton

op. opis״

(9)

с) abgekürzt zitierte Z eitschriften, Reihen u nd Einzelwerke BSE Bol’šaja sovetskaja enciklopēdija

FOD I; II N.F. FEDOROV, Filosofia obščego dela, t. 1, Vernyj 1906; t. 2, Moskva 1913

H Z Historische Zeitschrift

Izv.Jur.Fak. Izvestija Juridičeskogo Fakul’teta

v

gorode Charbine

JfGO Jahrbücher für Geschichte Osteuropas JPM Journal o f the Moscow Patriarchate MERSH The Modem Encyclopedia o f Russian

and Soviet History

MERSL The Modem Encyclopedia o f Russian and Soviet Literature[s]

SEEJ Slavic and East European Journal

SEER Slavonic and East European Review

Vestnik RfSJChD Vestnik Russkogo [Studenčeskogo]

Christianskogo Dviženija

WdSl Welt der Slaven

ZfslPh Zeitschrift für slavische Philologie

ZMP Žumal Moskovskoj Patriarchìi

d) abgekürzt zitierte E rscheinungsorte

L. Leningrad

M. Moskva

Pb. Peterburg

Pg•

Petrograd

SPb. Sankt Peterburg

(10)

רק רק

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(11)

EINLEITUNG

Als diese Arbeit begonnen wurde, waren Nikołaj Fedorovič Fedorov und seine Filosofija obščego dela kaum bekannt. Fedorovs Name tauchte nur selten in der Literatur auf - zumeist in Anmerkungen und Fußnoten, verbunden mit der Erklärung, es handele sich um einen eigenartigen religiösen, mystischen oder utopischen Denker, einen geheimnisvollen, stillen Sonderling, der eine Zeitlang das Interesse von Tolstoj, Dostoevskij und Solov’ev auf sich gezogen habe.

Über Fedorovs Person waren Legenden im Umlauf, sein Werk wurde mit ein paar Schlagworten ’charakterisiert’, doch wurde ihm bisweilen eine geradezu phantastische Verbreitung und Wirkung zugeschrieben.

Inzwischen hat sich die Situation geändert: Heute gehört Fedorov in der Sowjetunion zu den am meisten zitierten und diskutierten russischen Denkern.

Einige sehen in ihm sogar den russischen Philosophen schlechthin (samyj russfdj filosof), den wahren Repräsentanten der welterlösenden "russischen Idee", den Begründer einer "Philosophie der Zukunft", die - gleichermaßen national und universal -, aus dem Geist des Russentums und der ״Tiefe des russischen Her- zens" (A.V. Gulyga) entstanden, für die gesamte Menschheit wegweisend sei.

Die Bewunderung für Fedorov und die Beschäftigung mit seinem Werk kon- zentrieren sich deutlich im rechten Spektrum der sowjetischen Intelligenz, in den Kreisen der sogenannten Neoslavophilen, Russophilen, Traditionalisten, Bodenverbundenen (počvenniki) oder wie immer sich die konservativen An- hänger der Idee einer "nationalen Wiedergeburt" nennen mögen.2 Sie waren es, die bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Fedorov ’entdeckten’ und bekannt zu machen suchten: 1977 erschienen die ersten Arbeiten über Fedorov

1 A ls bezeichnende Beispiele für die Geringschätzung Fedorovs seien einige in jüngerer Z e it im Westen erschienene Standardwerke zur russischen Philosophie und Litera tur angeführt: In dem 591 Seiten umfassenden Werk von H. Da h m, Grundzüge russischen Denkens. Persönlichkeiten und Zeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1979, w ird Fedorov nur einmal in einer Aufzählung genannt (S. 547). Bei W. GOERDT, Russische Philosophie. Zugänge und Durchblicke, Freiburg, München 1984, w ird Fedorov auf 768 Seiten lediglich in einer Fußnote vorgestellt (S. 475). Das hochgelobte W erk von F.C. Coplestton, Philosophy in Russia. Frvm Herzen to Lenin and Berdyaev, Notre Dame, Ind. 1986, von dem eine Übersetzung in der Sowjetunion vorbereitet w ird, behandelt Fedorov nur beiläufig im Zusammenhang m it Solov’ev (S. 228f.) und Berdjaev (S. 385). Geradezu kümmerlich und zudem fehlerhaft ist auch der Fedorov-Artikel von R.L. BELKNAP in: V . Te r r a s (H g.), Handbook o f Russian Literature, New Haven, London 1985, S. 164f. ־ D rei Monographien zu Fedorov, die in den späten siebziger Jahren in den USA erschienen sind, haben nur geringe Beachtung gefunden; siehe II: 3. Anm . 1.

2 D ie nach wie vor beste Darstellung der nationalen und konservativen Strömungen in der so- wjetischen Intelligenz v.a. der sechziger und siebziger Jahre gibt J.B. Du n l o p, The Faces o f Contemporary Russian Nationalism, Princeton, N J. 1983 Vgl. ferner A. BEREIOWITCH, "Des slavophiles aux russophiles." In: Revue des Etudes slaves, 53 (1981), 2, S. 233-244. E. Ma r k-

s t e in, "D ie Russischnationalen." In: Osteuropay 1984, 3, S. 159-167. D. POSPIELOWSKY, "The Neo-Slavophile Trend and Its Relation to the Contemporary Religious Revival in the USSR."

In: P. Ra m e t (Hg.), Religion and Nationalism in Soviet and East European Politics, Durham, N.C. 1984, S. 41-58,245-250.

(12)

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von Svetlana Semenova, einer Moskauer Literaturwissenschaftlerin, die sich seitdem als führende sowjetische Fedorov-Spezialistin profiliert hat.3 Veröf- fentlicht wurden sie mit Unterstützung der als russophil bekannten Literatur- Wissenschaftler Vadim Kožinov (eines der Ideologen des russofil’stvo) und Petr Palievskij sowie des Kosmonauten Vitālij Sevast’janov in den russophil-orien- tierten Almanachen Kontekst und Prometejā Seit 1978 lassen sich auch öf- feniliche Vorträge über Fedorov und sein Werk nachweisen, veranstaltet zu- meist von der als Sammelbecken "patriotischer" Kräfte fungierenden "Allrus- sischen Gesellschaft zum Schutz der Geschichts- und Kulturdenkmäler" sowie der Volksbildungsgesellschaft "Wissen".5 1979 erschienen dann erstmals kurze Auszüge aus Fedorovs Schriften in einer Anthologie zur russischen Sozialutopie und wissenschaftlichen Phantastik, herausgegeben vom russophilen Verlag Molodaja gvardija.6

In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren finden sich Hinweise auf Fedorov, abgesehen vom rechten Dissidentenmilieu - wo z.B. Igor’ Ogurcov und Evgenij Vagin, die Führer des nationalreligiösen "Allrussischen Sozial-Christ-

2 Einleitung

3 Hinweise auf Fedorov und kürzere Arbeiten über ihn gab es freilich bereits in den sechziger und frühen siebziger Jahren, doch besitzen sie keinen oder nur geringen wissenschaftlichen W ert: Zumeist wurde Fedorov im Zusammenhang m it K.É. C iolkovskij, dem ,,Vater der rus- sischen Raumfahrt", erwähnt und als dessen Lehrer und Inspirator gewürdigt, gelegentlich auch als ,,idealer Bibliothekar". Im Zusammenhang m it Ciolkovskij und V .l. Vernadskij finden sich früh schon Hinweise auf Fedorov in den philosophischen und wissenschaftsgeschichtlichen A r- beiten von Igor״ Zabelin und in einigen der phantastischen Erzählungen von Gennadij Gor.

(Siehe die Angaben in der Bibliographie).

A ls besonders rührig erwies sich der ״Philosoph’ und Wissenschaftsjoumalist V ladim ir L ’vov, der in mehreren populärwissenschaftlichen Aufsätzen zu Fragen der Raumfahrt bereits in den sechziger Jahren auf Fedorov hingewiesen hatte, bevor er ihm 1974 in der Zeitschrift Neva eine reichlich phantasievolle biographische Erzählung widmete; darin versicherte er, die "So- wjetmenschen" würden Fedorov, "diesen originellen Denker und Patrioten".״ "auf keinen Fall den Hysterikern und Heuchlern im Lager der Obskuranten überlassen." V .[E .) L ’v o v , ”Za- gadoćnyj starik. Povest’-chronika." In: Neva, 1974, 5, S. 65, 119. (1977 auch im Rahmen einer Buchausgabe erschien). In den dreißiger Jahren hatte sich LVov als fanatischer Gegner der Einsteinschen Kosmologie m it einer Serie prim itivster H etzartikel gegen prom inente sowjeti- sehe Astronomen und Astrophysiker hervorgetan.

4 Siehe S.G. Se m e n o v a, "N ikołaj Fedorovič Fedorov. (Žizn* i učenie)." In: Prvmetej, 11, M . 1977, S. 86-105. Die s., "К publikacii stat’i N.F. Fedorova о Fauste." In: Kontekst 1975, M . 1977, S.

311-314. N.F. Fe d o r o v, "׳Faust״ Gete i narodnaja legenda о Fauste." Ebd., S. 315-336.

5 M ir liegen Programme von Veranstaltungen, die Fedorov gewidmet waren oder auf denen über Fedorov gesprochen wurde, aus folgenden Jahren vor: 1978,1979,1980,1982,1984,1985. Haupt- referentin war zumeist S.G. Semenova. - Über die 1966 gegründete und 1981 bereits 14 M illió - nen M itglieder zählende "Allrussische Gesellschaft zum Schutz der Geschichts- und K ultu r- denkmäler" und ihre Funktion als Sammelbecken "patriotischer" Kräfte vgl. A . Be r e l o w it c h,

"L ’almanach *Les Monuments de la Patrie’ (Pam jatniki otečestva)." In: Revue des Etudes slaves, 54 (1982), 4, S. 767-771. Du n l o p(wie Anm. 2), S. 63-92.

6 N.F. Fe d o r o v, "F ilo so fia obščego delà." [Auszüge aus FO D I und II] In: Večnoe soince.

Russkaja social'naja utopija i naučnaja fantastika vtoroj poloviny X IX - načala X X veka. M . 1979, S. 390-398. (Anm. und Kommentar von S. Ka lm y k o v [d.i. S.B. Dž im b in o v], ebd., S. 33- 37, 426f.). D ie Veröffentlichung stieß auf z.T. heftige K ritik . Siehe I: 2 Anm . 51.

(13)

3 Einleitung

lichen Bundes der Befreiung des Volkes" (russ. Abkürzung VSChSON), wieder- holt ihre Bewunderung für Fedorov äußerten -7, vor allem bei russophilen und nationalistischen Autoren der offiziellen (rechten) Presse,8 wie z.B. den einschlägig bekannten Publizisten Viktor Čalmaev und Valerij Skurlatov, dem Schriftsteller Dmitrij Žukov, den Literaturwissenschaftlern Jurij Seleznev und Michail Lobanov sowie dem Filmregisseur Sergej Bondarčuk.9 Auch der Schrift- steiler Vladimir Čivilichin wies in seinem monumentalen, die tausendjährige Geschichte Rußlands verherrlichenden "Roman-Essay" Pamjat’ (1982) stolz auf Fedorov hin (wenn auch ein ganzes Kapitel, das Fedorov gewidmet war, erst postum 1987 veröffentlicht werden konnte).10 Von den Vertretern der "Dorf- prosa", den derevenščiki, wurde Valentin Rasputin schon früh mit Fedorov in Verbindung gebracht.11 Und der stets trendbewußte Evgenij Evtušenko versah bereits seinen 1981 erschienenen Trivialroman Jagodnye mesta mit zahlreichen Anspielungen auf Fedorov.12

Fedorovs eigentlicher ,Durchbruch’ fällt in die frühen achtziger Jahre und war von einem Skandal begleitet. Im Sommer 1982 erschien in der renommier- ten Reihe Filosofskoe nasledie des Moskauer Verlags Mysi' eine umfangreiche Auswahl aus Fedorovs Schriften.13 Die unter der Redaktion von A.V. Gulyga14

7 Siehe E .[A .] Va g in, "Interv’ju ,Vestniku RChD’." In: Vestnik RChD, 122, 1977, S. 256. De r s.,

"N.F. Fedorov i naše vremja." In: Russkaja Mysl\ 3242, 8.2.1979, S. 8. [M it Z itat Ogurcov).

D ers., "Sovetskoe izdanie N.F. Fedorova." In: Veče, 11,1983, S. 117-135. [M it Z itat Ogurcov).

8 AJs russophile Organe gelten die Zeitschriften Naš Sovremennik, Molodaja G vardi ja t Oktjabr’

und Moskva sowie die Almanache Kontekst, Prometej (Verlag Molodaja gvardija) und Pamjat־ niki otečestva.

9 Siehe die Angaben in der Bibliographie.

10 V A . Č iv iu c h in , Pamjat״. Roman-èsse. M . 1982. [Fedorov S. 766]. Nicht identisch m it der Buchausgabe: D ers., "Pamjat'." In: Naš Sovremennik, 1983, 10, S. 17-101. [Fedorov S. 92]. Das Kapitel m it dem T ite l "N.F. FedorovH wurde erst postum veröffentlicht in: V A . Č iv iu c h in , Zerkało duft, M . 1987, S. 90-110.

11 Vgl. M . Niq u e u x, "La mémoire de la terre et du ciel: Valentin Raspoutine et la ,littérature paysanne* soviétique." In: Contacts, 115, 1981, S. 177. G A . B e lm a , "Filosofsko-ćtićeskaja problem atika sovremennoj prozy." In: Sovetskaja literatura i mirovoj literatumyj process, M . 1982, S. 48f.

12 Nam entlich genannt w ird Fedorov nur einmal: E A . E vtuS enko, Jagodnye mesta, M . 1982, S.

282; doch enthalten vor allem Epilog und Prolog (als besonderer Gag in dieser Reihenfolge) zahlreiche Anspielungen auf Fedorovs Gedanken. Darüber hinaus bietet die Rahmenhandlung ein wahres Panoptikum modischer B ilder und *Reiz’-Themen, die m it ihrer ebenso auf- dringlichen wie platten Symbolik den Kitschgemälden eines Il'ja Glazunov oder Konstantin VasiTev vergleichbar sind.

13 N.F. F e d o ro v , Sočinenija, M . 1982. (= Füosofskoe nasledie; 85). D ie Höhe der Auflage war m it 50.000 angegeben.

14 M it Hinweis darauf, daß in der Reihe Filosofskoe nasledie das Vaterländische Denken" weit unterrepräsentiert sei (von 80 Bänden seien nur 6 der russischen Philosophie gewidmet), hatte sich Gulyga schon 1979 vehement fü r eine Ausgabe der Werke Fedorovs eingesetzt. Dabei at- testierte er Fedorovs Ansichten eine "durch und durch materialistische Grundlage". A .[V .]

Gu l y g a, "״Filosofskoe nasledie80 :״ tomov." In: Literatumaja Gazeta, 39, 26.9.1979, S. 13.

(14)

Einleitung 4

von S.G. Semenova zusammengestellte und kommentierte Ausgabe soll auf In- itiative von Kožinov und Palievskij und dank der Protektion und dem Einfluß des Kosmonauten Sevast’janov zustande gekommen sein. Ein Teil der Auflage war bereits ausgeliefert, als höchste Stellen (genannt werden der Chefideologe M.A. Suslov und der Partei-Philosoph und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften P.N. Fedoseev) Alarm schlugen: Fedorov, so hieß es, sei ein

"religiös-konservativer Utopist", die Veröffentlichung seiner Schriften "falsch"

und "unpassend".15 Alle Exemplare, deren man habhaft werden konnte, wurden eingezogen und verschwanden in den specchrany der Bibliotheken. Die verant- wörtlichen Redakteure und Mitarbeiter des Verlags wurden gemaßregelt.16 In der Presse erschienen scharf-ablehnende Artikel, sogar eine gegen Fedorovs Lehre gerichtete Monographie wurde in Auftrag gegeben.18 Positive Erwäh- nungen in der Literatur wurden nachträglich getilgt.1 Die Anti-Fedorov-Kam-

15 Anstoß erregte auch die an alte Tradition anknüpfende Großschreibung der heiligen Namen ־ Bog, Otec% Syn, Sv. Duch, Troica usw. -, die in der rechten Emigrantenpresse sogleich beifällig bemerkt wurde: N .[A .] St r u v e, HBessmcrtnaja nadežda." In: Vestnik RChD, 137, 1982, S. 4.

V a g in (wie Anm. 7), S. 119, 123.

16 Eine angekündigte und z.T. bereits fertiggestellte dreibändige Ausgabe der Werke Vladim ir Solov’evs, die in derselben Reihe erscheinen sollte, wurde sofort vom Programm abgesetzt (sie ist 1988 in zwei Bänden und kleiner Auflage erschienen). ־ Einzelheiten über die Kampagne waren m ir seinerzeit von den Betroffenen in Moskau berichtet worden (m it der B itte allerdings, sie nicht weiterzugeben). Inzwischen w ird in der sowjetischen Presse offen darüber geschrieben.

Vgl. A .V . G u ly g a , "P riblizit* fflosofiju к žizni." In: Vopmsy Filosofii, 1987, 8, S. 60. D ers.,

"V ladim ir Sergeevič Solov’ev.” In: Literatumaja Gazeta, 3, 18.1.1989, S. 5. V .(F.] P rja c h in , V .[I.] S evast’ja n o v , "Isto riju tvo rit Celovek." In: Moskva, 1988, 8, S. 167. B.F. E g o ro v , "Čto skažet M ar’ja Alekseevna." In: Sovetskaja KuVtura, 153.1988. D ers., JDiskussionsbeitrag zu]

"Ģeogrāfijā intelligentnosti: éskiz problemy." In: Literatumaja Učeba, 1989, 2, S. 12. ״ Siehe auch I: 2. Anm. 52.

17 S.R. Mik u u n s k u, T a k li nado otnosit’sja к nasledstvu?" In: Vopmsy Filosofii, 1982, 12, S. 151- 157. (Eine Replik m it dem T ite l "К nasledstvu nado ne otnosit’sja ne tak...", verfaßt von dem H istoriker V .L. Janin, dem Philosophen V .V . Sokolov und dem Philologen S.I. Suchich, ist von den Vopmsy Filosofii bis heute nicht veröffentlicht worden). A.N . IEZUITOV, "Partija i ak- tual’nye zadači nauki о literature." In: Russkaja Literatura, 1983, 4, S. 7. Ju. S u ro v c e v , "Ob urokach na$ej klassovoj pamjati." In: Znamja, 1983, 6, S. 221. J u A . L u k in , "Otvetstvennosf chudožnika. Iskusstvo i literatura v form irovanii političeskoj ku l’tury ličnosti." In: Znamja, 1983, 9, S. 213-220. D e rs., "V borbe za buduščee čelovečestva." In: Literatumaja Gazeta, 44, 2.11.1983, S. 2. D e rs., Kul’turu v boïbe idej, M . 1985, S. 78, 205, 207f., 236. M .T. IovčU K , A .L.

A n d re e v , M A . Ma s u n, "Aktual'nye voprosy issledovanija isto rii marksizma-leninizma, ego filo so fii i fllosofskoj mysli narodov SSSR." In: Vopmsy Filosofii, 1986,1, S. 70f.

18 V.P. Pa z il o v a, Kritičeskij analiz religiozno-filosofskogo učenija N .FFedom va, M . 1985.

19 In seiner Geschichte der Raumfahrt, die 1982 im Moskauer Kinderbuchverlag erschien, ging Ja.K. Golovanov ausführlich auf Fedorov und dessen "riesigen E influß" auf C iolkovskij ein.

Ja.K. G o lo v a n o v , Domga na kosmodmm, M . 1982, S. 135-139. Das Buch wurde aus dem Handel gezogen und im folgenden Jahr durch eine ’gereinigte* Fassung ersetzt, in der jeder Hinweis auf Fedorov getilgt war. Auch aus Arbeiten, die philosophischen Fragen der Raum- fahrt ("Kosmismus") gewidmet waren, wurde Fedorovs Name offensichtlich entfernt; siehe z.B.

das im Verlag MysV erschienene W erk von J u A . ŠKOLENKO, Filosofija, èkologija, kosmonavtika, M . 1983.

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5 Einleitung

pagne, an der sich auch Kreise der orthodoxen Kirche beteiligten,20 erwies sich freilich als Werbefeldzug: Die (angeblich) wenigen in den Handel gelangten Ex- emplare der Werkausgabe waren sofort vergriffen und erzielten schon bald hohe Schwarzmarktpreise.21

* * *

Seitdem ist die Auseinandersetzung um Fedorov nicht mehr verstummt, wohl aber hat inzwischen eine offizielle Neubewertung weiter Teile jener Bereiche von Kultur und Tradition stattgefunden, die bislang als nicht-fortschrittlich abgelehnt oder gar als reaktionär bekämpft wurden. Aufgewertet und rehabili- tiert werden derzeit jene Kräfte, die geeignet erscheinen, in der schwierigen Phase des "Umbaus" der Gesellschaft, in der der Appell an die herrschende Ideologie ohne Resonanz bleibt, als kompensierende, integrierende und stabili- sierende Faktoren zu dienen.

U nter Parolen wie "russische kulturelle Renaissance", "nationales Wieder- erwachen", "geistige Wiedergeburt", "moralische Erneuerung des Volkes", "Öko- logie des Geistes" vollzieht sich gegenwärtig in der Sowjetunion eine be- merkenswerte, in ihren aktuellen Äußerungen im Westen bislang jedoch kaum beschriebene und gedeutete Rückbesinnung auf die russische Nationalkultur, z.T. unter Wiederbelebung slavophiler, aber auch nationalistischer und anti- aufklärerischer Traditionen.22 Dabei handelt es sich um eine auf manchen Ge- bieten seit langem vorbereitete, außerordentlich vielschichtige und ambivalente Bewegung: Sie reicht vom Einsatz für Umweltschutz und für die Rettung und Bewahrung bedrohter Kulturdenkmäler (seit Mitte der sechziger Jahre organi- siert in der mächtigen "allrussischen" Denkmalschutzgesellschaft) oder dem Programm des Sowjetischen Kulturfonds "Wiederkehr vergessener Namen"

(vozvraščenie zabytych irrten), das im Januar 1989 mit einer Ausstellung über P.A. Florenskij begann, über die Verklärung der untergehenden dörflichen Welt und der "Bodenverbundenheit" (počvenničestvo) im Zuge einer "Rückkehr zu

20 1983 erschien in den vom Moskauer Patriarchat herausgegebenen Bogoslovsfde trudy ein dif- fam ierender A rtik e l über Fedorov und dessen Lehre: "Voskrešenie čaemoe ili voschiščaemoe?

(О religioznych vozzrenijach N.F. Fedorova)." In: Bogoslovslde trudy, 24, 1983, S. 242-259.

Gezeichnet m it A .M ., den Initialen von A n a to lij Sergeevič M el’nikov (d.i. archiepiskop An- to n ij), stammte der A rtik e l in W irklichkeit von N.K. G avijušin, einem M itarbeiter von M flculin- skij am Institut fü r Geschichte der Naturwissenschaften. - Daß Fedorov in orthodoxen Kirchenkreisen auch positiv eingeschätzt w ird, beweisen zahlreiche Reden und Aufsätze von M e tro p o lit P itirim sowie Beiträge von Valentin N ikitin , V itā lij Borovoj u.a. (siehe Bibliogra- phie).

21 M itte der achtziger Jahre wurde die Moskauer Ausgabe in den USA nachgedruckt, wobei Ein- band, D ruck und Papier so gut im itie rt wurden, daß sich O riginal und Reprint nur bei sorgfältigem Vergleich voneinander unterscheiden lassen.

22 Vgl. B. Gr o y s, "E in neues Heidentum. D ie ,russische nationale W iedergeburt’. - Ein Blick auf jüngste Diskussionen." In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 118, 22.5.1987, S. 27. K. Ho l m,

"Rückwärts-Avantgarden. Das neue Aufleben des russischen Nationalismus." Ebd., 211, 10.9.1988, S. 27.

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den Ursprüngen" (י vozvraščenie к istokam) in der Literatur der derevenščiki, der Absage an westlichen Rationalismus, Individualismus und Liberalismus, sowie dem Kampf gegen "moralische Verwilderung" bis zu den chauvinistischen Exzessen und paranoiden Verschwörungsideen der Pamjat׳־Vereinigung.

Auf dem Gebiet der Philosophie hat die "nationale kulturelle Wiedergeburt"

in Verbindung mit einer traditionalistischen, konservativen Wertediskussion, bei der die "Liquidierung der Amoralität" und die "Anerkennung des sittlichen Absoluten" gefordert werden,23 zur Rehabilitierung des russischen nichtmarxi- stischen Denkens geführt und damit weite, bislang tabuisierte Bereiche der Ge- schichte der "vaterländischen Philosophie" • darunter vor allem die russischen religiösen Denker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ־ einer freieren Erforschung und öffentlichen Diskussion zugänglich gemacht.24

Auch Fedorov zählt heute zu jenen nichtmarxistischen russischen Denkern, deren "geistige Wiedererweckung" im Zuge der sogenannten "russischen kul- turellen Renaissance" mit Nachdruck betrieben wird. Für die nächste Zeit sind weitere Werkausgaben, ja sogar die Veröffentlichung des gesamten Nachlasses geplant.25 Hinzu kommen zahlreiche Aufsätze und, dem Vernehmen nach, in

6 Einleitung

23 D ie Z itate stammen aus jüngsten Veröffentlichungen von A .V . Gulyga, einem renommierten Philosophiehistoriker, Fedorov-Forscher und Protagonisten der "nationalen Wiedergeburt".

Siehe A .[V .] G u ly g a , "Poiski absoljuta." In: Novyj Mir, 1987, 10, S. 245-253. D ers., "Stat’

zerkalom duši naroda." In: Vopmsy Filosofii, 1988,9, S. 113-115. D ers., "Revoljucija ducha." In:

Zvezda, 1989, 2, S. 173-182. Vgl. ferner die scharfe Ablehnung der nihilistischen M oral des

"Eigenwillens" und die Forderung nach Anerkennung absoluter sittlicher Ideale bei Ju.N. Da- VYDOV, Ētika ljubvi i metafizika svoevolija (pmblemy nravstvennoj filosofii), M . 21989.

24 Z ur jüngsten Entwicklung vgl. H. Fl e is c h e r, "D ie Perestrojka erreicht die Philosophie." In:

Das Argument, 167, 1988, S. 9-31. D. Ge y e r, "Den toten G ott im Herzen tragen. Das Wieder- aufleben der idealistischen russischen Philosophie." In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 118, 24.5.1989, S. N 3. I. Vin o g r a d o v, "Bezumnaja russkaja ideja." In: Moskovskie Novosti, 24, 11.6.1989, S. 11. Sowie - besonders instruktiv am Beispiel der Wiederentdeckung von P A . Fio- renskij - R. G o ld t, "Aspekte der sowjetischen Idealismusdebatte." In: E. R eissner (H g.), Pere- stmjka und Literatur, Berlin [im Druck]. ־ Z ur Renaissance religiöser Themen in der Sowjetlite- ratur siehe A . B e re lo w itc h , "La place vide de Dieu." In: Cahiers du Monde russe et soviétique, 29 (1988), 3-4, S. 575-580. - Zu den bis ins Jahr 2000 geplanten Werkausgaben russischer ideali- stischer und religiöser Denker siehe A non., "Perspektivnyj plan izdanija trudav po otečest- vennoj istorii, vidnych russkich i sovetskich filosofov, ékonomistov i juristov, d lite l’noe vremja ne izdavavšichsja v našej strane." In: Knižnoe Obozrenie,38,23.9.1988, S. 9.

25 Dem Vernehmen nach bereitet das Moskauer Institut fü r W eltliteratur eine Gesamtausgabe der Werke Fedorovs vor. Für die M itte der neunziger Jahre plant der Verlag MysV, aus Fe- dorovs Nachlaß den 3. Band der Filosofija obščego dela zu veröffentlichen. B riefl. M itte ilu n g von V A . N ik itin , Moskau, 13.4.1989. D ie Veröffentlichung ausgewählter Werke Fedorovs ist in der Reihe Iz istorii otečestvennoj filosofskoj mysli vorgesehen, die auf Beschluß des Z K des Poütbüros der KPdSU vom 12.5.1988 gegründet wurde und deren Programm die bislang unter- drückte russische nichtmarxistische Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts umfaßt. Vgl. die Ankündigung in: Vopmsy Filosofii, 1988, 6. A . J a k o v le v , "Vozvraščenie iz nebytija." In:

Moskovskie Novosti, 9, 26.2.1989, S. 10. M . M ic h a jlo v , "P olitbjuro i filosofija." In: Russkaja Mysl\ 3751, 18.11.1988, S. 12. Veröffentlichungen aus dem W erk Fedorovs hat die Z eitschrift Novyj Mir fü r 1989 angekündigt; siehe Novyj Mir,1988,8. - Eine umfangreiche Auswahl aus Fe- dorovs Schriften in deutscher Übersetzung w ird derzeit vom Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und W eimar, vorbereitet. Eine Auswahl in englischer Übersetzung soll in den Verlagen L ’Age d’Homme, Lausanne, und Honeygien, London, erscheinen.

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7

Einleitung

naher Zukunft die Veröffentlichung populärwissenschaftlicher Monographien zu Leben und Werk.26 Neben den Fachleuten (zu nennen sind vor allem S.G.

Semenova und A.V. Gulyga) widmen sich in verschiedenen Arbeitsgruppen und Vereinigungen auch Laien mit großem Enthusiasmus (der bisweilen freüich sektiererische Züge annimmt) dem Studium und der Verbreitung der Fedorov- sehen Ideen.27 Vom Interesse und der Verehrung, die Fedorov entgegenge- bracht werden, zeugen Filme,28 Bilder29 und Gedichte30 sowie das Vorhaben,

26 So ist, um nur einige Beispiele zu nennen, in der im Oktober 1988 begonnenen Serie Iz istorii russkoj filosofskoj mysli der Literatumaja Gazeta, in der bereits ganzseitige Beiträge über A.F.

Losev, P A . Florenskij, V.S. Solov’ev, L.P. Karsavin, K.N. Leont'ev, E.N. Tnibeckoj, V .V . Ro- zanov und N A . Berdjaev erschienen sind, auch ein Beitrag über Fedorov vorgesehen. Eine A r- beit über Fedorov w ird in der populärwissenschaftlichen Reihe Stnmicy istorii otečestvennoj fi- losofskoj mysli erscheinen, die 1988/89 m it Arbeiten über V.S. Solov'ev und P A . Florenskij er- öffnet worden ist. Für 1990 plant der Moskauer Verlag Sovetskij pisateV die Veröffentlichung einer größeren, ebenfalls populärwissenschaftlichen Darstellung von Fedorovs Leben und W erk von S.G. Semenova m it dem T ite l Nikołaj Fedorov. Tvorčestvo žizni\ ein auszugsweiser Vorab- druck soll in der Zeitschrift Volgat 1989, 9-12, erscheinen. B riefl. M itteilun g von V A . N ikitin , Moskau, 13.4.1989. Siehe auch Novye knigi SSSR, 1989, 27, S. 21.

27 Zu nennen ist hier v.a. der Anfang 1987 gegründete, offenbar russophile Moskauer "A rbeits- kreis Prometejā y der bereits eine Reihe von Vorträgen über Fedorov veranstaltet hat und in sei- nem selbst verlegten Vestnik Prometeja (inzwischen 3 Bände) Fedorov zum V orbild erhebt;

(siehe P. [V .] TuiwEV, "'Prom ctej’: opyt i problemy razvitija." In: Vestnik Prometeja, vyp. 3, M . 1988, S. 221-228); ferner das im Rahmen des "Allrussischen Kulturfonds" arbeitende "Philoso- phischc Seminar" (Filosofskij seminar) sowie die Anfang März 1989 in Moskau gegründete "Ge- sellschaft fü r Gcistcskultur" (Obščestvo duchovnoj kuVtury), der mehrere prominente Russo- phile angchören. In Moskau leiten S.G. Semenova und Ju A . Pogrebinskij Seminare über Fedo- rov. Der in Petrozavodsk lebende russophile D ichter und *Kosmist' Ju.V. Linnik (D ire kto r des

"N.-K.-Rerich-Museums fü r kosmische Kunst" und Leiter des "Zentrums zur Erforschung der Geisteskultur des Auslandsrussentums") erforscht Fedorovs Werk im Rahmen des russischen

״kosmischen Denkens* und untersucht seine W irkung auf die K ultur der russischen Em igration.

U nter Berufung auf Fedorov widmet sich in Leningrad die Kommission des Sowjetischen Kul- turfonds Leningradskij nekropoV unter der Leitung von A .V . Kobak der Erforschung der

"russischen Friedhofskultur" und der Restaurierung historischer Friedhöfe. Brief!. M itte ilu n g von A .V . Kobak, Leningrad, 15.10.1988.

V ie lfä ltig sind auch die Verbindungen zwischen sektiererischen Anhängern Fedorovs (fe- dorovey) und anderen Gruppen und Strömungen der florierenden religiös-weltanschaulichen Subkultur in der Sowjetunion, wie z.B. den Anhängern der Lehren von Georgij Gjurdžiev, N ikołaj Rerich, D aniil Andreev, Lev Gumilev sowie insbesondere von P o rfirij Ivanov, den sog.

ivanovey, aber auch Ökogruppen, Lebensreformem, Gesundheitsaposteln und Vegetariern. Ein von Moskauer Fedorov-Anhängem 1985 verbreiteter A u fru f "an alle Bewohner des Planeten”

zur Gründung einer "W eltweiten Organisation des obščee delo ־ Mission N. Fedorov" trägt wahnhafte Züge.

28 Bekannt wurde ein Am ateurfilm über Fedorov von M . und S. Baranov m it dem T ite l Moskovskij Sokrat (1978). - Am 16. Juni 1989 zeigte das Moskauer Fernsehen unter dem T ite l Pritča о voskrešenii einen zweiteiligen "Dokum entarfilm 4 über Fedorov, der unter der Regie von L. Nirenburg und der wissenschaftlichen Beratung von S.G. Semenova entstanden war:

Aufnahmen von Orten, die m it Fedorovs Biographie verbunden waren sowie nachgestellte Szenen aus Fedorovs Leben wechselten m it Interviews, die die Überlieferung, W irkung und heutige Bedeutung seines Denkens dokumentieren sollten. D er Inform ationsgehalt blieb freilich gering, statt dessen wurden alte Legenden wiederbelebt und durch kitschige Effekte, vordergründige Symbolik und theatralisches Pathos Fedorovs Person und seine geistige E nt- wicklung im Sinne des mrusskoe duchovnoe vozroždenieM stilisiert und m ystifiziert. K ritisch dazu

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Einleitung 8

eine eigene Gedenkstätte einzurichten. Unter der Bezeichnung Fedorovsfde čtenija fand erstmals im Mai 1988 in Borovsk bei Moskau eine zweitägige öffentliche Vortragsreihe statt, die Fedorov und seinem Werk sowie dessen engem Zusammenhang mit dem "russischen Kosmismus" gewidmet war; die zweiten Fedorovskie čtenija wurden im Juni 1989 in Moskau im Zentralen Haus der Sowjetarmee abgehalten.31

♦ * *

In jüngster Zeit wird Fedorovs Werk zunehmend im Rahmen eines philoso- phisch-weltanschaulichen Konzeptes rezipiert, das unter der Bezeichnung

"russisches kosmisches Denken" oder "russischer Kosmismus" in der so- wjetischen Presse wachsende Aufmerksamkeit und Anklang findet, im Westen bislang jedoch so gut wie unbeachtet geblieben ist. Ausgehend von einer ganzheitlichen Weltauffassung und der Annahme einer zielvollen und darum sinnvollen Evolution, sucht "kosmisches Denken" (nach dem Verlust des gött- liehen Heilsplanes und im Bewußtsein drohender Selbstvernichtung) die Stel- lung und Aufgabe des Menschen und der menschlichen Vernunft im universalen Zusammenhang zu bestimmen. Der vernunftbegabte Mensch, in einem ziel- gerichteten Prozeß aus der belebten Materie der Erde hervorgegangen, wird als

die redaktionelle Vorbemerkung zum A rtike l von I.[T .ļ Fr o l o v, "Prizraki i illju z ii ״večnoj žizni״

i Vseobščego voskrešenija’." In: Sovetskaja Kuimturat 73, 20.6.1989, S. 6. Vgl. ferner V.

No v ik o v a, "*Pritča о voskrešenii*. PrenVera televizionnogo dokumentaPnogo ГіГта." In:

Govorit ו pokazyvaet Moskva. Programmy centnü’nogo televidenija i radioveščanija. 1989, 20 (m aj), S. 4. - Für die Überlassung einer Videoaufzeichnung dieses Film s danke ich Rainer G oidt, Wiesbaden.

29 Bekannt und veröffentlicht wurde ein Porträt von O tari Kandaurov, der sich einen Verehrer von Fedorov und N ikołaj Rerich nennt, sowie eine Lithographie des Moskauer Graphikers Jurij Seliverstov. Siehe J. G (le is n e r), "Pictures at an Exhibition." In: Detente, [Leeds], 9/10, 1987, S.

40f. (m. Abb.). D ers., "Memoirs o f Moscow's ,Pictures at an E xhibition’." In: The Soviet Ob- server, 10.5.1988, S. 5. V. Ku r b a t o v, "Živaja duša Rossii. (״.״ iz russkoj dumy* chudožnika Ju- rija Seliverstova)." In: Literatumaja Učeba, 1989, 1, S. 103 (Abb.). In beiden Fällen handelt es sich um kitschige Darstellungen, die einem modischen Bedürfnis nach Stilisierung und M ysti- fizierung zu entsprechen suchen. - Eine Büste Fedorovs soll in den siebziger Jahren von der Bildhauerin V alerija Semenova geschaffen worden sein.

30 V Ja . La z a r e v, "B ibliotekar״ Rumjancevskogo muzeja." [G edicht] In: De r s., Brat miloserdija.

Stichotvorvnija. M . 1982, S. 77f. S.[G.] STRATANOVSKU, "Fedorov." [G edicht] In: Russkaja Mysl\ 3485, 6.10.1983, S. 12. V .[A .] Nik itin, T rip tic h pam jati N .F. Fedorova (1903)."

[Gedichte] In: Vestnik RChD9146,1986, S. 145-148.

31 Organisiert wurden die Fedomvskie čtenija u.a. vom Komitee fü r Kosmonautik der DO SAAF, dem "Ökofonds der UdSSR" sowie der "Allrussischen Gesellschaft zum Schutz der Geschichts- und Kulturdenkm äler". Zu den prominentesten Rednern zählten der Kosmonaut V .l. Seva- st'janov, der Physiker und M athem atiker N.N. Moiseev (Akadem iem itglied und V ertreter der vielbeachteten "Gaia-Hypothese", wonach die Erde ein sich selbst regulierendes und opti- mierendes kybernetisches System sei) sowie die Fedorov-Forscher S.G. Semenova, A .V . Gulyga und Ju.V. Linnik. Siehe Fedorovskie čtenija. [Programm] Borovsk 1988. S.[A.] G e ra s ju tin ,

"Pervye čtenija N.F. Fedorova." In: Vestnik Prometeja (wie Anm . 27), S. 289-291. P rja c h in , S evast*janov (wie Anm. 16), S. 166. Vtorye vsesojuznye Fedomvskie čtenija. [Programm] M . 1989.

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Einleitung

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О. Kandaurov: N.F. Fedorov

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Einleitung 10

entscheidender Faktor der kosmischen Evolution verstanden, als ihr (Selbst-) Bewußtsein, ihr aktiver Lenker und (möglicher) Vollender. Von seinem Han- dein hänge ab, ob die Evolution ihr Ziel, ein Höchstmaß an Vollkommenheit, erreichen oder verfehlen, d.h. katastrophal scheitern werde. In ihrer Entwick- lung stehe die Welt am Übergang von der "Biosphäre" zur "Noosphäre": Durch die tätige Vereinigung aller Menschen zu einem einzigen Organismus werde ein höheres "planetarisches Bewußtsein" entstehen, das fähig sei, die weitere Ent- wicklung vernünftig und sittlich (im Sinne einer "kosmischen Ethik") zu lenken, das Universum zu verwandeln und zu vervollkommnen, Krankheit und Tod zu

• «

besiegen und unsterbliche Übermenschen hervorzubnngen.

Dieses höchst spekulative, begrifflich oft unscharfe und in seinem anthro- pozentrischen Fortschrittsglauben anachronistisch anmutende Konzept, das seine wachsende Popularität offenbar einem zunehmenden Krisenbewußtsein und dem weltanschaulichen Bedürfnis nach Synthese und Sinngebung verdankt, wird von seinen Anhängern als eine spezifisch russische Denkrichtung aus- gegeben, als originelle Hervorbringung des "russischen Geistes", die einmalig und mit nichts auf der Welt zu vergleichen sei: Das "vaterländische kosmische Denken" sei, so heißt es, in diesem Jahrhundert durch Gelehrte wie K.È.

Ciolkovskij, V.l. Vernadskij und A.L. Čiževskij repräsentiert worden; am Be- ginn dieser Tradition stehe Fedorov.32 Der "russische Kosmismus" als "aktiv­

32 Zum "russischen kosmischen Denken" vgl. aus der Vielzahl jüngster Veröffentlichungen ins- besondere F.I. Gir e n o k, "Russkij kosmizm: Vzaimosvjaz’ filosofskich i estestvennonauönych problem ." In: Filosofskie metodologiČeskie seminary. Problemy razvitija. M . 1983, S. 262-280.

De r s., Ekoloģija, civilizācijā, noosfera. M . 1987. A.(V.) Gu l y g a, ",Byt* ne prazdnym passažirom .״ Russkij kosmizm: nasledie i nasledniki." In: Literatumoe Obozrenie, 1987, 7, S. 91־

95. De r s., "Priblizit*..." (wie A nm . 16). V.l. Sevast*ja n o v, V .r. Pr ja c h in, "K osm onavtika i novoe političeskoe mySlenie v jadem o-kosm ičeskuju éru.H In: Vopmsy Filosofiit 1987, 9, bes. S.

38-42. Pr ja c h in, Se v a st״ja n o v (wie A nm . 16), S. 162-168. S.[G.] Se m e n o v a, "Sem’ja idej. К 125-letiju so dnja ro id en ija V.I. V em adskogo." In: Znamja, 1988,3, S. 185-201. Die s., "Aktivno- évoljucionnaja mysi* V em adskogo." In: Pmmetej, 15, M . 1988, S. 221-248. N.[N.] Mo is e e v, "V.I.

V em adskij i estestvennonaučnaja tradicija." In: Kommunist, 1988, 2, bes. S. 78*80. De r s.,

"O pravdanie edinstva. (!Commentarti

к

učeniju о noosfere). In: Vopmsy Filosofii, 1988, 4, bes. S.

29f. Učenie V.l. Vemadskogq о noosfere i globaVnye pmblemy sovremennosti. (Tezisy dokla- dov...). Č. 1, М . 1988. V P. Ka z n aCe e v, Učenie V.l. Vemadskogo о biosfere i noosferet N ovo- sibirsk 1989.

Bereits Ende der sechziger Jahre hatte Igor* Zabelin, einer der führenden Propagandisten des

"kosmischen Denkens", die Frage nach der Bestimmung der Menschheit im kosmischen Maß- stab m it Bezug auf Fedorov, Vemadskij, Ciolkovskij und Teilhard de Chardin positiv zu beant- worten versucht. In einer daraufhin entstandenen Kontroverse wiesen die Parteiphilosophen KoPman und Rabinovič eine solche Frage als sinnlos zurück. Siehe I.[M .] Za b e l in, "Celo- večestvo - dija čego ono?H In: Moskva, 1968, 5, S. 147-161. Z ur Kontroverse siehe М Л . La t h o u w e r s, "Pour un sens approfondi de Texistence humaine." In: ïrénikon, 43 (1970), S.

222-226.

Zu erw ähnen ist schließlich das von dem ukrainischen Biologen N.G. Cholodnyj (1882-1953) in den vierziger Jahren entw ickelte K onzept des "Anthropokosmismus", das jedoch - vielleicht we- gen der geringen Verbreitung von Cholodnyjs naturphilosophischen Schriften - bislang nur schwache Resonanz gefunden hat. Siehe I.I. MoCa l o v, K .Ch. Ch a jr u l l in, "Koncepcija antropokosmizma N.G. Cholodnogo." In: Vopmsy Filosofii, 1982, 11, S. 131-139. N.G. Ch o l o d־ NYJ, Izbnmnye trudy, Kiev 1982.

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11 Einleitung

evolutionäres, noosphärisches, kosmisches Denken"33 sei jedoch nicht nur der

"Stolz der vaterländischen Wissenschaft",34 sondern erweise sich auch dank seiner "allgememmenschlichen Bedeutung" als "Philosophie der Zukunft"35, die geeignet sei, die drängenden Probleme der Menschheit ־ Naturzerstörung, kriegerisches Gegeneinander und Werteverfall - global zu lösen. "Kosmismus"

wird damit zur Formel einer neuen russischen Heilslehre für die Welt.

Durch das (hier nur skizzierte) Konzept des "russischen Kosmismus" wird freilich der Blick auf das Werk seiner "Repräsentanten" eher verstellt, wird eine Tradition konstruiert, deren Begründung zumindest fragwürdig erscheint,36 wird schließlich eine Ideologie kreiert, die sich bei genauerer Betrachtung weit- hin als russische Variante des New y4ge-Denkens erweist, wie es seit Beginn der siebziger Jahre vor allem im angelsächsischen Sprachraum grassiert.37 Die Fülle publizistischer und populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen zum "russi- sehen Kosmismus" steht in einem auffallenden Mißverhältnis zur Zahl seriöser

33 Se m e n o v a, "Sem’ja idej" (wie Anm. 32), S. 221.

34 Sevast\ja n o v, Pr ja c h in (wie Anm. 32), S. 39. - Gulyga nennt den Kosmismus "unseren nationalen Stolz". Gu l y g a, "P rib lizit’..." (wie Anm . 16).

35 Gu l y g a, "Stat* zerkalom..." (wie Anm. 23), S. 113.

36 So wäre zu fragen, ob das Konzept des "russischen Kosmismus" w irklich geeignet ist, C iol- kovskij, Čiževskij und Vemadskij in eine gemeinsame D enktradition zu stellen, obwohl diese sich in ihren Forschungszielen und Methoden so sehr voneinander unterscheiden, daß sie sich (m it gelegentlichen Ausnahmen bei Ciolkovskij und Čiževskij) in ihren wissenschaftlichen Arbeiten nirgends aufeinander beziehen. Was das Verhältnis zu Fedorov b e trifft, der diese Tra- dition begründet haben soll, so finden sich in den veröffentlichten Werken Vemadskijs und Čiževskijs keinerlei Hinweise auf eine Rezeption; C iolkovskij hat sich zwar gegen Ende seines Lebens anerkennend über Fedorov geäußert, einen Einfluß auf seine eigenen Raumfahrtpläne jedoch stets verneint.

Das O riginelle und spezifisch Russische in der Konzeption des "Kosmismus" ließe sich erst durch sorgfältige Vergleiche m it "westlichen" Entwicklungslehren feststellen, vor allem m it der auch in Rußland einst populären philosophisch-biologischen Lehre Bergsons von der Evolution créatrice, aber auch m it Comte, Renan, Spencer oder m it John Fiske, dem Verfasser der Out•

lines o f Cosmic Philosophy, zu untersuchen wäre ferner der (in der Sowjetunion bis heute ver- schwiegene) Einfluß theosophischer und okkultistischer Literatur auf den "Vater der russischen Raumfahrt" K.É. C iolkovskij, dessen naturphilosophische und gesellschaftsutopische Arbeiten, soweit sie überhaupt veröffentlicht wurden, nur schwer zugänglich sind. Im m erhin w ird auf die Evolutionslehre Teilhard de Chardins verwiesen, die auffallende Übereinstimmungen m it Ideen Vemadskijs aufweist, aber auch m it Solov’evs Lehre von der "Gottmenschhcit" und deren Bestimmung, der Einigung, Verwandlung und Rettung des Universums; siehe zuletzt die Besprechung der russischen Ausgabe von Teilhard de Chardins Hauptwerk Le phénomène hu- main, das 1987 stark gekürzt in einer Auflage von 130.000 Exemplaren in Moskau erschienen ist (und sofort vergriffen war). S.G. Semenova, "*Da* soznatel'noj évoljucii. P’er T ejjar de Šarden, Fenomen čeloveka... M . 1987" [Rezension] In: Novyj Mir, 1988,12, S. 253*255. Zu Solov’ev vgl.

N.F. U tk in a , "Tema vseedinstva v filo so fii VI. Solov’eva." In: Voprosy Filosofii, 1989, 6, bes. S.

66-68.

37 Erinnert sei hier nur an die ganzheitlich-organischen und kybemetisch-systemtheoretischen Welt-Auffassungen eines F ritjo f Capra, Gregory Bateson, Jim Lovelock oder Ilya Prigogine (Prigožin). Begriffe wie "planetarisches Bewußtsein", "Noosphäre", "Ökologie des Geistes"

u.v.a. sind längst Gemeingut westlicher New /^ -Id e o lo g e n und russischer "Kosmisten". Eine genauere Untersuchung wäre lohnend.

(22)

Einleitung 12

wissenschaftlicher Untersuchungen, vor allem aber zum Umfang und zur Quali- tat der Editionen: Noch immer sind wichtige philosophische Arbeiten Vernad- skijs unveröffentlicht oder werden durch zensierende Eingriffe verstümmelt.38 Einige von Ciolkovskijs naturphilosophischen und gesellschaftsutopischen Trak- taten (die Originale sind längst bibliographische Raritäten) wurden erstmals 1986 wieder herausgegeben - in einem editorisch ganz unzulänglichen Band, der in der Provinz erschienen ist und praktisch nicht erhältlich war 39 Ähnliches gilt für das Werk von Pavel Florenskij, dessen Auffassungen von der "Pneumato- Sphäre" und dem "antientropischen Wirken" des menschlichen Geistes gelegent- lieh dem "russischen Kosmismus" zugerechnet werden:40 die Vielzahl der in den letzten Jahren an den verschiedensten Orten (von der Tagespresse bis zu hoch- spezialisierten Fachzeitschriften) veröffentlichten Schriften Florenskijs ist kaum noch zu überblicken, doch handelt es sich in den meisten Fällen um Fragmente und Auszüge, bei denen sich der Verdacht auf zensierende Eingriffe (bei früheren sowjetischen Publikationen eine Selbstverständlichkeit) bis in die jüngste Zeit bestätigt.41 Eine Werkausgabe, die wissenschaftlichen Ansprüchen auch nur annähernd zu genügen vermag, liegt weder in der Sowjetunion noch im Westen vor.42 Auch die 1982 erstellte Werkausgabe Fedorovs weist Aus-

38 Z u r gleichen Z eit, d a m an in d e r Sow jetunion den 125. G eb u rtstag V em adskijs ־ zw eifellos eine d er im ponierendsten russischen G elehrtengestalten dieses Ja h rh u n d e rts - mit großem p ro p a- gandistischem A ufw and feierte (ich selbst h atte G elegenheit, im M ärz 1988 an d er pom pösen Festsitzung im M oskauer B olschoi-T heater teilzunehm en), beklagten m e h re re W issenschaftler in einem L eserb rief an eine Fachzeitschrift, daß "seit dem T o d V em adskijs kaum eine einzige A usgabe seiner W erke ohne redaktionelle K ürzungen erschienen" sei. A m B eispiel ein er Edi- tion au s dem J a h re 1977 w urde sodann dem onstriert, wie durch A uslassung ein zeln er Sätze, ab er auch ganzer Passagen, v.a. ab er durch "*chirurgische O perationen* am Text" A ussagen ge- radezu in ihr GegenteÜ verkehrt w orden w aren. 1988 w urde das b e treffen d e W erk ern eu t her- ausgegeben ־ vollständiger zwar, jed o ch nach w ie vor mit erh eb lich en K ürzungen! I.I.

Mo č a l o v, N.F. OVČINNIKOV, A.P. Og u r c o v, "Pis'm o v redakciju." In: Voprosy Istorii Est- estvoznanija i Technikif 1988, 1, S. 66-71. Vgl. V .l. Ve r n aDSKU, Filosofskie mysli naturalista, M . 1988.

39 Siehe T.N . Že l n in a, "K.Ê. Ciolkovskij, Grezy о zemie i nebe, Tula 1986." [Rezension] In:

Vopmsy Istorii Estestvoznanija i Techniki1 1987,3, S. 151-154.

40 So z.B. Gir en o k, "Russkij kosmizm" (wie Anm. 32), S. 265. B. Lj u b im o v, "Zagadka dija issle- dovatelej i čitatelej." In: Teatral’naja Ž izn\ 1988, 20, S. 17. V A . Fr o l o v, "О pnevmatosfere P A . Florenskogo." In: PA. Florenskij: filosofia, nauka, technika. L. 1989, S. 31f.

41 So bemerkte G oldt an den 1985 in der Zeitschrift Literatumaja Gruzija veröffentlichten Kind- heits- und Jugenderinnerungen Florenskijs: "*Bereinigt* waren die ... M em oiren um eine gegen Dostojewskij gerichtete Polemik von mehr als einer Druckseite, deren Fehlen von der Redak- tion noch nicht einmal durch einen Absatz, geschweige denn Auslassungszeichen, Rechnung ge- tragen worden war." Go l d t (wie Anm . 24). - Eine weitere Schwierigkeit bereitet die gerade im Falle Florenskijs verbreitete Praxis westlicher Em igrantenzeitschriften und Verlage, offenbar jeden auch noch so zweifelhaften oder korrum pierten Text, der in ihren Besitz gelangt, ungeprüft als authentisch zu veröffentlichen. Ausführlich dazu M . Ha g e m e is t e r, HP A . Florenskijs *Wiederkehr*: M aterialien zu einer Bibliographie (1985 - 1989)." In: Ostkirchliche Studien [im Druck].

42 Siehe M . Ha g e m e is t e r, "Pavel Florenskij: Zu neuen Ausgaben." In: Ostkirchliche Studien, 36 (1987), S. 45-50. Dass, [russ.] "Novye izdanija svjašč. P A . Florenskogo .״ In: Vestnik RChD, 150,

(23)

13 Einleitung

lassungen im Text auf und enthält im Kommentar Zugeständnisse an die herr- sehende Ideologie, doch war sie damals ihrer Zeit ־ der Hochphase der "Sta- gnation" - weit voraus, wie ihr Schicksal beweist.

* * *

Es bleibt zu hoffen, daß auf dem "Weg zu einer normalen Kultur" die genannten Denker jene mythische Faszination verlieren werden, die lediglich auf ihrem Gegensatz zur offiziellen Ideologie beruht,43 und daß sie nicht zu Trägern einer neuen welterlösenden Ideologie funktionalisiert werden, sondern daß - nach- dem ihre Werke zugänglich gemacht und ihre ’wahren’ Biographien geschrieben worden sind - sie in ihrer Eigenständigkeit ebenso wie im Kontext ihrer Zeit erkennbar werden.

Einen Beitrag dazu möchte die vorliegende Arbeit über Leben, Werk und Wirkung von Nikołaj Fedorov leisten. Fedorov, seit jeher heftig umstritten und wenig gelesen, war schon zu Lebzeiten zu einer Legende geworden. Das Haupt- ziel dieser Arbeit bestand darin, an die Stelle von Legenden Fakten zu setzen, Mutmaßungen von gesichertem Wissen zu unterscheiden. Dies geschah auf der Basis aller nur erreichbaren Informationen (was sich auch im umfangreich geratenen Anmerkungsteil niederschlug) sowie durch den Versuch, die geistigen Umfelder zu rekonstruieren, in denen Fedorovs Ideen Anklang fanden und rezipiert wurden. Die dabei gewonnenen Einblicke in bislang kaum oder gar nicht erforschte Bereiche der russischen Geistesgeschichte können als Aus- gangspunkte für weitere Forschungen dienen.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile (I: Leben und Werk, II: Beiträge zu einer Wirkungsgeschichte), wobei das Schwergewicht auf der Wirkungsge- schichte liegt. Da jeder dieser Teile in sich abgeschlossen ist, wurde auf eine Zusammenfassung am Schluß der Arbeit verzichtet.

Um den Umfang der Arbeit nicht weiter auszudehnen, erwies es sich im Verlauf der Untersuchung angesichts der Fülle des Materials und der Kom- pliziertheit der Themen als notwendig, einzelne Bereiche der Wirkungsge- schichte auszuklammern. Dies betrifft insbesondere:

- Das Verhältnis zwischen Fedorov und Vladimir Solov’ev und die Frage nach ihren wechselseitigen Einflüssen. (Das entsprechende Kapitel wurde aus- gearbeitet, jedoch nicht in die vorliegende Arbeit aufgenommen; es soll an anderer Stelle veröffentlicht werden).

- Den "russischen Kosmismus", insbesondere die Frage nach Fedorovs Einfluß auf K.Ê. Ciolkovskij sowie auf das Werk des Dichters Nikołaj Zabolockij.

Bereits vorliegende einschlägige Arbeiten sind in die Bibliographie auf-

1987, S. 34-41. ־ Für 1991-1992 hat der Verlag Mysi״ eine dreibändige Ausgabe der philosophi- sehen Schriften Florenskijs angekündigt; zwei Bände m it kunsttheoretischen Schriften sollen im Verlag Iskusstvo erscheinen; eine einbändige Auswahl von Schriften zur Litera tur w ird vom Verlag Chudožestvennaja Literatura vorbereitet. Siehe HAGEMEISTER (wie Anm. 41).

43 Siehe dazu D.(E.) Fu r m a n, "Naš put1 к norm al’noj kul'ture." In: Ju.N . Afa n a s'e v, Inogo ne dano, М . 1988, S. 569-580.

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