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Archiv "Gesundheits-Reformgesetz: Medizinisch-wissenschaftliche Einwände gegen die Arzneimittel-Festbeträge" (06.10.1988)

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Die Internationale Kardiologi- sche Gesellschaft hat sich mit ihren wissenschaftlichen Councils wieder- holt mit der Arzneimitteltherapie befaßt. Die Vielfalt scheinbar ver- gleichbarer Wirkstoffe und Wirk- stoffgruppen wurde in allen gemein- samen Veranstaltungen der wissen- schaftlichen Councils festgestellt.

Die daraus gewonnenen Erkenntnis- se sollten auch bei der Erstellung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) berücksichtigt werden. Als Chairman des Scientific Board der Internationalen Kardiologischen Gesellschaft möchte ich einige Überlegungen zu den vorgesehenen Regelungen der Arzneiverordnung nach Festbeträgen darlegen.

Festbeträge

... für Arzneimittel mit

„denselben Wirkstoffen"

In Stufe 1 sind — laut GRG-Ent- wurf — für Arzneimittel mit densel- ben Wirkstoffen Festbeträge vorge- sehen. Aus pharmakologischer und praktisch-therapeutischer Sicht kann dieser Festbetragsregelung nicht zu- gestimmt werden, weil die entspre- chenden Voraussetzungen in der Bundesrepublik zur Zeit nicht gege- ben sind. Es erhebt sich die Frage, ob die jetzt im Handel befindlichen Arzneimittel aufgrund ihres gesam- ten Wirkungsspektrums überhaupt vergleichbar sind. Hier stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der so- genannten Generika. Ihre Zulas- sung erfolgte ohne die für ein Origi- nalarzneimittel erforderlichen Un- terlagen, die zur Abwägung von Nutzen (erwünschte Wirkung) und Risiko (unerwünschte Wirkungen) erforderlich sind, weil der Hersteller von Generika auf das Zulassungs-

dossier des Innovators verweisen könnte. Damit fehlt den Generika der Nachweis, daß Sie ein Original- präparat substituieren können.

Zweifellos gibt es unter den Herstellern von Generika absolut seriöse Firmen, die um die Wirk- samkeit ihrer Präparate besorgt sind und Vergleiche mit den Origi- nalia nicht zu scheuen brauchen.

Generell trifft eine solche Identität aber keinesweg zu. Soweit es sich um Arzneimittel mit nur schwacher Wirkung handelt, kann man auf dem Standpunkt stehen, hier entstünden keine Gefahren. Bei stark wirksa- men Substanzen können sich dage- gen erhebliche Konsequenzen für den Patienten ergeben.

Als Beispiel sollen Glibencla- mid-Präparate genannt werden. Nur ein Teil der Nachahmerpräparate er- reicht die Wirkung des Originalarz- neimittels Euglucon®. Das ist inzwi- schen mehrfach dokumentiert. Wie sollen Arzt und Patient aber im ein- zelnen erkennen, wie es sich um die Wirksamkeit, insbesondere um die Bioverfügbarkeit, den Abbau und die Ausscheidung usw. verhält?

Wenn der in Gruppe A eingeordne- te Wirkstoff der Preisvergleichsliste von 1988, der vom Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen bereits mit einem Warnhinweis bezüglich Wirksamkeitsunterschieden auf- grund unterschiedlicher galenischer Zubereitung versehen wurde, beim selben Patienten unterschiedliche Wirkungen hervorruft, so sind damit zwangsläufig Gefahren für den Pa- tienten eingeschlossen. Läßt sich der Arzt nur vom Prinzip der kostengün- stigen Verordnung leiten, so könnte er zur Erzielung eines normalen Stoffwechsels zum Beispiel 2 x 2 Ta- bletten eines Glibenclamid-Generi-

kums pro Tag verordnen. Bei Orts- oder Arztwechsel, aber auch bei Veränderungen des allgemeinen Ge- sundheitszustandes, etwa beim Auf- treten von Zweit- oder Dritterkran- kungen, könnte es vorkommen, daß ein Patient 2x 2 Tabletten eines stär- ker wirksamen Präparates verordnet bekommt, das erhebliche, in man- chen Fällen geradezu fatale Wirkun- gen im Sinne einer schweren Hypo- glykämie erzielen könnte. Gerade die Multimorbidität und die Spät- komplikationen bei solchen Kranken sind in hohem Maße zu beachten.

Glibenclamid ist nur ein Bei- spiel für zahlreiche andere hoch- wirksame Stoffe, mit denen der Arzt umgehen muß und jeweils zu ent- scheiden hat, welche Präparate aus- tauschbar sind. Hierzu zählen Anti- arrhythmika, Antiepileptika, Anti- koagulantien, Bronchodilatatoren, Herzglykoside, Koronartherapeuti- ka, Vasodilatatoren, Lipidsenker, Betasympathikomimetika, ja sogar Zytostatika.

Solange für Generika mit stark wirksamen Substanzen keine Unter- lagen über Bioäquivalenz, therapeu- tische Wirkung und Nebenwirkungs- quote vorliegen, wird ihre Einglie- derung unter die sicher wirkenden Arzneimittel fraglich bleiben. In meiner Sicht sind sie nicht festbe- tragsfähig, das heißt eine Festbe- tragsregelung dürfte erst nach Erfül- lung dieser Voraussetzungen durch- geführt werden. Das BGA hat die gravierende Lücke in der Zulassung von Arzneimitteln inzwischen er- kannt und hat am Beispiel der Nife- dipin/Unterlagen der Bioäquivalenz dieser Stoffgruppe in einer Mono- graphie zusammengestellt.

... für Arzneimittel mit „vergleichbaren Wirkstoffen"...

In Stufe 2 werden Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen ange- sprochen. Im GRG ist nicht defi- niert, welche der Wirkstoffe phar- makologisch-therapeutisch ver- gleichbar sind. Vermutlich würden Diuretika oder Calcium-Antagoni- sten oder Betarezeptorenblocker und andere dazu gezählt. Diese

Gesundheits-Reformgesetz

Medizinisch-wissenschaftliche Einwände gegen

die Arzneimittel-Festbeträge

Gotthard Schettler

Dt. Ärztebl. 85, Heft 40, 6. Oktober 1988 (35) A-2731

(2)

Wirkstoffe werden zur Therapie sehr verschiedener Krankheiten be- nutzt. So werden Betarezeptoren- blocker zur Behandlung der Hyper- tonie, der Angina pectoris, des Herzinfarktes in verschiedenen Sta- dien, bestimmte Formen der Herz- arrhythmie verwandt.

Der Arzt hat in Anbetracht der unterschiedlichen Wirkung der Be- tarezeptorenblocker die Therapie sehr sorgfältig zu gestalten. Betare- zeptorenblocker unterscheiden sich nämlich nicht nur chemisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Pharmakoki- netik, z. B. in ihrer Lipidlöslichkeit, Absorptions- und Ausscheidungsra- te, ihrer Verstoffwechselung, ihrer Halbwertszeit, ihrer Verteilung im Organismus usw. Das pharmakolo- gische Wirkungsspektrum ist ferner auf molekularer Ebene verschieden.

Die Folge sind unterschiedliche Wir- kungen. Es gibt Präparate mit unse- lektiver Blockade, gleichzeitig in Herzmuskel, Lunge, Leber und Nie- re usw., mit selektiver Blockade nur im Herzmuskel oder mit unselekti- ver Blockade mit intrinsischer Akti- vität, zusätzlich kann es zur Alpha- rezeptorenblockade kommen

Daraus folgt, daß für jeden Ein- zelfall entsprechende Indikationen zu stellen sind. So wird ein Arzt bei gleichzeitig bestehender zentralner- vöser Symptomatik (Lethargie, De- pression, Neigung zu Halluzinatio- nen) eine Hypertonie nicht mit dem gut lipidlöslichen Propanolol, son- dern je nach kardiovaskulären Be- gleiterkrankungen (Herzhypertro- phie, erhöhter peripherer Gefäßwi- derstand, verminderte ' Durchblu- tungsstörung) einem schlecht lipid- löslichen Betablocker behandeln.

Treten trotz erfolgreicher Senkung des Blutdrucks hypertone Krisen auf, deren Ursache eine nicht vor- aussagbare plötzliche Freisetzung von Noradrenalin mit Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstandes ist, wird man den unselektiven Beta- blockern Labatolol einsetzen, da er zusätzlich die Eigenschaft eines Al- pharezeptorenblockers besitzt. Den beta-I-selektiven Betablocker Aze- butolol wird man anderen beta-l-se- lektiven Blockern dann vorziehen, wenn eine atrioventrikuläre Überlei- tungsstörung vorliegt, die zur ge-

fährlichen Bradyarrhythmie führen kann. Azebutolol besitzt neben sei- ner beta-l-blockierenden auch eine intrinsische adrenerg-agonistische Aktivität, die der Bradyarrhythmie entgegenwirkt.

Dieses Beispiel zeigt außerdem, daß Molekülvariationen innerhalb der Gruppe der beta-l-selektiven Blocker zu pharmakodynamisch un- terschiedlichen Individuen führen.

Unter Berücksichtigung der Tatsa- che, daß Betarezeptorenblocker nicht nur zur Therapie der Hyperto- nie, sondern auch ganz anderer Krankheiten (Glaucoma simplex, Migräne, bestimmte Tremorformen) erfolgreich verordnet werden, kann nicht von pharmakologisch-thera- peutisch vergleichbarer Wirkung ge- sprochen und ein Festbetrag festge- legt werden.

. . . und mit

„vergleichbaren Wirkprinzipien"

In Stufe 3 des GRG ist die Ein- führung von Festbeträgen für „Arz- neimittel mit pharmakologisch ver- gleichbaren Wirkprinzipien" vorge- sehen, wobei vermutlich solche Arz- neimittel gemeint sind, die unabhän- gig von der individuellen Wirksub- stanz oder einer Kombination meh- rerer chemischer Individuen und ih- rem Wirkungsmechanismus einge- setzt werden. Dies gilt z. B. für die Therapie peripherer Durchblutungs- störungen, von Stoffwechselstörun- gen, von Hypertonie, von bestimm- ten Depressionsformen usw.

Hier gilt nun gleichfalls das, was bereits für die Stufe 2 ausgeführt wird. In der Strategie der Hoch- drucktherapie ist der Einsatz von Arzneimittelkombinationen vielfach üblich. Die Deutsche Liga zur Be- kämpfung des hohen Blutdrucks empfiehlt zum Beispiel bei milder Hypertonie ein Saluretikum oder ei- nen Betablocker oder einen Calci- um-Antagonisten. Bei mittelschwe- rer Hypertonie wird die Kombina- tion eines Saluretikums mit einem Betablocker oder einem Calcium- Antagonisten oder einem ACE- Hemmer oder einem postsynapti- schen Alphablocker empfohlen. Für die Behandlung der therapierefrak-

tären schweren Hypertonie empfiehlt die Liga eine Dreierkombination aus den vorgenannten Wirkstoffen.

Es ist nun zu fragen, ob für ein Arzneimittel der Dreierkombination derselbe Festbetrag wie für ein Salu- retikum festgeschrieben werden soll, oder ist an einen Festbetrag für alle antihypertensiven Wirkstoffe ge- dacht, die im Fall der Kombination addiert werden? Gerade auf dem Gebiet der Hypertonie wird intensiv geforscht, und es ist anzunehmen, daß in nächster Zeit andere Wirk- stoffe ins Spiel kommen. Dies gilt insbesondere für Wirkstoffgruppen, die zentral wirken. Möglicherweise wird man dann auch für komplizier- te Hypertonieformen mit einem Prä- parat auskommen Wie soll dann der Festbetrag errechnet werden? Fort- schritte in der Hochdrucktherapie würden zwangsläufig blockiert. Die- se Beispiele können für andere Krankheitsgruppen, etwa für die schweren Stoffwechselstörungen, für die Herzinsuffizienz, für korona- re und periphere Durchblutungsstö- rungen vermehrt werden.

Wenn die Lebenserwartung un- serer Bevölkerung in den letzten Jahren beträchtlich verbessert wur- de, und wenn insbesondere die Zahl beschwerdefreier Jahre vermehrt wurde, so ist dies nicht zuletzt eine Folge sinnvoll eingesetzter Thera- peutika. Die Fortschritte in der Arz- neimitteltherapie, welche in den letzten Jahren geradezu spektakulär zu nennen sind, werden durch büro- kratische Regelungen, wie sie jetzt vorgesehen sind, eingeschränkt oder in manchen Fällen sogar zunichte gemacht.

Man soll den Gesetzgebern die heute mehr denn je gültige Maxime Ludolf von Krehls nahebringen, daß der praktische Arzt nicht Krank- heiten, sondern kranke Menschen zu behandeln habe. Die personale Medizin im Sinne Krehls, Weizsäk- kers und Siebecks ist mit bürokrati- schen Verordnungen nicht zu prakti- zieren!

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Dr. h. c. mult.

Gotthard Schettler Bergheimer Straße 58 6900 Heidelberg 1 A-2732 (36) Dt. Ärztebl. 85, Heft 40, 6. Oktober 1988

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