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Archiv "Internistenkongress: Gendereffekte von Arzneimitteln" (14.05.2010)

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A 920 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 19

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14. Mai 2010

M E D I Z I N R E P O R T

INTERNISTENKONGRESS

Gendereffekte von Arzneimitteln

Geschlechts- und altersspezifische Unterschiede von Medikamentenwirkungen werden häufig erst nach der Markteinführung erkannt. Ein Grund dafür ist, dass diese Gruppen in klinischen Studien unterrepräsentiert sind.

den Folgen einer geschlechtsspezi- fischen Regulation der Expression von Genen, die für Enzyme des Arzneimittelmetabolismus codieren oder für Sexual- und Wachstums- hormone. So unterscheiden sich die Aktivitäten der Isoenzyme aus dem Zytochrom-P450-System, die in den Metabolismus zahlreicher Me- dikamente involviert sind.

Auf eine höhere Aktivität von CYP-2D6 bei Männern wird die bessere Verträglichkeit bestimmter Betablocker wie Propanolol und Metoprolol bei männlichen Patien- ten zurückgeführt; im Körper von Frauen akkumulieren diese Sub- stanzen leichter, mit der Folge von durchschnittlich deutlich höheren Plasmakonzentrationen (40 bis 80 Prozent) und höheren UAW- Raten bei Frauen: für Metoprolol zum Beispiel 25 versus fünf Prozent.

Interaktionen mit Johanniskrautpräparaten

Unterschiede gibt es auch bei den Antidepressiva: „Auf trizyklische Substanzen sprechen Männer bes- ser an als Frauen, selektive Seroto- nin-Wiederaufnahmehemmer wie- derum wirken im Allgemeinen bes- ser bei Frauen, wenn sie noch vor der Menopause sind, aber schlech- ter bei postmenopausalen Frauen und bei Männern“, erläuterte Regitz- Zagrosek. Ob dies auch für die Serotonin-Noradrenalin-Wiederauf - nahmehemmer gelte, sei derzeit noch nicht geklärt.

Frauen, die Kontrazeptiva näh- men, müssten auf Interaktionen mit rezeptfreien Johanniskrautpräpara- ten hingewiesen werden. Da das Pflanzenextrakt das CYP-450-Sys- tem induziere, würden die Konzen- trationen von Kontrazeptiva um bis 80 Prozent reduziert: „Das bedeutet faktisch einen fehlenden Empfäng-

D

ie Komplexität der Pharma- kotherapie in Bezug auf die Wirksamkeit und Sicherheit der Medikamente wächst rasant: Es gibt immer mehr Hochbetagte, die mehrere Wirkstoffe unterschiedli- cher Substanzklassen erhalten.

Nach den Daten der europäischen Pro-Age-Studie (PRevention in Older people – Assessment in GE-

neralists’ practices), die eine Ham- burger Kohorte mit 2 462 selbststän- dig lebenden, nichtdementen Men- schen im Alter von 60,2 bis 99 Jah- ren einschließt, erhalten 28 Prozent dieser Altersgruppe mindestens fünf verschiedene Arzneimittel; bei den über 80-Jährigen wurden 33,8 Pro- zent mit mehr als fünf verschiede- nen Medikamenten behandelt, wie Prof. Dr. med. Wolfgang von Ren- teln-Kruse (Hamburg) berichtete.

Drei bis acht Prozent aller Krankenhausaufnahmen lassen sich Schätzungen zufolge auf uner- wünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zurückführen. Je älter Pa- tienten sind und je mehr Medika-

mente eingenommen werden, desto häufiger sind UAW die Ursache für eine Einweisung in die Klinik.

Deshalb bedeute Fortschritt in der Arzneitherapie nicht in erster Linie, dass neue Wirkstoffe auf den Markt gebracht würden; mindestens ebenso relevant sei die Entwicklung von Konzepten, um die Anwendung von Pharmaka wirksamer und sicherer zu machen, so der Tenor beim Kongress. „In die Kontrolle von Arzneimittelverordnun- gen müssen insgesamt zuneh- mend computergestützte Pro- gramme integriert werden“, sagte Kongresspräsident Prof.

Dr. med. Jürgen Schölmerich (Regensburg). „Vor allem bei multimedizierten Patienten sollte regelhaft geprüft wer- den, welche Mittel entbehr- lich sind – in der Klinik ein- bis zweimal pro Woche.“

Alter und Geschlecht be- einflussen über Pharmakoki- netik und -dynamik die Arz- neimittelwirkungen wesent- lich, finden in der Praxis aber noch zu wenig Berücksichti- gung, erklärte der Vorsitzen- de der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Dr. med.

Wolff-Dieter Ludwig (Berlin). Eine Ursache liegt darin, dass das Ge- schlecht als Einflussparameter noch komplexer und weniger erforscht ist als das höhere Lebensalter. Zu selten würden in den Zulassungsstudien die Daten der Medikamentenwirkungen nach Geschlecht differenziert, so dass viele für Frauen unerwünschte Effek- te erst retrospektiv bekannt würden, wenn ein Medikament schon auf dem Markt sei, sagte Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek (Charité – Universi- tätsmedizin Berlin).

Die physiologischen Unterschie- de beruhten im Wesentlichen auf Frauenherzen

schlagen anders:

Dies trifft auch für die erwünschten und unerwünschten Wirkungen von kar- diovaskulären Arz- neimitteln zu. So haben Frauen ein höheres Risiko für medikamentenindu-

zierte Arrhythmien.

Foto: Fotolia

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Heft 19

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14. Mai 2010

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nisschutz.“ Auch Carbamazepin sei ein starker Induktor von Enzymen des CYP-450-Systems und mindere die Effektivität von Kontrazeptiva.

Gerinnungshemmende Substan- zen aus der Klasse der Glykopro- tein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten rufen bei Frauen doppelt so häufig Blutungen hervor wie bei Männern (acht versus circa vier Prozent).

„Ursache für die Differenzen ist hier vermutlich eine bei Frauen ver- ringerte Nierenfunktion und renale Clearance des Medikaments“, sagte Regitz-Zagrosek. Vor der Anwen- dung dieser Substanzen sei es wich- tig, die Kreatinin-Clearance zu be- stimmen und die Dosis anzupassen, wenn der Wert unter 50 ml/min lie- ge. Das Messen des Kreatinins im Serum eigne sich nicht dazu. „Vor allem ältere und kleinere Frauen sind durch GPIIa/IIIb-Rezeptor - antagonisten blutungsgefährdet“, fügte die Kardiologin hinzu.

Große Unterschiede gibt es auch bei der Prophylaxe kardiovaskulä- rer Ereignisse durch Acetylsalicyl- säure (ASS). Primärpräventiv ange- wandt ergab sich bei Männern eine statistisch signifikante Risikore- duktion um 30 Prozent für Myo- kardinfarkte, nicht aber bei Frauen (-0,3 Prozent). Zur Primärpräventi- on des Schlaganfalls hingegen kön- ne ASS für Frauen sinnvoll sein.

„Hier hat sich für Männer kein Vor- teil ergeben“, sagte Regitz-Zagrosek:

„Diese Unterschiede verstehen wir noch nicht.“

Gefährliche Arrhythmien

Bekannt ist dagegen, dass Sexual- hormone die elektrophysiologi- schen Eigenschaften des Myokards beeinflussen: Östrogen verlängert die QT-Zeit, während Testosteron das QT-Intervall verkürzt. Verlän- gerte QT-Zeiten gehen häufig mit den potenziell lebensbedrohlichen Arrhythmien vom Typ Torsade de pointes einher. So haben Frauen ein höheres Risiko für medikamenten- induzierte Arrhythmien, wie sie das Antiarrhythmikum Sotalol in allen Dosierungen und allen Altersgrup- pen hervorrufen kann.

Auch die Einnahme von Antiin- fektiva wie Erythromycin und Pen- tamidin geht mit einem erhöhten

Risiko für QT-Zeitverlängerungen bei Frauen einher, ebenso die des Opioidagonisten Methadon oder des Antipsychotikums Pimozid.

Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) habe vor kurzem rechtzeitig reagiert, in- dem ein klinisch weit entwickeltes neues Klasse-III-Antiarrhythmi- kum wegen einer signifikanten Ver- längerung der QT-Zeit bei Frauen keine Zulassung erhalten habe, so Regitz-Zagrosek.

Beim ACE-Hemmer Captopril habe sich erst in einer Studie nach der Markteinführung gezeigt, dass die Substanz die kardiovaskuläre Mortalität in der Untergruppe der hypertensiven Frauen nicht wesent- lich senke im Gegensatz zu männ - lichen Patienten (Reduktion der Sechsmonatsmortalität um 51 Pro- zent). Für andere ACE-Hemmer wie Enalapril gebe es gar keine ge- schlechtsspezifischen Analysen. Die Rate der dermatologischen UAW von ACE-Hemmern sei bei Frauen circa 3,5-mal höher als bei Männern.

Solche geschlechtsspezifischen Differenzen und Zweifel führten möglicherweise dazu, dass Frauen mit Verdacht auf koronare Herzer- krankung in Deutschland weniger intensiv behandelt würden als Män- ner und nun teilweise deutlich un- terversorgt seien, sagte Regitz- Zagrosek mit Bezug auf eine Unter- suchung aus dem Jahr 2006 (Clin Res Cardiol 2006, 95[8]: 405–12).

Dies gelte für ACE-Hemmer, Beta- blocker, Thrombozytenaggregati- onshemmer, aber auch für Statine, die bei Frauen genauso gut wirksam seien wie bei Männern.

Frauen dürften nicht wie bisher in klinischen Studien unterrepräsentiert bleiben. Das gelte besonders auch für die Phase I und II, denn in der früheren klinischen Entwicklung würden die UAW definiert. Einer Studie der FDA zufolge gebe es bei neun von 58 neuen Arzneimitteln signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede, sagte die Kardiologin:

„Wir müssen auch bei den für Deutschland relevanten Zulassungs- behörden darauf hinwirken, dass solche Unterschiede frühzeitig er- kennbar sind.“ Das Bundesfor- schungsministerium unterstütze der-

zeit ein Projekt zum Aufbau einer Datenbank, in der für neun inter - nistische Krankheitsbilder die ge- schlechtsspezifischen Unterschiede der Pharmakologie und -therapie auf der Basis systematischer Literaturre- cherche dokumentiert würden. Die Datenbank könne vermutlich noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen, ebenso wie eine erste deutsche Liste potenziell inadäquater Medikation bei Älteren. Sie soll Arzneimittel oder deren Kombinationen auswei- sen, bei denen die Risiken mit guter Evidenz den potenziellen Nutzen überwiegen.

Cave: antihypertensive plus psychotrope Arzneimittel

Nach der Deutschen Pharmakovigi- lanz-Studiengruppe sind schwere UAW bei über 70-Jährigen vor al- lem durch orale Antidiabetika, Di- uretika, Digitoxin, Betablocker, ACE-Hemmer und nichtsteroidale Antiphlogistika beziehungsweise Medikamentenkombinationen ver- ursacht. Renteln-Kruse berichtete über eine eigene Studie, in der bei 100 Patienten die Medikation 24 Stunden vor einem Sturz verglichen wurde mit der von 100 altersent- sprechenden Senioren, die nicht ge- stürzt waren (Durchschnittsalter: 79 Jahre, durchschnittliche Anzahl der Medikamente: acht).

Vor allem die Kombination psy- chotroper Arzneimittel mit Sub- stanzen, die den Blutdruck senken, erhöhte die Wahrscheinlichkeit für einen Sturz. Eingeschränkte Nie- renfunktion, niedriges Körperge- wicht (BMI unter 22), Multimedi- kation (mehr als fünf Arzneimittel) und funktionale Einschränkungen im Gedächtnis, Seh- und Hörver- mögen, aber auch in der Händigkeit erhöhten das Risiko für schwere UAW. Wegen einer verminderten Nierenfunktion führe gerade bei äl- teren Frauen die Gabe von Digitalis - präparaten in der empfohlenen Menge zur individuellen Überdo- sierung mit erhöhten Substanzkon- zentrationen im Serum, betonte Renteln-Kruse (Med Klin 102; 2007:

192). Nur in drei der deutschen 477 Leitlinien sei das Problem der Mul- timedikation thematisiert. ■ Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

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