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Archiv "Solide Basis für das „Blaue Papier“" (14.05.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Der 89. Deutsche Ärztetag hat in Hannover über die „Gesundheits- und sozialpoliti- schen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft" gründlich beraten und überzeu- gend abgestimmt. Eine unermüdliche Opposition sorgte für engagierte Debatten

Solide Basis für

das "Blaue Papier"

D

as neugefaßte ärztliche Pro- gramm richtet sich an die Öffentlichkeit, zumal an die für die Gesundheits- und Sozial- politik verantwortlichen Politi- ker, und an die Ärzteschaft selbst. Einen ersten Eindruck konnte die politische Öffentlich- keit — an der Spitze Bundesge- sundheitsministerin Professor Dr. Rita Süssmuth und Minister- präsident Dr. Ernst Albrecht, der zur Zeit auch Präsident des Bun- desrates ist — gewinnen, als der Präsident der Bundesärztekam- mer, Dr. Karsten Vilmar, in der öffentlichen Veranstaltung zu Beginn des Ärztetages, am 29.

April in Hannover, die Grundge- danken des „Blauen Papiers"

vortrug. Vilmar empfahl dieses Programm der deutschen Ärzte- schaft unseren Politikern als Ge- genstück zu dem eher utopi- schen, von bürokratischem Den- ken zeugenden Programm 2000 der Weltgesundheitsorganisa- tion.

Das war noch vor der Debatte über das „Blaue Papier" im Ple- num des Ärztetages. Doch Vil- mar konnte sich immerhin auf ei- nen weitgehenden Konsens in- nerhalb der ärztlichen Organisa- tionen stützen. Denn die vom Vorstand der Bundesärztekam- mer in einem speziellen Aus-

250 Delegierte zählt der Deutsche Ärztetag. Sie re- präsentieren die mittlerweile 200 000 Ärztinnen und Ärzte in der Bundesrepublik. Der 89. Deutsche Ärztetag, der vom 29. April bis zum 3. Mai in Hannover zusammentrat, hat in ihrem Namen ein um- fangreiches Programm ver- abschiedet, die „Gesund- heits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft", kurz genannt — nach der Farbe des Einban- des — „Das Blaue Papier".

Bei der Schlußabstimmung nach einer fast zweitägigen Debatte wurden nur sieben Gegenstimmen und vier Stimmenthaltungen zum

„Blauen Papier" gezählt. Das Programmpapier der Ärzte- schaft steht also auf einer überzeugend soliden Basis.

schuß ausgearbeitete Vorlage für das Programm hatte, bevor sie dem Ärztetag präsentiert wurde, schon ein langwieriges Abstimmungsverfahren hinter sich. Zudem steht das „Blaue

Papier" in einer längeren Tradi- tion. Die erste Fassung ist näm- lich bereits 1974 vom Ärztetag in Berlin verabschiedet worden, die Fortschreibung folgte 1980, gleichfalls in Berlin.

Und nun also in Hannover die dritte Fassung. Die Grundaussa- gen sind seit 1974 unverändert geblieben. In den vielen Sachka- piteln des Papiers hingegen, in denen das gesamte Feld der Ge- sundheits- und Sozialpolitik be- handelt wird, soweit die Ärzte sachverständig dazu etwas aus- sagen können, ist jetzt anläßlich des 89. Deutschen Ärztetages vieles geändert worden.

Weitgehend neu geschrieben wurden zum Beispiel so zentrale Kapitel wie das über die ambu- lante Versorgung. Geändert in weiten Passagen wurden auch die Aussagen über die stationäre

Versorgung; weitgehend neu ist das Kapitel über die Ausbildung zum Arzt oder das über die Qua-

litätssicherung oder jenes über die Alterssicherung, neu sind auch die Aussagen über die Be- deutung von Selbsthilfegruppen oder die Absicherung des Pfle- gerisikos. Schon die Aufzählung der Themen zeigt, daß der Deut- sche Ärztetag mit der Zeit geht.

Weshalb ausgerechnet jetzt und schon wieder eine Neufassung dieses Programms? Im Vorfeld des Ärztetages, ja noch vor Be- ginn der Beratungen hatten Ver- bandsvertreter durchblicken las- sen, ein solches Programmpa- pier sei nach ihrer Auffassung ei- gentlich überflüssig. Die einge- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 20 vom 14. Mai 1986 (13) 1413

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hende Beratung erwies indes, daß der Ärztetag selbst anderer Meinung war. Für die Neufas- sung zu diesem Zeitpunkt gibt es vor allem zwei Gründe.

• Seit 1980 hat sich die gesund- heits- und sozialpolitische Szene gewandelt — die ärztlichen Aus- sagen müssen dem angepaßt werden.

• In der nächsten Legislaturpe- riode muß mit einer Strukturre- form der gesetzlichen Kranken- versicherung gerechnet werden.

Die Ärzteschaft tut also gut dar- an, beizeiten ihre Erwartungen zu äußern und Forderungen zu stellen. Die Verabschiedung ei- nes solchen Programms durch den Deutschen Ärztetag ist für die politische Meinungsbildung wesentlich gewichtiger als ein- zelne Verbandsäußerungen es sein können. Diese stützen sich gelegentlich nur auf die Mei- nung einiger Spitzenleute; das

„Blaue Papier" hingegen ist ein Basispapier.

Das Programm wurde mit einer überwältigenden Mehrheit ver- abschiedet; das heißt jedoch nicht, daß einzelne Aussagen nicht doch umstritten waren.

Freilich, das Ausmaß einer kon- troversen Debatte im Plenum täuschte nicht selten über die tatsächliche Mehrheitsmeinung, die sich dann in den Abstimmun- gen erwies, hinweg. Für „Stim- mung" sorgte eine kleine, aber aktive Opposition, die einmal mehr, einmal weniger Sympathi- santen unter den Delegierten fand, während sich die dabei schweigende Mehrheit erst in der Abstimmung ihr Recht hol- te. Dann nämlich entpuppte sich die Opposition als auffal- lend klein (Ausnahme: beim The- ma Schwangerschaftsabbruch;

doch dazu weiter unten). Forder- te die Opposition zum Beispiel, das „Blaue Papier" in Bausch und Bogen zurückzuweisen — der Ärztetag lehnte mit großer Mehrheit solches Ansinnen ab.

Forderte die Opposition eine noch weitergefaßte soziale und

Das neue „Blaue Papier" ist verabschie- det. Zwei maßgebliche Autoren: Dr.

Karsten Vilmar und Professor Dr. Ernst- Eberhard Weinhold, der Vertreter der KBV im vorbereitenden Ausschuß; links im Bild: Dr. Jörg Dieter Hoppe

Ärztetag: Zum „Blauen Papier"

1414 (14) Heft 20 vom 14. Mai 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

gesundheitliche Absicherung der Bevölkerung — der Ärztetag bekräftigte die Meinung, den Leistungskatalog der gesetzli- chen Krankenversicherung zu überprüfen. Forderte die Op- position in der ambulanten ärztlichen Versorgung neben der freien Praxis auch andere

„Versorgungsmöglichkeiten", sprich: Ambulanzen, zuzulassen

— der Ärztetag bestätigte, daß die ambulante ärztliche Versorgung durch freiberuflich tätige Kas- senärzte erfolgen soll. Das alles geschah im übrigen ohne lang- wierige Debatte, denn zu sol- chen zentralen Punkten ist die Auffassung der Ärzteschaft mehrheitlich und schon seit Jahrzehnten unverändert.

I

an Embryonen Forschung

Lange Diskussionen, teilweise mit großer innerer Anteilnahme, gab es hingegen zu einigen ak- tuellen, auch die Emotionen an- sprechenden Themen. Zum Bei- spiel: Forschung an Embryonen.

Im vergangenen Jahr hatte der Deutsche Arztetag in Travemün- de beschlossen, für die In-vitro- Fertilisation und den Embryo- transfer seien nur soviele Em- bryonen zu erzeugen, als für ei- ne erfolgversprechende künst- liche Befruchtung erforderlich seien; Embryonen zu For- schungszwecken, gleichsam als Abfallprodukte der Fertilisation, sollten nicht erzeugt werden.

Nach Travemünde und vor Han- nover hatte der Wissenschaft- liche Beirat der Bundesärzte- kammer mit Zustimmung des BÄK-Vorstandes seine Richtli- nien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen be- kanntgemacht (Heft 50/1985, zum Thema vgl. auch Heft 12/1986). Beim Ärztetag war nun die Meinung zu hören, damit sei von den Beschlüssen des vorjäh- rigen Ärztetages abgegangen worden; denn der habe Embry- onen zu Forschungszwecken

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Ärztetag: Zum "Blauen Papier"

überhaupt nicht zulassen wol-

len. Und so wurde beantragt, die

Richtlinien zur Forschung an Embryonen zurückzuweisen.

Dem stand ein Gegenantrag ge- genüber: Die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken sei grund- sätzlich vom Plazet der zuständi- gen Ethikkommission abhängig. Implizit war mit dieser Formulie- rung gesagt, daß es Embryonen zu Forschungszwecken geben dürfe. ln der Vorlage des Vor- standes der Bundesärztekam- mer für das "Blaue Papier" hatte es zurückhaltend geheißen, die Erzeugung solcher Embryonen

sei "grundsätzlich nicht zu ver-

treten". Das Plenum des Ärzteta- ges entschied sich schließlich mit Mehrheit für die weiterge- hende, die Forschung begünsti- gende Fassung.

I

des ungeborenen Lebens Schutz Das Kapitel über den "Schutz des ungeborenen Lebens" (im

"Blauen Papier" von 1980 noch:

"Hilfe für in Not geratene

Schwangere") wurde vom Ärzte- tag gründlich geändert. Zwar stimmen beide Fassungen, so- wohl die Vorstandsvorlage wie die neue Beschlußfassung, in dem Grundsatz überein, daß Schwangerschaftsabbrüche zu verhüten seien; und auch die Sorge um die hohe Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aus sozialer Indikation wurde im Ärz- tetag wohl allgemein geteilt. Neu gegenüber der Vorstandsvorla- ge ist aber teilweise doch der Te- nor. Die Vorstandsvorlage ent- hielt grundsätzliche Bedenken gegen die Einführung der sozia- len Indikation und gegen die Ab- schaffung der früheren Gutach- terstellen. Vom Arzt könne nicht verlangt werden, daß er in Zu- kunft das .Vorliegen einer sozia- len Notlage gutachterl ich be- gründe, hieß es. Der Arzt sei viel- mehr darauf angewiesen, daß das Vorliegen einer sozialen Not-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zwei Tage dauerten die Beratungen über das Blaue Papier, die .,Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft". Zahlreiche Abstimmun- gen galten Einzelformulierungen, ehe das Werk zum guten Schluß mit überwältigen- der Mehrheil verabschiedet wurde

Iage innerhalb der im Gesetz vorgeschriebenen Sozialbera- tung abgeklärt werde. Die Ärzte- kammern seien bereit, so hieß es weiter, wieder Gutachterkom- missionen zu bilden.

Unter den Delegierten regte sich Widerspruch. Vor allem die Frau- en im Plenum standen auf, und sie bekamen Beifall. Die Initiati- ve zur Änderung der Vorlage des Vorstandes gin.g von der Vorsit- zenden des Arztinnenbundes, Dr. Hedda Heuser-Schreibar aus, die nachdrücklich u. a. von Dr.

lngeborg Retzlaff, der Präsiden- tin der Arztekammer Schleswig- Holstein, unterstützt wurde. Der Ärztetag spricht sich in der schließlich angenommenen Fas- sung weder direkt noch indirekt gegen die geltenden Strafrechts- bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch aus. Auch die Forderung, die Über- nahme der Kosten durch die ge- setzliche Krankenversicherung sei zu überprüfen, ist in dem ver- abschiedeten Text nicht mehr enthalten.

..". Der Ärztetag fordert vielmehr dazu auf, ungewollte Schwan- gerschaften durch Aufklärung der weiblichen und männlichen Bevölkerung, durch Sexualbera-

tung {"selbstverständlicher An- teil ärztlicher Betreuung und Versorgung") zu verhüten. Staat und Gesellschaft werden aufge- fordert, weit mehr als bisher zur Linderung der sozialen und ma- teriellen Notlage von ungewollt Schwangeren beizutragen. Mit der einseitigen Berichterstat- tung in der Presse (Kostprobe:

"Vilmar mit dem § 218 geschei-

tert") mochte der Ärztetag aller- dings nicht einverstanden sein.

Und er steuerte seinerseits ein parlamentarisches Kuriosum bei; per Beschluß lieferte er nämlich mit großer Mehrheit die Interpretation seiner eigenen Be- schlußfassung:

D "Das Votum .. der Delegierten des

89. Deutschen Arztetages zugunsten einer verstärkten Beratung zur Verhü- tung von unerwünschten Schwanger- schaften und .für die weitere Beratungs- tätigkeit der Arzte im Rahmen der vier Indikationen zum Schwangerschafts- abbruch, steht nicht im Widerspruch zu den Kernaus~agen des Präsidenten des Deutschen Arztetages, Dr. Vilmar, über den Schwangerschaftsabbruch als Alternative zur Familienplanung. Lediglich einzelnen Aussagen der Vor- standsvorlage - so zum Beispiel zur Schaffung spezieller Beratungskom- missionen - wollte eine Mehrheit der Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 20 vom 14. Mai 1986 (15) 1415

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DEUTSCHES

Ärztetag: Zum "Blauen Papier"

Delegierten nicht zustimme.~. Unverän- dert stimmt der Deutsche Arztetag der Aussage zu, daß die hohe Zahl der Schwangerschaftsabbrüche Zweifel an der Auslegung der Notlagenindikation in der Praxis rechtfertigt."

I

Katastrophenmedizin und Zivilschutz

Auseinandersetzungen über die- se Frage waren von vornherein zu erwarten, gibt es doch auch unter den Delegierten des Ärzte- tages eine Gruppierung, die c!er- zeit beredt Auffassungen, die de- nen der deutschen Sektion der IPPNW entsprechen oder doch nahekommen, vertritt. Und der Vorstand der Bundesärztekam- mer hatte noch kurz vor dem Ärztetag gerade den IPPNW-An- hängern einen Anlaß zur Empö- rung gegeben, hatte er es doch abgelehnt, einen offiziellen Ver- treter zu dem Ende Mai in Köln anstehenden internationalen IPPNW-Kongreß zu entsenden.

Dieser aktuelle Vorgang sowie die gegensätzlichen Auffassun- gen zur Katastrophenmedizin kamen auf dem Ärztetag mehr- fach hoch, zunächst bei der Dis- kussion über das "Blaue Pa- pier", dann bei weiteren Gele- genheiten, die die Tagesord- nung bot.

Das Ergebnis: Das einschlägige Kapitel des "Blauen Papiers"

wurde trotz der unermüdlichen Bemühungen einzelner nicht ge- ändert; es entspricht weitgehend der Fassung des Jahres 1980. ln drei Entschließungen nahm der Deutsche Ärztetag ferner zu eini- gen der aufgeworfenen Fragen Stellung:

..".. Er verurteilte jegliche Form der Gewalt zur Durchsatzung po- litischer Ziele, er warnte vor den Gefahren eines Krieges, insbe- sondere eines Atomkrieges, er forderte einen Atomwaffentest- stapp sowie die Einstellung von Versuchen mit bakteriologi- schen und chemischen Massen- vernichtungsmitteln. Insoweit

war die Meinungsbildung im Ärztetag einmütig, jedenfalls muß das aus den Diskussions- beiträgen sowohl aus dem einen wie dem anderen "Lager" ge- schlossen werden.

Der "kleine Unterschied" zur IPPNW besteht darin, daß der Ärztetag sich für die Fortbildung in Katastrophenmedizin und für Zivilschutz ausspricht und daß er die Auffassung, solche Maßnah- men gaukelten der Bevölkerung falsche Sicherheit vor und dien- ten somit indirekt zur Kriegsvor- bereitung, ablehnt. Der Ärztetag wies außerdem ausdrücklich darauf hin, daß auch bei der Ver- wendung atomarer Waffen, ins- besondere sogenannter takti- scher Atomwaffen, in Randzo- nen Hilfe möglich sein kann. Er weigerte sich schließlich, die so- genannte Sichtung als unärzt- lich zu verurteilen. Und schließ- lich wies der Ärztetag mit Mehr- heit (freilich gegen eine ansehn- liche Minderheit, die über den Kreis der erklärten IPPNW-An- hänger hinausging) die Auffor-

Antragsdrucksachen und Wortmeldun- gen jagten sich bei den lebhaften Dis- kussionen, hier auf der Leuchttafel fest- gehalten, Nummern und Namen bis zum letzten Saalplatz sichtbar

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derung an den Vorstand der Bundesärztekammer zurück, doch noch einen Vertreter zu dem 6. Weltkongreß der IPPNW zu entsenden.

Vereinzelt wurde in Hannover auch über die politischen Moti- ve, die einzelne Spitzenfunktio- näre der IPPNW bewegen mö- gen, gesprochen. Auf eine aus- giebige Debatte über die politi- sche Richtung der IPPNW oder deren deutsche Sektion, über kommunistische Infiltration ja oder nein und wenn ja, bei wem, wollte der Ärztetag sich jedoch offensichtlich nicht einlassen, genauso wenig, wie er sich mit den über das Ärztliche hinausge- henden allgemeinpolitischen Ar- gumenten der IPPNW-Gefolgs- leute beschäftigen mochte.

Zwei Debattenbeiträge dürften die Meinungsbildung besonders beeinflußt haben: die des Vize- präsidenten der Bundesärzte- kammer Dr. Gustav Osterwald und die des Präsidenten der Bayerischen Landesärztekam- mer, Professor Dr. Hans J. Sewe- ring.

..".. Osterwald erinnerte daran, daß sich die Deutschen Ärzteta- ge seit 1954 mit dem Thema be- schäftigen und seitdem immer wieder unmißverständlich vor Krieg und Atomkrieg gewarnt haben. Die Ärztetage hätten sich aber immer gehütet, "diesen po- litischen Touch", wie er heute von der IPPNW in besonderer Weise in die Diskussion ge- bracht werde, beizufügen. Oster- wald erinnerte auch daran, daß Zivilschutz weltweit und gerade auch in der Sowjetunion und in der DDR betrieben werde . ..".. Sewering begründete als dienstältestes Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, wes- halb der Vorstand es abgelehnt hatte, einen Vertreter zu dem Kölner Kongreß zu entsenden. Maßgebend dafür sei in erster Li- nie, daß die Themen des Kon- gresses - bis auf eine Ausnah-

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Wortmeldungen und Anträge müssen beim Ärztetag schriftlich abgegeben werden.

Das bedeutet bei lebhafter Diskussion gelegentlich: Schlangestehen...

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ärztetag: Zum „Blauen Papier"

me, ein Referat von Professor Dr.

Horst Eberhard Richter — nicht medizinisch oder ärztlich sei- en, sondern allgemeinpolitisch.

Auch Sewering machte auf den Widerspruch aufmerksam, daß die deutsche Sektion der IPPNW dem Zivilschutz und der Fortbil- dung in Katastrophenmedizin gegenüber kritisch bis ableh- nend eingestellt ist, während beides etwa in der DDR offiziell betrieben wird.

I

Ambulante ärztliche Versorgung Monate vor dem Ärztetag hatte es ausgesehen, als würde die Vorlage des Vorstandes zum Punkt „Ambulante ärztliche Ver- sorgung" heiß umstritten sein.

Im Bereich der kassenärztlichen Versorgung ist ja neuerdings ei- niges im Fluß. Da ist die Erweite- rung der Bedarfsplanung um In- strumente, mit denen eine Über- versorgung gesteuert werden soll. Da ist die Umstrukturierung der kassenärztlichen Gebühren- ordnung. Im Zusammenhang mit der Bedarfsplanung wird disku- tiert, auch die Relation zwischen Spezialisten und Hausärzten zu verändern.

Bei der Strukturreform des EBM geht es nicht zuletzt um eine

Insbesondere Dr. Ingeborg Retzlaff, Frauenärztin und Präsidentin der Ärzte- kammer Schleswig-Holstein, unterstütz- te dieses Anliegen nachdrücklich

ebenfalls hausärztliche Funktio- nen übernommen haben. Die im- mer wieder umgewälzte Frage nach der Qualifizierung des Hausarztes und nach der Qualifi- zierung des Arztes, der nach Er- halt der Approbation in die kas- senärztliche Versorgung eintritt, wird im „Blauen Papier" vorsich- tigst, jedenfalls nicht abschlie- ßend behandelt.

Die Aussagen des „Blauen Pa- piers" sind in diesen kritischen Punkten also relativ allgemein gehalten, vieles ist ausgespart, um allen Seiten die Optionen of- fenzuhalten. Die Delegierten des Ärztetages wurden denn auch von Sprechern ärztlicher Organi- sationen und Verbände mehr- fach gemahnt, an der Vorlage möglichst nichts zu ändern, um den zwischen BÄK und KBV (und im Hintergrund den Verbänden) ausgehandelten Kompromiß nicht zu gefährden (Professor Dr. Eberhard Weinhold, Vor- standsmitglied der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung und einer der maßgeblichen Mitge- stalter des „Blauen Papiers":

„Nicht jede Klarstellung ist eine Verbesserung!").

Folglich liefen vereinzelte Versu- che, doch noch in diesem Kapi- tel das eine oder andere „klarzu- stellen" oder in eine bestimmte Richtung zu wenden, ins Leere. I>

Dr. Hedda Heuser-Schreiber, die Vorsit- zende des Deutschen Ärztinnenbundes, setzte sich für mehr Aufklärung und bes- sere Beratung Schwangerer ein

Stärkung des hausärztlichen Elementes. Das Zahlenverhältnis Hausärzte/Spezialisten wird auch im „Blauen Papier" ange- sprochen, auch ein gewisser Steuerungsmechanismus, um die Relation zugunsten der Hausärzte zu verbessern. Das al- les aber ist recht vorsichtig for- muliert. Weiterhin spricht sich das „Blaue Papier" im Sinne der Trierer Beschlüsse von 1981 für die Förderung der Allgemeinme- dizin und der allgemeinärzt- lichen Versorgung aus. Den All- gemeinärzten wird die Hausarzt- funktion in erster Linie zuer- kannt, freilich wird auch aner- kannt, daß manche Gebietsärzte

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 20 vom 14. Mai 1986 (17) 1417

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Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Sewe- ring begründete abschließend die Ab- lehnung der Bundesärztekammer, offi- ziell auf dem IPPNW-Kongreß Ende Mai in Köln vertreten zu sein

Der Kompromiß oder, wenn man so will, der kleinste gemeinsame Nenner, blieb erhalten. Über Qualifizierung und Hausarzt, über die Stellung des Allgemein- arztes und die Relation Allge- meinarzt/Spezialist wird somit anderswo weiterverhandelt.

Noch zwei Beobachtungen am Rande: Die Belegärzte werden aktiver, und sie genießen zuneh- mend Sympathien. Und die zwei- te: Die Allgemeinärzte werden sich zunehmend mit dem An- spruch der Kinderärzte, Allge- meinärzte fürs Kind zu sein, aus- einandersetzen müssen.

I

Stationäre

ärztliche Versorgung Auch das Kapitel über die statio- näre Versorgung war sorgfältig austariert. Zwar hatte es hier kei- nen förmlich ausgehandelten

„Kompromiß zwischen zwei Ele- fanten" (nämlich Bundesärzte- kammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung) gegeben, um das Diktum eines Delegierten zu zitieren, doch stillschweigend wurde auch dem Text über die

„stationäre Versorgung" eine gewisse Unantastbarkeit zuge- billigt. Dem fielen auch Bemü- hungen, das Chefarztprinzip im

„Blauen Papier" zu Ehren kom- men zu lassen, zum Opfer.

Dr. Gustav Osterwald, Vizepräsident der Bundesärztekammer, unterstrich diese Tatsache: Seit Jahrzehnten warnt der Deutsche Ärztetag unmißverständlich vor Krieg und Atomkrieg

Das „Blaue Papier" geht, getreu den Westerländer Leitsätzen des Deutschen Ärztetages 1972, vom Organisationsprinzip der Fach- gruppengliederung aus. Die Pa- tienten der Abteilungen werden, so heißt es, durch die Fachgrup- pe ärztlich versorgt. Diese beste- he aus qualifizierten Fachgrup- penärzten sowie einem leitenden Arzt.

Der Versuch eines Delegierten als Alternative einzufügen, die Patienten würden durch den lei- tenden Arzt, die Oberärzte, die Stationsärzte und die nachge- ordneten Ärzte versorgt, schlug nach heftigem Widerspruch fehl.

Der Ärztetag respektierte damit de facto die spezielle Interessen- lage der Vertretung der ange- stellten Ärzte, so wie er zuvor, im Kapitel ambulante Versorgung, jene der Kassenärzte und Allge- meinärzte respektiert hatte.

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Ärztliche Ausbildung

Zu diesem Punkt waren Studen- ten geladen. Das hat schon Tra- dition. Zu Ausbildungsfragen ha- ben seit 1979, als in Nürnberg über die Reform des Medizinstu- diums ausführlich beraten wur- de, regelmäßig Studentenvertre- ter sprechen können. Diesmal sprachen ein Vertreter des Fach-

Ärztetag: Zum „Blauen Papier"

verbandes Medizin (das sind die Gemäßigten) und ein Vertreter der Fachkonferenz Medizin im VDS (das sind die weniger Ge- mäßigten). Gemäßigten wie we- niger Gemäßigten paßt der Arzt im Praktikum (AiP) nicht. Sie sä- hen ihn am liebsten wieder ver- schwinden, obwohl er bereits gesetzlich verankert ist und die 5. Novelle zur Approbationsord- nung, die zur Zeit in Bonn in der Mache ist, lediglich die näheren Einzelheiten noch festzulegen hat. Der Unterschied zwischen Gemäßigten und weniger Gemä- ßigten besteht im wesentlichen darin, daß die ersteren eine Än- derung der Kapazitätsverord- nung wünschen, um die Studen- tenzahlen an die Ausbildungs- möglichkeiten anzupassen, und die anderen einer solchen Redu- zierung nichts abgewinnen kön- nen. Sie fordern vielmehr eine extensive Nutzung auch außer- universitärer Einrichtungen und glauben, der Markt sei nach wie vor aufnahmefähig für den Nach- wuchs.

Gänzlich überzeugte Freunde hatte der AiP auf dem Ärztetag ohnehin nicht. Auch jene, die ihn befürworten, sehen ihn als not- wendiges Übel an. Der Ärztetag sprach sich dafür aus, die AiP- Phase grob zu strukturieren. Ins- gesamt bleibt der Ärztetag also bei der Konstruktion jener Pra- xisphase, die wesentlich auf sei- ne Initiative hin geschaffen wur- de. Er hat sich auch nicht durch die Haltung mancher Vertreter der Allgemeinärzte irritieren las- sen, die befürchteten, unter der AiP-Phase werde die allgemein- ärztliche Weiterbildung leiden.

Den Allgemeinärzten zur Ehre sei jedoch hervorgehoben, daß in Hannover immerhin ein nam- hafter Vertreter des Berufsver- bandes der praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin die Devise ausgab: Die Richtung zum AiP schmecke ihm zwar nicht, doch jetzt gelte es, das Schlimmste zu verhüten, also Stellen für den Arzt im Praktikum zu schaffen. NJ

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