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Archiv "Marburger Bund zur deutschen Einigung: Koordinierte Gesundheits- und Tarifpolitik gefordert" (07.06.1990)

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Ganz im Zeichen des deutsch- deutschen Einigungsprozesses und der im politischen Bereich vorberei- teten Sozialunion stand die 77.

Hauptversammlung des Marburger Bundes (Verband der angestellten und beamteten Ärzte Deutschlands e. V. - Bundesverband) am 12. und 13. Mai zum Auftakt der Ärztetags- woche in Würzburg. Sowohl die Sta- tements und Diskussionsbeiträge während der öffentlichen Veranstal- tung als auch die Debatten und Be- schlüsse der 91 Delegierten der MB- Hauptversammlung gaben beredtes Zeugnis davon, daß die deutsch- deutsche Einigung auch auf dem Ge- biet des Gesundheitswesens konkre- te Konturen angenommen hat.

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Radiologe aus Ham- burg, verdeutlichte bei der Würz- burger Versammlung die Essentials, von denen sich der Marburger Bund bei einer „partnerschaftlichen Verei- nigung" und bei Kooperationen mit Ärzteverbänden leiten lassen will.

Zu sehr haben sich die Probleme der gesundheitlichen Versorgung in der DDR in den vergangenen Jahren aufgetürmt, als daß sie kurzfristig und in Hauruck-Verfahren befriedi- gend gelöst werden könnten. Die gravierenden Versorgungsmängel, Defizite und Fehlsteuerungen im

„real existierenden Sozialismus" der DDR wurden denn auch von den zahlreichen Gästen, die auf Einla- dung des Marburger Bundes nach Würzburg gekommen waren, frank und frei bestätigt und nicht beschö- nigt. Aus den bisher sich konträr entwickelnden und nach unter- schiedlichen ordnungspolitischen Prinzipien strukturierten Gesund- heitssicherungssystemen resultiert

für den Marburger Bund die Not- wendigkeit, das Zusammenwachsen beider Staaten unter Ausschöpfung des Reservoirs von Gemeinsamkei- ten innerhalb der Ärzteschaft tat- kräftig voranzutreiben. Dies erforde- re Kompromißbereitschaft und Zu- sammenwirken auf beiden Seiten, erklärte Dr. Montgomery. Er rief die Politiker und die Mandatsträger in den ärztlichen Körperschaften und Verbänden auf, sich noch mehr als bisher auch beim deutsch-deutschen Einigungsprozeß zu engagieren. Da- bei dürften der Erwartungshorizont und die Forderungen nicht allzu hoch geschraubt werden. Dem Mar- burger Bund ging es bei den ersten Sondierungen und bilateralen Ver- handlungen nicht um ein „Erstge- burtsrecht" an Ideen und konkreten Maßnahmen (auch bei Verbands- gründungen), so wurde in Würzburg erklärt. Seit dem 9. November 1989 habe der MB sich von einem „Kon- zept des Kompetenz-Austausches"

leiten lassen.

Ein sofortiger puristischer und totaler Systemtransfer der gewachse- nen bewährten Strukturen aus der Bundesrepublik Deutschland in die heutige DDR wäre ebenso verfehlt wie die Hoffnung mancher „Reform- politiker", über den Weg der Wie- dervereinigung „unser System von hinten her aufzurollen" (so der Vor- sitzende der Kassenärztlichen. Bun- desvereinigung, Dr. Ulrich Oesing- mann, in seiner Grußadresse an den Marburger Bund).

Nach den Eindrücken des Mar- burger Bundes beginnt der Zustand des Desinformiertseins und der De- struktion immer mehr einer koope- rativen partnerschaftlichen Zusam- menarbeit auch auf Verbandsebene zu weichen. Nach einer Fülle von

Verbandskontakten und fragmenta- rischen Gesprächen, nach intensiver organisatorischer und satzungsmäßi- ger Vorbereitung sind die ersten Ärzteverbände nach westdeutschem Muster in der DDR gegründet wor- den. Der Marburger Bund bezeich- nete es in Würzburg als ein „ver- bendliches Großereignis", daß am 8.

März 1990 im Gewandhaus zu Leip- zig der Landesverband Sachsen des Marburger Bundes gegründet wurde.

Die Hauptversammlung des MB be- schloß auf Antrag dieses ersten Lan- desverbandes des Marburger Bundes in der DDR dessen Aufnahme und Vollmitgliedschaft im Bundesver- band des Marburger Bundes. Somit ist der Landesverband Sachsen der elfte Landesverband unter dem Dach des Marburger Bundes (Bun- desverband).

Gegen Niederlassungszwang Medizinalrat Dr. Ulrich Richter aus Magdeburg nannte fünf Essenti- als, die vom „Magdeburger Ärzte- bund e. V. ", einer Vereinigung von angestellten und beamteten Ärzten und Zahnärzten, als vorrangig beim deutsch-deutschen Einigungsprozeß bezeichnet werden:

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Prinzipiell sollen die Freibe- ruflichkeit und Niederlassungsfrei- heit für Ärzte und Zahnärzte in der heutigen DDR nicht in einen Nie- derlassungszwang umfunktioniert werden. Sehr großen Wert legen of- fenbar viele Ärztinnen und Ärzte aus der DDR noch darauf, frei darüber zu entscheiden, ob sie freiberuflich tätig werden wollen oder ihre ärztli- che Tätigkeit in einem Angestellten- verhältnis im öffentlichen Gesund- heitswesen fortsetzen.

Q Öffentliche Gesundheitsein- richtungen sollten, so eine weitere Forderung, gleichberechtigt neben privaten Eigentumsformen existie- ren. Insbesondere ältere Ärzte, für die die Niederlassung in einer freien Arztpraxis kaum mehr in Frage kommt, sind an einem Erhalt (und einer strukturellen Verbesserung) der Versorgung durch Polikliniken und Ambulatorien interessiert. Mög- licherweise könnten Ambulatorien auch zu Gemeinschaftspraxen oder

Marburger Bund zur deutschen Einigung:

Koordinierte Gesundheits- und Tarifpolitik gefordert

77. Hauptversammlung in Würzburg beschließt Grundsatzpapier zur geriatrischen Versorgung

Dt. Ärztebl. 87, Heft 23, 7. Juni 1990 (51) A-1869

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„Ärztliche Erfahrungen in zwei deutschen Staaten. Diskussion mit Ärzten aus der DDR', lau- tete das Thema der Öffentlichen Veranstaltung anläßlich der 77. Hauptversammlung des Marburger Bundes (Verband der angestellten und beamteten Ärzte Deutschlands e. V.) am 12. Mai in Würzburg. Arztinnen und Ärzte aus der DDR diskutierten engagiert mit. Foto: Blick auf den Vorstandstisch

tralen, entstaatlichten Selbstverwal- tung und des Aufbaus tariffähiger Gewerkschaften.

• In einer Übergangsphase sol- len die tarif- und verbandspoliti- schen Ziele des Marburger Bundes unter den Rahmenbedingungen zweier unterschiedlicher Staats- und Rechtssysteme verfolgt werden. Die Durchsetzung der Ziele durch die Landesverbände und den Bundes- verband des MB in beiden Teilen Deutschlands erfordere ein Höchst- maß an Toleranz, aber auch an Kom- promißbereitschaft und Anerken- nung der jeweiligen Interessenlage.

Praxiszentren umgebaut werden. Al- lerdings — und das ist unstrittig — ver- langen auch die DDR-Arztinnen und Ärzte für diese Einrichtungen demokratische Selbstverwaltungs- strukturen.

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Grundvoraussetzung für eine verbesserte gesundheitliche Versor- gung in der DDR ist die Schaffung von existentiellen Rahmenbedingun- gen, die die Freiberuflichkeit und die freie Arztwahl überhaupt erst er- möglichen. Dazu zählen Sprecher von DDR-Ärztegliederungen die Schaffung einer modernen Gebüh- renordnung für niedergelassene Ärz- te und eine. Ablösung der völlig ver- alteten Preußischen Gebührenord- nung (PreuGO) aus den Jahren 1924/1952, aber auch eine analoge Gebührenordnung für angestellte Ärzte, „damit deren Leistungen sti- muliert und ordentlich honoriert werden können”.

Befürwortet wird auch das Fortbestehen der Einheit von Pro- phylaxe, Metaphylaxe, Therapie und Rehabilitation — eine Wortverbin- dung, die für DDR-Ärzte zugleich politisch-programmatischen Inhalt hat. Dieser tangiert hierzulande hart verteidigte Essentials, wie etwa: das Prinzip der Gliederung des Gesund- heitswesens in ambulante und statio- näre Versorgung sowie in den öf- fentlichen Gesundheitsdienst: die Grenzlinienziehung zwischen „am- bulant" und „stationär"; oder etwa die Grundsatzfrage, ob im Betriebs- gesundheitswesen der DDR tätige Betriebsärzte künftig das Recht be- halten sollen, neben ihrer präventi- ven, arbeits- und betriebshygieni- schen Funktion auch kurativ tätig

werden zu können. Viele Kindersto- matologen und Betriebsärzte in der DDR versorgen nicht nur Werktäti- ge, sondern auch zum Teil deren Fa- milienangehörige — was allerdings auch Ausfluß einer Dauermangelsi- tuation in der DDR, der Insuffizienz des Systems und allzulanger Warte- zeiten ist.

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Verfochten wird von Ärz- tegruppierungen und einzelnen Ärz- ten aus der DDR die durchgängige Pflichtweiterbildung zum Facharzt — auch zum Facharzt für Allgemein- medizin und anderen Gebietsarzt- gruppen, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Weiterbil- dungsordnung vertreten sind (wie et- wa: Facharzt für Physiotherapie).

Die Delegierten der Hauptver- sammlung des *Marburger Bundes beschlossen ein aus zwei Elemen- ten bestehendes verbandspolitisches

„Manifest":

C) Schon allein aus der Tatsa- che, daß in der heutigen DDR fast jeder Arzt, Zahnarzt und Apotheker im verstaatlichten Gesundheits- dienst tätig ist (es gibt lediglich rund 900 Freiberufler in den akademi- schen Heilberufen), Mitwirkungs- und demokratische Mitbestim- mungsrechte der unmittelbar Betrof- fenen, der Verbände und der Selbst- verwaltungen unter dem abgewähl- ten Regime jedoch nicht toleriert wurden, befürwortet der Marburger Bund ein Zusammenwachsen der ge- sundheitlichen Sicherung und der Verbände nach den Prinzipien einer liberalisierten, gegliederten Gesund- heitssicherung unter maßgeblicher Einschaltung frei gewählter Körper- schaften und Verbände, einer dezen-

I

Sozialplan für ein Deutschland (D Klar ist aus der Sicht des Marburger Bundes, daß die deutsch- deutsche Einigung im Gesundheits- und Sozialwesen nur in Etappen und mit hohen persönlichen, finanziellen und organisatorischen Opfern er- reicht werden kann. Benötigt werden Übergangslösungen; eine Einheits- versicherung kommt für den MB nicht in Frage. Der Sozialplan für ein Deutschland muß sozial ausgewogen sein. Bei einer partnerschaftlichen Lösung dürfe ein Partner nicht (auf Dauer) Kostgänger des anderen sein.

Acht Essentials stellt der Mar- burger Bund in seinem deutschland- politischen Konzept in den Mittel- punkt: Bestandsgarantie; pluralisti- sche Träger im Krankenhauswesen bei Gewährleistung von kollegialen Leitungsstrukturen; Recht auf freie Niederlassung auch in der DDR;

funktionierende pluralistische Ge- werkschaften bei verfassungsrecht- lich verankerter Koalitionsfreiheit und einer unangetasteten Tarifauto- nomie; Aufbau von tariffähigen Or- ganisationen der Arbeitgeber im Ge- sundheitswesen, denen das Recht zur Aushandlung und zur Vereinba- rung der Honorierungs-, Lohn- und Arbeitsbedingungen für angestellte und beamtete Ärzte übertragen wird.

Sodann (und nicht zuletzt): Ein- führung einer Krankenversiche- rungspflicht und Aufbau konkur- renzfähiger und konkurrierender Krankenkassen, partnerschaftliche A-1870 (52) Dt. Ärztebl. 87, Heft 23, 7. Juni 1990

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Aufmerksame Zuhörer in historischen Gemäuern der Festung Marienberg zu Würzburg wa- ren zahlreiche prominente Gäste aus Politik, ärztlichen Körperschaften und Verbänden. Foto (v. 1. n. r.): Dr. Gerhard di Pol, Leipzig, Ärztlicher Direktor der Fachpoliklinik für Psychothera- pie, im April 1990 gewählter Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des Marburger Bundes; Dr. Karsten Vilmar; Dr. Ulrich Oesingmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, und Prof. Dr. Dr. Siegfried Borelli, Mitglied des Vorstandes der KBV Fotos (2): Walter Neusch Selbstverwaltung der Krankenkas-

sen, Kassenärzte und Krankenhaus- träger. Auch die Möglichkeit, private Versicherungsträger (PKV!) zu eta- blieren und aufzubauen, müsse er- öffnet werden.

Ärztliche Selbstverwaltung und die Gründung von Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften öffentlichen Rechts erforderten klare Kompeten- zen, Rechte und Aufgaben in einem möglichst weitgehend staatsfreien Raum. Auch der Aufbau ärztlicher Versorgungswerke in der heutigen DDR müsse in der Hand der ärzt- lichen Selbstverwaltung bleiben (zur Zeit gibt es neben dem staatlichen Rentensystem 38 durch Eigenbeiträ- ge zu finanzierende Zusatzversor- gungssysteme in der DDR). Das Recht zur Selbstverwaltung und zur demokratisch legitimierten korpora- tiven Interessenvertretung müsse auch in der DDR gewährleistet wer- den. In der Bundesrepublik dürfe die Selbstverwaltung nicht weiter durch überbordende staatliche Regelme- chanismen beschnitten werden.

Begrenzt auf eine Übergangs- frist spricht sich der Marburger Bund ausnahmsweise für eine befri- stete Niederlassungssperre für Ärz- tinnen und Ärzte aus der Bundesre- publik auf dem Territorium der heu- tigen DDR aus. Dieses Essential kol- lidiere gedanklich und inhaltlich nicht mit der Forderung auf das Recht zur freien Niederlassung auch in der DDR. Das Recht zur freien Arztwahl dürfe nicht „an der inner- deutschen Grenze aufhören". Aller- dings, so postuliert ein Beschluß des Marburger Bundes, sollten Patienten aus der DDR ärztliche Hilfe und Leistungen im Sozialleistungssystem der Bundesrepublik nur dann abfor- dern dürfen, wenn diese Leistungen in der DDR überhaupt nicht angebo- ten oder nicht zu einem vertretbaren Qualitätsstandard vorgehalten wer- den.

• In Zeiten, in denen die Dis- kussion über die ärztliche Fort- und Weiterbildung hierzulande hohe Wellen schlägt, müsse auch daran gedacht werden, die Kolleginnen und Kollegen in der DDR durch tat- kräftige Hilfe auf diesem Gebiet zu unterstützen oder aber eine eigen-

ständige Fortbildung erst zu instal- lieren.

• An die Volkskammer der DDR wird appelliert, die gesetzge- berischen Voraussetzungen für eine umfassende Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit zu schaffen. Die Landesverbände des Marburger Bundes in der DDR sollten als „fö- derale Organisationen" zentral bei Grundsatzentscheidungen zur Annä- herung des Gesundheits- und Sozial- wesens bei der deutschen Vereini- gung beteiligt werden. DDR-Ge- sundheitsminister Prof. Dr. sc. med.

Jürgen Kleditzsch (CDU-Ost) hat die Mitbeteiligung der Verbände be- reits zugesichert.

Einen Sendboten für solche Bot- schaften weiß der Marburger Bund seit seiner Würzburger Tagung in seinen Reihen: Dr. med. Bernd Do- naubauer, selbst Mitglied der neuge- wählten Volkskammer der DDR (neben weiteren 34 Angehörigen der Heilberufe), trat noch in Würzburg dem Marburger Bund bei.

Ganz auf der „Höhe der Zeit" — und nicht bloßen gesundheitspoliti- schen Modetrends folgend — sieht der Marburger Bund seinen umfas- senden Grundsatzbeschluß zur „kli- nischen Versorgung geriatrischer Pa- tienten". Dieses bereits während der 73. Hauptversammlung im Mai 1988 in Frankfurt andiskutierte und an- läßlich der 75. Hauptversammlung in Berlin weiterberatene Programm postuliert bei der geriatrischen Ver- sorgung ein „ganzheitliches Kon- zept". Wichtige Thesen, erläutert durch den Zweiten MB-Vorsitzen-

den Rudolf Henke, Internist aus Eschweiler: Die Verschiebungen im demographischen Aufbau der Bevöl- kerungsstruktur und der Zuwachs an alten und hochbetagten multimorbi- den und pflegebedürftigen Bürgern verlangen einen umfassenden Ein- satz aller ärztlichen, pflegerischen und im sozialen Bereich tätigen Fachkräfte. Die kurative Medizin wäre überfordert, wenn sie ein ganz- heitliches Konzept (größtmögliches Maß an körperlicher, geistiger und sozialer Autonomie) zur Verbesse- rung der Lebenslage alter Menschen

„im Alleingang" erreichen sollte.

Der Marburger Bund plädiert dafür, gerade bei älteren Menschen die Prinzipien einer aktivierenden Pfle- ge zu verfolgen und alle Anstrengun- gen zu unternehmen, damit Immobi- lität, soziale Isolation, zerebrale Lei- stungsminderung und damit ein so- zialer Abstieg älterer Mitbürger ver- mieden werden.

Insbesondere ältere pflegebe- dürftige Bürger bedürften neben ärztlicher Zuwendung auch der auf- opferungsvollen karitativen Betreu- ung durch ein „befähigtes therapeu- tisches Team". Dort, wo Medika- mente und medizinische Technik helfen können, das Leben von Men- schen zu retten und die Lebensquali- tät insgesamt zu verbessern, dürfe auf deren Einsatz nicht verzichtet werden. Emotionale Romantik sei ein Irrweg.

Die ärztliche Kompetenz zur Versorgung und Betreuung hochbe- tagter kranker Menschen gehöre es- sentiell in alle ärztliche Fachgebiete, Dt. Ärztebl. 87, Heft 23, 7. Juni 1990 (55) A-1873

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ein Weg zu neuen Ausbildungsformen und neuen Studieninhalten

betonte Rudolf Henke. Die Frühre- habilitation dürfe nicht nur in ge- riatrisch spezialisierten Einrichtun- gen praktiziert, sondern müsse in die Tätigkeit aller praktizierenden Ärzte integriert werden. Folgerichtig ist denn auch die strikte Ablehnung ei- nes speziellen Weiterbildungsgebie- tes für Geriatrie (dieses gibt es zur Zeit in Großbritannien, skandinavi- schen Ländern, Italien). Allerdings:

In der Weiterbildungsordnung sollte zumindest die Möglichkeit eröffnet werden, eine Zusatzbezeichnung

„Geriatrie" zu erwerben. Damit die Forderungen nicht im luftleeren Raum hängen, setzt sich der Mar- burger Bund für verstärkte For- schung und Fortbildung auf dem Ge- biet der geriatrischen Medizin ein.

Auch die Versorgungsstruktur müsse mit dem „Altenboom" abge- stimmt werden: So befürwortet der Marburger Bund (subsidiär) geriatri- sche Abteilungen und Tageskliniken an Allgemeinkrankenhäusern ebenso wie geronto-psychiatrische Abteilun- gen und Tageskliniken an psychiatri- schen Kliniken. So könne die Arbeits- teilung und die Spezialisierung der die Alten betreuenden Ärzte vorange- trieben werden mit dem Ziel, die Be- findens- und Lebenslage hochbetag- ter Mitbürger entscheidend zu verbes- sern.

Freilich sei auch ein sozialpoliti- sches Gesamtkonzept zur besseren Absicherung des Pflegerisikos erfor- derlich. Hier sind politische Herkules- arbeit und finanzielle Kraftakte nötig, die gewiß nicht von heute auf morgen zu realisieren sind, um zumindest auch die materielle Absicherung des Pflegerisikos (möglicherweise in ei- nem Leistungsgesetz, das eine Drei- teilung der Kosten vorschreibt) so vor- zunehmen, daß diese dem Anspruch eines Sozialstaates würdig ist.

In seinem Selbstverständnis als Gewerkschaft der angestellten Ärzte brach der Marburger Bund eine Lan- ze zur beruflichen Förderung der Ärztinnen. Die Arbeitgeber wurden aufgerufen, Frauenförderpläne ein- zuführen und künftig — gleiche Qua- lifikation vorausgesetzt — Ärztinnen zumindest entsprechend ihrem An- teil an der Gesamtzahl der Ärztin- nen und Ärzte einzustellen („flexible Quotierung"). Dr. Harald Clade

E

ie 7. Novelle zur Ände- rung der Approbations- ordnung für Arzte ist am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Sie . bringt mit er- staunlich kurzen Übergangsfristen für die Vorklinik bereits ab Winter- semester 1990/91, drei Jahre später dann auch im klinischen Ausbil- dungsteil einschneidende neue Be- stimmungen.

So sollen in der Vorklinik, je- weils scheinpflichtig, ein Praktikum

der Berufsfelderkundung, ein Prakti- kum der Einführung in die klinische Medizin sowie Seminare in den Fä- chern Anatomie, Physiologie und Physiologische Chemie durchgeführt werden. Studierende, die sich im Sommer 1992 zur ärztlichen Vorprü- fung melden, müssen diese neuen

„Scheine" schon vorlegen können.

Die Gruppengröße in den Semina- ren darf 20 nicht übersteigen; eine Vorstellung von Patienten im klini- schen Studienabschnitt darf künftig nur vor höchstens acht Studieren- den, deren eigene Tätigkeit am Pa- tienten nur in Dreier-Gruppen erfol- gen.

Das Mehr an Lehre in der Vor- klinik umfaßt (ohne Berücksichti- gung von Anrechnungsfaktoren) fast 28 Prozent des bisherigen Lehrange- botes.

Am 25. Januar 1990 hat der Ver- waltungsausschuß der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS, Bochum) (die Vertretung der Bundesländer) eine auf den Vorga- ben der 7. Novelle fußende neue Ka- pazitätsverordnung beschlossen. Sie übernimmt nicht — wie vorüberge- hend erwartet — das sogenannte

„Lohfer-Modell", orientiert sich also hinsichtlich der Ausbildungskapazi- tät nicht allein an der Zahl der un- terrichtsgeeigneten Patienten, son- dern schreibt den bisherigen Norm- studienplan der ZVS mit den neu- en Unterrichtsveranstaltungen und Gruppengrößen fort, mit dem Er- gebnis eines entsprechend erhöhten

Die Stunde der

F ultäten

Curricularnormwertes von bisher rund 1,72 (Vorklinik) und 4,79 (Kli- nik) auf jetzt 2,17/5,10.

Ziel beider Verordnungen ist es, die Ausbildungsintensität und damit auch die Ausbildungsqualität zu ver- bessern um den Preis einer reduzier- ten Zahl an Studienplätzen. Erste überschlägige Berechnungen erge- ben, daß statt bisher 11 400 zukünf- tig nur noch rund 9000 Studienan- fänger zugelassen werden; das ist ei- ne Reduzierung um 21 Prozent.

Der Studienplan, nach dem die neuen Curricularwerte errechnet sind, wird wie früher als Beispielstu- dienplan bezeichnet. Sein Verfasser, der Heidelberger Physiologe und Medizinplaner Professor Hardegg, versichert, daß dies auch wörtlich so gemeint sei. Der Studienplan soll nur den Mindestaufwand an Lehre beschreiben, aus dem sich der Curri- cularnormwert und damit die wich- tigste Eingangsgröße für die Kapazi- tätsfeststellung errechnet.

Innerhalb dieses Curricular- normwertes soll es — soweit die Ap- probationsordnung nicht bestimmte Lehrveranstaltungen mit Mindest- stundenzahlen bindend vorschreibt — Gestaltungsspielraum für die Fakul- täten geben.

A-1874 (56) Dt. Ärztebl. 87, Heft 23, 7. Juni 1990

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