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ie deutschen Hypertonologen neh- men Abschied von ihrem lange propagierten Stufenschema. Sie raten nun auch initial zur Kombinati- onstherapie, wenn absehbar ist, dass mit einem Antihypertensivum allein Norm- werte nicht zu erreichen sind.Nach den Empfehlungen der Deut- schen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks sollte bisher bei der Hyper- tonie primär mit einer Monotherapie behandelt werden. Eine Kombinations- behandlung analog einem Stufensche- ma war nur bei nicht erfolgreicher Mo- notherapie indiziert. Genau dies aber war bei gut zwei Dritteln der Patienten der Fall: Die anfängliche Behandlung führte nicht zum Erfolg, es wurde dann oft auf ein zweites Antihypertensivum umgestellt und schließlich doch kombi- niert. „Dieses Procedere aber schaffte Frustrationen beim Arzt wie beim Pati- enten, es schädigte die Compliance, statt sie zu fördern“, erklärte Prof. Rai- ner Düsing (Bonn) bei der Tagung der Deutschen Hochdruckliga in Bonn.
Die Hochdruckliga
unterscheidet drei Strategien
Die Hypertonologen haben deshalb neue Empfehlungen zur antihyperten- siven Therapie formuliert und schlie- ßen sich dabei inhaltlich den Richtli- nien internationaler Fachgesellschaften an. Kernpunkt der neuen Empfehlun- gen ist: Die Behandlung der Hyperto- nie kann flexibler als bisher gestaltet werden und richtet sich direkt nach der Ausgangssituation, mit der ein Hy- pertoniker sich in der Praxis vorstellt.
Die Liga unterscheidet konkret drei Strategien:
>Es kann – wie bisher – nach Stu- fentherapie mit einem Wirkstoff begon-
nen werden, dem gegebenenfalls ein zweiter Wirkstoff hinzugefügt wird.
>Ist absehbar, dass Patienten mit nur einem Wirkstoff nicht normgerecht eingestellt werden können, sollte schon initial mit einer Kombination von An- tihypertensiva behandelt werden. Hier- zu empfiehlt sich im Allgemeinen eine Kombination aus einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer oder einem Betablocker, wobei die Wirkstoffe frei kombiniert oder als Kombination ge- wählt werden können. Die freie Kom- bination erlaubt eine individuelle Do- sisanpassung der beiden Komponen- ten, während die fixe Wirkstoffkom- bination den Vorteil einer höheren Compliance und meist auch geringerer Kosten hat.
>Möglich ist ferner die sequenzielle Monotherapie, bei der ein Antihyperten- sivum so lange gegen andere Substanzen der Monotherapie ausgetauscht wird, bis eine effektive Blutdrucksenkung zustan- de kommt oder doch auf eine Kombina- tion übergegangen werden muss.
Nach welcher Strategie behandelt werde, hänge von der individuellen Si- tuation des Hypertonikers ab, erklärte Düsing. Entscheidend sei die Blut-
druckhöhe, die Art der Begleiterkran- kungen, mögliche Nebenwirkungen und auch die zu erwartende Compli- ance. Bei Diabetes mellitus, Herzinsuf- fizienz oder Nephropathie sei eine Mo- notherapie wenig sinnvoll.
Mit welchem Antihypertensivum die Behandlung begonnen wird, bleibt dem Arzt überlassen. Die Hochdruckliga be- urteilt die einzelnen Wirkstoffgruppen – Diuretika, Betablocker, Calcium- antagonisten, ACE-Hemmer und An- giotensin-II-Antagonisten – als gleich- wertig. „Für alle Gruppen wurde eine Senkung der Morbidität und Mortalität belegt. Deshalb kann mit jedem dieser Antihypertensiva die Behandlung be- gonnen werden“, erklärte Prof. Walter Zidek (Herne) als Vorsitzender der Deutschen Hochdruckliga.
Diese hat sich daher in ihren neuen Empfehlungen für die grafische An- ordnung der Antihypertensiva-Grup- pen als Pentagramm (Grafik) entschie- den. Darin sind auch die jeweiligen Kombinationsmöglichkeiten aufgeführt.
Als empfehlenswert werden dabei Kom- binationen aller Vertreter mit einem Di- uretikum beurteilt, während Calcium- antagonisten über das Diuretikum hinaus mit einem Betablocker oder ei- nem ACE-Hemmer zu kombinieren sind. Betablocker werden am besten mit einem Diuretikum oder einem Calcium- antagonisten kombiniert, der ideale Partner für einen Angiotensin-II-Ant- agonisten ist wiederum das Diuretikum und bei den ACE-Hemmern außerdem der Calciumantagonist.
Während die antihypertensive The- rapie flexibler und damit in der Praxis auch einfacher geworden ist, gestaltet sich die Klassifikation der Hypertonie schwieriger als bisher – zumal sich die Hochdruckliga an den Empfehlungen internationaler Fachgesellschaften ori- M E D I Z I N R E P O R T
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A18 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1–25. Januar 2004
Deutsche Hochdruckliga
Abschied vom Stufenschema
Nach den neuen Empfehlungen kann die antihypertensive Behandlung flexibler als bisher gestaltet werden, wobei die verschiedenen Wirkstoff- gruppen für die Initialtherapie als gleichwertig beurteilt werden.
Grafik
Pentagramm Hypertoniebehandlung
Calcium- antagonist Diuretikum
Beta- blocker
Angiotensin- II-Antagonist
ACE- Hemmer
Kombination . . .
. . . synergistisch . . . möglich
*nur für Dihydropyridine sinnvoll
*
Quelle:Deutsche Hochdruckliga
entiert. Es wird neben dem „normalen“
erstmals auch ein „optimaler“ Blut- druck definiert, der bei Werten unter 120/80 mm Hg liegt. Als „normal“ wer- den Werte bis 130/85 mm Hg klassi- fiziert, als „noch normale“ Blutdruck- werte zwischen 130 und 139 mm Hg systolisch und 85 bis 89 mm Hg diasto- lisch. Steigt der Blutdruck hingegen über die Marke von 149/90 mm Hg, so liegt eine Hypertonie vor. Diese unter- teilt die Liga in drei Schweregrade:
>die leichte Hypertonie (Schwere- grad 1) mit Werten von 140–159/90–99 mm Hg,
>die mittelschwere Hypertonie (Schweregrad 2) mit Werten von 160–
179/100–109 mm Hg,
>die schwere Hypertonie (Schwere- grad 3) mit einem systolischen Wert über 180 mm Hg und einem diastoli- schen Blutdruck über 110.
Es wird ferner die isolierte systoli- sche Hypertonie definiert mit einem systolischen Blutdruck von 140 mm Hg und mehr und einem diastolischen Blut- druckwert unter 90. Inwiefern schon bei einem „noch normalen“ oder normalen Blutdruck zu intervenieren ist, hängt nach Angaben der Liga vom Risikopro- fil des Patienten ab. Bei Werten über 140/90 mm Hg ist – eventuell abgesehen von Fällen ohne weitere Risikofaktoren – neben allgemeinen Maßnahmen ge- nerell eine medikamentöse Behand- lung indiziert. Schwieriger ist die Thera- pieentscheidung bei normalem oder
„noch normalem“ Blutdruck. Liegen keine zusätzlichen Risikofaktoren vor, so reichen allgemeine Maßnahmen.
Anders ist das bei zusätzlichen Risi- kofaktoren. Dann muss, so die Empfeh- lungen der Liga, differenziert nach der individuellen Situation des Patienten behandelt werden. Konkret heißt das, dass ein Ruheblutdruck angestrebt wer- den muss, der zuverlässig unter 140 mm Hg systolisch und unter 90 mm Hg dia- stolisch liegt. Bei Diabetikern sollte der Blutdruck noch stärker gesenkt wer- den, und zwar möglichst unter 130/80 mm Hg. Das Gleiche gilt für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und einer Proteinurie unter 1g/die. Steigt die Proteinurie über 1g/die, muss entspre- chend den neuen Empfehlungen sogar ein Blutdruckwert unter 125/75 mm Hg angestrebt werden. Christine Vetter
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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1–25. Januar 2004 AA19
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icht nur im Medizinstudium, son- dern auch aus aktuellen Hand- büchern der Hämatologie erfährt man, dass es sich bei der Sichelzell- krankheit um eine Krankheit des Kin- desalters handelt, bei der die Be- troffenen nur selten das zehnte Le- bensjahr erreichen. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus:In Europa und den USA erreichen 85 bis 90 Prozent der Sichelzellpatienten das Erwachsenenalter – vor- ausgesetzt, sie werden nach dem neuesten Stand des Wissens behandelt.
Die Lebenserwartung homozygoter Sichelzellpati- enten beträgt in USA, Ja- maika und Frankreich 40 bis 50 Jahre, die der Patien- ten mit Sichel-Thalassämie beziehungsweise HbSC-Er- krankung 50 bis 60 Jahre.
Für Deutschland liegen kei- ne Zahlen vor. Diese Ver- besserung der Prognose wurde erzielt durch Neuge-
borenenscreening (USA, England, Frank- reich, jedoch nicht in Deutschland), Penicillinprophylaxe bis zum fünften Le- bensjahr, eine problemorientierte Ver- sorgung und, in den letzten zehn Jahren, durch die Hydroxyurea-Therapie.
In Deutschland leben derzeit 500 Si- chelzellpatienten, die aus der Türkei, Süd-Italien, Griechenland, dem Mittle- ren Osten, Nord- und Zentral-Afrika sowie Asien stammen. Etwa ein Drittel von ihnen sind Erwachsene, die arbei- ten und Kinder haben. Die Folge der fehlerhaften Information in der me- dizinischen Literatur ist, dass Patienten,
die der Kinderheilkunde entwachsen sind, häufig auf Ärzte treffen, die die unterschiedliche Symptomatik (Lunge, Herz, Niere, Leber, Uro-Genital-Trakt, ZNS, Augen, Gastro-Intestinal-Trakt, Haut) nicht mit einer Sichelzellkrank- heit des Erwachsenenalters in Verbin- dung bringen.
Da die wenigen Sichelzellpatien- ten verstreut über Deutschland leben, ist es wichtig, auf gebündeltes Wissen zurückgreifen zu können. Dieses bie- tet die deutsche Sichelzellstudie, ei- ne Langzeit-Verlaufsstudie, in der seit 1987 die klinischen Daten von 450 Sichelzellpatienten erfasst wurden. Ak- tuell nehmen 254 Patienten teil, da- von sind 48 Erwachsene. Das der Stu- die angeschlossene Informationszen- trum kann telefonisch (0 22 41/24 91) oder per E-Mail (R.Dickerhoff@uni- bonn.de) zur Konsultation genutzt wer- den. Im Internet ist über www.hae
moglobin.uni-bonn.de ein Leitfaden ab- rufbar, der aktuelle Richtlinien ent- hält für das Management der wich- tigsten Komplikationen, auch bei Er- wachsenen.
Schließlich bieten sich die Betroffe- nen untereinander Hilfe an. Denn viele Sichelzellpatienten kennen ihre Krank- heit genau und wissen sehr gut, wie zum Beispiel Schmerzkrisen beherrscht wer- den können.
Dr. med. Roswitha Dickerhoff Pädiatrische Hämatologie/Onkologie Asklepios Klinik
Arnold-Janssen-Straße 29, 53754 St. Augustin
Sichelzellkrankheit
Verlängerte Lebenszeit der Betroffenen
Der Mythos einer Kinder- krankheit ist überholt.
Blutausstrich bei homozygoter Sichelzellkrankheit
Foto:Dickerhoff