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Archiv "„Integration“ am Reißbrett" (08.05.1975)

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Die Information:

Bericht und Meinung

72. Jahrgang / Heft 19 8. Mai 1975

Postverlagsort Köln

Redaktion:

5023 Lövenich Postfach 14 30 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

„Integration" am Reißbrett

WSI-Forum diskutiert Modelle

integrierter medizinischer Versorgung

Seit der Veröffentlichung der gesundheitspolitischen Grundsatz- studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI) mit dem Titel „Die Gesund- heitssicherung in der Bundesrepublik Deutschland" im November 1971 steht die Forderung einer weitgehenden „Integration" sämt- licher Zweige des Gesundheitswesens hoch im Kurs. Als erster hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DBG) in seinem gesundheits- politischen Grundsatzprogramm vom Mai 1972 sowie in seinem Aktionsprogramm die Thesen seines gesundheitspolitischen Men- tors unbesehen übernommen und ganz konkrete Forderungen an- gemeldet, um einerseits die Gesundheitspolitik in der Bundesrepu- blik Deutschland in „neue" Bahnen zu lenken und andererseits in allen Bereichen die von den Gewerkschaften anvisierten Integra- tionsstrukturen auf dem Reißbrett herbeizuführen.

Der Integrationsbazillus griff rasch auch auf andere Pläneschmiede und Programme der Gesundheitspolitik über: so die gesundheits- und sozialpolitischen Programme der Jungsozialisten und Jung- demokraten, den SPD-Orientierungsrahmen '85, die Empfehlungen des Ausschusses „Gesundheitspolitik" beim SPD-Parteivorstand und nicht zuletzt den Entwurf für „gesundheitspolitische Leitsätze"

der „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheits- wesen (ASÄ)" vom März 1975 (vergleiche DEUTSCHES ÄRZTE-

BLATT Heft 16/1975, Seite 1095 ff.).

Angeregt durch die Feststellung, daß „heute die Forderung nach Integration fester Bestandteil vieler gesundheitspolitischer Pro- gramme geworden" sei (so DGB-Vize Gerd Muhr), oder: einem selbstgeworfenen Ball nachlaufend, unterzog sich ein Mitte 1973 ins Leben gerufener WSI-Gesprächskreis („Integrierte Systeme medizinischer Versorgung") einer Fleißarbeit: In dreizehn Klausur- tagungen erörterten die 18 Ausschußmitglieder unterschiedlichster Provenienz — darunter allein zwölf Ärzte, ferner Volks- und Betriebs- wirte, Soziologen und, last not least, zwei 'Dzialexperten des DGB und des WSI — sowohl die gewerkschaftlichen Vorstellungen einer zukünftigen Struktur „integrierter" medizinischer Versorgung als

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 8. Mai 1975 1321

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Die hüorrnation:

Bericht und Meinung

"Integrierte medizinische Versorgung"

auch verschiedene "Integrations- konzepte" nicht-gewerkschaftlicher Institutionen und von Einzelperso- nen. Anläßlich einer zweitägigen Vortrags- und Diskussionsveran- staltung in Düsseldorf wurden am 25. und 26. April die praktischen Möglichkeiten der Verwirklichung erörtert.

Um nicht ganz im luftleeren Raum zu operieren, wurden auch prakti- sche Modelle, wie beispielsweise die Paracelsus-Kiinik in Osnabrück oder die in Köln geplante Pfaxisge- meinschaft einer Kurzzeit-Behand- lungsstation oder das längst be- währte Belegarztsystem sowie das theoretische Konzept der Praxiskli- niken (Bestandteil der gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellun- gen der deutschen Ärzteschaft), auf den Prüfstand der "Integration"

erhoben.

Consensus in der Dtagnose Die Düsseldorfer Veranstaltung machte deutlich: ln der Bestands- aufnahme und in der Diagnose ist noch am ehesten ein Consensus zwischen gewerkschaftlichen und ärztlichen Vertretern zu erzielen, nicht hingegen über das Wie und die Einschätzung notwendiger Gra- de der Integration. Der heterogen zusammengesetzte WSI-Zirkel be- endete seine Arbeit denn auch nicht mit einem in sich geschlosse- nen Programm und einem pro-

grammatisch-gesundheitspoliti- sehen Anspruch nach außen, son- dern beschränkte sich vielmehr auf eine Problemanalyse und Bestands- aufnahme (die demnächst schlicht als Protokollband des WSI erschei- nen soll).

So unversöhnlich sich die in Düs- seldorf diskutierten Modelle (die im folgenden noch kurz zu skizzieren sein werden) auch gegenüberstan- den, so gewann man wenigstens bei der Begriffsdefinition eine ein- heitliche Plattform: "Integration (Integriertes System der medizini- schen Versorgung) bedeutet eine Verknüpfung aller Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge, Krankheits-

früherkennung, Behandlung (Dia- gnostik und Therapie) Rehabilita- tion zu einem System, dessen Ziel eine optimale medizinische Versor- gung ist. Dieses System ist - un- ter den jeweiligen gesellschaftli- chen Bedingungen - so zu struk- turieren, daß seine einzelnen Ein- richtungen, die Beziehungen zwi- schen diesen Einrichtungen und den in ihnen Tätigen auf die Errei- chung des Gesamtzieles der ge- sundheitlichen Versorgung hin aus- gerichtet sind."

Die so aufgefüllte Reizformel "Inte- gration" wird ergänzt durch die in- haltsleere Definition des Gesamt- ziels der (optimalen) gesundheitli- chen Versorgung: "Jeder Mensch soll Anspruch auf Maßnahmen, Pflege, Erhaltung, Schutz seiner Gesundheit haben: Gesundheitsbil- dung, Beratung, Vorsorgemaßnah- men. Jeder Mensch soll bei jeder krankhaften Störung seines körper- lichen und seelischen Wohlbefin- dens Anspruch haben auf medizini- sche Maßnahmen zur Herstellung beziehungsweise Wiederherstel- lung seiner Gesundheit. Diese sol- len ohne Unterbrechung bis zum bestmöglichsten Behandlungser- folg durchgeführt und - soweit erforderlich - durch Maßnahmen der beruflichen und sozialen Wie- dereingliederung bis zu Herstel- lung beziehungsweise Wiederher- stellung der erreichbaren Lebens- tüchtigkeit ergänzt werden: Früher- kennungsmaßnahmen, ambulante, tei !stationäre, stationäre Behand- lung, Rehabilitation."

Die so anvisierten, gewerkschaftli- chen Postulate zur Integrationsför- derung sollen sich nicht nur auf die ärztliche Versorgung, sondern viel- mehr auf das gesamte System der ambulanten wie stationären Ver- sorgung beziehen, nicht nur tech- nisch, sondern auch personell und organisatorisch greifen. Die Not- wendigkeit der verstärkten Integra- tion wird vor allem mit der wach- senden Kostenlast und dem zuneh- menden Mißverhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ertrag (modisches Stichwort: "Mangelnde Effizienz")

begründet.

1322 Heft 19 vom 8. Mai 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATI

WSI-Referent Wolfgang Mudra be- gründete die gewerkschaftseige- nen Integrationsforderungen auf Grund "übereinstimmender Fest- stellungen zur Situationsanalyse des Gesundheitswesens" (aller- dings wurden lediglich die Arbeiten der DGB-Freunde Jahn, Kahlke, Lüth sowie die WSI-1-Studie und das DGB-Programm angezogen) so:

..,.. Die Struktur der ärztlichen Ver- sorgung in der Bundesrepublik sei gekennzeichnet durch Des-Integra-

tion, jedenfalls durch Nicht-Integra-

tion;

..,.. Medizinisch-wissenschaftliche Entwicklung und zunehmender Personalbedarf bewirkten einen starken Anstieg der Kosten medizi- nischer Leistung;

..,.. eine bundeseinheitlich koordi- nierte Planung im Gesundheitswe- sen fehle;

..,.. Ärzte und andere Berufe des Gesundheitswesens spezialisierten sich zunehmend mit der Folge ei- ner Aufspaltung der ärztlichen und der pflegerischen Arbeit in eine dif- ferenziert fachspezifische und eine

"seelsorgerische" Richtung;

..,.. scharf und übergangslos sei ambulante und stationäre medizini- sche Versorgung voneinander ge- trennt;

..,.. regelmäßig träten systemgebun- den Doppel- und Mehrfachleistun- gen in der Diagnostik auf.

Was Mudra thesenartig in den Raum stellte, wurde von dem Spiri- tus rector gewerkschaftlicher lnte- grationsvorstellungen, Professor Dr. med. Erwin Jahn, Berlin, in des- sen Systemanalyse professoral garniert: "Niedergelassene Ärzte aus professioneller Isolierung, Krankenhausärzte aus dem elitären Status der Inselherrschaft in die Kooperation mit anderen medizini- schen Berufen zu führen ist sachli- che Notwendigkeit einer Medizin, die psychosomaüsche und sozio- genetische Einsichten in sich auf-

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Die Information:

Bericht und Meinung

„Integrierte medizinische Versorgung"

genommen hat und in die gesell- schaftliche Wirklichkeit der medizi- nischen Versorgung umsetzen will."

Jahn begründete seine Integra- tionsformeln auf Grund einer „Sy- stemanalyse der heutigen medizini- schen Versorgung in der Bundes- republik", die in eine Kernaussage mündete, die bereits zuvor von dem Innsbrucker Wirtschaftswis- senschaftler Dr. Herbert Weissen- böck in dessen Dissertation über

„Studien zur ökonomischen Effi- zienz von Gesundheitssystemen"

enthalten war (DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, Heft 2/1975, Seite 53 ff.):

Bei vergleichsweiser guter Ausstat- tung mit Ärzten und Krankenhaus- betten seien die einschlägigen Morbiditäts- und Mortalitätskenn- ziffern in der Bundesrepublik rela- tiv ungünstig, der Mitteleinsatz hoch, die Effizienz aber niedrig.

Kaum ein Wort wurde jedoch dar- über verloren, ob die angezogenen internationalen Statistiken über- haupt vergleichbar sind, worin bei- spielsweise die epidemiologischen und klimatischen Unterschiede der einzelnen Länder bestehen und ob sie ausreichen, Schlußfolgerungen in der Jahnschen Tragweite zuzu- lassen. Gleichwohl ließ die Düssel- dorfer Tagung keinen Zweifel dar- über, daß der DGB wie auch das WSI zusammen mit anderen Sym- pathisanten das von Professor Er- win Jahn entwickelte und von der ASÄ weitgehend übernommene Modell „Integriertes System der medizinischen Versorgung (ISMV)"

am meisten favorisiert.

Jahns Globalmodell der Integration

Das Jahnsche Modell zielt in sei- nem Kern auf eine weitgehende In- tegration sämtlicher Teilbereiche der medizinischen Versorgung (Einrichtungen der ambulanten wie stationären Versorgung, der Vor- sorge, der Gesundheitsberatung, der betriebsmedizinischen Dienste sowie der halbstationären Versor- gung) durch organisatorische und technische Mittel ab. Von Aufga-

benverlagerung, strukturellen Ver- änderungen und Pflichten ist auf- fällig oft im Jahnschen Modell die Rede. So zum Beispiel sollen

• die medizinischen Einrichtun- gen, die Ärzte und andere Perso- nen, die an der medizinischen Ver- sorgung der Bevölkerung teilneh- men, zu ständiger und engerer Kooperation verpflichtet werden;

• die in der medizinischen Versor- gung Tätigen durch ein dichtes Kommunikationsnetz verbunden werden;

• die medizinischen Informationen über jeden Bürger, die in einem Teilbereich gewonnen werden, in unmittelbar anwendbarer Form für seine medizinische Versorgung auch in jedem anderen Teilbereich abrufbar gehalten werden;

• die medizinischen Leistungen in jedem Einzelfall in derjenigen Ein- richtung von derjenigen Person er- bracht werden, die sie am „ratio- nellsten" erbringen können, ent- behrliche Leistungen ebenso wie Leistungswiederholungen vermie- den werden;

• die erforderlichen technischen und organisatorischen Mittel und Einrichtungen in ihrer „rationell- sten Form" bereitgehalten und an- gewandt werden.

Entfunktionalisierung der Ärzte In einem solchen System, bei dem natürlich bürokratische Regelun- gen übertrieben in den Vorder- grund gestellt werden müssen, wird zwangsläufig dem freiprakti- zierenden niedergelassenen Arzt, insbesondere dem Facharzt, der Arztberuf geradezu verleidet. Denn die „Apparatemedizin", die diagno- stische Technik soll Jahns Vor- schlägen zufolge im MTZ zentrali- siert und monopolisiert werden. Mit dem MTZ bildet das Zentrale Infor- mationssystem (ZIS) den funktio- nellen Kern des geplanten „inte- grierten" Systems medizinischer Versorgung.

Daß der Arzt „entfunktionalisiert"

würde, wenn er nicht mehr das ge- samte Repertoire seines ärztlichen Könnens und Wissens eigenverant- wortlich ausschöpfen, bedienen, abrufen und kontrollieren kann, steht außer Frage. Ebenso dürften MTZ-Analysen und Bewertungser- gebnisse sowohl für den niederge- lassenen Arzt als auch für die Krankenhauspraxis dann von zwei- felhaftem Wert sein, wenn sie nicht direkt abrufbar, überprüfbar und taufrisch sind.

Das Krankenhaus wird von Jahn gleichfalls in eine bloße Versorger- rolle, nämlich die der stationären Behandlung und Pflege bettlägeri- ger Kranker gedrängt; stationäre Diagnostik soll in der Mehrzahl der Fälle überhaupt entfallen und nur durch die MTZs ermöglicht wer- den.

Systemverändernde Technokratie Obgleich auf der Düsseldorfer Ta- gung wiederholt behauptet wurde, von ärztlicher Seite seien keine entscheidenden Einwände gegen das MTZ und das ISMV vorzubrin- gen, so werden die Strukturschwä- chen des Jahnschen Globalkon- zepts bereits in der eigenen Mo- delldeskription sichtbar: Das Jahn- Modell stellt eine — zugegebener- maßen in sich geschlossene — Globalkonzeption dar, die auf eine grundlegende Änderung des ge- wachsenen Systems der medizini- schen Versorgung der Bundesre- publik Deutschland abzielt und in das politische und gesellschaftli- che System eingreift. Der abstrak- te, idealistische Ansatz ist ein Mu- sterbeispiel für ein Modell, das im- mer nur Ideal bleiben wird und das nur mit „perfekten Menschen"

funktionieren könnte (wie es ein Diskussionsteilnehmer formulierte).

Das Konzept nimmt zudem keine Rücksicht auf die politische Durch- setzbarkeit, und das gesellschaftli- che System bewegt sich im Be- reich der Kostenanalyse und den möglichen Auswirkungen auf Arzt und Patient arg im spekulativen Raum.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 8. Mai 1975 1323

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Die Wormation:

Bericht und Meinung

"Integrierte medizinische Versorgung"

Daß das ganze nicht billiger, für Patienten wie Beteiligte nicht einfa- cher würde, gesteht Jahn auch selbst ein: Durch die Zentralisie- rung der gesamten Diagnostik im MTZ müssen große Einzugsgebiete geschaffen werden, braucht man Zentrierung am Krankenhaus, ein Tatumstand, der der anvisierten

"Integration" eher abträglich denn zuträglich sein dürfte und die Pa- tienten (um die es ja eigentlich ge- hen sollte) eher be- als entlasten würde.

Da ferner das MTZ nur bei der Groß- und Massenproduktion ren- tabel und kostensenkend wirken dürfte, stünde es noch mehr als die bisherigen technischen Apparatu- ren unter dem wirtschaftlichen Zwang zur optimalen Kapazitäts- ausnutzung mit der möglichen Fol- ge, daß der Versichertengemein- schaft eine große Zahl medizinisch gar nicht notwendiger und daher wirtschaftlich nicht vertretbarer Untersuchungen zugemutet werden würde. Der Hausarzt würde die Diagnostik nicht mehr für jeden einzelnen Fall gezielt betreiben können, sondern zu einer Labor- diagnostik nach dem "Gießkannen- prinzip" veranlaßt werden. Es ent- stünde die Gefahr, daß die nieder- gelassenen Ärzte ihre technischen Einrichtungen und Fähigkeiten ver- nachlässigen, die aber auf dem höchstmöglichen Stand gehalten werden müssen, nicht zuletzt auch deswegen, um den Beruf des nie- dergelassenen Arztes so attraktiv wie möglich zu gestalten und die Ärzte für Notfälle vorzubereiten.

Schließlich würden die MTZ aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf zentral gelegene Orte konzentriert werden müssen, da sie an Groß- krankenhäuser angeschlossen wer- den sollen (Wege bis zu 20 Kilome- ter). Die Versorgung der Land- und Kleinstadtbevölkerung würde sich durch die Einrichtung von MTZ also nicht verbessern, sondern nur verschlechtern. (Auch die Forde- rung nach regionaler Verflechtung und die Modifikation für struktur- schwache Gebiete mildert den Ein- wand nur graduell.)

Ebenso theoretisch hoch angesie- delt ist das Strukturmodell des Me- dizinischen Zentrums Köln (MZB- Modell). Mit einem unübersehbaren Aufwand an organisatorischen Ver- änderungen und eingebauten Steuerungselementen (um nicht zu sagen: Zwangsregelungen) zielt es auf die "Integration" der medizini- schen Versorgung einer Region ab.

Grundsätzlich soll die ambulante Versorgung in Form von Gruppen- praxen mit Dependancen erfolgen;

wie im Jahnschen Modell sollen sämtliche Einrichtungen der Re- gion entweder Teil des Versor- gungssystems sein oder eng mit diesem kooperieren. Als "verflech- tendes Element" wird das MTZ apostrophiert, das als Zentrafein- richtung technische Apparaturen und das Fachpersonal "vorhält".

Koordinator des ganzen soll ein zentrales Informationssystem sein.

Klar ist, daß ein so abstrakt ange- legtes Modell im Hinblick auf eine vorgegebene Liste von Integra- tionsmerkmalen ebenso wie das ISMV-System mehr Pluspunkte sammelt als vergleichbare reali- tätsnähere Konzepte. Leider kommt die Frage der Finanzierung, der politischen Durchsetzbarkeit, der personellen und finanziellen Ausstattung im MZB-Ansatz über- haupt nicht zur Sprache. Die per- sonelle und die Frage des Arzt-Pa- tienten-Verhältnisses gehen in der funktionalisierten Technisierung weitgehend unter.

Auf der anderen Seite der Modell- vorschläge standen zur Diskussion: Belegkliniken und die belegärztli- che Tätigkeit niedergelassener

Ärzte, Gruppen- und Gemeinschafts- praxen (auch fachüberschreiten- der Kurzzeit-Behandlungsstatio- nen, Praxiskliniken, das Modell der Paracelsus-Kiinik in Osnabrück so- wie das theoretische und ansatz- weise bereits verwirklichte Kon- zept zur "Verwirklichung einer voll- integrierten medizinischen Versor- gung einer Region", das von der Arbeitsgemeinschaft für Rationali- sierung und Organisation in der Medizin (ARO), Kassel, konzipierte Medizinische Team-System (MTS)

Kennzeichen dieser Vorschläge ist

1324 Heft 19 vom 8. Mai 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATI'

ihr pragmatischer Ansatz unter Be- rücksichtigung des historisch ge- wachsenen Systems. Evolution, nicht Revolution wird hier gefor- dert. In sämtlichen Modellen wird die Bereitschaft zur Strukturände- rung, zur Verbesserung der Koope- ration und der Koordination, zur Planung und zur sparsamen Mittel- verwendung bei gleichzeitiger Er- höhung der Effizienz bejaht.

..,. Daß solche Modelle - wenn sie auch nur Detailprobleme pragma- tisch zu lösen vermögen, wie bei- spielsweise die Paracelsus-Kiinik in Osnabrück - Erfolg haben und zur Kostensenkung führen können, ist längst erwiesen: ln der Osna- brücker Klinik sind unter einem Dach Ärztehaus, Apparategemein- schaft und Krankenhaus vereinigt.

1970 gegründet, bietet diese priva- te Klinik inzwischen 25 Fachärzten in sieben Gemeinschaftspraxen Praxisräume und stationäre Be- handlungsmöglichkeiten. Zur Ver- fügung stehen vier aseptische und zwei septische Operationssäle, drei Kreißsäle, ein Endoskopieraum, fünfzehn Hämodialysegeräte, ein Telekobaltgerät sowie Einrichtun- gen zur Behandlung mit radioakti- ven Substanzen. Das Osnabrücker Modell bietet ein breites Spektrum moderner apparativ-technischer Einrichtungen, das den für eine stationäre Grund- beziehungsweise Regelversorgung vorzuhaltenden Standard bei weitem übersteigt.

Die Paracelsus-Kiinik entspricht weitgehend der theoretischen Kon- zeption des von Karl Jeute und Ernst Fromm dargelegten Systems .. Praxisklinlk", mußte aber bei der Planung die vorgegebene regiona- le Versorgungsstruktur berücksich- tigen, während das Konzept der Praxisklinik generell und grund- sätzlich überall anwendbar sein soll.

Das MTS, dessen Konzeption von Mitinitiator Dr. med. Otfrid P.

Schaefer, Kassel, vorgetragen wur- de, strebt die Verwirklichung des Teamgedankens in einer fachüber- greifenden Gruppenpraxis mit Be- legkrankenhaus an. Mittelpunkt des MTS ist entweder ein Ärzte-

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haus oder ein Belegkrankenhaus.

Als Grundbaustein eines MTS wird das Ärztehaus bezeichnet, das in unmittelbarer räumlicher Bezie- hung zu einem Belegkrankenhaus stehen soll oder aber einen Praxis- trakt darin einbezogen hat. ln die- sem Trakt sollen mindestens sechs bis zehn Allgemein- und Fachärzte, in der Maximalausbaustufe 20 bis 30 Allgemein- und Fachärzte tätig sein.

Die fachübergreifende Gruppen- praxis soll in Form einer Praxisge- meinschaft fachgleicher Gemein- schaftspraxen organisiert werden. ln den fachgleichen Gemein- schaftspraxen sollen möglichst alle großen Fächer doppelt besetzt re- präsentiert sein.

Einen anderen Weg beschreitet das Belegarztsystem, dessen "lnte- grationseffekt" vor allem die durchgängige Behandlung des Pa- tienten durch ein und denselben Arzt sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich dar- stellt. Wenn auch das WSI-Gre- mium die Meinung vertrat, Beleg- kliniken und belegärztliche Tätig- keit der niedergelassenen Ärzte würden wenig dazu beitragen, den Graben zwischen Krankenhaus und Praxis zuzuschütten, so entfiele dieses Argument weitgehend, wenn ärztlichen Forderungen Rechnung getragen würde, auch Anstalts- krankenhäuser der Grund- und Re- gelversorgung nach dem Beleg- arztsystem zu führen und die inne- re Struktur des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus kollegial zu ge- stalten. Gleichzeitig müßten dann die Verantwortungsbereiche über- schaubarer werden.

Auf die durchgängige und kontinu- ierliche fachärztliche Versorgung zielt auch der Integrationsvor- schlag des Deutschen Kranken- hausinstituts (DKI) ab, der eine en- gere Verzahnung fachärztlicher und allgemeinärztlicher Tätigkeiten im stationären beziehungsweise semistationären und ambulanten Sektor fordert. Bei diesen Struktur- änderungen sollten pluralistische

Die Wormation:

Bericht und Meinung

"Integrierte medizinische Versorgung"

Betriebstypen und unterschiedli- che Trägerschatten zum Zuge kommen und folgende Einrichtun- gen forciert werden:

.,.. Diagnostik- und Therapiezen- tren für ambulante und stationäre fachärztliche Versorgung in organi- satorischer und personeller Verbin- dung zu Krankenhäusern;

.,.. Erweiterung von Gruppenpraxen niedergelassener Ärzte durch As- soziierung semistationärer und sta- tionärer Versorgungsmöglichkeiten (Praxisklinik);

.,.. Ausbau von Kleinkrankenhäu- sern der Ergänzungsversorgung für semistationäre und ambulante Auf- gaben.

Insgesamt ist das DKI-Modell eher als krankenhausfreundlich zu be- zeichnen, kann zumindest theore- tisch Kosteneinsparungseffekte bis zu maximal 20 Prozent der bisheri- gen Krankenhauskosten vorrech- nen (obwohl man von dem seit drei Jahren an Münchens Städtischen Krankenanstalten laufenden Mo- dellversuchen noch nichts derglei- chen gehört hat), ist aber nach Meinung des WSI-Zirkels noch weit entfernt vom Ziel einer Totalinte- gration.

Als Fazit bleibt: Trotz aller speku- lativ-beschwichtigender Beteuerun- gen seitens der Befürworter einer Totalintegration (keine bürokrati- sierte Modellschreinerei, keine Er- richtung eines staatlichen Gesund- heitsdienstes) streben die gewerk- schaftseigenen Integrationsmodel- le einen totalen Umbau der ge- wachsenen medizinischen Versor- gung in der Bundesrepublik an, lassen wegen ihres idealistischen Ansatzes die finanzielle, personelle und politische Tragweite nur erah- nen, machen hingegen die Kopfla- stigkeil ihrer Bürokratisierung, Per- sonalaufblähung und ihres techni- schen Perfektionismus klar deut- lich. Bezeichnenderweise begeg- nen nicht nur die ärztlichen Vertre- ter, sondern auch die Repräsentan- ten der Spitzenverbände der Orts- und Innungskrankenkassen (Hans

Töns; Fritz Tervooren) sowie der Deutschen Krankenhausgesell- schaft (Professor Dr. med. Hans- Werner Müller) den gewerkschaftli- chen Integrationsvorstellungen mit großer Skepsis und gar Ablehnung.

Dr. med. Horst Bourmer, Vizepräsi- dent der Bundesärztekammer und Vorsitzender des Hartmannbundes, brachte diesen Gesamteindruck auf einen Nenner: Die Kooperation unter Beachtung des gegebenen Systems muß mit allen Mitteln ver- bessert werden, mit einer "admini- strierten Sanikratie" wäre diesem

Ziel wenig gedient und den Patien- ten kaum geholfen. Bedenklich aber ist eines: daß nämlich hier ein Institut einen selbstgewählten Be- griff zum allgemeingültigen Maß- stab erklärt, nämlich den der Inte- gration, und nun ex cathedra de- kretiert: Was mit diesem Wertmes- ser vereinbar ist, das ist gut. Dies ist ein Musterbeispiel einer im Grunde längst erprobten Methode der Manipulation der politischen Auseinandersetzung. Harald Clade

r-ziTAT - - - , Erstrebenswertes Kranksein

"Das Kranksein, das die

Menschen zu allen Zeiten ge- fürchtet haben, ist heute für weite Gruppen der Gesell- schaft zu einem erstrebens- werten Ziel geworden. Eine Reihe von Patienten fühlt sich heute lieber krank als gesund. Überlagert und un- terstützt wird diese Bewußt- seinsänderung vieler Patien- ten durch das immer stärker werdende Anspruchsbewußt- sein. Die Folge dieser Ent- wicklung ist eine zunehmen- de Abhängigkeit der Bevöl- kerung von Personen und In- stitutionen des Gesundheits- wesens."

Privatdozent Dr. Siegtried Eichhorn, Deutsches Kranken- hausinstitut, Düsseldorf, vor

dem WSI-Forum am 25. 4.1975.

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 19 vom 8. Mai 1975 1325

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