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Archiv "Nobelpreis für Chemie an Kary Mullis: Ein Kommentar aus medizinischer Sicht" (17.12.1993)

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MEDIZI KURZBERICHT

Nobelpreis für Chemie an Kary Mullis

Ein Kommentar aus medizinischer Sicht

Matthias Volkenandt

V

ermutlich geschieht es heute nicht mehr allzu häufig, daß ein nächtlicher Geistesblitz ei- nes einzelgängerischen For- schers weltweite Bedeutung erlangt und mit der höchsten wissenschaftli- chen Ehre ausgezeichnet wird — und dennoch war ein Nobelpreis für Kary B. Mullis, den Erfinder der Poly- merasekettenreaktion (Polymerase Chain Reaction; PCR), zu erwarten.

Nicht als Ergebnis jahrelanger Arbeit einer großen Gruppe von intensiv an einer Fragestellung arbeitenden Wis- senschaftlern, sondern im Kopf eines ungewöhnlichen Biochemikers, der in einem Servicelabor Reagenzien für andere Forscher herstellte, im Moment einer Rechtskurve während einer nächtlichen Autofahrt durch das Hochgebirge von Kalifornien an einem Freitag im April des Jahres 1983 (1) geschah die Idee der PCR.

Ähnlich wie die Entwicklung eines Verfahrens zum Einfügen definierter Mutationen in die DNA durch Mi- chael Smith, mit dem sich Mullis den diesjährigen Nobelpreis für Chemie teilt, hat die PCR eine kaum zu über- schätzende Bedeutung in nahezu al- len Bereichen der Naturwissenschaf- ten, in denen molekularbiologisch ge- arbeitet wird, erlangt.

Auch in der Vor-PCR-Ära konnte DNA untersucht werden. Die Analysen waren jedoch häufig äu- ßerst zeitaufwendig und umständlich.

Analysen eines Gens sind nur an- hand einer hohen Anzahl von Kopien des Gens, die oft erst künstlich her- gestellt werden müssen, möglich. Da ein interessierendes Gensegment je- doch nur einen fast unendlich klei- nen Bruchteil der gesamten DNA ei- ner Zelle ausmacht, mußten sehr auf- wendige und nicht immer erfolgrei- che Verfahren, wie zum Beispiel das Vermehren von DNA-Abschnitten in Bakterien (Klonieren), angewendet werden. Durch die PCR hat sich die-

Kary B. Mullis

se Situation dramatisch verändert.

Mittels der PCR kann nämlich inner- halb der gesamten DNA, die relativ leicht aus Zellen zu gewinnen ist, ein bestimmtes Gensegment unmittelbar entdeckt und anschließend hochspe- zifisch vermehrt werden. So wird durch die PCR nicht nur eine Steck- nadel im Heuhaufen unmittelbar auf- gefunden, sondern es wird diese Stecknadel auch innerhalb von Stun- den auf eine vielfache Größe des dann klein erscheinenden Heuhau- fens spezifisch vermehrt. Diese Ver- mehrung erfolgt im Rahmen einer zyklischen Temperaturänderung über etwa zwei bis drei Stunden und durch Hinzugabe von kurzen, künst- lich hergestellten DNS-Sonden, die flankierend an das interessierende Gensegment anbinden (hybridisie- ren) und zwischen denen durch ein Enzym Kopien des Gensegmentes synthetisiert werden. Hierbei kommt es zu einer exponentiellen und spezi- fischen Vermehrung, so daß nach et- wa 30 Zyklen bis zu 10 9 Moleküle des Gensegmentes vorliegen. Wenige Moleküle dieses Gens, im Prinzip ein einziges, reichen aus, um nach Am-

plifikation mittels PCR sichtbar und analysierbar zu werden. Dies ermög- licht auch detaillierte Studien an kleinen biologischen Proben (Bluts- tropfen, Abstrichmaterial, Liquor, kleine Hautbiopsien). Auch archi- viertes, fixiertes, in Paraffin eingebet- tetes Gewebe kann analysiert wer- den. Sogar molekularbiologische Un- tersuchungen im Bereich der Foren- sik (etwa die Analyse von einzelnen Haaren als biologisches Indiz am Tatort) oder der Paläoanthropologie (Mumien) wurden möglich. DNA- Stücke spezifisch für bestimmte Mi- kroorganismen oder Onkogene bei Tumoren können höchst sensitiv nachgewiesen und analysiert werden.

Punktmutationen mit großer Bedeu- tung in der Pathogenese von Stoff- wechselerkrankungen und bei ver- schiedenen Tumorerkrankungen können dargestellt werden. Das „Hu- man Genom Project", mit dem Ziel, bis zum Jahre 2010 das gesamte menschliche Genom zu kennen, wäre ohne die PCR undenkbar.

Ohne Zweifel hat die PCR ganz wesentlich dazu beigetragen, daß molekulare Analysen auch innerhalb einer klinisch orientierten Forschung und Diagnostik verfügbar wurden.

Allerdings bleiben auch hier trotz au- genscheinlicher Einfachheit moleku- lare Untersuchungen bei rechter Durchführung aufwendig und schwierig und erfordern umfangrei- che methodische Erfahrungen. Auf die Möglichkeit falsch positiver PCR- Befunde und von Fehlinterpretatio- nen wurde vielfach hingewiesen.

Weiterhin muß im Enthusiasmus des Anbruchs der molekularbiologisch- diagnostischen Ära innerhalb der Medizin zugleich auch sehr nüchtern überlegt werden, wo diese Verfahren nun wirklich und auf Dauer ihren Ort haben. Daß molekulare Metho- den etwas des Erregernachweises verfügbar sind, heißt noch nicht, daß sie immer und überall angewendet werden müssen und allerorts Ergeb- A1-3388 (54) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993

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MEDIZIN

nisse von unzweifelhafter klinischer Relevanz erbringen. Sicher werden im klinischen Alltag die etablierten Methoden etwa der klinischen und histomorphologischen Diagnostik grundlegende Bedeutung behalten, zwar durch molekulare Verfahren Ergänzung finden, doch nur in sehr umschriebenen Situationen wirklich überholt werden. Zugleich jedoch wird die durch PCR ermöglichte Schnelligkeit des Erkenntnisgewinns etwa im Bereich der molekularen Pathogenese zahlreicher Erkrankun- gen unmittelbaren Einfluß auf die Klinik nehmen.

Ähnlich wie in den Geisteswis- senschaften, so sind auch in den Na- turwissenschaften viele der großen Gedanken außerordentlich einfach und — zumindest in der Retrospektive

— gänzlich offensichtlich. Und den- noch scheint auch bei genialen Ent- würfen der Beginn ihrer Wirkungsge- schichte nicht ungehindert zu gesche- hen. So ignorierten Kollegen und Vorgesetzte von Mullis seine Idee und Begeisterung, das Journal „Na- ture" lehnte eine Publikation ab, und an einem ersten Poster von Mullis gingen fast alle achtlos vorüber bis auf Joshua Lederberg, den nobel- preisgekrönten Präsidenten der Rok- kefeller-Universität, der, wie Mullis meint, vielleicht als einer der ersten die Bedeutung der Idee erkannte. In- nerhalb der Firma ahnte ein Patent- anwalt die Entwicklung, und als Mul- lis im Jahre 1986 Cetus verließ, er- hielt er einen einmaligen Bonus von

10 000 $ (Mullis: pretty good at that time) für die inzwischen erfolgte Pa- tentierung. Im Jahre 1992 verkaufte Cetus die Patentrechte für die kom- merzielle Nutzung der PCR für etwa 300 Millionen Dollar an die Firma Hoffmann-La Roche, die seither mit großem Einsatz die Anwendbarkeit der PCR auf klinisch-diagnostischer Ebene vorantreibt.

Es ist nicht auszuschließen, daß erneut von K. Mullis, der derzeit als freischaffender Berater und Forscher in La Jolla in Californien lebt, gehört werden wird. Nicht nur im privaten

(Mullis hat drei Kinder aus drei

Ehen), sondern auch im wissen- schaftlichen Bereich scheint ihm eine ungewöhnliche Variabilität zu liegen.

Seine erste Veröffentlichung (Nature

KURZBERICHT / FÜR SIE REFERIERT

1968; 218: 663) hatte die „Cosmologi- cal Significance of Time Reversal"

zum Thema, und sein neuestes Pa- tent beschreibt ein System zur Sicht- barmachung einer Exposition gegen- über ultravioletter Strahlung. Als den Motor seiner Kreativität, die auch zum Erdenken der PCR führte, gibt er das Bestreben an, unnötige Schuf- terei zu vermeiden und Zeit für schö- ne Dinge zu haben („morgens Sur- fen, nachmittags Rollschuhfahren").

Im April 1989, auf einer der ersten Tagungen, auf der Erfahrungen mit der PCR ausgetauscht wurden, zeigte Mullis im Hauptvortrag neben eini- gen Dias zur PCR überwiegend Bil- der aus dem Bereich eines seiner weiteren Hobbies, einer exzentri- schen Variante der Photographie.

Ein Freund von Mullis meinte da- mals, das allermeiste von dem, was Mullis rede, sei absoluter Unsinn, doch manchmal, da sagte er etwas,

Brustkrebs

mit pathologischer Sekretion

Die „age specific death rate" des Mamma-Karzinoms hat in den letz- ten Jahren weiter zugenommen Nur bei 10,5 Prozent der Patientinnen mit einem Brustkrebs besteht eine okkul- te Erkrankung, die mit Hilfe der ap- parativen Diagnostik aufgespürt wird. Welche Rolle spielt eine patho- logische Absonderung aus der Brust in bezug auf die Krebs-Früherken- nung? Die Mamillen-Sekretion au- ßerhalb der Schwangerschaft und Stillperiode bei normalen Prolaktin- Spiegeln ist abklärungsbedürftig. Der sezernierende Milchgang wird nach Injektion von lotrolan- oder Iotal- aminsäure-haltigen Lösungen im Ga- laktogramm dargestellt. Wie Paterok et al. in der bisher größten publizier- ten Untersuchungsreihe feststellen, sind die radiologischen Kriterien

für das man eigentlich einen Nobel- preis bekommen könnte. Zumindest der zweite Teil der Behauptung hat sich als richtig erwiesen.

Deutsches Arzteblatt

90 (1993) A 1-3388-3389 [Heft 50]

Literatur:

1. Kary B. Mullis: The unusual origin of the polymerase chain reaction. Scientific American 262 (1990) 56-65.

Anschrift des Verfasses:

Dr. med. Matthias Volkenandt Dermatologische Klinik und Poliklinik der

Ludwig-Maximilians-Universität München

Frauenlobstraße 9-11 80337 München

nicht spezifisch genug, um ein mali- gnes Wachstum ausschließen zu kön- nen. Bei jeder achten Frau mit intra- duktalen Prozessen wird ein duktales Carcinoma in situ oder ein invasives Karzinom diagnostiziert. In rund 45 Prozent der Fälle handelt es sich um Milchgangspapillome mit geringer Entartungswahrscheinlichkeit. Dabei besteht in der überwiegenden Zahl der Fälle eine bernsteinfarbene, wässrig-klare Absonderung. Farbe und Konsistenz des Sekrets sind aber von nachgeordneter Bedeutung, da beim galaktographischen Nachweis einer Milchgangsveränderung die ge- zielte Exstirpation empfohlen wird.

Dabei ist eine Exzidat-Markierung erforderlich, um zu gewährleisten, daß die feingeweblichen Schnitte parallel zu den Hauptmilchgängen verlaufen. Nur 3 Prozent der unter- suchten Präparate weisen keinerlei Erkrankungsherde auf. ptr

Paterok, E. M., et al.: Nipple discharge and abnormal galactogram. Results of a long-term study. European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproduc- tive Biology 50 (1993) 227-234.

Prof. Dr. E. M. Paterok, Universitätsstra- ße 21, Universitäts-Frauenklinik, 91054 Erlangen.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993 (55) A1-3389

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