F
ür Arzt und Patient ist es wich- tig, die für Patienten und auch sozioökonomisch als schwer- wiegend zu beurteilende chro- nisch-obstruktive Lungenerkrankung von der einfachen chronischen Bron- chitis abzugrenzen. Für beide Erkran- kungen sind Husten und mehr oder weniger meist zäher Auswurf Leit- symptome. Nach der WHO-Defini- tion liegt eine chronische Bronchitis vor, wenn Husten und Auswurf über wenigstens drei Monate in minde- stens zwei aufeinanderfolgenden Jah- ren bestehen. Die einfache Bronchitis hat isoliert keine prognostische Be- deutung, erfordert aber sorgfältige Beachtung, damit rechtzeitig Erkran- kungen wie Bronchialkrebs, Lungen- fibrosen und spezifische Infektionen (Lungentuberkulose besonders bei AIDS-Infizierten) sowie eine aller- gische Genese erkannt werden.Chronisch-obstruktive Bronchi- tis und Lungenemphysem werden auch als chronisch-obstruktive Lun- generkrankung zusammengefaßt.
Charakteristisch hierfür ist neben den Grundsymptomen Husten und Aus- wurf die Dyspnoe aufgrund einer la- tenten oder manifesten Bronchialob- struktion mit Atemnot.
Epidemiologie
Faßt man chronisch-entzündli- che Bronchiallungenerkrankungen unter dem ICD-Schlüssel 490 bis 496 zusammen, so wurden 1993 wegen dieser Gesundheitsstörungen 10 823 Frühberentungen und 38 288 sta- tionäre Heilbehandlungen von der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland fi- nanziert. Dabei fällt auf, daß der An- teil an Frühberentungen durch die Arbeiterrentenversicherung wegen dieses Krankheitskomplexes bei Männern 78 Prozent und bei Frauen 56 Prozent betrug, trotz eines Versi-
cherten-Anteils von nur 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen. Die Arznei- mittelkosten für „Broncholytika/An- tiasthmatika“ beliefen sich zu Her- stellerabgabepreisen auf 821,8 Millio- nen DM. Die standardisierte Sterbe- ziffer lag 1992 für Asthma bei 7,4 je 100 000 Einwohner und für chro- nisch-obstruktive Bronchitis und Lungenemphysem bei 19,8 je 100 000 Einwohner, wobei die Diagnosesiche- rung für die Ausgangsdaten nicht ge- währleistet ist (3).
Pathogenese
Bei der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung handelt es sich um einen Dauerzustand, während das Asthma bronchiale durch anfallartige Atemnot und variable Atemwegs- obstruktion gekennzeichnet ist. Am Beginn beider Erkrankungen stehen entzündliche Veränderungen der Bronchialschleimhaut. Der Schleim ist meist zäh und häufig von Entzün- dungszellen durchsetzt. Dyskrinie und entzündliche Schwellungen sind die Hauptursache für die Einengung der zentralen und/oder peripheren Luftwege, welche durch eine Kon- traktion der glatten Bronchialmusku- latur verstärkt werden kann (5). Sie führt durch einen exspiratorischen Ventilmechanismus zur Erweichung der Alveolareingangsringe, zur Atro- phie der intraalveolären Septen und somit zum Lungenemphysem. In letz- ter Zeit macht man vermehrt auch Störungen des Gleichgewichts zwi- schen Proteasen und ihren Inhibito- ren, besonders von neutrophiler Elastase und Antielastasen, sowie die
verminderte Entgiftung von reakti- ven Sauerstoffspezies verantwortlich.
Insofern ist es leicht verständlich, daß heute die Entzündungsvorgänge im Alveolarraum als Hauptursache für die Ausbildung eines Lungenemphy- sems gewertet werden. Eine klassi- sche Pathogenese liegt bei ererbtem schweren Alpha-1-Antitrypsin-Man- gel vor, wenn offensichtlich vorwie- gend die aus Leukozyten stammen- den Proteasen den Abbau des Lun- gengewebes bewirkt haben.
Diagnose
Der objektive Nachweis einer Bronchialobstruktion, die sich aus- kultatorisch durch ein abgeschwäch- tes Vesikuläratmen und durch gie- mende Atemgeräusche äußert, er- folgt durch die Ganzkörperplethys- mographie, die als Goldstandard gilt und auch das gesamte intrathorakale Gasvolumen anzeigt. Hilfsweise kann man das Atemstrom-/Atemvolumen- Diagramm (Flow-Volume-Kurve) an- fertigen, welches den verstärkten Ab- fall der Strömungsgeschwindigkeit während der Ausatmung mißt und vorwiegend über eine Einengung der peripheren Luftwege Aufschluß gibt.
Die einfachste, allerdings von der Mitarbeit des Probanden abhängige Methode ist die Durchführung des Atemstoßtests, der die Verminde- rung des maximal in einer Sekunde ausatembaren Atemvolumens in Prozent der Vitalkapazität anzeigt (FEV1). Die Totalkapazität ist ver- mehrt.
Röntgenologisch fallen überhelle Lungenfelder, abgeflachte Zwerchfel- le und oft eine glockenförmige Konfi- guration des Brustkorbs auf. Es wer- den auch vorwiegend im Bereich der Unterfelder grobe, unregelmäßige und streifige Verschattungen beob- achtet. Die hochauflösende Compu- tertomographie zeigt die emphysema-
A-235
M E D I Z I N KURZBERICHT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 (47)
Chronisch-obstruktive Bronchitis und
Lungenemphysem
Günter Fruhmann
1Hans-Joachim Woitowitz
21 Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin (Di- rektor: Prof. Dr. med. Günter Fruhmann), Lud- wig-Maximilians-Universität, München
2 Institut für Arbeits- und Sozialmedizin (Leiter:
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz), Justus-Liebig-Universität, Gießen
tische Zerstörung der Alveolarstruk- turen besonders eindrucksvoll, ist aber wegen ihrer im Vergleich zum Gesamtorgan räumlich sehr be- schränkten Aussagemöglichkeit und aus Gründen der Strahlen- und Ko- stenbelastung für die Emphysemdia- gnostik keine Standardmethode. Das klassische Bild einer mehr oder weni- ger fein gemusterten Lungenfibrose gehört nicht zur obstruktiven Atem- wegserkrankung.
Ätiologie
Die häufigste Ursache der chro- nisch-obstruktiven Lungenerkran- kung ist die Einatmung von aggressi- ven Stäuben und die damit verur- sachte Überforderung des intrapul- monalen Reinigungsmechanismus.
Im Vordergrund stehen die Rauchge- wohnheiten. Auch die Einatmung von hohen Schadstoffkonzentratio- nen am Arbeitsplatz begünstigt die Entwicklung einer obstruktiven Lungenerkrankung und eines Em- physems. Bekannt ist dies schon seit langem für die Einwirkung von Cad- miumstäuben. In jüngster Zeit wer- den auch Häufungen von Sympto- men einer chronischen Atemwegser- krankung in Textil-, Bau- und Trans- portbetrieben sowie an Schmelzöfen berichtet (1).
Chronische Bronchitis oder Emphysem als neue Berufskrankheit?
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben sich in den letzten Jahren da- hingehend verdichtet, daß durch die besonderen Einwirkungen im Stein- kohle-Bergbau unter Tage in erheb- lich höherem Grade eine chronisch- obstruktive Bronchitis oder ein Lun- genemphysem auftritt. Deshalb wur- de vorgeschlagen, zukünftig unter Nummer 4111 der Berufskrankhei- tenliste eine neue Berufskrankheit in den Anhang der für die Bundesrepu- blik Deutschland geltenden Berufs- krankheitenverordnung wie folgt aufzunehmen: „Chronisch-obstrukti- ve Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkoh- le-Bergbau bei Nachweis der Einwir-
kung einer kumulativen Feinstaub- dosis von in der Regel 100 [(mg/m3) mal Jahre]“. Die eingehende wissen- schaftliche Begründung liegt im Bun- desarbeitsblatt veröffentlicht vor (Nummer 10: 1995; 39-45). Jüngste Publikationen haben diesen Zusam- menhang weiterhin bestätigt (4). Aus einer Reihe epidemiologischer Un- tersuchungen ist ableitbar, daß bei dieser Personengruppe in der Regel nach einer kumulativen Feinstaubdo- sis von 100 [(mg/m3) mal Jahre] ge- genüber der übrigen Bevölkerung ei- ne Risikoverdoppelung eintritt, an ei- ner chronisch-obstruktiven Bronchi- tis oder an einem Emphysem zu er- kranken. Die kumulative Feinstaub- dosis errechnet sich aus der Fein- staubkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz in mg/m3, multipliziert mit der Anzahl der Expositionsjahre, bezogen auf 220 verfahrene Schich- ten zu je acht Stunden. Jeder Arzt und Zahnarzt in der Bundesrepublik ist verpflichtet, den begründeten Ver- dacht auf das Vorliegen einer der- artigen Berufskrankheit an die Berg- bau-Berufsgenossenschaft (Bochum) oder den zuständigen Landesge- werbearzt anzuzeigen. Zu beachten bleibt aber die in der Legaldefinition enthaltene Voraussetzung, wonach es sich um eine langjährige Unter-Tage- Tätigkeit im Steinkohle-Bergbau ge- handelt haben muß.
Therapie
Zunächst stehen die Beendigung der Rauchgewohnheiten und Staub- schutzmaßnahmen an erster Stelle.
Während beim Asthma der Einsatz inhalierbarer Kortikosteroide für die Entzündungsbekämpfung zum Stan- dard gehört, ist der therapeutische Nutzen dieser Wirkstoffgruppe für die chronisch-obstruktive Lungener- krankung noch nicht gesichert. Es mehren sich Mitteilungen, die auch für diese Indikation den erfolgreichen Einsatz von Kortikosteroiden berich- ten (2). Meist kommt man mit der in- halativen Applikation aus. Hilfreich ist eine täglich mehrfache Inhalati- onsbehandlung mit aerosolisierter isotonischer Kochsalzlösung, wobei die Tröpfchengröße zwischen ein und fünf µm Durchmesser betragen sollte.
Die Behandlung der Bronchialob- struktion erfolgt ferner durch die zunächst inhalative, wenn notwendig auch perorale Verabreichung von Beta-Sympathikomimetika, schließ- lich auch von Theophyllin-Präpara- ten. Infektbedingte Exazerbationen erfordern die vorübergehende Verab- reichung von Antibiotika. Für schwe- re Erkrankungsformen mit arterieller Hypoxie kommen eine Sauerstoff- langzeitbehandlung, eine intermittie- rende Selbstbeatmung, im Extremfall eines Lungenemphysems auch Lun- genvolumen-vermindernde Opera- tionen und die Lungentransplanta- tion in Betracht.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-235–236 [Heft 5]
Literatur
1. Burge PS: Occupation and chronic obstruc- tive pulmonary disease (COPD). Eur Respir J 1994; 7: 1032-1034
2. Guia de TS: Inhaled corticosteroids in COPD. Chest 1995; 108: 1486-1587 3. Lauber B: Sozialmedizinische Daten zu
chronisch-obstruktiven Atemwegserkran- kungen in der Bundesrepublik Deutsch- land. Atemw-Lungenkrkh 1996; 22: 63-72 4. Lewis S et al: A cross-sectional study of the
independent effect of occupation on lung function in British coal miners. Occup Environ Med 1996; 53: 125-128
5. Nolte D: Chronische Bronchitis – eine Volkskrankheit multifaktorieller Genese.
Atemw-Lungenkrkh 1994; 20: 260-267 6. Siafakas NM et al: Optimal assessment and
management of chronic obstructive pul- monary disease (COPD), ERS-Consensus statement. Eur Respir J 1995; 8: 1398-1420 7. Wettengel R et al: Empfehlungen der deut-
schen Atemwegsliga zur Behandlung von Patienten mit chronisch-obstruktiver Bron- chitis und Lungenemphysem. Med Klinik 1995; 90: 3-7
Anschriften der Verfasser:
Prof. Dr. med. Günter Fruhmann Vorstand von Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin,
Klinikum Innenstadt, und
Leiter der Pneumologischen Abtei- lung, Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München
Ziemssenstraße 1 80336 München Prof. Dr. med.
Hans-Joachim Woitowitz
Vorstand von Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin der
Justus-Liebig-Universität Gießen Aulweg 125/III · 35392 Gießen
A-236
M E D I Z I N KURZBERICHT
(48) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997