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Archiv "Strukturreform im Gesundheitswesen: CSU lehnt Konzeptionen am Reißbrett ab" (13.08.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

Strukturreform im Gesundheitswesen

D

ie Gesundheitspolitik ist ein Paradebeispiel für ein spür- bares ordnungspolitisches Vakuum auf einem wichtigen ge- sellschaftsgestalterischen Terrain.

Hinzu kommt: Die permanente Überlagerung der Gesundheitspo- litik durch die Sozial- und Wirt- schaftspolitik hat eine ordnungs- politische Orientierung der Ge- sundheitspolitik zusätzlich er- schwert. Der Gesundheitspoliti- sche Kongreß des Gesundheitspo- litischen Arbeitskreises der CSU (GPA) in München (am 12. Juli) er- teilte freilich puristischen, radikal- ökonomischen Reformansätzen, die einer konsequent ausgerichte- ten wettbewerblichen Steuerung des Gesundheitsmarktes Realisie- rungschancen einräumen, ebenso eine Absage wie rein tagespoli- tisch ausgerichteten Interventio- nen auf zentraler Ebene.

Vordringlich ist es nach Meinung der CSUIer, sämtliche Lösungs- vorschläge zur strukturellen Wei- terentwicklung des Gesundheits- wesens im Hinblick auf die Rea- lisierbarkeit und die ordnungspoli- tische Klarheit durchzumustern.

Ergebnis der Beratungen: Eine Reformkonzeption aus einem Guß und eine „Politik am Reißbrett" ist nicht in Sicht. Dies wäre auch kein probates Mittel, um die dringen- den Probleme anzupacken, mein- ten die CSU-Experten.

Der gesundheitspolitische Spre- cher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Dr. Kurt Faltlhauser, München, brachte die Diskussion auf den Punkt: „Die Schwierigkeit der ordnungspolitischen Orientie- rung erweist sich ... in der ge- samten Sozial- und Gesundheits- politik erst im Einzelfall. Die ord- nungspolitischen Grundsätze sind Ideallinien, die sich die politischen Entscheidungsträger immer wie- der vor Augen halten müssen, die

im konkreten Entscheidungsfall jedoch vielfach zu Widersprüch- lichkeiten und Entscheidungspro- blemen führen."

CSU lehnt Konzeptionen am Reißbrett ab

Konsens bestand auch bei der These: „Kostendämpfung ist kein gesundheitspolitisches Ziel, allen- falls ein pragmatisches Zwischen- ziel zur Lösung eines bestimmten Teilproblems" (Dr. Helmut Zedel- maier, stellvertretender Landes- vorsitzender des GPA, Schongau).

Der Vorsitzende des GPA, der Münchner Internist Dr. Hartwig Holzgartner, beklagte, daß die Ge- sundheitspolitik in den vergange- nen Jahren zu sehr emotional an- gegangen und von allgemeinpoli- tischen Forderungen überlagert worden sei. So seien rechtspoliti- sche Normen weithin vernachläs- sigt worden. Statt übereilte und unausgegorene Zwischenlösun- gen anzupeilen, empfahl Holzgart- ner eine Neubestimmung der so- zialstaatlichen Positionen im all- gemeinen und der Gesundheits- politik im besonderen. Auch die sozialpsychologische Komponen- te im Hinblick auf die Leistungs- träger, Patienten und Beitragszah- ler müsse mehr als bisher beach- tet werden. Der Staat sei für das Wohlergehen der Bürger verant- wortlich. Er dürfe sie aber nicht entmündigen und den Fehler ma- chen, für alles zu sorgen, weil dann die Eigeninitiative erlahme.

Den wesentlichen Erfolg der Bon- ner Regierungskoalition im Be- reich der Gesundheitspolitik se- hen die CSU-Gesundheitspolitiker darin, daß das von ihnen verteidig- te Konzept der Steuerung durch die Selbstverwaltung Erfolge auf- weise. Faltlhauser lobte die Selbstbeschränkungsmaßnahmen besonders im Bereich der Ärzte und Zahnärzte. Diese hätten „im

außergewöhnlichen Maße Verant- wortung und Gestaltungswillen bewiesen". Der Politiker warnte davor, im Hinblick auf die Struk- turreform unter dem Schutzschild der Ordnungspolitik „ökonomi- schen Unverstand und massives Eigeninteresse" zu verbergen. Bei der Weiterentwicklung des Ge- sundheitswesen sollten vier Kom- ponenten ausschlaggebend sein:

1. Vorrang der Steuerung durch den einzelnen; Stärkung des Ei- geninteresses und der Eigenver- antwortung. Die Steuerung auf der

„unteren Ebene" (Patienten, Bei- tragszahler) müsse ergänzt wer- den durch Selbstverwaltungslö- sungen auf der Verbandsebene („mittlere Ebene").

2. Die staatliche Steuerung müsse auf das notwendigste Mindestmaß beschränkt werden, etwa durch Vorgabe von Rahmenbedingun- gen, Sicherung der Qualität der gesundheitlichen Versorgung und Verzahnung mit anderen Politik- bereichen.

3. Flexibilisierung und Öffnung sämtlicher Sozialsysteme, in die möglichst viele Marktelemente einbezogen werden sollten.

4. Solidaritäts- und Subsidiari- tätsprinzip sollten sich ergänzen, indem das Subsidiaritätsprinzip zum Strukturprinzip sämtlicher Solidarveranstaltungen (Sozial- versicherung) deklariert und prak- tiziert wird.

Trotz des ordnungspolitischen Überbaus und des Ringens um ge- schlossene Konzeptionen kamen die tagespolitischen Fragen wäh- rend der CSU-Veranstaltung nicht zu kurz. Ärztekammerpräsident Professor Hans Joachim Sewe- ring, München, warnte vor der Illu- sion, die Strukturreform könne aus einem Guß gelingen. Hier sei eine Politik der kleinen Schritte gefragt. Sonst würden nur wieder Hoffnungen geweckt, die die Poli- tik nicht erfüllen könne. Die radi- kale Umstellung des tradierten Sy- stems der sozialen Krankenversi- cherung auf eine individuelle Risi- kokalkulation sei kaum vorstell-

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 33 vom 13. August 1986 (17) 2209

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

CSU: Gesundheitspolitik

bar. Eine Risikokalkulation und ei- ne wie auch immer geartete Bo- nus- und Malusregelung seien in der gesetzlichen Krankenversiche- rung nicht durchführbar, selbst nicht in der privaten Krankenversi- cherung. Denn dort werde zwar ei- ne individuelle Beitragssatzkalku- lation und eine Gesundheitsprü- fung vorgeschrieben. Die Versi- cherung sei aber dann uneinge- schränkt zur Leistung verpflichtet, ohne Rücksicht auf den jeweiligen Gesundheitszustand und eine Ri- sikoprüfung, argumentierte Sewe- ring.

Über die Steuerungswirksamkeit von Selbstbeteiligungstarifen war man geteilter Meinung. Sewering meinte, ein Selbstbehalt oder ein Kostenerstattungssystem provo- ziere eine privatwirtschaftliche Rückversicherung des Selbstbe- haltrisikos. Dies begünstigte wie- derum die Gesunden und Höher- verdienenden und führe zu einer Entsolidarisierung der Solidarge- meinschaft. Ohnedies könnten Selbstbeteiligungssysteme nur dann „greifen", wenn sie sozial verträglich sind, nicht zu verwal- tungsaufwendig sind und die fi- nanzielle Schmerzgrenze überträ- fen. Auch müßten sämtliche Be- völkerungsgruppen (einschließ- lich der beihilfebeanspruchenden Beamten) einbezogen werden, wenn sie Breitenwirkung haben solle. Sewering befürwortet eine prozentuale Direktbeteiligung nur dann, wenn Gesundheitsgüter aus dem Komfortbereich nachgefragt werden oder wenn „Ware über den Ladentisch" geht.

Hans Sitzmann, der Geschäftsfüh- rer des AOK-Landesverbandes Bayern, München, meinte, wer mehr Markt und mehr Direktbetei- ligung fordere, werde bald mer- ken, daß sich die soziale Kranken- versicherung nicht weiterentwik- keln könne, ohne ihren sozialen Kern anzutasten. Die Krankenver- sicherung hätte nicht das Problem der permanenten Beitragssatzstei- gerungen und die AOK das Pro- blem der Verteidigung der Markt- anteile, wenn hier nicht die Politik

versagt hätte. Allein die fiskalisch bedingten Kostenverlagerungen und die Überkapazitäten im Ge- sundheitswesen hätten die Kran- kenkassen in den letzten drei Jah- ren zusätzlich mit 14 Milliarden DM belastet.

„Gesundheitspolitik auf dem Prüf- stand" lautete das Motto des Gesund- heitspolitischen Kongresses '86 des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CSU in München (am 12. Juli). Stra- tegen auf dem Podium: Der gesund- heitspolitische Sprecher der CSU-Lan- desgruppe im Deutschen Bundestag, Dr. Kurt Faltlhauser, MdB, München (rechts), Prof. Dr. med. Hans Joachim Sewering, MdS, Präsident der Bayeri- schen Landesärztekammer und der KV Bayerns, München Foto: Klaus Schmidt

Kritik am

Bedarfsplanungsgesetz Unisono beurteilten Dr. Faltlhau- ser und Professor Sewering den Gesetzentwurf zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfspla- nung. Hier werde nach dem Motto verfahren: „Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht naß!" Ord- nungspolitisch bedenklich sei, daß ein Organ der Selbstverwal- tung, der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen, über Zulassungssperren, Steuerungs- maßnahmen und damit über die berufliche Zukunft des Nachwuch- ses entscheiden solle.

Der Bremsversuch am Schluß ei- nes langen und teuren Ausbil- dungsweges widerspräche zudem dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit,

er würde eine Bürokratie in Gang setzen, die nur Zahlenfetischisten und Planungseuphoriker erfreuen könne. Professor Sewering wand- te ein: Das Bedarfsplanungsge- setz löst kaum das anstehende Problem, sondern verlagert den Kostenanstieg an die Peripherie und auf das flache Land. In Mün- chen, das nach den Kriterien des Gesetzes heute nur noch für Allge- meinärzte und praktische Ärzte of- fen wäre, stagniere der Fallwert bereits. Bei einem Versorgungs- grad von 180 Prozent würde künf- tig bereits bei einer Relation von einem Allgemeinarzt zu 1330 Ein- wohnern (Bayern) gesperrt. Würde das Schlupfloch „praktischer Arzt" genutzt, so könnte in ganz Bayern nur ein Landkreis gesperrt werden. Heute bereits müßten 17 Landkreise für Internisten ge- sperrt werden. Die Folge: Diese könnten sich zeitweilig als prakti- sche Ärzte niederlassen, um sich andernorts und nach Abwarten ei- ner gewissen Schamfrist wieder als Internist zu betätigen.

Hinzu kommt: Die 27 Fakultäten in der Bundesrepublik bilden zur Zeit annähernd 12 000 frisch appro- bierte Ärzte Jahr für Jahr aus, und weitere 1000 Absolventen kehrten aus dem Ausland zurück, was die Wettbewerbssituation unter den Berufsanfängern dramatisiere.

Derzeit stünden aber nur 5000 Ar- beitsplätze für Berufsanfänger an den Kliniken zur Verfügung.

Eine Lösung des Gordischen Kno- tens konnte auch der Münchner Kongreß der CSU nicht aufzeigen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gebe es sowohl beim Berufszu- gang, bei der Zulassung zum Me- dizinstudium (so Staatssekretär Dr. Gebhard Glück vom Sozialmi- nisterium) als auch bei nur auf Zeit wirkenden bürokratischen Eingrif- fen in das Gesamtsystem.

Das Fazit lautete denn auch: Die Selbstverwaltung muß davor be- wahrt werden, bildungspolitische Fehlentscheidungen der Politik mitzuverantworten und die Konse- quenzen zu tragen. Harald Clade 2210 (18) Heft 33 vom 13. August 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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