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Archiv "Nobelpreis für Chemie: Karriere einer Legende" (19.10.2001)

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m Beispiel Contergan kam kaum einer vorbei, der sich letzte Woche mit dem Chemie-Nobelpreis be- fasste. Das Mittel, das in den 60er-Jahren der bislang größten deutschen Arznei- mittelkatastrophe seinen Namen gab, ist ein „Racemat“ – ein Gemisch aus zwei spiegelbildlichen Varianten der anson- sten chemisch identischen Substanz Tha- lidomid. Und es hält sich der Glaube, dass sich die Missbildungen bei mehr als 10 000 Kindern durch das Auftrennen des Gemisches in seine zwei Formen hätte verhindern lassen können.

Das eine Enantiomer, wie Chemiker die spiegelbildlichen Varianten be- zeichnen, sei dasjenige, das die positi- ven, beruhigenden Eigenschaften habe, während die andere Variante für die Missbildungen verantwortlich sei, glau- ben die meisten Forscher. Sogar das Nobelkomitee verwendete in seiner Be- gründung für die Verleihung des Che- mie-Nobelpreises das Beispiel, um zu illu- strieren, wie extrem unterschiedlich sich Bild und Spiegelbild eines Medikamen- tes auswirken können (www.nobel.se/

chemistry/laureates/2001/public.html).

Die Auszeichnung teilen sich zur ei- nen Hälfte der Amerikaner William Knowles, der bis zu seiner Pensionie- rung beim Chemiekonzern Monsanto gearbeitet hat, und der Japaner Ryoji Noyori von der Nagoya University in Japan. Die andere Hälfte geht an den Amerikaner K. Barry Sharpless. „Ihre Arbeiten . . . erlaubten die Entwicklung vieler neuer Medikamente und Roh- stoffe“, schildert das Nobelkomitee.

Doch was Contergan angeht, ist der Glaube, dass das eine Enantiomer das

„Gute“ und das andere das „Böse“ sei, völlig unbewiesen. Vielmehr ist das berüchtigte Schlafmittel ein Beispiel, wie leicht sich auch in den Naturwissen- schaften Legenden verbreiten können.

Trotz intensiver Forschung ist die Ursa- che der Teratogenität von Thalidomid bis heute nicht aufgeklärt.

Der Glaube an die Enantiomere geht zurück auf 22 Jahre alte Versuche an Mäusen. 1979 hatten Forscher den Tie- ren jeweils nur eines der beiden Thali- domid-Enantiomere gegeben und dann angeblich unterschiedliche Missbildungs- raten beobachtet – der Mythos war ge- boren (Arzneimittelforschung 1979; 29:

1640–1642). Mittlerweile zeigen aber neuere Untersuchungen, dass auf diese Tierversuche kein Verlass ist.

Unter anderem haben die Forscher damals nicht beachtet, dass

sich die beiden Thalidomid- Enantiomere im Körper innerhalb von wenigen Stunden ineinander umwandeln (Nature 1997; 385: 303). „Das heißt: Gleichgültig wel- che Variante man ver- abreicht, im Körper ent- stehen und wirken beide“, schildert ein Sprecher der Pharmafirma Grünenthal, die Conter- gan damals auf den Markt gebracht hat- te. Zudem haben Forscher 1994 in weiteren Experimenten mit stabileren Abkömmlingen der Substanz beobach- tet, dass ein und dasselbe Thalidomid- Enantiomer sowohl positive als auch negative Effekte hatte. Das alles wider- spricht dem Glauben, dass sich die Con- tergankatastrophe durch Verabrei- chung nur eines der Enantiomere hätte verhindern lassen.

Das wäre nicht nur von geschichtli- chem Interesse. Thalidomid hat im- munmodulierende Eigenschaften, we- gen deren es derzeit bei schweren Er- krankungen wie Lepra, Aids, Graft ver- sus Host Disease, Tuberkulose und Krebs erprobt wird. Auch in diesen Stu-

dien wird das Racemat erprobt, weil es bislang keinen Nachweis gibt, dass die immunmodulierenden Eigenschaf- ten von den teratogenen Eigenschaften trennbar sind. Es scheint allerdings, dass sich der schöne Mythos von der

„benignen“ und der „malignen“ Con- tergan-Schwester sobald nicht ausrot- ten lassen wird: Alleine im Internet wird die 22 Jahre alte Legende auf meh- reren Dutzend Webseiten verbreitet.

Dennoch haben die Träger des Che- mie-Nobelpreises die Auszeichnung zu Recht verdient. Denn das Phänomen, dass viele Naturstoffe in spiegelbildli- chen Varianten auftreten, zieht sich als roter Faden durch die Arzneimittelfor- schung.

Den Nobelpreis haben die drei For- scher erhalten, weil sie die ersten wa- ren, die chemische Reaktionen so zu steuern lernten, dass von zwei spiegel- bildlichen Formen die eine bevorzugt hergestellt wird. Knowles arbeitete 1968 beim Chemie- und Pharmakon- zern Monsanto an „Katalysatoren“, den Substanzen, welche chemische Re- aktionen erleichtern, dabei aber selbst unverändert bleiben.

Knowles’ Idee war es, Ka- talysatoren herzustellen, die selbst asymmetrisch sind und die deshalb be- vorzugt eines von zwei möglichen Reaktions- produkten entstehen las- sen. Monsanto nutzte die Entdeckung schnell zur Her- stellung von L-Dopa, mit dem auch heute noch Parkinson-Patienten behandelt werden.

Diese Vorarbeiten stimulierten Noyo- ri in Japan, die Funktionsweise dieser Katalysatoren genauer zu studieren. Er entwickelte weitere und bessere Kata- lysatoren, die seitdem unter anderem bei der Herstellung von Antibiotika verwendet werden. Doch auch diese Katalysatoren konnten nur bestimmte Typen von Reaktionen beschleunigen.

Es war Sharpless, der das Spektrum der Rohstoffe enorm erweiterte, weil er einen weiteren Typ von Katalysatoren entwickelte, der in der Lage war, Sauer- stoff gezielt zu übertragen. Produkte dieser Synthesen werden noch heute für die Herstellung von Betablockern ver-

wendet. Klaus Koch

P O L I T I K

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A2690 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 42½½½½19. Oktober 2001

Nobelpreis für Chemie

Karriere einer Legende

Die Laureaten erforschten die spiegelbildchen Varianten von Arzneimitteln. Ein Beispiel dafür ist der Wirkstoff Thalidomid, besser bekannt unter seinem Handelsnamen Contergan.

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