Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 42|
16. Oktober 2009 A 2053 NOBELPREIS FÜR CHEMIEAntibiotikaentwicklung gefördert
Für die Entschlüsselung der räumlichen Struktur der Ribosomen sind drei Wissenschaftler ausgezeichnet worden. Ihre Arbeiten hätten wesentlich zur Entwicklung und Optimierung von Antibiotika beigetragen, so das Nobelpreiskomitee.
O
hne sie geht nichts in der Zelle: Ribosomen sind das Kernstück der Eiweißsynthese, in ihnen wird der genetische Code, verschlüsselt in der Boten-RNA, in die Aminosäuresequenz der Protei- ne umgesetzt. Der diesjährige Che- mie-Nobelpreis geht an drei Wissen- schaftler, die Struktur und Funkti- onsweise der Ribosomen aufgeklärt haben: Prof. Dr. rer. nat. Venka - traman Ramakrishnan vom MRC Laboratory of Mo- lecular Biology im bri- tischen Cambridge, an den US-amerika- nischen Biophysiker Prof. Dr. rer. nat.Thomas A. Steitz von der Yale Uni- versity in New Ha- ven und an Prof. Dr.
rer. nat. Ada E. Yonath, Direktorin des Helen-und- Milton-A.-Kimmelman-Zen- trums für Biomolekulare Struktur und Komplexe am Weizmann-Insti- tut im israelischen Rehovot.
Jede Sekunde verlässt ein neu ge- bildetes Protein ein Ribosom, wie am Fließband. Die Makromolekülkom- plexe, von denen jede Zelle Hundert- tausende besitzt, sind äußerst pro- duktiv, und deshalb sind bakterielle Ribosomen eine wichtige Zielstruk- tur für Antibiotika: für Aminogly - koside, Makrolide, Streptogramine, aber auch neuere Substanzklassen wie Oxazolidinone (Linezolid), die lebensrettend sein können, wenn äl- tere Antibiotika nicht mehr wirken.
Gezielte Blockade
Die drei Wissenschaftler haben un- abhängig voneinander Modelle für die dreidimensionale Struktur der Ribosomen erstellt und damit „ent- scheidend zur Entwicklung moder- ner Antibiotika beigetragen, die die
Ribosomen von Bakterien blockie- ren“, begründet das Nobelpreisko- mitee die Auszeichnung. Die Ent- wicklung neuer Substanzen sei not- wendiger denn je.
Ribosomen enthalten Ribonu- kleinsäuren und Proteine. Zwei ver- schieden große Untereinheiten ar- beiten dabei zusammen. Herzstück der Ribosomen ist das Peptidyl-
transferasezentrum (PTC), dort findet die Katalyse statt. Wie
durch eine Röhre wird die wachsende Peptidkette
Schritt für Schritt nach außen geschoben. Die kleinere Ribosomen-
untereinheit steuert die „Dechiffrierein- heit“ bei und kontrol- liert die korrekte Über- setzung der Basenpaar- abfolge in die Aminosäu- reseqenz. Hauptarbeit leisten RNA-Moleküle (Ribozyme), nicht Proteine – auch das ein
Ergebnis der Forschung der Nobelpreisträger.
Die dreidimensionale Form der Ribosomen ist mit der Röntgenstrukturanalyse dar- gestellt worden. Voraussetzung für deren Anwendung war die Kristalli- sation, die bei den Ribosomen lange wegen ihrer Größe, Flexibilität und funktionellen Heterogenität als un- möglich galt. Die endgültige atomare Struktur lag erst im Jahr 2000 vor.
„Etwa 15 Jahre hat Yonath ver- sucht, gute Kristalle zu erzeugen, die eine hohe Strukturauflösung im Röntgenstrahl brachten“, erin- nert sich der ehemalige Mitarbeiter Dr. Frank Schlünzen vom Max- Planck-Institut für Molekulare Ge- netik in Berlin im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Schlün- zen hat mit Yonath in der Max- Planck-Arbeitsgruppe am DESY in
Hamburg geforscht, wo Röntgen- strahlen in einem Synchrotron er- zeugt werden.
Mit der von Yonath etablierten Methode der Kryokristallografie bei Temperaturen von –185 Grad Celsius gelang es, ribosomale Kom- plexe in verschiedenen Phasen der Proteinsynthese zu kristallisieren und die genaue dreidimensionale Struktur und Architektur der klei- nen ribosomalen Untereinheit zu bestimmen. Yonath und ihr Team verwendeten unter anderem schwe- re Atome als Markierungen. Diese stehen aufgrund ihrer hohen Elek- tronendichte wie Fähnchen auf der ribosomalen Elektronendichtekarte und erlauben eine exakte Lagebe- stimmung bestimmter Funktionsein- heiten innerhalb des Ribosoms. Mit- hilfe dieser Methode konnte nachge- wiesen werden, dass sich Makrolide, Lincosamide und Chloramphenicol nur an die RNA im PTC binden und nicht in Wechselwirkung mit riboso- malen Proteinen treten.
Ada Yonath (Jahrgang 1939) stammt aus Jerusalem, studierte Chemie und Biochemie an der He - bräischen Universität und promo- vierte am Weizmann-Institut in Re- hovot. Nach Aufenthalten in den USA kehrte sie 1970 nach Jerusa- lem zurück.
Venkatraman Ramakrishnan wur- de 1952 in Indien geboren. Ab 1976 studierte er in den USA, zunächst Physik, dann Biologie. 1995 wurde er Professor am Institut für Bio - chemie der Universität Utah, 1999 wechselte er nach Cambridge.
Thomas Steitz, 1940 in Wisconsin geboren, studierte Chemie. Er pro- movierte an der Harvard University in Boston, Massachusetts. Seit 1970 arbeitet er an der Yale University in New Haven, Connecticut. ■
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Ribosomen, hier
aus einem Zell - modell vergrößert, produzieren wie am Fließband: ein Protein pro Sekunde.
Abbildung: picture-alliance/medical picture