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Aus alldem folgt, daß Dostoevskij Fedorovs Projekt, wäre es ihm bekannt und einsichtig geworden, gar nicht hätte akzeptieren können.35 Doch wurde es ihm

־ wahrscheinlich - nicht bekannt. Peterson hatte Fedorov sofort von Dostoev- skijs B rie f unterrichtet, worauf dieser beschloß, eine "vollständige Darlegung seiner Lehre" zu Papier zu bringen und als Antw ort an Dostoevskij zu schik- ken.36 Im Juni 1878, als Fedorov für zwei Wochen zu Peterson nach Kerensk kam, begannen beide m it der Abfassung.37 Die A rbeit zog sich jedoch hin und konnte, wie Peterson berichtet, "in den Ferien 1878 nicht beendet werden; sie

34 FOD I, S. 439, 441f.; Hervorhebungen im O rig.

35 In der L ite ra tu r werden aus Dostoevskijs B rie f wiederum m it V orliebe die zustimmenden Äußerungen zitie rt ("Dann möchte ich Ihnen sagen, daß ich im wesentlichen m it diesen Ge- danken vö llig einverstanden bin. Ich habe sie gelesen als wären sie meine eigenen." ־ Dieses Z i- tat fand auch Verwendung für eine Postkarte m it Fedorovs Porträt, die ein Anhänger des Phi- losophen 1926 in großer Auflage zu Werbezwecken hersteilen ließ !); dagegen werden die Pas- sagen, in denen Dostoevskij seine Unkenntnis des zentralen Gedankens Fedorovs beweist und seine eigene, stark abweichende Position form uliert, zumeist gänzlich unterschlagen! So zuletzt bei Se m e n o v a (wie Anm. 1), S. 186, die von Dostoevskijs "Einverständnis im kühnsten und Verrücktesten״ Punkt" der Lehre Fedorovs spricht.

Dank dieses Verfahrens kommen so abstruse Behauptungen zustande wie: "Dostoevskij war allein schon deshalb hocherfreut, da er von einem Menschen erfuhr, der genau so dachte, wie er selbst. Und er war doppelt erfreut, da Fedorov nicht nur ein Gleichgesinnter war, sondern ihre gemeinsame Theorie [!] auch noch durch wissenschaftlich-technische Berechnungen un- termauerte." Bu r so v (wie Ajnm. 1), S. 77. Oder: "Fedorovs Philosophie" habe Dostoevskij ׳Vor allem durch die Übereinstimmung m it seinem eigenen Gedanken von der Notwendigkeit des obščee delo" geradezu "erschüttert". Ju.I. Se l e z n e v, Dostoevskij, M . 1981, S. 480. D ie Zahl der Beispiele ließe sich vermehren.

Dagegen hatte bereits 1913 A.S. Pankratov richtig beobachtet: "D ie Ähnlichkeit zwischen den Weltanschauungen Dostoevskijs und Solov’evs einerseits und der Fedorovs andererseits ist nur eine äußerliche. In W irklichkeit löste Fedorov das Problem von Leben und Tod selbständig und originell, und weder Dostoevskij noch Solov'ev konnten ihm darin zustimmen. Sie teilten vielm ehr die gewöhnliche Ansicht der orthodoxen Kirche. Fedorovs Auferweckung ist dagegen fü r die orthodoxe Kirche nicht annehmbar." A.S. P a n k ra to v , "Füosof-pravednik " In: Novoe Slovo, 5 (1913), 8, S. 22f. Und unlängst stellte V A . N ik itin fest: "Dostoevskij blieb der traditionellen Lehre der orthodoxen Kirche von der Auferstehung als einem mystischen, escha- tologischen, weltweiten A kt, der durch die Macht Gottes geschieht, nicht aber den Höhepunkt des obščee delo bildet, treu. Darüber schreibt Fedorov selbst in einer unveröffentlichten Be- merkung 'O Dostoevskom i dolge voskrešenija״ (G BL, f. 657, Peterson-Archiv)." V A . N ik itin ,

"Dostoevskij, pravoslavie i ״russkaja ideja'." In: Vestnik RChDt 155,1989, S. 135.

36 Pe t e r s o n, "Pis'mo..." (wie A nm . 24), S. 301. ־ Vgl. De r s., Fedorov(wie A nm . 24), S. 90.

37 N.[P.) P e te rso n , "Predislovie." In: N.F. F e d o ro v, Filosofija obščego dela, t. 1, Vem yj 1906 [19071, S. X II. - Im Sommer des Jahres 1878 tra f Peterson während einer Bahnfahrt m it L.N.

Tolstoj zusammen. E r erzählte ihm von Fedorov und las ihm Dostoevskijs B rie f und den Anfang des Antwortschreibens vor. Letzteres, so Peterson, habe Tolstoj "nicht sympathisch"

gefunden. P e te rso n , "Pis'mo..." (wie Anm. 24), S. 301. D ers., Fedorov (wie Anm. 24), S. 90.

Fedorovs Zeitgenossen

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nahm immer mehr an Umfang zu und wurde auch 1879 und 1880 nicht fertig; da aber starb Dostoevskij.38"״ Ausdrücklich stellt Peterson fest: "... an Dostoevskij ist keinerlei A ntw ort geschickt worden."39

In merkwürdigem Widerspruch dazu stehen Angaben in einem B rie f Peter- sons an K.P. Pobedonoscev vom 14. März 1881.40 Aus Anlaß der Ermordung Alexanders П. (am 1. März 1881) legt der Verfasser seine Gedanken über die Ursachen terroristischer Neigungen unter der studentischen Jugend dar, die er vor allem im Mangel an O rientierung und straffer geistiger Führung sieht. Als Lösung schlägt er eine tiefgreifende Reform des bislang nach fremden V orbil- dem gestalteten Erziehungswesens vor, die in einer Vereinigung von Museen, Bibliotheken und Universitäten zu einer universalen, patriarchalisch organisier- ten Bildungseinrichtung bestehen solle. Dam it werde die Voraussetzung für eine breite Umgestaltung der Gesellschaft nach dem V orbild der Heiligen D rei- faltigkeit (deren Teile unterschieden und doch eins seien) geschaffen. Danach fährt der Verfasser fort:

... wenn Sie die hier geäußerten Gedanken fü r beachtenswert halten, wäre es Ihnen dann nicht mög- lieh, unter den [nachgelassenen] Papieren von Fedor M ichajlovič [Dostoevskij] das M anuskript her- auszusuchen, das ich ihm im letzten D ritte l des vergangenen Jahres [also 1880] geschickt habe; die- ses M anuskript könnte teilweise das erhellen, was in diesem B rie f enthalten ist; ich sage teilweise, w eil dieses M anuskript erst der Anfang einer ziemlich umfangreichen, aber noch nicht völlig zu Ende geführten A rbeit ist; falls Sie das Heftchen interessiert, das sich unter den Papieren von Fedor M ichajlovič befinden muß, so könnte ich [Ihnen] noch ein Heftchen schicken, welches weit klarer die Gedanken darlegt, die sowohl in diesem B rief wie auch in dem an Fedor M ichajlovič geschickten M anuskript enthalten sind.

Ich muß erwähnen, daß ich im Jahre 1877 ein kleines M anuskript an Fedor M ichajlovič geschickt habe, das ihn so sehr interessierte, daß er m ir am 24. März 1878 einen langen B rie f schrieb, in dem er sagte, er habe die in dieser Schrift dargelegten Gedanken "gelesen als wären sie [seine] eigenen".

Im Zusammenhang damit stellte er einige Fragen. Das Heftchen, das ich ihm gegen Ende des vergangenen Jahres schickte, ist eigentlich der Anfang, das Vorw ort zu jener A rbeit, die die A ntw ort auf die von ihm gestellten Fragen sein w ird. Dostoevskijs B rie f an mich hoffe ich dieser A rbeit

38 Pe t e r s o n, "Pis’mo..." (wie Anm. 24), S. 301. ־ Dostoevskij starb am 28. Januar (a.St.) 1881.

Zum Inhalt des als A ntw ort an Dostoevskij verfaßten Schreibens bemerkt Peterson in seinem Vorw ort zum ersten Band der Filosofija obščego dela: "... auf Seite 64 beginnt m it den W orten 1״. Nachodjas״ čut* ne tysjaču let״ usw. das eigentliche Werte. So war im Juni 1878 die A ntw ort auf den B rie f Dostoevskijs vom 23. [sic] M ärz 1878 begonnen worden...” Pe t e r s o n,

"Predislovie" (wie Anm. 37). Den auf den folgenden etwa 20 Seiten der Filosofija obščego dela abgedruckten Text hatte Peterson bereits im Sommer 1878 Tolstoj vorlesen können. Pe t e r s o n, Fedorov (wie Anm. 24), S. 90. Dieser Text, so Peterson, habe die Keimzelle aller weiteren Schriften Fedorovs gebüdet, aus ihm habe sich alles entwickelt, was später in der Werkausgabe veröffentlicht worden sei. Pe t e r s o n, "Predislovie“ (wie Anm. 37).

39 Pe t e r s o n, "Pis’mo...“ (w ie Anm. 24), S. 300.

40 Po b e d o n o sc e v (wie Anm . 24), S. 281-286. ־ D er B rie f trägt Namen und Anschrift Petersons.

Im anonymen Kommentar (er stammt von Fedorovs ehemaligem M itarbeiter G.P. Ge•

orgievskij) heißt es ohne nähere Begründung, dieser B rief sei \o m ersten bis zum letzten W ort von N ikołaj Fedorovič [Fedorov] verfaßt" worden. Ebd., S. 414.

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voranzuschicken, die, obschon ih r Anfang vor mehr als zehn Jahren niedergelegt worden ist, unter dem gegenwärtigen Gesichtspunkt als unmittelbaren Anlaß diesen B rie f hat.

Sollten die Angaben in diesem B rie f zutreffen, so hat Dostoevskij кип: vor sei- nem Tod noch ein drittes Manuskript von Peterson erhalten. Das M anuskript wurde nicht gefunden. U nklar bleibt, ob es m it dem in Petersons B rie f erwähn- ten ״Heftchen" identisch ist, das Dostoevskij gegen Ende des Jahres 1880 erhal- ten haben soll. In jedem Falle bleibt der Widerspruch zu Petersons späterer Be- hauptung bestehen, an Dostoevskij sei "keinerlei Antw ort" geschickt worden.42

Dostoevskijs Begegnung m it Fedorov fä llt in die Zeit, da er an dem Roman Brat *ja Karamazovy arbeitete. W iederholt ist deshalb versucht worden, Spuren oder Einflüsse Fedorovs in diesem W erk nachzuweisen.43 In der Tat finden sich

41 Ebd., S. 285f.; Hervorhebungen im O rig. ־ Über eine A ntw ort Pobedonoscevs ist nichts be״

kannt.

42 In der Literatur blieb der B rief an Pobedonoscev und der sich daraus ergebende Widerspruch unbeachtet. Siehe zuletzt Sem en o v a (wie Anm. 1). Einzig Komarovič geht davon aus, daß Dostoevskij m it Fedorov in direktem Briefwechsel gestanden und von diesem ein drittes Manu- skript erhalten habe. Ko m a r o w it sc h (wie Anm. 1), S. 28f. Dabei beruft sich Komarovič auf den zitierten B rie f an Pobedonoscev, ohne freilich zu erwähnen, daß dieser B rief Namen und A nschrift Petersons trägt, Fedorov hingegen an keiner Stelle erwähnt w ird. Es ist also (zumindest dem Namen nach) Peterson, der Pobedonoscev von seiner Korrespondenz m it Do- stoevskij berichtet. Außerdem, so Komarovič, habe Fedorov in seinem A rtik e l "D ie Unsterb- lichkeit als Privileg der Übermenschen" geschrieben: "Dostoevskij versicherte m ir in einem sei- ner Briefe usw." Ein solches *Zitat* läßt sich jedoch weder in Fedorovs Aufsatz "Bessmertie, как privilēģija sverchčelovekov" (FO D II, S. 122-126) noch an anderer Stelle nachweisen.

43 E rstm als un d mit N achdruck in den A rb eiten von Go r n o s t a e v [Go r s k u] (wie A nm . 1) und Ko m a r o w it s c h (wie A nm . 1), a u f die sich noch G .M . F rid len d er bei seinen H inw eisen zu Dostoevskij und F edorov im K om m entar zu den Brut ja Karamazovy stützt. Do st o e v sk u (wie A nm . 5), 1 .15, L. 1976, S. 469-472.

Während Gorskijs A rbeit keinerlei wissenschaftlichen W ert besitzt, bietet Komarovič immerhin ansonsten unzugängliche M aterialien. Seine These freilich, "Fjodoroffs Gedanken" hätten sich m it denen Dostoevskijs "gedeckt" und diesen "mächtig beeinflußt" (S. 28), ist ebenso unhaltbar wie die daran ansc₪eßenden Äußerungen von SL . Frank, Dostoevskij sei "zur Z eit der Ausar- beitung der *Brüder Karamazov* ein leidenschaftlicher Anhänger der ... Fedorovschen Deutung des Sinnes des Christentums gewesen" (S.[L.) Fr a n k, "Aus Dostojevskijs geistiger W erkstatt."

In: ZfsiPh, 7,1930, S. 140), oder von G.V. Florovskij, "Fedorovs Ideen" hätten "auf Dostoevskij einen ausgeprägten und tiefen Eindrude gemacht" (G .V. Fl o r o v sk u, [Rez.] "D ie Urgestalt der Brüder Karamasoff " In: P ut\ 1930,23, S. 122).

Früh schon wurde dieser Darstellung widersprochen: So betonte S.I. Hessen, Komarovič habe

"den wesentlichen Unterschied in der Weltanschauung der beiden Denker" grundsätzlich ver־

kannt (S .[I.] Hessen, "D er Nachlaß von Dostojevskij in deutscher Sprache." In: Slavische Rundschau, 1, 1929, 8, S. 690). D .I. Tschiiewskij warnte davor, Fedorovs E influß auf Dosto- evskij zu überschätzen, und verwies statt dessen mehrmals auf den E influß Schillers (D . Č yže vskyj [T schiżew sku], "Schiller und die ,Brüder Karamazov*." In: Z ßlP h, 6,1929,1-2, S.

14,39f. D ers., [Rez.] "W. Schümer, Tod und Leben bei Dostojevski." In: Zeitschr. / Kirchenge- schichte, 53,1934, S. 698f. D ers., ־S ilier v Rossii.־ In: Novyj Žum al, 45,1956, S. 132f.)• - U nter den jüngsten Arbeiten vgl. K ra g (wie Anm. 32), S. 249, 278-281. S. H a c k e l, "The religious dimension: vision or evasion? Zosima’s discourse in T h e Brothers Karamazov*.“ In: New Essays on Dostoyevsky, Cambridge 1983, bes. S. 151f. Semenova (wie Anm. 1). D ies., Idei neizvest- nogo myslitelja v *Brat jach K aram azovych[V ortrag im Dostoevskij-Museum Leningrad, ca.

1981], Ms. [Masch.] 18 Bl. Ausführlich, wenn auch kaum m it Bezug auf Dostoevskij, sondern

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sowohl im Roman selbst, vor allem aber in den Entwürfen und Notizen einzelne