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A642 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1012. März 2005 T H E M E N D E R Z E I T
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ine mir gänzlich unbekannte Patientin stellt sich in meiner Sprech- stunde vor; ich frage sie betont höflich, was ich für sie tun könne. Er- ste Eindrücke sind schließlich entscheidend, auch für den hoff- nungsvollen Auftakt einer zufriedenen und erfolgreichen Arzt-Patien- ten-Beziehung. „Also hören Sie mal, Herr Doktor . . .“, schrille Töne zerschneiden das soeben aufgenommene zarte Band der Kommunikati- on, „. . . Moment mal, mein Handy . . .“, sie fingert es aus ihrer Handta- sche, „ . . . hallo Erna, schön dass du anrufst . . . ja, du ich auch . . . du, ich bin jetzt beim Arzt . . . bis später!“ Sie legt das Handy wieder weg.„Das war meine Schwester“, bekomme ich mitgeteilt. Ich versuche vor- sichtig, das Gespräch auf den Grund ihrer Konsultation zu lenken. Weit komme ich nicht, die schrägen Sinustöne unterbrechen erneut meine medizinisch-therapeutischen Avancen. „Oh, das ist aber schön, dass du anrufst . . . damit hätte ich aber gar nicht gerechnet . . .“ Die zwangswei- se Belauschung des Telefonats gibt mir zwar keine Aufschlüsse über die
Erkrankung meiner Patientin, aber viel Gelegenheit, über Handys nach- zudenken. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich bei den ersten Han- dy-Nutzern das Festhalten ebendieses Apparates mit einem tonisch-klo- nischen Krampf verwechselt hatte. Heute, wo es doch kaum möglich ist, im Supermarkt, in der Bahn oder auf der Straße nicht mit handysieren- den Mitbürgern zu kollidieren, kann ich über meine damaligen Fehldia- gnosen nur schmunzeln. Und doch bleibt an den Telefonierern irgendet- was Psychiatrisches haften: diese stakkatoartigen, dem Kontext beraub- ten Sätze; das unkoordinierte Fuchteln mit dem noch frei zur Verfügung stehenden Arm, der Torticollis-artige Schiefhals . . .; meine Patientin reißt mich aus meinen Gedanken. „Das war mein Onkel aus Mallorca, stellen Sie sich vor, der lebt schon sieben Jahre da“, berichtet sie stolz.
„Da scheint es ihm ja besser als Ihnen zu gehen“, versuche ich vorsich- tig, die Konversation auf medizinische Inhalte zu lenken. Das Handy quäkt erneut. „Ja . . . schön dass du anrufst . . nein, das habe ich nicht vergessen . . . natürlich werde ich mir das nicht bieten lassen . . . ich ruf’
dich dann sofort zurück!“ Ich überlege mir, ob die Einrichtung eines Störsenders in Arztpraxen zur signifikanten Vermin- derung der Wartezeiten beitragen könnte, aber: „Das war meine Mutter, die war schon bei so vielen Ärzten gewesen! Sie sagt, man müsse überall so lange war- ten, kein Arzt hört einem zu, und die wollen gar nicht wissen, was einem wirklich fehlt! Also, wenn ich mir das so recht betrachte, Herr Doktor: Da hat sie voll- kommen Recht!“ Dr. med. Thomas Böhmeke