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it dem Entwurf einer EU- Richtlinie über den rechtli- chen Schutz biotechnologi- scher Erfindungen, sprich der Patentierbarkeit gentechnologi- scher Entwicklungen, wird sich das Europäische Parlament in erster Le- sung im März 1997 beschäftigen. Vor- aussichtlich. Die Brüsseler Kommissi- on hat jedenfalls einen Entwurf ausge- arbeitet. Vorausge-gangen ist ein fehlge- schlagener Versuch.
1995 scheiterte näm- lich ein Richtlinien- entwurf, über den nahezu zehn Jahre beraten worden war.
Von der geplan- ten Richtlinie ist auch die Pharmain- dustrie maßgeblich betroffen. Die for- schenden Arznei- mittelfirmen erhof- fen sich, daß in Eu- ropa endlich, ver- gleichbar den USA oder Japan, Rechts- sicherheit einkehrt, vor allem was den Patentschutz angeht.
Ihre Argumentation läßt sich – wir folgen hier dem Präsidenten der Eu- ropean Federation of Pharmaceutical Industries’ Associations, Prof. Dr.
med. Dr. rer. nat. h. c. Rolf Krebs – in vier Punkten zusammenfassen:
¿ Rechtlich: Mit der Patentie- rung einer gentechnologischen Ent- wicklung wird nicht Leben als solches patentiert, sondern ein neuartiges Therapiekonzept. Leben lasse sich nicht patentieren, gesteht Krebs Kriti-
kern auf dem Feld der Gentechnik ohne weiteres zu. Auch die Ent- deckung eines bestimmten Abschnit- tes auf der DNA sei für sich nicht pa- tentierbar. Patentierfähig und -be- dürftig sei vielmehr die technische Lösung, also Isolierung und Syntheti- sierung von Genen sowie Beschrei- bung des Anwendungszweckes.
Krebs in einem Gespräch mit der Redaktion: „Sobald chemisch nachsyn- thetisiert wird, sind Sie im technologi- schen Bereich.“
Die Patentrecht- ler halten die An- wendung des Patent- rechts auf die Gen- technik prinzipiell für zulässig. Aller- dings weicht die In- terpretation dessen, was im Einzelfall pa- tentierfähig ist, von Land zu Land erheb- lich voneinander ab, etwa bei der Frage, ob ein Patent „nur“
die rekombinante DNA-Technik oder auch transgene Tiere betreffen soll. Prof. Krebs sieht die Rechtsunsicherheit als einen erhebli- chen Nachteil für in Europa tätige Fir- men.
À Forschungspolitisch: Wenn es, so die Argumentation der forschen- den Industrie, nicht bald zu einer Rechtsangleichung in Europa kommt, dann wird sich die einschlägige For- schung, mehr noch als ohnehin schon, in Länder mit klarem Patentrecht ver- lagern. Das bedeute, so Krebs, nicht
nur Standortverlagerung, sondern das heiße vor allem, daß Forschern in Eu- ropa der Boden entzogen werde, es in Europa zu keiner dauerhaften For- schungskultur komme und damit ein dauerhafter Schaden entstehe.
Á Wirtschaftlich: Die Entwick- lung eines Arzneimittels ist teuer, eine Faustzahl lautet: rund 500 Millionen DM. Das Unternehmen ist deshalb auf eine exklusive Nutzung und einen entsprechenden Preis zwingend ange- wiesen. Deshalb das Beharren auf dem Patentschutz.
Auch Gentechnik ist teuer. Frei- lich lassen sich gentechnologisch er- zeugte Präparate insgesamt preiswer- ter produzieren, wenn einmal das Verfahren entwickelt ist. Das heißt, daß sich auch die Entwicklung von Arzneimitteln, die nur einen ver- gleichsweise geringen Markt haben, wirtschaftlich lohnen kann. Prof.
Krebs kommt mit einem Beispiel:
Traditionell sei ein Pharmaunterneh- men gezwungen, in den „großen Indi- kationen“ zu forschen. Man müsse weltweit auf einen Umsatz von rund 200 Millionen DM kommen. Bei gen- technologisch gewonnenen Präpara- ten könne schon ein Umsatz von 40 Millionen DM zu wirtschaftlichen Er- gebnissen führen.
 Medizinisch: Mit Gentechno- logie lassen sich Arzneimittel ent- wickeln, die nach herkömmlichen Methoden nicht oder nur mit nicht vertretbarem Aufwand entwickelt werden können; sie eröffnet vor allem aber einen gänzlich neuen For- schungsansatz. Krebs sieht „ein neues Zeitalter der Therapie: von der pallia- tiven Hilfe zur ursächlichen Behand- lung“. Und hierauf beruhen die großen Hoffnungen, die in die neuen Verfahren gerade von Patienten, die bisher an nicht behandelbaren Krank- heiten leiden, gehegt werden. Krebs:
„Es gibt große Patientengruppen, die sich nach einer wirksamen Behand- lung sehnen.“ Er habe kein Verständ- nis dafür, wenn Gegner der Gentech- nik aus einer fundamental ablehnen- den Haltung heraus solchen Patienten eine Behandlungschance verwehren.
Die Grenze der Forschung sieht Krebs zur Zeit in der Keimbahnthera- pie. Er führt dafür einen ganz prag- matischen Grund an: „Wir beherr- schen die Technik nicht.“ NJ A-3328 (28) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 50, 13. Dezember 1996
P O L I T I K AKTUELL
Die Argumente der forschenden Industrie
Rolf Krebs hofft auf Verständnis bei den Eu- ropa-Parlamentariern für die wirtschaftliche Nutzung der Gentechnik bei der Entwicklung von Arzneimitteln. Foto: Boehringer Ingelheim