A 1130 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 25|
20. Juni 2014E
s herrscht Optimismus in der Branche. Deshalb gab man sich selbstbewusst bei der Jahres - tagung des europäischen Dachver- bands der Selbstmedikationsher- steller (AESGP) Anfang Juni in London. Nicht verschreibungspflich- tige Arzneimittel könnten einen ent- scheidenden Beitrag dazu leisten, die Gesundheitssysteme weltweit zu entlasten. Denn diese würden durch den demografischen Wandel mit immer mehr alten und poten- ziell immer kränkeren Menschen sowie den steigenden Kosten für den medizinischen Fortschritt zu- nehmend unter Druck geraten, war man sich einig.„Die Welt wird älter, größer und kränker“, sagte der Geschäftsführer des Pharmakonzerns Novartis, Joe Jimenez, zum Auftakt der Konfe- renz. Bis 2025 würden sich die Ge- sundheitskosten weltweit verdop- peln, mit der Folge, dass die Ge- sundheitssysteme versuchen wür- den, Kosten zunehmend auf die Versicherten zu verlagern. Der Kon- zern sieht deshalb großes Potenzial im Geschäft mit nicht verschrei- bungspflichtigen Medikamenten. Um
die eigene Marktposition zu stär- ken, hat Novartis vor kurzem die Selbstmedikationssparte des Phar- mariesen GlaxoSmithKline über- nommen. Auch andere setzen auf diese Strategie. Erst Anfang Mai kaufte Bayer dem US-Konzern Merck & Co das Geschäft mit re- zeptfreien Medikamenten ab (siehe
„Das große Fressen“ in diesem Heft). „Wir müssen global agieren, damit sich unsere Investitionen rechnen“, sagte Jimenez in London.
86 Milliarden Euro Umsatz Rund 86 Milliarden Euro hat die Pharmaindustrie im vergangenen Jahr nach Angaben des Branchen- dienstes IMS Health weltweit mit re- zeptfreien Arzneimitteln umgesetzt.
Die jährliche Wachstumsrate liege mit 7,2 Prozent über der im Markt für verschreibungspflichtige Präpa- rate. In Deutschland geben Patienten jährlich sechs Milliarden Euro für rezeptfreie Arzneimittel aus. Auch hier gibt man sich zuversichtlich.
„Wir sind davon überzeugt, dass in der Selbstmedikation eine große Chance liegt“, sagte Dr. phil. nat.
Martin Weiser, Hauptgeschäftsfüh-
rer des Bundesverbands der Arz - neimittelhersteller (BAH). Die Fra- ge sei allerdings, wie sich langfris- tig die Patienten und Verbraucher in Deutschland verhalten würden. Seit vor zehn Jahren die nicht verschrei- bungspflichtigen Arzneimittel aus der Erstattungsfähigkeit der Kran- kenkassen herausgefallen seien, be- obachte man einen gewissen Vertrau- ensverlust. „,Nicht verschreibungs- pflichtig‘ wird möglicherweise gleich gesetzt mit ,nicht wirksam‘“, meinte Weiser. „Dabei sind rezeptfreie Arz- neimittel nur deswegen nicht mehr verschreibungspflichtig, weil sie vom Nutzen-Risiko-Profil her nebenwir- kungsarm sind.“
In Deutschland setzt die Bran- che deshalb auf die „arzt- und apo- thekergestützte Selbstmedikation“, wie Weiser es formuliert. Im ver- gangenen Jahr hätten Ärzte 42 Millionen grüne Rezepte ausge- stellt, auf denen sie ihren Patien- ten nicht verschreibungspflichtige Medikamente empfehlen.
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Heike Korzilius
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5 Fragen an Martin Weiser:www.aerzteblatt.de/59040
REZEPTFREIE ARZNEIMITTEL
Industrie sieht großes Potenzial
Bezahlen Patienten Arzneimittel aus eigener Tasche, entlastet das die Sozial - versicherungssysteme. Da diese zunehmend unter finanziellen Druck geraten, verspricht sich die Pharmaindustrie viel vom Geschäft mit rezeptfreien Präparaten.
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