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Archiv "Opfer der Frauen" (15.12.1988)

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Bildern aus Liebhaberei be- schäftigt. Sein „Album" ist eine Sammlung von Fotos und mehr. Es sagt aus, veran- laßt zum Nachdenken seiner Begleittexte, zum Nachse- hen, Nachempfinden und Nachsuchen. Zum Beispiel nach dem Harfenspieler von Keros aus dem Nationalmu- seum von Athen. Wußten wir, daß er aus bronzezeit- licher Kultur und von den Kykladen, auf denen sich das kultische Zentrum Delos be- fand, stammt? Und warum er am Anfang steht — doch, je- dem seine eigenen Phanta- sien.

Die Erinnerung, die Do- kumentation, eine Anregung und eine Aufregung. Der Schriftsteller erlebt ein Bild, setzt es um in Sprache und Schrift, er verschlüsselt, ent- ziffert, deckt auf. Er ist be- müht, zu fesseln, zu interes- sieren, vielleicht auch zu überzeugen. „Schreiben be- deutet komponieren". Bilder einzubeziehen heißt zu über- höhen, nicht abzulenken, es heißt, das Sinnenhafte zu übertreiben. Eine sinnvolle, sinnliche Rundreise im Laby- rinth von Erinnerungen, Empfindungen, im bekann- ten und im unbekannten Ich der Vergangenheit und der Zukunft. Hier ein Dorf in In- dien, dort die City von New York. Wir leben mit den Ge- gensätzen der Gegenwart.

Dann die Torii, die „Ruhe- stätten der Vögel", die Tor- bögen vor Schinto-Schreinen in Japan. Und: auf vergilbten Fotos häufig der Vater. Phar- salos , der Ort in Mittelgrie- chenland, an dem die Ent- scheidungsschlacht zwischen Caesar und Pompejus 48 vor Christus stattfand. Weltbe- wegendes und Privates, Welt- abgewandtes.

Simons Album läßt auf ihn rückschließen und ver- birgt dennoch so viel, daß man ihn durch seine Bücher kennenlernen möchte. Au-.

ßerdem: jeder ist ein Ama- teur des Albums seiner eige- nen Vergangenheit und Zu- kunft — in Worten und Bil- dern.

Horst Linker

Zu entfliehen vor diesen ständigen Wiederholungen, den allzu spießigen Selbstver- wirklichungsideen, der satten Wohlstandsmentalität und ih- rer kaschierten Zerstörungs- wut — aus der Bundesrepublik Deutschland also (oder vor seinen eigenen Werken gar?)

— beabsichtigte Günter Grass, als er 1986 sein Reise nach Indien und Bengalen antrat. Eine unbewältigte Reise, die von einem Extrem ins andere führte und ihre Spuren in den Tagebuchauf- zeichnungen hinterließ: in Form einer Reisebeschrei- bung, eines Gedichtes und zahlreichen Zeichnungen.

Diese mußten schweigend die Lücken füllen, wenn dem Schriftsteller angesichts der ungewohnten Verhältnisse die wortgewaltige Sprache aus dem „Butt" oder der

„Rättin" versagte. Und mit vehementen Pinselstrichen

„fallen sie dem Autor dann zeichnend ins Wort", versu- chen dem Betrachter ein Ausmaß an Armut und Elend aufzudecken, das er mitver- ursacht, aber hierzulande wohl kaum kennenlernen wird.

Ein Gefühl scheint Gün- ter Grass beim Anblick der erbärmlichen Lebensverhält- nisse zu beschleichen, das auch Kali, die Göttin der

Günter Grass: Zun- ge zeigen, Luchterhand Literaturver- lag, Darm- stadt, 1988, 237 Seiten, 56 Abbildungen schwarz- weiß, gebun- den, 48 DM

Zerstörung, seinerzeit emp- funden haben mag, als sie Shiva den Kopf abschlagen wollte. Im letzten Moment noch schoß ihr die Zunge aus dem Mund. Seither gilt

„Zunge zeigen" in Bengalen als Zeichen von Scham.

Ein nachdenklich stim- mendes Buch, das wohl auch beim Leser das Gefühl hin- terläßt, „Zunge zeigen" zu müssen. UF

Opfer der Frauen

Martin Walser: Jagd, Ro- man, Suhrkamp Verlag, 1988, 223 Seiten, 30 DM

Gottlieb Zürn, den wir aus anderen Romanen Mar- tin Walsers schon kennen (und in seiner spröden, selbstunsicheren Art viel- leicht auch lieben gelernt ha- ben), ist wiederum die Hauptperson. Zürn ist älter geworden, hat sich aus seinen Immobiliengeschäften, so- weit es der Anstand als Fami- lienoberhaupt zuläßt, zurück- gezogen und den schnöden Gelderwerb seiner Ehefrau Anna überlassen, die eh viel lebenstüchtiger ist als er. So- lange Walser diese Art des leisen Rückzuges beschreibt und die Ängste um die auf

Abwege (das heißt ins Un- bürgerliche) geratene Toch- ter und seine mit Bewunde- rung und Unverständnis ge- mischte Liebe zur tüchtigen Ehefrau — solange erweist er sich in der Beschreibung die- ser Alltäglichkeiten als ein Meister des Beobachtens.

Aber dann kommt's leider furchtbar dicke, und die Flut der Unglaublichkeiten wird immer gewaltiger. Schon daß die zu einem „Quickie" be- reite Zufallsfreundin unseren

„Helden" wochenlang mit telefonischen und schrift- lichen Zudringlichkeiten ver- folgt, entspringt wohl mehr dem Wunschdenken des al- ternden Zürn (Walser?) und könnte als Episode eines Simmel-Romans durchge- hen. Dann aber wird es noch peinlicher. Zum Zwecke ei- nes erotischen Abenteuers vermittelt die hartnäckige Freundin dem Gottlieb Zürn ein Treffen mit ihrer Bekann- ten Annette Mittenzwei und

— oh wunderbare Namens- symbolik — diese junge Frau erweist sich als gespaltene Persönlichkeit. Ihre anson- sten gewährte sexuelle Frei- zügigkeit darf Gottlieb nicht genießen, sondern ihm offen- bart sie ihre von bösen politi- schen Mächten geschundene Seele, nicht ihren reizvollen Körper. Solcherart erschüt- tert und gefrustet, wird Gott- lieb im weiteren Verlauf sei- nes Ausflugs vom heimatli- chen Bodensee Opfer einer gutbürgerlichen Dame, die, weil jahrelang mit bezie- hungsweise neben ihrem be- wegungslos kranken Ehe- mann lebend, nunmehr der- art liebesdurstig ist, daß Gottlieb ihrer Gier buchstäb- lich erliegt.

Natürlich kehrt er zurück zur Ehefrau an den Boden- see, und endete der Roman nicht an dieser Stelle, so wäre wohl aus der Beschreibung der Wiederkehr in die Rolle des Ehemanns, Vaters und Geschäftsmannes wohl wich- tigere psychologische Er- kenntnisse zu ziehen als aus den geschilderten „spannen- den" Ereignissen.

Adelheid Müser A-3620 (86) Dt. Ärztebl. 85, Heft 50, 15. Dezember 1988

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