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Archiv "Studienreform: Utopie und Wirklichkeit" (03.11.1995)

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LEITARTIKEL

Stuc ienreform

Utopie und Wirklichkeit

N

ach einem Bericht im Nach- richtenmagazin „Time" gel- ten die amerikanischen Medi- zinstudenten als aggressiv, engstirnig, unehrlich und unfreundli- che Streber. In einer weiteren Umfra- ge wird festgehalten, daß die Medi- zinstudenten vor unerlaubten Tricks nicht zurückschrecken, um ihre vor- gegebenen Ziele zu erreichen. Betrü- gerische Manipulationen, unberech- tigte Verwendung von Forschungser- gebnissen und Analysendaten, Fäl- schungen von Praktikumsergebnis- sen sind weitere schlimme Vorwürfe.

Dieses negative Bild wird als Produkt des hohen Leistungsdruckes im Me- dizinstudium gewertet. Dieser Lei- stungsdruck beginne bereits in der College-Ausbildung, da nur heraus- ragende Prüfungsergebnisse die Zu- lassung zum Medizinstudium ermög- lichten. Das derzeitige Studium über- fordere den einzelnen Studenten be- trächtlich. Pro Woche werden 40 Stunden mit streng überprüften Vor- lesungen absolviert, hinzu kommen Praktika in Instituten und Kliniken, die sich bis in die Nachtstunden er- strecken. Der Lehrstoff sei so unge- heuerlich, daß er auch von hochbe- gabten, fleißigen Studenten nur mit Mühe zu bewältigen sei. Hinzu kom- me der ständige Examensdruck während des Semesters, der sich bei chronischem Zeitmangel besonders ungünstig auswirke. Die Rundfrage zieht aus den erschütternden Ergeb- nissen den Schluß, daß die nach dem geltenden System ausgebildeten Ärz- te Menschen ohne Mitgefühl und oh- ne Zuwendung zu ihren Patienten seien. Die Ärzte würden schließlich ihre Arbeit in der Praxis wie Fließ- bandproduktionen abwickeln.

Die Dekane einiger führender

amerikanischer Fakultäten haben

sich daher bemüht, Konsequenzen aus dieser Fehlentwicklung zu zie- hen. Die Eingangstests für das Medi- zinstudium sollten bereits in die Col-

legezeit verlegt werden (Vorschlag der Harvard-Universität), um eine allzu frühe Einengung des Studiums auf rein medizinische Belange zu ver- hindern. Es sei absolut notwendig, dem Arzt mehr Allgemeinbildung zu vermitteln und seine Lebensphiloso- phie so zu beeinflussen, daß er den ethischen Aufgaben seines zukünfti- gen Berufes gerecht werde. Prinzipi- ell ist man der Meinung, daß der Lehrstoff drastisch reduziert werden müsse, insbesondere was die Grund- lagenwissenschaften angehe. So sind an einzelnen Universitäten, zum Bei- spiel am Sloan Kettering Cancer Cen- ter sowie an der Washington Univer- sität in St. Louis, die reinen Vorle- sungsstunden um 15 Prozent redu- ziert worden. Allgemeine philosophi- sche Themen, Fragen medizinischer Forschung, aber auch Psychologie und Verhaltensforschung werden stärker betont. Die Studenten sollten sich stärker sportlich betätigen.

USA: Unterschiedliche Reformansätze

Die Johns Hopkins Universität in Baltimore macht sich stark für die Verbesserung von Lerntechniken, die den Ärzten in ihrer gesamten berufli- chen Tätigkeit und speziell in der Weiterbildung und Fortbildung hilf- reich seien. Zu spezielle Fakten, die zudem innerhalb kurzer Zeit laufend erneuert würden, sollten vermieden werden. Das Medizinstudium soll nicht zur Vermittlung der letzten me- dizinischen Neuigkeiten benutzt wer- den, zumal sich der Arzt in Diagno- stik und therapeutischer Technik mo- derner Verfahren, zum Beispiel der Computer, bedienen könne. Spezielle praxisbezogene Computerprogram- me seien auszuarbeiten und werden bereits von der Ohio State University in den USA angeboten. Die Univer- sität von Missouri hat ganz einfach

das Medizinstudium verlängert, um dadurch den Lehrstoff zu strecken und den Leistungsdruck zu mindern.

Andere Universitäten sind dazu übergegangen, den werdenden Arzt im Umgang mit seinen Patienten zu schulen, wobei man zum Beispiel Be- rufsschauspieler engagierte, um den Umgang zwischen Arzt und Patient zu „üben". Eine Versammlung ameri- kanischer Dekane soll nun ein spezi- elles Forschungsinstitut einrichten, welches sich mit einer Verbesserung der Curricula an den amerikanischen Medical Schools befassen wird. Auf die Empfehlungen der nächsten Jah- re darf man gespannt sein.

Sind alle diese Aussagen auch auf unsere Verhältnisse zu beziehen?

Studentinnen und Studenten sind heute hochmotiviert und bemüht, in ihrem Studium das Beste zu geben.

Außerdem gibt es das an den Elite- universitäten der USA übliche bruta- le Ausleseverfahren in Deutschland nicht. Wenn von 600 Applikanten der Harvard Medical School noch 40 das Abschlußexamen bestehen, bedeutet das für viele Studenten eine Kata- strophe, um so mehr, je später das Hinausprüfen erfolgt. Davon sind die deutschen Studenten verschont ge- blieben. Freilich sind auch bei uns Medizinstudenten in einer schwieri- gen finanziellen Situation, die den Ablauf ihres Studiums negativ beein- flussen kann. Durch Straffung der Studiengänge ließe sich dies beseiti- gen Finanzielle Engpässe hat es zu allen Zeiten gegeben, und gegenüber der Situation im Ausland sind die deutschen Studenten, auch unter Nutzung von Bafög, immer noch rela- tiv gut dran.

Die im Ausland studierenden Kliniker heben mit Recht hervor, daß ihre Ausbildung auf Station, das heißt am Krankenbett, wesentlich in- tensiver ist als bei uns. Dies gilt für die angelsächsischen Länder, aber auch zum Beispiel für Frankreich Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 44, 3. November 1995 (17) A-2955

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POLITIK

oder Israel. Dies geht einher mit ei- ner massiven zeitlichen Belastung, denn die Studentinnen und Studen- ten werden vom frühen Morgen bis in die späten Abendstunden auf Station beschäftigt. Die lehrintensive Be- treuung der Studenten ist in den ge- nannten Ländern insofern leichter zu verwirklichen, als die Zahl der zu Un- terrichtenden wesentlich geringer ist.

Wie will man einen derartigen Inten- sivunterricht mit 600 Medizinstuden- ten pro Jahr bei uns realisieren? Da- bei gibt es durchaus Möglichkeiten, daß die Ausbildung in den akademi- schen Lehrkrankenhäusern, zum Bei- spiel der MP beziehungsweise der AiP, heute schon viel konzentrierter ist als an den Universitätsklinika vom Typ der Maximalversorgung der Pati- enten. Gerade die Famulaturen kön- nen sich als äußerst hilfreich erwei- sen, zumal die ausbildenden Ärzte im allgemeinen durch Forschung und Lehre weniger belastet sind.

Der praxisnahen Ausbildung dient das Multiple-choice-Verfahren ganz gewiß nicht. Gegen die vorge- legten Kataloge der Prüfungsfragen wurden immer wieder Einwände er- hoben. Es ist deswegen durchaus zu

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begrüßen, daß das Mainzer Institut nach Auskunft des Vorsitzenden des Medizinischen Fakultätentages seine Position im wesentlichen geändert hat. Primär steht nicht mehr im Vor- dergrund eine Kontrollfunktion; viel- mehr geht ein Serviceangebot an die Fakultäten.

Mehr Autonomie für Fakultäten

In Anbetracht der sicher zu er- wartenden Studienregelungen auf europäischer Basis ist durchaus das Probejahr, wie es in Frankreich und in Belgien üblich ist, zu diskutieren.

Ein Jahr naturwissenschaftliche Grundlagen in Kombination mit all- gemeinbildenden Fächern, zum Bei- spiel Philosophie und Psychologie, sowie ein Krankenpflegepraktikum mit Abschlußexamen für die Aufnah- me des Medizinstudiums. Es muß nicht unbedingt zu einer Verlänge- rung der Studienzeit führen, wenn der Lehrstoff entsprechend gekürzt wird.

Die Befugnisse der Studiendeka- ne sollten wesentlich erweitert wer-

den, auch was die Überprüfung der Lehrtätigkeit auf den verschiedenen Ebenen angeht. Dies ist für die angel- sächsischen Universitäten eigentlich eine Selbstverständlichkeit und könnte sich auch in Deutschland als nützlich erweisen. Der Studiendekan sollte dann auch die Adresse für Wünsche oder auch für Klagen der Studenten sein.

Man muß den medizinischen Fa- kultäten einräumen, Prüfungskata- loge unter Beachtung zentraler Auf- lagen selbst zusammenzustellen;

wenn die Fakultäten das Recht er- halten, ihre Studienanfänger be- darfsgerecht selbst auszuwählen, wä- re das zentrale Institut in Dortmund überflüssig. Es ist klar, daß diese Vorschläge auch Widersprüche her- vorrufen werden. Aber warum soll- ten nicht einmal neue Anstöße gege- ben werden, die den enormen Fort- schritten der Medizin gerecht wer- den? Schon jetzt haben die Fakultä- ten ja bei der Auswahl von akademi- schen Lehrkrankenhäusern relativ freie Hand, und das Lehrangebot na- hezu aller dieser Lehrkrankenhäuser ist beachtlich.

Gotthard Schettler, Heidelberg

Seehofer: Reform des Medizinstudiums 1996

Anfang 1996 will das Bundesministerium für Ge- sundheit ein Reformkonzept für die ärztliche Ausbil- dung vorlegen. Geplant sind unter anderem ein früherer Einstieg in die praktische Arbeit mit den Pa- tienten, kleinere Lerngruppen, weniger Spezialisie- rung sowie die Auseinandersetzung mit gesund- heitsökonomischen Fragestellungen während des Medizinstudiums

Zur geplanten grundlegenden Reform gehören nach Angaben des Ministeriums die Aufhebung der Trennung von Klinik und Vorklinik und die bessere Verzahnung beider Bereiche, die verstärkte Ertei- lung fächerübergreifenden Unterrichts in Quer- schnittsbereichen und vor allem mehr Praxisbezug und verstärkter Unterricht am Patienten. Eine ver- besserte praktische Ausbildung soll durch eine Ver- ringerung der Zahl der Studenten erreicht werden.

Darüber hinaus soll den Hochschulen bei der Ausgestaltung des Medizinstudiums ein größerer Ge-

staltungsspielraum eingeräumt werden. Es soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, durch \Wahlpflicht- bereiche Schwerpunkte zu setzen und stärkeren Ein- fluß auf die Gestaltung der Prüfung zu nehmen.

Durch neue Unterrichtsformen und verstärkte Ausbildung in Kleingruppen soll schon während des Studiums eine Verbesserung der praktischen Fähig- keiten und Fertigkeiten der angehenden Ärzte er- reicht werden. Langfristiges Ziel ist es, auf die Tätig- keit als Arzt im Praktikum im Anschluß an das Studi- um ganz zu verzichten.

In die Reform soll auch das Prüfungswesen ein- bezogen werden: Einerseits soll in Zukunft durch ei- ne stärkere Gewichtung der mündlichen Prüfung bei der Notengebung das Gewicht der Multiple-choice- Prüfungen zurückgedrängt werden. Andererseits wird überlegt, neben den Multiple-choice-Fragen Fallstudien in den schriftlichen Teil des zweiten Ab- schnitts der Prüfung einzubeziehen. Daneben werden derzeit verschiedene Modelle geprüft, um das MC- Verfahren zu modifizieren. Den Universitäten soll die Möglichkeit eingeräumt werden, auf die Gestal- tung des Multiple-choice-Verfahrens verstärkt Ein- fluß zu nehmen. BMG

A-2956 (18) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 44, 3. November 1995

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