Aufsätze -Notizen
Es hat sich im Laufe der Jahre her- auskristallisiert, daß alte oder behin- derte Menschen, schön gruppiert und kategorisiert, in entsprechen- den Anstalten oder Wohnheimen un- tergebracht werden. Damit wird ei- ner unerwünschten Gettobildung und manchmal auch Konfrontation Vorschub geleistet. Das angestrebte Servicehaus soll ein Wohnhaus sein mit behindertengerechten Mietwoh- nungen, in denen die Behinderten mit ihren Angehörigen, zusammen mit nichtbehinderten Menschen, wohnen und leben können. Gedacht ist hier in erster Linie an Menschen, die trotz ihrer Behinderungen relativ selbständig und nur auf gelegentli- che Hilfen angewiesen sind. Ebenso Menschen, die sich allein zu unsi- cher fühlen, obwohl sie objektiv nur geringe Hilfe benötigen.
Bewohner eines Servicehauses, wie es die Bundesarbeitsgemeinschaft propagiert, sind neben nichtbehin- derten in erster Linie körperbehin- derte Menschen mit ihren Angehöri- gen oder Partnern. Es müssen be- hindertengerechte, das heißt, roll- stuhlfähige Wohnungen mit entspre- chenden Einrichtungen angeboten werden. Und zwar nicht irgendwo an der Peripherie, sondern möglichst mitten in einem Stadtteil oder in ei- ner Ortschaft, um auf diese Weise auch die Behinderten am allgemei- nen sozialen Leben teilhaben zu lassen.
Wenn es sich bei den konzipierten Servicehäusern auch nicht um
Wohn- oder Pflegeheime im her- kömmlichen Sinne handelt, so kann doch — wie schon der Name sagt — auf einen gewissen Service nicht verzichtet werden. Ein Bereit- schaftsdienst rund um die Uhr muß gewährleistet sein. Ebenso natürlich die erforderliche ärztliche Versor- gung. Medizinische Bäder, Massa- gen, Krankengymnastik, Wundver- sorgung müßten ebenso gewährlei- stet sein wie beispielsweise die Ver- abreichung von Medikamenten, In- jektionen, Katheterisierung und an- deres. Wohlverstanden, alles nur als Angebotsleistung. Es handelt sich um abgeschlossene Wohnungen und nicht um Heime oder Sanato- rien; wenn auch gewisse Parallelen nicht auszuschließen sind. Wün- schenswert wäre die Zusammenar- beit mit einer Sozialstation, sofern vorhanden. Auch entsprechende Freizeitangebote, wie etwa ein Schwimmbad und/oder eine Sauna, ein Fitneßraum wären durchaus wünschenswert.
Wer soll das bezahlen?
Um die Verwirklichung von „Ser- vicehäusern" in breiterer Streuung zu ermöglichen, wäre die Erarbei- tung allgemeiner Kriterien und Emp- fehlungen erforderlich, die den Bau und Betrieb von subjektiven und ört- lichen Verhältnissen unabhängig werden lassen. Solche Hinweise lie- gen bereits vor, und zwar in dem Heft Nr. 21 der von der „Bundesar- beitsgemeinschaft Hilfe für Behin- Drogenbekämpfung
kreis die schlimmsten Schäden für die Reifung und geistige Entwick- lung der jungen Menschen zu su- chen und auch zu finden sind, darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Dagegen ist viel weniger bekannt, wie man diesen Mängeln unter den heutigen politischen und weltan- schaulichen Verhältnissen abhelfen könnte, zumal sich ja das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen läßt. Wenn zu diesem Punkte vor al- lem die Philosophen angesprochen werden, so kann man zunächst nur feststellen, daß sie ihrer Aufgabe bisher sich nicht gewachsen zeig- ten. Die Gesellschaft oder in ihrer Vertretung der Staat hat noch nicht verraten, was er anzubieten ge- denkt, zumindest bisher nicht deut- lich gemacht, daß er hier anbieten könne.
Meine Absicht ist es, eindeutig fest- zustellen, daß die bisherige Be- kämpfung des Drogenmißbrauchs sich auf die sekundären Quellen und Auswirkungen konzentriert hat, daß es mir aber erforderlich erscheint, daß der Kampf früher einsetzte, bei den wirklichen Quellen, mit anderen Worten bei den Anlässen zum Pro- test und zu den Fehlentwicklungen vor allem bei den Reifungsprozes- sen. Das Wie, Wann und Was steht noch offen. Die Wichtigkeit der Pro- blematik wird doch genügend deut- lich, wenn von ca. 25 Prozent verhal- tensgestörten Kindern gesprochen wird, die dann die potentiellen Dro- gensüchtigen werden. Niemand kann bestreiten, daß die Rolle der Drogen als „Problemlöser" nach al- len bisherigen Anstrengungen uner- schüttert geblieben ist, sollte das nicht Anlaß geben, die ganze Dro- genbekämpfung einmal neu zu überdenken und sich vor allem von zweifelhaften Hypothesen und Er- klärungsversuchen zu lösen?
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Walter Geller Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Am Bürgerpark 8 5300 Bonn-Oberkassel
FORUM
Servicehäuser für Behinderte
Kurt-Gerhard Islar
Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e. V.", Düssel- dorf, Dachorganisation für über dreißig Behindertenhilfs- und Selbst- hilfeorganisationen, hat einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht und damit an die Initiative von Privatpersonen, Gruppen und Kommu- nen appelliert: Es sollen „Servicehäuser" geschaffen werden.
848 Heft 13 vom 27. März 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
TBLOTENLESE k. u. k.
Österreich hatte 1878 Bosnien besetzt. Die Bosniaken mach- ten ihrer Empörung durch At- tentate auf höhere Beamte Luft. Um die kritische Lage zu meistern, wurde ein drakoni- sches Gesetz entworfen: „Wer auf den Innenminister schießt erhält zwei Jahre, auf den Au- ßenminister drei Jahre, auf den Kriegsminister vier Jahre schweren Kerker. Auf den Mi- nisterpräsidenten darf über- haupt nicht geschossen wer- den." Dr. Fleiß
Hilfe für Behinderte
derte e. V." (BAG), Kirchfeldstraße 149, 4000 Düsseldorf, herausgege- benen Schriftenreihe. Dieses Heft kann, wie auch alle anderen der glei- chen Reihe, von Interessenten ko- stenlos bei der BAG angefordert werden. Eine ungeahnte Zahl von Möglichkeiten und Quellen, aus wel- chen Darlehen und Zuschüsse zu er- halten sind, ist hier aufgezeigt. Und man könnte sich vorstellen, daß die Schaffung eines solchen Service- hauses für manchen Arzt oder eine Ärztegemeinschaft nicht nur ein Be- tätigungsfeld, sondern auch eine Kapitalanlage sein könnte.
Bereits bestehende Servicehäuser in Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt, München und Krautheim mögen da- für beispielhaft sein. Sie arbeiten al- lerdings auf sehr unterschiedliche Weise, zum Teil befinden sie sich noch im Stadium des Experimentie- rens. Immerhin, die Vorschläge und Empfehlungen der Bundesarbeits- gemeinschaft sind es zumindest wert, ernsthaft geprüft zu werden.
Hier liegt noch manches im argen, und dem Interessierten und Hilfswil- ligen bietet e ich ein reiches Betäti- gungsfeld zum Wohle der behinder- ten Mitbürger.
Anschrift des Verfassers:
Kurt-Gerhard Islar Postfach 13 66 Bad Pyrmont
Aufsätze - Notizen
Die hochkarätige Gesprächsrunde im Kurhaus zu Bad Nauheim war sich nur in einem Punkte einig: In unserer Gesellschaft muß der Wille zum Kind gestärkt werden — eine Forderung, die man wohl eher unter die immateriellen Hilfen subsumiert.
Aber schon die erste Frage, die der als Moderator fungierende stellver- tretende Chefredakteur des ZDF, Volker van Hagen, stellte, erhielt ge- gensätzliche Antworten. Hat die Ge- setzesreform, fragte van Hagen, das Ziel erreicht, ungeborenes Leben zu schützen?
Kardinal Prof. Hermann Volk (Mainz) sagte nein. Kirchenpräsident D. Hel- mut Hild (Darmstadt) meinte „eher nein", Bundesärztekammer-Präsi- dent Dr. Karsten Vilmar verneinte drastisch und wandte sich dagegen, die steigende Zahl der Abtreibungen mit Notlagen-Indikation als Fort- schritt auszugeben. Die rheinland- pfälzische Kultusministerin Dr. phil.
Hanna Renate Laurien (CDU) teilte ihre Antwort bereits: Die Beseiti- gung der früheren Dunkelziffer sei ein Erfolg des Gesetzes, aber das ungeborene Leben sei nicht besser geschützt worden. Nach ihrer Mei- nung gibt es eine Diskrepanz zwi- schen Zielsetzung und Verwirkli- chung der Reform des Paragraphen 218 StGB, die sich darin ausdrückt, daß man darüber diskutiere, wo mehr und wo weniger Abtreibungen nach der Notlagen-Indikation vorge- nommen worden sind.
Die SPD-Landtagsabgeordnete Dr.
med. dent. Haidi Streletz (Heusen- stamm) bejahte ihrerseits v. Hagens Frage mit der Einschränkung „so- weit dies durch ein Gesetz beein- flußt werden kann". Sie erweiterte ihre Antwort auch ins Politisch-prak- tische: „Wenn man bereit ist, das ungeborene Leben zu schützen, muß man auch fragen, wieweit das geborene Leben in unserer Gesell- schaft geschützt wird. Wenn unsere
TAGUNGSBERICHT
Umwelt kinderfreundlicher wäre, gä- be es weniger Konflikte." Ministe- rialdirektor Prof. Dr. med. Manfred Steinbach vom Bundesgesundheits- ministerium bejahte die Frage eben- falls und fügte hinzu, daß der Ab- bruch einer Schwangerschaft nach wie vor nicht straffrei sei, sondern nur in Ausnahmefällen. Und da Kar- dinal Volk von der Würde auch des ungeborenen Lebens gesprochen hatte, meinte er, daß auch und gera- de in der Not die Würde des Men- schen nicht vergessen werden dür- fe. Ministerialdirektor Scheuer vom saarländischen Gesundheitsministe- rium antwortete (in Vertretung sei- ner Ministerin Frau Dr. med. Rose- marie Scheurlen, FDP) mit Ja, denn die Abnahme der illegalen Abbrüche sei ein Schutz des ungeborenen Le- bens. Ihm wäre allerdings an einer besser zu handhabenden Formulie- rung der Voraussetzungen einer Notlagen-Indikation gelegen gewe- sen. Damit schnitt er jenen Teil der
§-218-Diskussion an, der der Ärzte- schaft die größte Not macht: die Not- lagen-Indikation. „Wir müssen Indi- kationen auf einem Gebiet stellen, über das wir nicht genug wissen", sagte eine Ärztin aus dem Publikum.
Die Forderung nach einem Katalog von Notfällen und anerkannten Indi- kationen, die BÄK-Hauptgeschäfts- führer Prof. Volrad Deneke tags zu- vor in einem Seminar über das glei- che Thema erhoben hatte, fand bei den Politikern wenig Gegenliebe. Es wurde bezweifelt, daß die Einzelfälle von Gesetzen so eingegrenzt wer- den können, daß keine neuen Unge- rechtigkeiten entstehen.
Als es um die Praxis der Beratung ging, hatten die diskutierenden Frauen das Wort. Frau Dr. Streletz hob hervor, daß es nun möglich sei über Familienplanung zu sprechen in Kreisen, in denen das vor 20 Jah- ren noch unmöglich gewesen sei.
Was an tradierten Vorurteilen abge- baut werden mußte, machte sie an