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Archiv "Von-Hippel-Lindau-Syndrom Unterschätzt und häufig verkannt" (19.03.1993)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

1 I 1

Von-Hippel-Lindau-Syndrom Unterschätzt

und häufig verkannt

Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom ist wenig bekannt und in seiner Häufigkeit unterschätzt, da erst kürzlich epidemiologische Studien vorgelegt wurden. Es dürfte auch weiterhin zu selten erkannt wer- den, wenn nicht alle differentialdiagnostisch in Betracht kommenden Patienten einer sorgfältigen Diagnostik zugeführt werden. Das Syn- drom unterscheidet sich von der Mehrzahl hereditärer Erkrankungen dadurch, daß eine wirksame Therapie möglich ist und die Prognose damit entscheidend verbessert werden kann.

Hartmut P. H. Neumann

Definition und Häufigkeit

Das Von-Hippel-Lindau-Syn- drom ist eine hereditäre Tumorer- krankung. Namengebende Läsionen sind die Angiomatosis retinae (Von Hippel) und das Hämangioblastom des Zentralnervensystems (im Klein- hirn meist zystisch = Lindau-Tu- mor). Weitere Hauptläsionen sind Nierenzysten und -Karzinome, Pan- kreaszysten, Phäochromozytome und Nebenhodenzystadenome. Selten entwickeln sich in anderen Organen Tumoren, meist Angiome oder Zy- sten (13, 15). Die Diagnose beruht bis heute auf dem klinischen Nach- weis der Läsionen und der Familien- anamnese. Während in Familien mit einer größeren Zahl Betroffener die Diagnose unschwer möglich ist, sind in kleinen Familien mit sehr wenig Betroffenen die Minimalkriterien bedeutsam: Diese sind erfüllt, wenn bei einer Person eine Angiomatosis retinae oder ein Hämangioblastom des ZNS und bei einem Verwandten ersten Grades eine der sechs Haupt- läsionen (Tabelle 1) auftreten (13, 15). In seltenen Fällen sind diese Mi- nimalkriterien für eine Person gege- ben, ohne daß weitere Erkrankun- gen in der Familie erkennbar sind.

1991 durchgeführte epidemiologi- sche Studien des Autors (18) und Herrn Professor Dr. med. Peter Schollmeyer zum 60. Geburtstag gewidmet.

aus England (12) ergaben eine Prä- valenz von 1:39 000 beziehungsweise 1:53 000. Für Deutschland lassen sich daraus 2000 Patienten errech- nen.

Geschlechts- und Altersverteilung

Beide Geschlechter sind gleich, häufig betroffen. Hinweise für ge- schlechtsspezifische Unterschiede in Manifestationsspektrum, Schwere- grad oder Alter gibt es nicht. Das mittlere Alter bei erstem Auftreten von Symptomen liegt zwischen 30 und 35 Jahren, das heißt das Syn- drom ist ein sich spät manifestieren- des hereditäres Leiden. Im Einzelfall variiert das Alter bei Erstmanifesta- tion sehr, in unserer Serie von 92 Be- troffenen zwischen 4 und 61 Jahren (15, 18).

Ursachen der häufig nicht gestellten Diagnose

Der Grund dafür, daß das Von- Hippel-Lindau-Syndrom viel zu sel- ten erkannt wird, liegt in der unge- wöhnlich großen Variabilität seiner Läsionen. Das enorme Spektrum der Manifestationen ist durch 4 Phäno- mene charakterisiert:

Der Schweregrad jeder Läsi- on kann außerordentlich variieren,

und zwar zwischen asymptomati- schen, über lange Zeit unveränder- ten Befunden und fortschreitender, letaler Erkrankung.

0 Die Zahl der Läsionen ist verschieden; multilokuläres, oft mehrzeitiges Auftreten in einem Or- gan (Organsystem) ist typisch; so fanden wir bis zu 20 Angiome der Retina eines Auges und bis zu acht Hämangioblastome des ZNS.

41) Die Zahl der betroffenen Organe variiert (Abbildung 1). In 50 Prozent unserer Patienten (18) war nur ein Organ betroffen, die übrigen Patienten zeigten Tumoren an zwei, drei, vier oder fünf Organen (Organ- systemen). In der Regel ist auch bei Mehrfachbefall nur eine Läsion sym- ptomatisch.

Innerhalb einer Familie sind Unterschiede auch zwischen den ein- zelnen Betroffenen zu finden; regel- haft gilt nur, daß in Sippen mit Phäo- chromozytomen außerordentlich sel- ten Nieren-, Pankreas-, und Neben- hodenveränderungen gefunden wer- den, was auch vice versa gilt (Abbil- dungen la und lb).

Es ist somit leicht erklärlich und entspricht unserer Erfahrung, daß die Diagnose des Von-Hippel-Lin- dau-Syndroms in einer Familie, in Abteilung Innere Medizin IV (Arztlicher Di- rektor: Prof. Dr. med. Peter Schollmeyer), Medizinische Universitätklinik, Klinikum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

A1-786 (34) Dt. Ärztebl. 90, Heft 11, 19. März 1993

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Tabelle 1: Hauptläsionen beim Von-Hippel-Lindau-Syndrom Häufigkeit

bei Genträgern

Risiko für Genträger-

schaft 1. Angiomatosis retinae

2. Hämangioblastom des ZNS 3. Nierenzysten und Nierenzellkarzi-

nom

4. Phäochromozytom

5. Pankreaszysten/-zystadenome 6. Zystadenome des Nebenhodens

* Prozente in Freiburger Patientengut: 29 Familien, 92 Genträger

47%

42%

30%

23%

17%

3%

86%

19%

unbekannt 19%

unbekannt unbekannt

Abbildung 1: Stamm- bäume von zwei Fa- milien mit Von-Hip- pel-Lindau-Syndrom:

In Familie A treten keine Phäochromozy- tome auf, in Familie B fehlen Nieren- und Pankreasläsionen. — Quadrate = Männer, Kreise = Frauen;

Symbole: oben links

= Angiomatosis reti- nae; oben rechts = Hämangioblastom des ZNS; Mitte = Pankreasläsionen;

unten links = Nie- renläsionen; unten rechts = Phäochro- mozytom. Volle Sym- bole = symptomati- sche; vergitterte = durch Vorsorgeunter- suchung erkannte asymptomatische Lä- sionen

der ein Patient an einem Lindau-Tu- mor und ein anderer eventuell Jahre später an einem Phäochromozytom operiert wurde oder einseitig erblin- dete, nicht gestellt wird, wenn nicht eine eingehende Familienanamnese erhoben wurde. Die weit verbreitete mangelnde Kenntnis des Syndroms, speziell der zugehörigen nicht na- mengebenden Läsionen, läßt die Diagnose ebenfalls verfehlen, selbst wenn ein Patient zwei der Hauptlä- sionen (zum Beispiel symptomati- sches Phäochromozytom und asym- ptomatisches, zufällig entdecktes re- tinales Angiom) aufweist (21). Es ist somit wesentlich, daß bei Feststel- lung einer der Hauptläsionen das vollständige Untersuchungspro- gramm für das Von-Hippel-Lindau- Syndrom (Tabelle 2) durchgeführt wird.

Symptomatologie, Diagnostik, Therapie und Prognose

Das Von-Hippel-Lindau-Syn- drom zeigt sich nur äußerst selten als komplexes Problem, in der Regel do- miniert klinisch eine Läsion.

Angiomatosis retinae

Zysten, die lokale Symptome (Gang- störung und Ataxie) oder Hirndruck- zeichen (Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen) verursachen und da- durch lebensbedrohend sind (17). In retrospektiven Analysen sind sie füh- rende Todesursache (10, 16). Mit der Computertomographie lassen sich Zysten und Tumoren meist darstel- len, jedoch ist heute die Kernspin- tomographie mit Kontrastmittel die Methode der Wahl, sowohl die Zyste als auch den oft sehr kleinen soliden Tumor darzustellen (4). Mit Verbes- serung der diagnostischen Möglich- keiten und Einführung der mikro- chirurgischen Technik in die Neuro-

chirurgie sind Operabilität und Pro- gnose des Hämangioblastoms sehr gut geworden (14, 20).

Nierenzysten und Nierenzellkarzinome

Nierenzysten und Nierenzellkar- zinome sind die renale Manifestation des Von-Hippel-Lindau-Syndroms und finden sich bei etwa 15 bis 30 Prozent der Anlageträger (10, 15, 18). Multiple Veränderungen in bei- den Nieren sind typisch, jedoch nicht obligat. Auch ausgedehnte Läsionen verursachen meist keine Symptome, Die Angiomatosis retinae (Ab-

bildung 2a) bedroht den Visus durch Netzhautablösung. Dieses Ereignis tritt ohne Warnsymptome und schmerzlos auf. Durch die Ophthal- moskopie läßt sich ein Tumor mit versorgendem Gefäßpaar, das meist ein vergrößertes Kaliber und eine Schlängelung aufweist, erkennen (23). Frühstadien können weniger ty- pisch sein, und wegen häufig peri- pherer Lage ist die Untersuchung mittels Kontaktglas zu empfehlen (24). Die Lasertherapie ist wirksam und weitgehend ungefährlich (30).

Hämangioblastom des ZNS Das Hämangioblastom des ZNS (Abbildung 2b) ist in über 80 Prozent in der hinteren Schädelgrube und in etwa 15 Prozent spinal lokalisiert.

Die Kleinhirntumoren bilden meist

A1 -788 (36) Dt. Ärztebl. 90, Heft 11, 19. März 1993

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eine Hämaturie ist sehr selten. So- nographisch lassen sich die Verände- rungen gut erkennen, die beste Do- kumentation ermöglicht die Compu- tertomographie (1).

Therapeutisch ist die Tumor- Enukleation zu empfehlen, um mög- lichst lange funktionsfähiges Paren- chym zu erhalten. Die Entscheidung über Ausmaß und Zeitpunkt solcher Eingriffe ist ein zentrales und unge- löstes Problem. Retrospektiv ist das Nierenkarzinom zweithäufigste To- desursache (10, 16).

Phäochromozytom

Tabelle 2: Untersuchungsprogramm für Patienten mit Verdacht auf Von-Hippel-Lindau-Syndrom und bei gesicherter Diagnose für Ver- wandte 1. Grades

■ Eingehende Familienanamnese und Stammbaumanalyse

■ Ophthalmoskopie in Mydriasis mit Kontaktglas

■ Kernspintomographie des Kopfes mit Gadolineum

■ Computertomographie (Sonographie*) des Abdomens

■ Blutdruckmessung, Katecholamine im 24-h-Urin*

■ Sonographie der Testes

* = Diese Teile des Untersuchungsprogramms sind für Kinder ab dem 6. bis zum 10. Lebens- jahr ausreichend

Das Phäochromozytom (Abbil- dung 2c) kommt beim Von-Hippel- Lindau-Syndrom adrenal und ex- traadrenal, solitär und multipel vor.

Klinisch stehen Tachykardie, Schweißattacken, Kopfschmerzen und Hypertonie im Vordergrund. Im 24-Stunden-Urin sind Noradrenalin, Adrenalin und Vanillinmandelsäure, im Plasma Noradrenalin und Adrena- lin zu bestimmen. Der Nachweis der Raumforderung ist durch Sonogra- phie, Computertomographie, Kern- spintomographie oder Szintigraphie mit Metajodobenzylguanidin mög- lich. Wegen der hohen Sensitivität sind für das Screening die Kernspin- tomographie und die Bestimmung der Katecholamine im 24-Stunden- Urin vorzuziehen (22, 27). Die Tumorenukleation führt meist zumin- dest mittelfristig zur Restitutio ad integrum.

Multiple Pankreaszysten Multiple Pankreaszysten (Abbil- dung 2d) sind neben vereinzelt beob- achteten Zystadenomen für das Von- Hippel-Lindau-Syndrom typisch und verursachen selten mehr als diskrete Oberbauchbeschwerden. Sie sind na- hezu immer endo- und exokrin stumm und bedürfen in der Regel keiner Be- handlung (19).

Nebenhodenzystadenome Nebenhodenzystadenome treten ein- oder beidseitig auf. Sie können

zum Verschluß der Samenwege und dadurch zur Infertilität führen (29), bedürfen wegen ihrer biologischen Gutartigkeit jedoch keiner Therapie.

Der Nachweis wird sonographisch geführt (1, 10).

Genetik

Das Von-Hippel-Lindau-Syn- drom hat einen autosomal-dominan- ten Erbgang (Abbildung 1). Die Pe- netranz ist hoch; über 90 Prozent der Genträger erkranken manifest. Mit- tels Genkopplungsanlyse wurde das Syndrom 1987 von Seizinger et al.

(25) auf dem kurzen Arm des Chro- mosom 3 (3p) lokalisiert. Nierenkar- zinom, Hämangioblastom des ZNS und Phäochromozytom betroffener Patienten zeigten zytogenetisch (2, 6, 7, 9) und molekularbiologisch (3, 28) strukturelle Veränderungen von 3p.

Mit neuen chromosomalen Markern (sogenannten RFLPs) wurde die Lo- kalisation auf die telomernahe Regi- on 3p25 — 26 eingegrenzt (5, 11, 26).

Bei der Analyse der Manifestati- onsspektren bei einer großen Zahl von Genträgern ist uns aufgefallen, daß einige Manifestationen über- durchschnittlich häufig kombiniert sind. Dies könnte dafür sprechen, daß das Von-Hippel-Lindau-Syn- drom durch verschiedene Mutatio- nen innerhalb eines komplexen ge- netischen Lokus verursacht wird (18). Die Klonierung des Gens steht aus: Man nimmt an, daß es sich um ein sogenanntes Tumorsupressor- Gen handelt. Zur Erklärung der Tu- mormanifestation dient die Knud-

son-Theorie (8). Da ein intaktes Gen (Allel) zur Aufrechterhaltung der physiologischen Funktion ausreicht, müssen beide Allele des betroffenen Gens einen Defekt aufweisen, um die Manifestation auszulösen. Der Defekt eines Allels ist angeboren, während das zweite Allel durch eine im Laufe des Lebens erworbene Mu- tation ausgeschaltet wird. Die Tu- morentstehung selbst setzt den Ver- lust beider homologer Allele voraus.

Die große Wahrscheinlichkeit des Verlustes des zweiten Allels erklärt das dominante Vererbungsmuster in den Familien.

Es ist davon auszugehen, daß al- le Läsionen des Syndroms auch spo- radisch vorkommen, wenngleich der molekularbiologische Beweis aus- steht. Nach der Knudson-Theorie ist Voraussetzung für die Entstehung solcher sporadischer Tumoren der Verlust beider homologer Tumor- suppressorgenallele während des Le- bens, ein Vorgang, der mit Wahr- scheinlichkeit seltener und später als beim Syndrom eintritt. Im Einzelfall sprechen multifokales Tumorwachs- tum und niedriges Alter für Erblich- keit, das heißt für ein Von-Hippel- Lindau-Syndrom. Dies ist für Häm- angioblastome des ZNS nachgewie- sen (17, 20), für retinale Angiome, Nierenkarzinome und Phäochromo- zytome gut belegt (10, 17, 20, 21, 30).

Es ist jedoch nachdrücklich fest- zuhalten, daß es keine Altersgrenze gibt, bei deren Überschreiten ein Von-Hippel-Lindau-Syndrom un- wahrscheinlich wird und daß Einzahl der Tumoren dieses keineswegs aus- 90, Heft 11, 19. März 1993 (37) A1-789 Dt. Ärztebl.

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Abbildung 2: Typi- sche Läsionen beim Von-Hippel-Liridau-

Syndrom:

a) Angiomatosis re- tinae: Ophthalmo- skopischer Befund mit rundem Tumor und versorgendem, Gefäßpaar, das er- weiterte Kaliber und Schlängelung auf- weist.

b) Hämangiobla- stom des ZNS: Klein- hirntumor mit großer Zyste (kleine Pfeile) und randständigem, durch Kontrastmittel dargestellem klei- nem soliden Anteil (große Pfeile).

Transversale Kern- spintomographie mit Gadolineum

c) Renale Läsionen: Bilaterale Veränderungen mit Zysten (oberer Schnitt rechts, mittlerer links), Nierenzellkarzinom (mittlerer Schnitt rechts) und septierter Raumforderung (unterer Schnitt); Computer- tomographie

d) Rechts Mitte: Extraadrenales Phäochromozytom des rechten Zuckerkandl'schen Organs neben der Aortenbifurkation; Kemspin- tomographie

e) Rechts unten: Multiple Pankreaszysten, Computertomographie

A1-790 (38) Dt. Ärztebl. 90, Heft 11, 19. März 1993

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schließt. Allen Patienten, bei denen eine der Hauptläsionen nachgewie- sen wird, sollte deshalb die Vorsor- geuntersuchung empfohlen werden;

dies gilt auch für die viszeralen Lä- sionen, außer für Nierenkarzinome, da diese zu häufig sind, als daß der Aufwand gerechtfertigt ist, wenn sie nicht multipel auftreten. Für die Be- ratung von Patienten, die nur eine der Hauptläsionen (Tabelle 1) ohne erkennbare Hinweise auf ein Von- Hippel-Lindau-Syndrom haben, ist wichtig, daß wir in einer größeren unausgewählten Serie für 86 Prozent aller Patienten mit Angiomatosis re- tinae, für 19 Prozent der Patienten mit Hämangioblastom des ZNS und für 19 Prozent der Patienten mit Phäochromozytom nach Durchfüh- rung des in Tabelle 2 aufgeführten Programms die Diagnose eines Von- Hippel-Lindau-Syndroms stellen konnten (18). Für die übrigen Pa- tienten ist die Annahme gerechtfer- tigt, daß es sich um sporadisch, das heißt nicht familiär aufgetretene Tu- moren handelt. Blutproben sollten asserviert werden, um nach Klonie- rung der für das Von-Hippel-Lin- dau-Syndrom verantwortlichen gene- tischen Störung eine solche Annah- me molekulargenetisch belegen zu können.

Prinzipiell sind auch Neumuta- tionen für das Von-Hippel-Lindau- Syndrom möglich. Voraussetzungen für eine solche Annahme sind voll- ständige Untersuchungen beider El- tern nach Tabelle 2 und Paternitäts- prüfung; allerdings können auch bei Genträgerschaft (nachgewiesen durch den Stammbaum) und Uber- schreiten des 35. Lebensjahres im Einzelfall auch bei Anwendung emp- findlicher und hoch auflösender Un- tersuchungstechniken keine Läsio- nen nachweisbar sein. Neumutatio- nen sind wahrscheinlich im Verhält- nis zur Gesamtzahl der Merkmals- träger selten. Hierfür spricht auch, daß nach unseren Erfahrungen die Kinderzahl von Genträgern nicht von der der Normalbevölkerung ab- zuweichen scheint. Für Patienten, die in Manifestationsspektren beide Minimalkriterien (siehe Definition) aufweisen, bei denen sich aber keine weiteren Merkmalsträger in der Fa- milie finden, ist davon auszugehen,

daß sie Genträger sind, das heißt auch ihre Kinder ein Risiko von 50 Prozent haben, die Anlage zu besit- zen.

Allgemein läßt sich für Kinder von Genträgern über das fünfzigpro- zentige Risiko hinaus, die Anlage zu erben, keine Aussage machen; dies gilt speziell für den eventuellen Zeit- punkt, die Zahl der Läsionen, die Zahl der involvierten Organe — mit Ausnahme des oben in diesem Ab- schnitt Gesagten — und die Schwere der Manifestation.

Die Fortschritte der Molekular- genetik des Von-Hippel-Lindau-Syn- droms erlauben die Durchführung von Genkopplungsanalysen. Hiermit läßt sich eine unbekannte Genträ- gerschaft mit hoher Wahrscheinlich- keit ausschließen beziehungsweise sichern. Blutproben von mindestens zwei verwandten Genträgern und nicht betroffenen nahen Verwand- ten müssen zur Verfügung stehen.

Auf die Begrenzung der Aussage- möglichkeiten des Verfahrens kann hier nicht eingegangen werden. Die Methode ist personell und zeitlich aufwendig. Die wenigen mit dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom ver- trauten Speziallaboratorien sind des- halb zur Zeit noch genötigt, dem Ziel der Aufklärung der Ursache, das heißt der Genklonierung Priorität einzuräumen. Die klinische Doku- mentation der Patienten wird jedoch hoch wichtig bleiben.

Betreuung

von Betroffenen und deren Familien

Patienten mit Von-Hippel-Lin- dau-Syndrom haben nicht selten odysseeartige Vorgeschichten, insbe- sondere, wenn Phäochromozytom- bedingte Symptome unerklärt blei- ben und Therapieversuche bis zur psychosomatischen Behandlung führten, oder wenn Hämangiobla- stom-bedingtes Erbrechen als ga- stroenterologische Erkrankung und Kopfschmerzen als psychogen miß- gedeutet wurden. Todesfälle von Verwandten in jungem Alter sind häufig eine schwere Belastung für neu als Genträger Erkannte. Pro-

spektiv ist von Bedeutung, daß das Risiko zu erkranken lebenslang be- steht. Das bedeutet, daß regelmäßi- ge Kontrollen (entsprechend Tabelle 2) derzeit von den meisten Zentren jährlich empfohlen werden. Sorgfäl- tig ist zu erwägen und zu erläutern, ob, wann und in welchem Umfang therapeutische Eingriffe angezeigt sind.

Der Autor hat damit begonnen, ein überregionales Register einzu- richten und ist für Meldungen von Erkrankungen aus dem Formenkreis des Von-Hippel-Lindau-Syndroms dankbar.

Dt. Ärztebl. 90 (1993) A 1-786-793 [Heft 11]

Danksagung

Für die Überlassung der Abbildun- gen danke ich Prof. Dr. D. Schmidt (Abb. 2a), Augenklinik, Prof. Dr. M.

Schumacher (2b), Abteilung Neuro- radiologie, und Priv.-Doz. Dr. B.

Wimmer sowie Priv.-Doz. Dr. H.

Friedburg (2c, d, e), Abteilung Rönt- gendiagnostik der Universität Frei- burg.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Hartmut P. H. Neumann Medizinische Universitätsklinik Abteilung IV

Hugstetter Straße 55

W-7800 Freiburg im Breisgau Dt. Ärztebl. 90, Heft 11, 19. März 1993 (41) A1-793

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