A2092 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 3027. Juli 2007
P O L I T I K
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er Mehrheitsvorschlag des Nationalen Ethikrats für ei- ne Lockerung des bisher geltenden Stammzellgesetzes ist keine Über- raschung. Vielmehr liegt er im gegen- wärtigen Trend. So hatte sich zu- nächst die Deutsche Forschungsge- meinschaft (DFG) für eine Aufhe- bung der Stichtagsregelung einge- setzt, zahlreiche Stammzellforscherunterstützten diese Forderung. Jetzt hat sich der Nationale Ethikrat die- ser Linie angeschlossen. In einer am 16. Juli vorgelegten Stellungnahme plädierte er mehrheitlich für eine Novellierung des Stammzellgeset- zes. Nach diesem Gesetz dürfen in Deutschland keine embryonalen Stammzellen hergestellt werden.
Stammzellen jedoch, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden, dürfen importiert werden.
Eine Mehrheit (14 von 24 Mit- gliedern) des Nationalen Ethikrats plädiert jetzt dafür, die Stichtagsre- gelung aufzuheben und stattdessen
„eine praktikable und zuverlässi- ge Einzelfallprüfung“ einzuführen.
Dabei müsse feststehen, dass die Herstellung der betreffenden Zell- linien „weder vom Antragsteller selbst veranlasst noch sonst von Deutschland aus bewirkt wurde“.
Die Verwendung von embryonalen Stammzellen, die zu kommerziellen Zwecken hergestellt wurden, sollte ausgeschlossen sein. Die Ratsmehr- heit fordert außerdem, die Straf- vorschriften des Stammzellgesetzes aufzuheben. Jede von Deutschland aus erfolgende Beteiligung am Ver- brauch extrakorporal erzeugter Em- bryonen im Ausland sei ohnehin nach dem Embryonenschutzgesetz strafbar. Der Import und die Ver- wendung embryonaler Stammzellen sollten nicht nur für die Forschung, sondern auch für Diagnosezwecke und die Behandlung von Krankhei- ten zulässig sein.
Neun Mitglieder des Nationalen Ethikrats sehen dagegen in einer Novellierung des Stammzellgeset- zes keine Fortschreibung des einmal erreichten Kompromisses, sondern dessen „substanzielle Änderung und Aufkündigung“ sowie eine
„Aushöhlung der derzeitigen nor- mativen Grundlagen im Umgang mit menschlichen Embryonen“.
Außerdem sei es nicht absehbar, ob und wann sich aus embryonalen be- ziehungsweise pluripotenten Stamm- zellen wirksame Therapien ent- wickeln ließen.
Unterschiedliche Positionen des Minderheitenvotums
Die Befürworter des Minderheiten- votums vertreten zwei unterschied- liche Positionen. Die eine will es bei der bestehenden Stichtagsregelung belassen, die andere will die „nor- mativen Grundpositionen und damit das Embryonenschutzgesetz neu diskutieren“. In diesem Fall müsste dann auch geprüft werden, ob es nicht doch konsequenter wäre, die in Deutschland verfügbaren, nicht mehr für Fortpflanzungszweckebenötigten Embryonen und be- fruchteten Eizellen im Vorkernsta- dium für die Forschung zu nutzen, als immer wieder neue embryonale Stammzellen aus dem Ausland zu importieren. Der Augsburger Weih- bischof Anton Losinger, der katholi- sche Moraltheologe Prof. Dr. theol.
Eberhard Schockenhoff und der Vertreter der Behindertenverbände, Dr. phil. Peter Radtke, betonten in einem Zusatzvotum, dass das Be- kenntnis zu Menschenwürde und Lebensschutz nur noch deklaratori- schen Wert habe, „wenn es jederzeit suspendiert werden kann, sobald ihm andere Interessen gegenüber- stehen“.
Warnung vor Aufweichung des Embryonenschutzes
Die Deutsche Bischofskonferenz warnt in einem Statement zur Stel- lungnahme des Nationalen Ethik- rates „eindringlich vor einer weite- ren Aufweichung des Embryonen- schutzes“. Zwar gingen alle drei Vo- ten vom Schutzgedanken des Geset- zes aus: der Verpflichtung des Staa- tes, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen. „Doch verlässt das erste Votum deutlich diesen Schutzge- danken, wenn sich die 14 Unter- zeichner dafür aussprechen, die Stichtagsregelung abzuschaffen.“Die Deutsche Forschungsgemein- schaft begrüßt dagegen die Stel- lungnahme. „Sie sieht darin einen positiven Schritt in der Diskussion um die Änderung des Stammzell- gesetzes“, erklärte der Vizepräsi- dent der DFG, Prof. Dr. rer. nat. Jörg Hinrich Hacker. Bundeskanzlerin Angela Merkel schließt eine Än- derung des Stammzellgesetzes nicht aus. Bundesforschungsminis- terin Annette Schavan (CDU) führe derzeit „die notwendigen Gesprä- che“, sagte die Kanzlerin.
Der Nationale Ethikrat war 2001 von der damaligen rot-grünen Re- gierung eingesetzt worden. Er soll vom Deutschen Ethikrat abgelöst werden, dessen Schaffung der Bun- destag im Frühjahr beschloss. n Gisela Klinkhammer
NATIONALER ETHIKRAT
Mehrheit für Änderung des Stammzellgesetzes
In seiner letzten Stellungnahme setzt sich der Ethikrat für eine Liberalisierung der Stammzellforschung ein.
Für Diskussionen sorgte die Stellung- nahme des Natio- nalen Ethikrats
„Zur Frage einer Änderung des Stammzellgeset- zes“, die von der Vorsitzenden des Gremiums, Kristiane Weber-Hassemer, in Berlin vorgestellt wurde.
Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats ist abrufbar unter www.aerzteblatt.de/plus3007.
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Foto:dpa