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Archiv "Schlichtung in Arzthaftpflichtfragen" (29.01.1981)

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Heft 5 vom 29. Januar 1981

Schlichtung in Arzthaftpflichtfragen

Aufgaben und Erfahrungen der norddeutschen Schlichtungsstelle

W. Berner, E. Trostdorf und R. Vogel

Der nebenstehend beginnen- de Beitrag aus der Unfallchir- urgischen Klinik (Direktor:

Prof. Dr. H. Tscherne) der Me- dizinischen Hochschule Han- nover und aus der Schlich- tungsstelle für Arzthaftpflicht- fragen der norddeutschen Ärztekammern, Hannover, enthält den bisher wohl diffe- renziertesten Erfahrungsbe- richt (1976 bis 1978) einer Schlichtungsstelle. Er ist schon deswegen von beson- derem Interesse für die Ärzte- schaft, aber auch für die Öf- fentlichkeit. Der Bericht kommt gleichzeitig dem in der Ständigen Konferenz der Gut- achter- und Schlichtungsstel- len übereinstimmend geäu- ßerten Anliegen nach, die in den Gutachter- und Schlich- tungsstellen beurteilten medi- zinischen Sachverhalte, ins- besondere soweit sie gehäuft in- gleicher Form auftreten, zum Zwecke der Fortbildung darzulegen und die gesamte Ärzteschaft auf besonders schwerwiegende Fälle oder auf wiederholt auftretende Fälle ärztlicher Behandlungs- fehler hinzuweisen.

Entstehung und Aufgabe der Schlichtungsstelle

In jüngerer Zeit sind die Ärzte in der Öffentlichkeit nicht selten heftiger Kritik ausgesetzt. Eine der Ursachen ist sicherlich die Zunahme von Haft- pflichtprozessen, in denen der Pa- tient grundsätzlich beweispflichtig ist. Dem stehen im allgemeinen fol- gende Schwierigkeiten entgegen:

Der Patient erhält keine Einsicht in die Unterlagen*) der behandelnden Ärzte, und außerdem kann er als Laie den medizinischen Sachverhalt nicht auswerten. Hierzu braucht er einen ärztlichen Sachverständigen.

Einen Ausweg bot die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Diese forderte die Unterlagen der beschul- digten sowie vor- und nachbehan- delnden Ärzte an. Abschließend hol- te sie ein Sachverständigengutach- ten ein. Ohne Rücksicht auf den Ausgang dieses Verfahrens hatte nun der Patient die Unterlagen, die er brauchte, um prüfen zu können, ob er einen Zivilprozeß gegen den Arzt anstrengen wollte.

Im Hinblick auf die unterschiedli- chen Kausalitätsbegriffe und die an- ders geregelte Beweislast im Straf- und Zivilverfahren war dieser Weg für den Patienten keineswegs opti- mal und für den Arzt stets ein Ärger- nis und eine zusätzliche Belastung.

Aus dieser Situation heraus ent- wickelten sich Überlegungen, die schließlich zu der Errichtung von

Schlichtungsstellen und Gutachter- kommissionen für Arzthaftpflichtfra- gen führten.

Sie haben folgende Ziele:

— Es soll versucht werden, eine ra- sche außergerichtliche Regelung zwischen Patient und Arzt herbeizu- führen.

— Dem Patienten und gegebenen- falls seinem Anwalt soll ein Gutach- ten zur Verfügung gestellt werden, das ihm die Nachprüfung erleichtert, ob er Haftpflichtansprüche gegen ei- nen Arzt für gegeben hält.

— Dem Patienten soll die Kostenlast für die Erstellung des Gutachtens abgenommen werden, die er im staatsanwaltlichen Verfahren auch nicht zu tragen hat.

— Der Arzt soll vor unbegründeten Strafanzeigen und Prozessen be- wahrt werden.

Aufgrund dieser Überlegungen wur- de am 1. November 1976 die Schlichtungsstelle der fünf nord- deutschen Ärztekammern (Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) mit Sitz in Hannover errichtet. Ihr Zweck ist es, dazu beizutragen, Streitigkeiten we-

*) Zur ärztlichen Dokumentationspflicht und zum Einsichtsrecht des Patienten in Kran- kenunterlagen aufgrund neuerer Entschei- dungen vgl. Wasserburg: „Die ärztliche Do- kumentationspflicht im Interesse des Pa- .

tienten" in NJW 1980, S. 617.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Arzthaftpflichtfragen

gen Haftpflichtansprüchen*) zwi- schen Ärzten und Patienten, die sich aus der ärztlichen Tätigkeit ergeben, außergerichtlich beizulegen. Das kann dadurch geschehen, daß dem Haftpflichtversicherer des Arztes Vorschläge zur Regulierung eines Schadens gemacht werden. Andern- falls wird dem Patienten nahege- bracht, daß ein Anspruch auf Scha- denersatz nicht besteht.

Verfahrensweise der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle kann von Pa- tienten, Ärzten oder deren Versiche- rung und von Krankenhausträgern, die für die Tätigkeit ihres Arztes in Anspruch genommen werden, ange- rufen werden. In den letzten drei Jahren haben sich fast ausschließ- lich Patienten an die Schlichtungs- stelle gewandt. In einigen Fällen ha- ben aber auch Ärzte eine Klärung im Schlichtungsverfahren angestrebt.

Voraussetzung für die Durchfüh- rung eines Schlichtungsverfahrens ist eine freiwillige Teilnahme aller Beteiligten. Widerspricht einer der Beteiligten, so kann es nicht durch- geführt werden.

Vorsitzender der Schlichtungsstelle ist ein Arzt als ständiges Mitglied.

Weiteres ständiges Mitglied ist ein Jurist, der gleichzeitig die Ge- schäftsführung wahrnimmt. Für den ärztlichen Vorsitzenden sind zwei weitere Ärzte und für den Juristen ein Rechtsanwalt als Stellvertreter bestellt.

Die Schlichtungsstelle entscheidet entweder im Vorprüfungsverfahren, an dem der Vorsitzende und das ständige juristische Mitglied betei- ligt sind. Diese geben ihre Stellung- nahme regelmäßig aufgrund des er-

*) Dabei kann es sich um gesetzliche oder vertragliche Schadensersatzansprüche handeln (§§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 230 StGB, § 847 BGB;

§§ 611 ff., 276 BGB — positive Vertragsver- letzung). Schmerzensgeld ist der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist und im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit verlangt werden kann (§§ 823, 847 BGB).

mittelten medizinischen Sachver- halts und eines fachärztlichen Gut- achtens ab.

Die Schlichtungsstelle kann ferner in Besetzung von fünf Mitgliedern entscheiden. Sie ist dann neben dem Vorsitzenden und dem ständi- gen juristischen Mitglied mit einem Arzt oder Juristen aufgrund Benen- nung durch den beteiligten Arzt, mit einem Arzt oder Juristen aufgrund Benennung durch den Patienten und mit einem Arzt als Sachverstän- digen für das durch den konkreten Sachverhalt angesprochene Fach- gebiet besetzt.

Grundsätzlich geben die Ärzte der Schlichtungsstelle keine gutachter- liche Stellungnahme ab, um ihre Ob- jektivität zu erhalten. Dem Patienten und dem Arzt entstehen durch die Tätigkeit der Schlichtungsstelle kei- ne Kosten. Die Gutachtergebühren werden von dem Versicherer des Arztes ohne Rücksicht auf den Aus- gang des Schlichtungsverfahrens getragen. Daneben beteiligen sich die Versicherungen auch zum Teil an den recht aufwendigen Kosten für die Aufklärung des medizini- schen Sachverhaltes.

An dem Verfahren vor der Schlich- tungsstelle der fünf norddeutschen Ärztekammern können bisher nur die privathaftpflichtversicherten Ärz- te und Krankenhäuser teilnehmen.

Die kommunalen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Träger von Krankenhäusern (Land, Bund) ha- ben sich die Entscheidung bei Haft- pflichtansprüchen vorbehalten. Die Träger der kommunalen Kranken- häuser werden z. B. von dem Kom- munalen Schadenausgleich oder ähnlichen Institutionen beraten. Es bestehen jedoch Bestrebungen, den Kreis der Beteiligten zu erweitern. In Berlin sind bereits die Universitäts- kliniken, das Oskar-Helene-Heim und die AOK-Geschwulstberatungs- stelle privathaftpflichtversichert. Sie nehmen daher an dem Schlich- tungsverfahren teil.

Die Schlichtungsstelle ist nicht zu- ständig für Honorarstreitigkeiten.

Sie kann aber auch nicht tätig wer-

den, wenn Straf- oder Zivilprozesse wegen desselben Behandlungsvor- wurfs anhängig sind oder es sich um Ansprüche gegen gesetzliche oder private Versicherungsträger oder Gesundheitsbehörden handelt.

Ein Rückblick auf die bisherige Tä- tigkeit zeigt, daß das Schlichtungs- verfahren für Ärzte und Patienten gegenüber dem Zivilprozeß deutli- che Vorteile aufweist. Bei der Auf- klärung des Sachverhalts wirken Ärzte mit. Diese fordern von den be- handelnden Ärzten die Unterlagen an. Die Beschaffung dieser Unterla- gen ist deshalb wichtig, weil den Gutachtern uneingeschränkte Ein- sicht in die gesamten Krankenunter- lagen und Dokumentationen der be- handelnden Ärzte vermittelt werden muß.

Während der Bearbeitung einer Sa- che besteht ein ständiger Kontakt zwischen Ärzten und Juristen. Es hat sich als besonders vorteilhaft ausge- wirkt, daß bei der Formulierung von Fragen an den ärztlichen Gutachter Ärzte und Juristen zusammenarbei- ten. Dadurch werden die im gericht- lichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren häufig erforderlichen Zu- satzgutachten vermieden. Der stän- dige Kontakt zwischen Ärzten und Juristen wirkt sich auch bei den Ab- schlußberatungen vorteilhaft aus.

An dieser Stelle sei nur daran erin- nert, wie schwierig es für Juristen manchmal ist, die Ausführungen ei- nes ärztlichen Gutachtens richtig zu verstehen. Die Schlichtungsstelle ist im übrigen bestrebt, diesen Schwie- rigkeiten dadurch vorzubeugen, daß den Gutachtern genau überlegte und gezielte Fragen gestellt werden.

Im gerichtlichen Verfahren müssen Haftpflichtprozesse nicht selten auf mehrere Gerichte eines Landes nach ihrer örtlichen Zuständigkeit aufgeteilt werden.

Demgegenüber sind die Verfahren bei der Schlichtungsstelle überge- bietlich zusammengefaßt. Für die Schlichtungsstelle der fünf nord- deutschen Ärztekammern wirkt sich diese Zusammenfassung ganz be-

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1976*) 1977 1978

506 775 730 258

333 371

65 158 86

59 126 106

67 98 90

32 60 34

25 43

2 011 68

126 255

309 291 gesamt 962

Nieder- sachsen

Schleswig- Holstein

Hamburg Bremen insgesamt

Jahr Berlin sonst.

Tabelle 1: Zahl der Anträge, unterteilt nach Ärztekammerbereichen

*) ab 1. November 1976

2 011

gesamt 100,0

Anzahl der Anträge

prozen- tualer Anteil Sachliche Erledi-

gung

Formale Erledi- gung

a) unzuständig b) Rücknahme c) Widerspruch durch Arzt oder Versicherer

27,3 72,7 57,2 10,5

5,0 549

1 462 1 148 212

102

Tabelle 2: Unterteilung der ein- gegangenen 2011 Anträge nach sachlicher und formaler Erledi- gung*)

*) Die Arbeit umfaßt den Zeitraum vom 1. November 1976 bis 31. Dezember 1978. Dabei fällt die hohe Zahl der for- mal (wegen Unzuständigkeit usw.) ab- geschlossenen Verfahren auf. Eine Ubersicht für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1979 zeigt dagegen, daß der Anteil der Verfahren mit sachlicher Erledigung (Verfahren, die mit einer Sachentscheidung abgeschlossen wur- den) inzwischen 47 Prozent erreicht hat. Das heißt, daß in den ersten neun Monaten 1979 fast jeder zweite Antrag sachlich entschieden wurde.

Tabelle 3: Übersicht über die 549 durchgeführten bzw. anhängi- gen Verfahren

erwiesene Behandlungs-

fehler 151

ausgeschlossene und nicht nachweisbare Behand-

lungsfehler 343

laufende Verfahren 55

insgesamt 549

sonders günstig aus. Im folgenden Beitrag soll eine Sichtung und Ord- nung der bei der Schlichtungsstelle der fünf norddeutschen Ärztekam- mern eingegangenen Anträge und Anfragen vorgenommen werden.

Statistik

Nach Aufnahme der Tätigkeit der Schlichtungsstelle kam es zu einer Flut von Anträgen. In der Zeit vom 1.

November bis 31. Dezember 1976 gingen 506, 1977: 775 und 1978: 730 Anträge ein, insgesamt 2011 Anträge (s. Tabelle 1). Auf den Bereich der Ärztekammer Niedersachsen entfiel fast die Hälfte aller Anträge (962), gefolgt von Schleswig-Holstein (309), Berlin (291), Hamburg (255) und Bremen (126), was ungefähr in Relation zur jeweiligen Bevölke- rungszahl steht.

Von den gesamten Anträgen konn- ten in fast Dreiviertel der Fälle kei- ne Schlichtungsverfahren durchge- führt werden (s. Tabelle 2).

Die Gründe waren in 57,2 Prozent rein formaler Art. Ein Großteil davon (388 Anträge) lag in der Unzustän- digkeit der Schlichtungsstelle, weil der angebliche Behandlungsfehler in einem kommunalen Krankenhaus vorgekommen war. Bei anderen Fäl- len lief bereits ein Gerichtsverfahren und die Patienten wollten parallel eine Aufklärung bzw. eine außerge- richtliche Bereinigung. Viele Anträ- ge waren auch in sich unschlüssig und beinhalteten oft nur Unmutsäu- ßerungen ohne konkrete Ansprüche wegen eines eventuell eingetretenen Schadens.

Allein 10,5 Prozent aller Anträge wurden vom Antragsteller selbst zu- rückgenommen bzw. eine weitere Korrespondenz mit der Schlich- tungsstelle durch den Antragsteller eingestellt; gelegentlich handelte es sich auch um eindeutig verjährte An- gelegenheiten (über 30 Jahre). We- gen Widerspruchs gegen ein Schlichtungsverfahren durch den Arzt oder den Versicherer konnte in 5 Prozent keine weitere Bearbeitung erfolgen.

In 549 Fällen (27,3 Prozent) wur- den Schlichtungsverfahren durch- geführt oder sind noch anhängig. In der Hauptsache wurde eine Stel- lungnahme anhand eines Gutach- tens abgegeben, nur in etwa 10 Pro- zent der durchgeführten Verfahren konnte auf ein Gutachten verzichtet werden. Bei etwa 30 Prozent der Schlichtungsverfahren lag ein er- wiesener Behandlungsfehler vor (s.

Tabelle 3).

Grundlage der Schlichtungsverfah- ren ist eine Sachaufklärung, die sich auf die Heranziehung sämtlicher verfügbarer Dokumente (wie Praxis- karteikarten, Krankengeschichten, Röntgenbilder, Operationsberichte, alle möglichst im Original) erstreckt.

Basierend auf der Sachaufklärung wird durch die Schlichtungsstelle unter Berücksichtigung ärztlicher und juristischer Belange ein Gutach- tenauftrag formuliert. Als Gutachter werden nur für den in Frage stehen- den Fachbereich erfahrene und wirklich kompetente Fachleute her- angezogen.

In entsprechenden Fällen kann es notwendig sein, daß der Gutachter den entstandenen Schaden erst ein- mal genau feststellen und definieren muß; dies kann auf einem anderen Fachgebiet liegen als demjenigen, dem der beschuldigte Arzt angehört.

Schaden ist hier der Nachteil, den jemand durch ein bestimmtes Ereig- nis an seiner Gesundheit oder sei- nen sonstigen rechtlich geschützten Gütern — Vermögen, Leben, Freiheit usw. — erleidet. Dies kann z. B. da- durch geschehen, daß eine unbe- rechtigte oder fehlerhafte Therapie nicht den gewünschten Erfolg bringt und zu einer längeren Krankheits- dauer führt.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Arzthaftpflichtfragen

Im Falle eines erwiesenen Schadens ist zu prüfen, ob dieser auf einem schuldhaften (fahrlässigen) Behand- lungsfehler beruht. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Einzelfalle er- forderliche Sorgfalt nicht beachtet wurde.

Aufklärungspflicht*)

Der Patient ist grundsätzlich über die Art des Eingriffs bzw. die Thera- pie aufzuklären. Zusätzlich muß er über mögliche Komplikationen un- terrichtet werden. Der Arzt sollte sich die durchgeführte Aufklärung und erteilte Einwilligung schriftlich durch Unterschrift bestätigen las- sen. Die Aufklärungspflicht und der Hinweis auf Komplikationen ist für solche Fälle von besonderer Wich- tigkeit, in denen typische Komplika- tionen nicht sicher zu vermeiden und daher voraussehbar sind. Als Beispiel seien die Rekurrensparese bei Schilddrüsenoperationen, die

Tabelle 4: Unterteilung der an- erkannten Behandlungsfehler nach Schadensart oder Fachge- bieten

prozen- Anzahl tualer

Anteil 1. Spritzenschä-

den 27 17,9

2. Allgemein-

medizin 5 3,3

3. Internistische

Fachgebiete 7 4,6

4. Frauenheil- kunde und Ge-

burtshilfe 12 7,9

5. Kinderheil-

kunde 3 2,0

6. Augenheil-

kunde 8 5,3

7. Hals-, Nasen- und Ohrenheil-

kunde 4 2,6

8. Dermatologie 0,7

9. Röntgen- und Strahlenheil-

kunde 5 3,3

10. Chirurgische

Fachgebiete 79 52,4

zusammen 151 100,0

Hodenatrophie bei Leistenbruch- operationen, die Ureter-Scheiden- Fistel bei gynäkologischen Opera- tionen und die Akzessoriusparese nach Halslymphknoten-Probeexzi- sionen genannt. Die Beweislast für eine ausreichende Aufklärung trägt der Arzt. Ist eine Aufklärung nicht oder nur unvollständig erfolgt, ist es Sache des Arztes, den fehlenden Kausalzusammenhang zwischen Eingriff/Therapie und eingetretenem Schaden nachzuweisen. Die Erfah- rung zeigt im übrigen, daß sich manchmal bei unzureichender Auf- klärung eine ungenügende Kenntnis möglicher Komplikationen dahinter verbirgt (z. B. Akzessoriuslähmung).

Darstellung

erwiesener ärztlicher Fehler Es werden Untersuchungen und Be- handlungen analysiert, bei denen nach Urteil jeweils kompetenter Gut- achter des betroffenen Fachgebie- tes ein schuldhafter Fehler zu unter- stellen ist (s. Tabelle 4). Das Schwer- gewicht dieser Darstellung soll sich auf chirurgische Fachgebiete er- strecken, andere sollen nur mehr beispielartig abgehandelt werden.

Dazu wird bemerkt, daß die Bearbei- tung der einzelnen Schlichtungsfäl- le, insbesondere hinsichtlich Aus- wahl der Gutachter, selbstverständ- lich den Spezialdisziplinen der ein- zelnen Fachbereiche (Handchirur- gie, Neonatologie, Onkologie u. v.

a.) Rechnung trägt.

Spritzenschäden

Die vorstehende Übersicht veran- schaulicht sehr deutlich die beacht- liche Zahl von Behandlungsfehlern, die bei Verabfolgung von Spritzen entsteht. Dabei liegt das Schwerge- wicht hinsichtlich der Häufigkeit und oft auch des Ausmaßes des Schadens auf den intraglutäalen In- jektionen. Sie bewirkten in unserem Untersuchungsgut als nachhaltigste Folgen 14 Läsionen des N. ischiadi- cus und des N. glutaeus superior.

Dabei überwiegen bei weitem die des N. ischiadicus. Das erklärt sich zwanglos aus anatomischer Sicht.

Ausgeprägte Unterschiede in Länge und Kaliber beider Nervenstämme bieten entsprechend unterschiedli- che Angriffsflächen bei fehlerhaften Injektionen mit unmittelbarer para- oder womöglich intraneuraler Appli- kation des Medikaments. Der Nach- weis eines Spritzenschadens stellt bei_ beiden Nerven so gut wie den Beweis eines Behandlungsfehlers dar, denn ein solcher ist bei richtiger Wahl des Injektionsortes durchaus vermeidbar. In einem weiteren Falle verursachte eine intraglutäale Injek- tion nur mittelbar, aber ebenfalls schuldhaft eine lschiadikusparese, weil eine mangelhafte Überwachung bei Marcumar-Therapie ein druck- entfaltendes Hämatom auf den Plan gerufen hatte.

Weitere unliebsame Folgen intraglu- täaler Injektionen sind aseptische Gewebsnekrosen, die teilweise be- achtliche Ausmaße erreichen. Sie werden auch als Embolia cutis hae- morrhagica oder neutraler als Nico- lau-Syndrom bezeichnet. Diese Ge- websnekrosen werden in aller Regel dann als Behandlungsfehler be- wertet, wenn die Vorschriften intra- glutäaler Injektionen (sofortiger Abbruch der Einspritzung bei Schmerzeintritt, Blutnachweis bei Ansaugprobe) mißachtet wurden und dadurch die Gefahr intravasa- ler Injektion gegeben war. Unser Schlichtungsgut verzeichnet acht derartige Behandlungsfehler.

Orientierend sei hinzugefügt, daß sich die Schlichtungsstelle auch mit vereinzelten isolierten Fettgewebs- nekrosen und selbstverständlich auch etlichen Spritzenabszessen glutäaler Lokalisation zu befassen*

Das Problem der Aufklärung und Einwilli- gung kann im Rahmen dieser Arbeit nur angedeutet werden. Zur Vertiefung darf auf folgende Literatur und Rechtsprechung hingewiesen werden: Hollmann, Aufklä- rungspflicht des Arztes, Diss. Würzburg 1969; Kleinewefers, Die Aufklärungspflicht des Arztes und die Rechtsfolgen ihrer Ver- letzung, Versicherungsrecht 1964, S. 349;

Laufs, Arztrecht, Schriftenreihe der NJW, 2.

Aufl. 1978 (Aufklärungspflicht und Einwilli- gung, S. 32 ff); Urteil BGH 28. 11. 57, NJW 57, S. 267; Urteil BGH 16. 1. 59, BGHZ 1977, S. 176; Urteil BGH 4. 11. 75, Vers.R. 76, S.

293; Urteil BGH 27. 9. 77, NJW 78, S. 587;

Urteil OLG Köln 16. 3. 78, NJW 78, S. 1690;

Urteil OLG Celle 10. 7. 78, NUW 79, S. 1251;

Urteil OLG Frankfurt 22. 9. 78, Vers.R. 79, S.

651; Urteil BGH 15. 5. 79, Vers.R. 79, S. 720.

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hatte. Ein schuldhaftes Handeln war bei Abszessen nirgends erweisbar.

Ein solcher wird angesichts seiner vielfältigen Entstehungsmöglichkei- ten nur dann ernsthaft als Folge ei- nes Behandlungsfehlers zu diskutie- ren sein, wenn offenkundig die bei einer Injektion zu fordernden Sorg- faltsregeln mißachtet wurden. Eine intraglutäale Fettgewebsnekrose ist dagegen stets Beweis einer zu ober- flächlichen und damit fehlerhaften Applikation des Medikaments.

Nichtglutäale Fettgewebsnekrosen im Gefolge der Behandlung der Ten- dovaginitis mit Kortikosteroid-Kri- stallsuspensionen sind nicht ver- meidbar und daher nicht schuldhaft verursacht. Daraus erwächst eine er- höhte Aufklärungspflicht, die in ei- nem unserer Schlichtungsfälle un- terlassen war, ausdrücklich gerügt wurde und Schadenersatz rechtfer- tigte.

Nicht weniger als drei Injektionen am Rumpfe lösten einen Pneumo- thorax aus. Er entstand jeweils bei paravertebraler Applikation von De- pot-Impletol, nicht näher definierter Injektion in einen Schulterbereich und Akupunktur des Rückens.

Allgemeinmedizin und internistische Fachgebiete

In diesem Rahmen verschafften sich relativ häufig diagnostische Fehler Geltung, wofür folgende Beispiele zeugen:

Trotz anhaltender Magenbeschwer- den wurde eine gezielte Diagnostik und damit zeitgerechte Diagnose ei- nes Magenkarzinoms verabsäumt, dem der Betroffene zwei Jahre spä- ter erlag. In einem anderen Falle blieb anläßlich einer Rektoskopie ei- ne dabei verursachte Darmperfora- tion unbemerkt, die einer Peritonitis den Weg ebnete. In diesen Rahmen fügt sich auch eine unzulängliche Untersuchung mit Verzicht auf ein i. v. Pyelogramm anläßlich einer Nie- renkolik ein, der später eine eitrige Pyelitis bei Nierenausgußstein folg- te, was zur Nephrektomie zwang.

Bei zwei Patienten führte eine nicht gehörig überwachte kombinierte Or- dination von Marcumar und Tanderil bzw. Amuno zu spontanen Blutun- gen. Dadurch entstand in einem Fal- le eine kombinierte Lähmung der Nn. femoralis und obturatorius und bei dem anderen eine ischämische Muskelschädigung an einem Unter- schenkel.

In höchstem Maße verhängsnisvoll erwies sich die Abwesenheit eines Arztes bei Verabfolgung einer Injek- tion zwecks Desensibilisierung, die einen anaphylaktischen Schock aus- löste. Die Abwendung der Katastro- phe war nur glücklichen Umständen zu danken.

Frauenheilkunde und Geburtshilfe In der Frauenheilkunde ist die Ent- stehung von Ureter- oder Blasen- Scheiden-Fisteln bei Uterusexstirpa- tion besonders häufig Gegenstand von Haftpflichtfragen, obwohl sie nach unserem Beobachtungsgut nur selten fahrlässig verursacht sind. Das unterstreicht auch hier die Bedeutung sachgerechter Aufklä- rung, die aber in mehreren unserer Schlichtungsfälle mißachtet war und Verpflichtung zu Schadensersatz auslöste. Dazu gesellt sich aber auch ein Behandlungsfehler. Er wur- de darin erblickt, daß nach erkann- ter Ureterverletzung im Rahmen ei- ner Totalexstirpation des Uterus der Harnabfluß nicht rechtzeitig durch Anfertigung eines i. v. Pyelogramms überprüft und so die Aussicht auf Vermeidung der Ausbildung einer Fistel mittels Zweiteingriffs vertan wurde.

In ähnlicher Häufigkeit wurde die Schlichtungsstelle mit Problemen des Mammakarzinoms befaßt. Hier hat der Vorwurf nicht rechtzeitiger Erkennung Vorrang. Ein solcher er- wies sich aber nur in zwei Fällen als

berechtigt. In einem Falle wurden tastbare knotige Brustveränderun- gen nicht nur nicht zum Anlaß weite- rer diagnostischer Maßnahmen ge- nommen, sondern bei einer späte- ren ärztlichen Versorgung derselben Frau wegen eines Abortes über-

haupt nicht beachtet. Im andern Fal- le wurde trotz Erhebung eines posi- tiven Tastbefundes die Diagnose des Karzinoms um Wochen verzögert.

Nicht erkannte Schwangerschaften leiten zur Geburtshilfe über. Hier ist aber auch die Verfehlung einer Schwangerschaftsverhütung zu er- wähnen. Sie bestand darin, daß oh- ne jegliche Orientierung über den Zyklus oder eine zeitgerechte Gabe von Kontrazeptiva ein Intrauterin- pessar aus Anlaß von Rücken-•

schmerzen kurzerhand entfernt wurde.

Einem Geburtshelfer wurde die Miß- achtung bzw. Verkennung einer Symphysenlösung mit längerwäh- renden Schmerzen als einer nach Zangenentbindung üblichen Kom- plikation angelastet. Weit schwerer wiegt das Verschulden einer Totge- burt. Es wurde darin erblickt, daß trotz Überschreitung des Geburts- termins, Erfolglosigkeit der Wehen und Verschlechterung der kindli- chen Herztöne eine rechtzeitige Ent- bindung verabsäumt wurde.

Kinderheilkunde

Hier betreffen drei schuldhafte Ver- säumnisse ohne Ausnahme eine ver- fehlte Diagnostik: Eine Neugebore- nensepsis wurde nicht, eine Glome- rulonephritis im Gefolge einer Angi- na zu spät erkannt und schließlich wurde trotz eindeutigen Befundes, wahrscheinlich infolge unzulängli- cher Untersuchung, eine angebore- ne Hüftluxation übersehen.

Augenheilkunde

In ihrem Rahmen verschafft sich ebenfalls eine diagnostische Fehlbe- urteilung besondere Geltung. Wäh- rend einer 10jährigen augenärztli- chen Überwachung und Behand- lung vollzog sich ganz allmählich, aber stetig ein Verfall des Sehvermö- gens bis zur Grenze der Erblindung.

Die Ursache wurde in einem sog.

Niederdruckglaukom, einem Glau- coma chronicum simplex, erblickt, das auch die therapeutischen Bemü-

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zusammen 79 100,0 Tabelle 5: Aufschlüsselung der chirurgischen Fehler nach Teil- gebieten

Anzahl der Anträge

prozen- tualer Anteil technische

Fehler beim chirurgischen Eingriff Allgemein- chirurgie Unfallchirurgie Orthopädie kosmetische Chirurgie Neurochirurgie Urologie

5 22 27 14 3 2 6

6,3 28,0 34,2 17,6 3,8 2,5 7,6

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Arzthaftpflichtfragen

hungen bestimmte. Der wahre Ur- sprung war eine Hirngeschwulst, ein suprasellär gelegenes chromopho- bes Hypophysenadenom. Der ent- scheidende Vorwurf gründete sich darauf, daß die bitemporale Ausprä- gung der sich mehr und mehr einen- genden Gesichtsfelder trotz seiten- unterschiedlicher Ausdehnung nicht zeitgerecht als Wegweiser der richti- gen Diagnose erkannt und die gute Aussicht auf Erhaltung eines ausrei- chenden Sehvermögens mit Hilfe ei- ner weit früheren operativen Abtra- gung der Geschwulst versäumt wur- de. In einem anderen Falle wurde ein Glaukom übersehen, weil Augen- druckmessung und Überprüfung des Augenhintergrundes unterblie- ben. In drei Fällen wurden falsche Brillengläser verordnet, darunter einmal infolge Übersehens einer Sklerosierung des Linsenkerns.

Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Hier wurden uns überwiegend Ver- letzungen des Orbitabodens bei Kie- ferhöhlenspülungen angezeigt. Sie stellen gleichsam eine typische Komplikation dar. Diese gewinnt aber nur dann eine schuldhafte Be- deutung, wenn danach erforderliche Maßnahmen (stationäre Aufnahme, augenärztliche Überprüfungen, ope- rative Revision) verabsäumt werden.

In dieses Fachgebiet fällt sicherlich ganz zufällig auch die Verwechslung zweier Patienten. Es wurden jeweils am falschen eine Tonsillektomie und eine Kieferhöhlenoperation durch- geführt.

Röntgen- und Strahlenheilkunde Hier waren vor allem Strahlenschä- den der Haut zu erörtern. Dafür war zumeist eine zu hohe Einzeldosis verantwortlich.

Operative Fachgebiete

Die Abhandlung der Fehler auf chir- urgischen (operativen) Fachgebie- ten läßt eine Aufschlüsselung in ein- zelne Teilgebiete angezeigt sein (Ta- belle 5).

Bei den technischen Fehlern han- delte es sich durchweg um solche, wie sie bei jeglichem operativen Ein- griff entstehen können. Einmal ist es der Komplex des zurückgelassenen Fremdkörpers. Hier muß unterschie- den werden zwischen Verwendung von Fremdkörpern zur Blutstillung oder Naht (Metallclips) und des irr- tümlichen Zurücklassens von Ope- rationsmaterial (Tücher, Instrumen- te bzw. Instrumententeile). Letztere müssen bei Operationsende voll- ständig entfernt werden. Abgebro- chene Instrumententeile müssen, falls die Entfernung ohne Gefähr- dung des Patienten nicht möglich ist, röntgenologisch kontrolliert wer- den, da eine Lageveränderung — wie in einem Falle vorgekommen — mög- lich ist. Die Verwendung von Metall- clips muß dem Patienten mitgeteilt werden, um bei späteren Röntgen- aufnahmen seine Verunsicherung zu vermeiden.

Die fehlerhafte Anlage der Hautelek- trode für den Elektrocouter führte in drei Fällen zu Verbrennungen.

Allgemeinchirurgie

Ein Fehler in der Allgemeinchirurgie war u. a. die unterlassene Röntgen- darstellung der T-Drainage nach

Cholezystektomie mit Choledochus- verletzung. Röntgenologisch wäre die falsche Lage des T-Drains er- kannt worden. Die Durchtrennung des N. medianus in der Ellenbeuge bei Entfernung einer als Lipom an- gesprochenen Geschwulst, das sich als Neurinom herausstellte, war ebenso fehlerhaft wie die Durchtren- nung des N. ulnaris bei Entfernung eines Neurofibroms. Beides hätte sich bei genauer Präparationstech- nik und richtiger Differentialdiagno- se vermeiden lassen.

Ein besonders häufiger Zwischenfall

ist die Läsion des N. accessorius bei Lymphknotenentfernung im latera- len Halsdreieck. Der Nerv verläuft am lateralen Trapeziusrand häufig so oberflächlich, daß er leicht ver- letzt werden kann. Die Indikation ist hier besonders streng zu handha- ben.

Die hohe Verletzungsgefahr gebie- tet, den Eingriff in Vollnarkose und mit Hilfe einer Assistenz vorzuneh- men. Gleichzeitig ist der Patient über diese mögliche Komplikation vorher ausdrücklich aufzuklären.

Bei Beachtung dieser Vorsichtsmaß- nahmen stellt der eingetretene Schaden lediglich eine nicht ver- meidbare Operationskomplikation dar. Bei den von uns bearbeiteten Fällen zeigte es sich wiederholt, daß der Arzt eine derartige Komplikation überhaupt nicht erwogen hatte, was zwangsläufig das Verletzungsrisiko erhöhte.

Bei der Rekurrensverletzung wäh- rend einer Schilddrüsenoperation liegen die Verhältnisse anders.

Durch Rechtsprechung ist hier be- reits geklärt, daß die Rekurrenspare- se auch bei noch so gründlichem Operieren nicht immer vermeidbar ist. Diese typische Operationskom- plikation muß dem Patienten mitge- teilt werden. Von allein 12 Anträgen wegen Rekurrensparese wurde nur bei einem eine vergleichsweise Re- gelung empfohlen, da hier weder ei- ne schriftliche Operationseinwilli- gung noch ein Nachweis der genü- genden Aufklärung über eventuell eintretende Operationsfolgen er- bracht werden konnte.

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Ein weiterer Schwerpunkt in der All- gemeinchirurgie sind Fehler bei der Operation einer Dupuytren-Kontrak- tur. Gefordert werden die Operation in Blutleere, da nur so eine Nerven- verletzung zu vermeiden ist, sowie zur Blutstillung möglichst Benut- zung einer bipolaren Pinzette und schließlich zum Sekretabfluß die Einlage einer Redondrainage. Von sechs vergleichsweisen Regelungen dieser Art lag in vier Fällen eine di- stale Läsion des N. ulnaris vor, was auf falscher Operationstechnik be- ruhte. Eine fehlerhaft längsgestellte Hautinzision bewirkte einmal eine erneute Streckbehinderung der Fin- ger. In einem weiteren Fall wurde eine viel zu lange Ruhigstellung der Hand (sechs Wochen statt acht Ta- ge) durchgeführt, was zu einer Kon- traktur der Finger führte. Die oft von den Patienten beklagte Entwicklung eines Sudeck-Syndroms stellt kei- nen Operationsfehler dar, weil dabei vorwiegend eine noch ungeklärte Ei- gengesetzlichkeit im Spiele ist.

Unfallchirurgie

Im Rahmen aller chirurgischen Fachgebiete entfielen auf die Unfall- chirurgie nicht weniger als ein Drit- tel aller Fälle. Es stellten sich dabei einige Schwerpunkte heraus. Wie allgemein bekannt, kann die Diagno- stik einer Navikularfraktur des Hand- gelenkes gelegentlich Schwierigkei- ten bereiten. Im Zweifel legt man ei- nen Gipsverband unter einer ent- sprechenden Verdachtsdiagnose an und veranlaßt eine Röntgenkontrolle in zwei bis vier Wochen, die dann oft die endgültige Diagnose erlaubt.

Dieses Vorgehen wurde in vier Fäl- len unterlassen, so daß eine Naviku- larfraktur übersehen wurde und es zur Ausbildung einer Navikular- pseudarthrose kam.

Die Behandlung von Luxationsfrak- turen im oberen Sprunggelenk ist ebenfalls mit gehäuften Fehlern be- lastet. Auf die exakte Reposition des Außenknöchels wurde nicht ausrei- chend geachtet, so daß daraus spä- ter eine Fehlstellung resultierte. Ent- schließt man sich zu einer konserva- tiven Therapie, so ist bei ungenü-

gendem Repositionsergebnis eine Drahtextension erforderlich, um ei- ne spätere Fehlstellung zu vermei- den. In zwei Fällen wurde das unter- lassen. In einem anderen Fall wurde von einem praktischen Arzt auf- grund eines fehlgedeuteten Rönt- genbildes eine frische Patellafraktur als Patella bipartita mißdeutet und in einem weiteren ein unikondylärer Oberschenkelbruch nicht erkannt.

Dazu ist zu bemerken, daß jeder Arzt, der Röntgenaufnahmen anfer- tigt, für richtige Deutung verantwort- lich ist. In zwei Fällen kam es nach primärer Naht wegen Hundebißver- letzung zu einer Infektion, die bei mehrfachen ärztlichen Kontrollen nicht erkannt wurde.

Das Anlegen von Verbänden und Gipsen hat nach gewissen Regeln zu erfolgen und ist vom Arzt minde- stens zu überprüfen. Allein dreimal kam es zu einer inkompletten Pero- näusparese wegen eines zu engen Knieverbandes. In einem Falle wur- de wegen einer subkapitalen Mittel- handfraktur IV statt des Gebrauches einer Böhler-Fingerschiene der Ein- schluß der Finger 111 bis V durchge- führt, wobei es zu einer Rotations- fehlstellung des Mittelhandkno- chens kam. Bei einem weiteren Pa- tienten wurde durch mangelnde Kontrollen des Gipsverbandes eine erhebliche Hautschädigung durch Druck verursacht.

Der prothetische Hüftgelenksersatz wird mit einigen typischen Kompli- kationen belastet, die bei der Aufklä- rung ausdrücklich berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen Pro- thesenlockerung, Infektion, Beinlän- genänderung und Läsionen periphe- rer Nerven (N. ischiadicus, seltener N. femoralis). Allein in zwölf Fällen wurde wegen einer Ischiadikuspare- se die Schlichtungsstelle bemüht, ohne daß ein schuldhafter Fehler an- erkannt wurde. Es läßt sich aller- dings noch nicht befriedigend über- sehen, unter welchen Voraussetzun- gen die lschiadikusparese als unver- meidbar oder etwa fehlerhaft verur- sacht anzusehen ist. Das liegt darin begründet, daß der Nerv hier sehr verschiedenartig durch Druck und Überdehnung in unmittelbarer Aus-

wirkung intraoperativer Manipula- tionen, des Einsatzes von Instru- menten oder eingebrachten Kunst- stoffs, vorübergehender Hitzewir- kung oder scharfer Durchtrennung gefährdet wird. Dagegen mußte die Unterlassung einer intraoperativen Röntgenaufnahme bei einer schwie- rigen Prothesenimplantation nach vorausgegangener Laschennage- lung ohne Vorbehalt als fehlerhaft angesehen werden. Infolgedessen wurde der falsche Prothesensitz zu spät bemerkt und zwang zu einem Reeingriff. In einem anderen Falle entstand ein durchaus vermeidbarer Berstungsbruch des Oberschenkels, da fälschlicherweise der Schaftka- nal zu eng angelegt war.

Orthopädie

Im Rahmen der Orthopädie führte ein nicht erkanntes Unterschenkel- Kompressionssyndrom nach einer Umstellungsosteotomie der Tibia zur Unterschenkelamputation. Eine rechtzeitige Faszienspaltung hätte das verhindert. Eine andere intra- trochantäre Umstellungsosteotomie führte wegen einer erheblichen Ro- tationsfehlstellung zu einem ver- meidbaren schlechten Ergebnis. In einem weiteren Falle wurde nach ei- ner Unterschenkelverlängerung mit einem Wagner-Distraktor zu früh ein Knochenspan eingebracht, der mit einer zu kurzen Platte versorgt wur- de, so daß es zu einer Fraktur kam.

Bemerkenswert häufig werden schlechte Ergebnisse von Hallux- valgus-Operationen beklagt. Bei der üblichen Operation nach Brandes werden 'A der Grundphalanx rese- ziert. Reseziert man zu wenig ('A, ein Fall), so kommt es zur Gelenkein- steifung, reseziert man zu viel, so entstehen mobile Endglieder mit gehbehindernden Zehenverkürzun- gen (zwei Fälle). Die große Schwie- rigkeit der Erfolgsgarantie bedarf hier eines ausdrücklichen Hin- weises.

Gelenkpunktionen mit einer an- schließenden Einbringung einer Kortikoid-Kristallsuspension werden oft durchgeführt. Die hierbei dro-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

henden Komplikationen (Infekt, aseptische Knochennekrose) sind unbedingt aufklärungspflichtig. Ein peinlich steriles Vorgehen ist ebenso selbstverständlich wie eine strenge Indikation für Kortisoninjek- tionen. In diesem Rahmen hat die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärzte- kammer Nordrhein-Westfalen eine Warnung herausgegeben (Rheini- sches Ärzteblatt, 11, 1978). In den von uns bearbeiteten Fällen galt als fehlerhaft einmal (es kam zu einem Gelenksinfekt) die mangelnde Auf- klärung, in einem anderen Fall die unzulänglichen Vorkehrungen zur Asepsis. Im Falle einer Periarthritis humeroscapularis wurde die Indika- tionsstellung zur Kortisoninjektion für zu weit angesehen, da die Er- krankung auf degenerativen und nicht auf entzündlichen Vorgängen beruht.

Urologie

Auf urologischem Gebiet fehlte zweimal eine Indikation zur Nephro- pexie, da diese einmal bei einer Pye- lonephritis falsch und zum anderen bei leichter Nephroptose nicht erfor- derlich war. Die unterlassene Aufklä- rung über geringe Erfolgschan- cen einer Harninkontinenzoperation nach transvesikaler Prostata-Ade- nom-Exstirpation führte in einem weiteren Fall zu einer vergleichswei- sen Regelung. Gleichfalls fehlerhaft waren die Verkennung einer neuro- genen Blasenentleerungsstörung sowie die Durchführung einer Bla- seninfekttherapie ohne Erreger- nachweis.

Kritische Betrachtung der operativen Behandlungsfehler

Es entstanden besonders viele Feh- ler bei der Behandlung des Bewe- gungsapparates. Das ergibt sich daraus, daß 27 -Prozent aller ermittel- ten Behandlungsfehler der Unfall- chirurgie und Orthopädie anzula- sten waren. Sie machen demnach mehr als die Hälfte aller chir- urgischen (operativen) Behand-

Arzthaftpflichtfragen

lungsfehler aus, die in ihrer Gesamt- heit 52 Prozent erreichten.

Für die Unfallchirurgie ist die Fehler- quote jedoch weitaus höher anzu- setzen, wofür es mehrere Gründe gibt: Unfallverletzte werden in das nächste Unfallkrankenhaus, häufig ein städtisches Krankenhaus, einge- liefert. Da diese Häuser nicht am Schlichtungsverfahren teilnehmen, können entsprechende Fälle in un- sere Aufstellung keinen Eingang fin- den. Allein 29 Prozent aller Anträge, die an den Kommunalen Schaden- ausgleich verwiesen wurden, er- streckten sich auf den Vorwurf feh- lerhaften Vorgehens auf unfallchir- urgischem Gebiet. Ein weiterer Grund für höchst lückenhafte Erfas- sung der bemerkenswert häufigen unfallchirurgischen Behandlungs- fehler dürfte in der Tatsache liegen, daß Unfallverletzte meist von einer Versicherung eine Rente oder Ent- schädigung erhalten, so daß ein Fehler in der Behandlung zu einer höheren Entschädigung, nicht aber zu einem Antrag an die Schlich- tungsstelle führt. Weiterhin finden verständlicherweise alle Arbeitsun- fälle, die über die Berufsgenossen- schaften entschädigt werden, hier keine Berücksichtigung.

Zusammenfassung

Die vorstehenden Ausführungen stellen eine erste kritische Auswer- tung des Schlichtungsgutes unter rechtlichen und ärztlichen Gesichts- punkten dar. Eine einigermaßen ver- bindliche Übersicht konnte noch nicht gewonnen werden. Diese soll einer Auswertung aufgrund eines weiteren Zeitabschnittes vorbehal- ten bleiben.

Anschriften der Verfasser:

Dr. med. W. Berner,

Unfallchirurgische Klinik der Medizi- nischen Hochschule Hannover;

Professor (em. o.) Dr. med. E. Trost- dorf, Ministerialrat a. D.

Dr. jur. R. Vogel

beide: Schlichtungsstelle für Arzt- haftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern

Postfach 5443, 3000 Hannover 1

THEMEN DER ZEIT

Vergütung der Krankenhausärzte zwischen

Recht und Politik

Rudolf Lehming

Die Vergütung ärztlicher Lei- stungen im Krankenhaus be- schäftigt nicht nur Kranken- hausträger, Interessenverbän- de und Gutachter, sondern auch höchste Gerichte, am meisten das Bundesarbeitsge- richt (BAG) 1 ). Schuld daran sind unklare Gesetzestexte, entstanden aus politischen Zielkonflikten der Parlamente des Bundes und der Länder.

Durch bestechend klare Definitio- nen und logisch zwingende Schlüs- se hat nicht zuletzt Professor Dr.

Uwe Diederichsen, Juristisches Se- minar der Universität Göttingen, den Gesetzesnebel zu lichten versucht.

Im Auftrag der Deutschen Kranken- hausgesellschaft (DKG), Düsseldorf, hat er ein Rechtsgutachten vorge legt, das sich seitenweise wie ein Kommentar zum Krankenhausfinan- zierungsgesetz (KHG) und zur Bun- despflegesatzverordnung (BPfIV) liest2).

Nicht jeder wird allen Wegen folgen können, die der Gutachter durch den Dschungel gesetzlicher Bestim- mungen gebahnt bat. Als erster hat der 5. Senat des BAG Bedenken ge- gen eine Rechtsauffassung ange- meldet, die dem Gutachter zuge- schrieben wird: „Nach dessen An- sicht eröffnet das Liquidationsrecht dem Arzt nur die Möglichkeit zu ei- nem zusätzlichen Verdienst und ist jedenfalls keine Gegenleistung für die dem Krankenhausträger ge- schuldeten Leistungen')." Letzten

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