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Archiv "Primärarzt-Modell neu „entdeckt“: „Idealtypische Vorstellungen“ des Sachverständigenrates" (23.02.1989)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Knapp eineinhalb Monate nach Inkrafttreten des in der Umset- zungsphase an allen Ecken und Enden holpernden „Gesetzes zur Strukturreform im Gesund- heitswesen" (Gesundheits-Re- formgesetz) kann sich die Bun- desregierung zumindest nach der Lesart des Bundesarbeits- ministeriums durch das (dritte)

Jahresgutachten des Sachver- ständigenrates für die Konzer- tierte Aktion im Gesundheits-

wesen (KAG) in ihren mit dem umstrittenen Gesetz verfochte- nen Anliegen bestätigt fühlen.

Primärarzt-Modell neu „entdeckt"

„Idealtypische Vorstellungen" des Sachverständigenrates

D

ie im Gesundheits-Re- formgesetz verankerten Steuerungsinstrumente, die Begrenzung des Lei- stungskatalogs und die erstmalige Anwendung von Festbeträgen im Bereich der Arznei-, Heil- und Hilfs- mittel seien zielgerecht; die Selbst- verwaltung und sämtliche Leistungs- träger seien hier gefordert. Die neu- en Instrumente sollten rasch und umfassend genutzt werden. Aller- dings hält es der Sachverständigen- rat für notwendig, den ersten „zag- haften" Reformschritten weitere fol- gen zu lassen — ganz unter der Devi- se: „Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung" sind nur dann zu erreichen, wenn das gesamte ge- wachsene Versorgungssystem tief- greifend umstrukturiert, die Aufga- ben und Zuständigkeiten der einzel- nen Sektoren und Leistungsträger neu definiert und schärfer abge- grenzt und die gegliederte Kranken- versicherung organisatorisch „gene- ralüberholt" werden.

Ohne sich mit den facettenrei- chen und mit vielen Vorbehalten versehenen Analysen und Aussagen des Sachverständigengutachtens de- tailliert auseinanderzusetzen, lenkt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die in seinem Sinne positiv klingenden „zentralen Aussagen des Gutachtens" auf die eigenen Mühlen. So resümiert das Ministerium:

> Maßnahmen zur

Begrenzung der Gesundheitsausgaben und zur dauerhaften Stabilisierung der Fi- nanzlage der gesetzlichen Kranken-

versicherung sind notwendig. Das Gesundheits-Reformgesetz enthält wesentliche Elemente, um dieses Ziel zu erreichen.

> Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ohne eine Verschlechte- rung der Qualität der medizinischen Versorgung erreichbar. In den ver- schiedenen Versorgungsbereichen des Gesundheitswesens bestehen nach wie vor erhebliche Wirtschaft- lichkeitsreserven, die ausgeschöpft werden müssen.

> Die durch das GRG einge- führte Verpflichtung von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zur Durchführung qualitätssichernder Maßnahmen wird vom Sachverständigenrat be- grüßt. Qualitätssicherung und Wirt- schaftlichkeit seien keine Gegensät- ze. Das bisher nur in einigen Fällen angewandte Instrumentarium der Qualitätssicherung müsse in allen Bereichen der medizinischen Ver- sorgung weiterentwickelt und effek- tiver eingesetzt werden (auch mit Hilfe staatlicher Auflagen und Kon- trollen bis hin zur Nachweispflicht ärztlicher Fortbildung).

> Der Rat weist erneut auf

„Einsparpotentiale" im Arzneimit- telbereich hin. Bereits 1987 hieß es, daß die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen um 20 bis 25 Prozent gesenkt werden könnten (rund 4 Milliarden DM), angeblich ohne die

Qualität der Versorgung zu beein- trächtigen.

Als ein wesentliches In- strument werden die zu bildenden Arzneimittelfestbeträge bezeichnet,

mit denen Preisspielräume auf dem Arzneimittelmarkt ausgeschöpft werden könnten. Auch durch die Vereinbarung von Richtgrößen für die Menge der verordneten Arznei- mittel und durch Wirtschaftlichkeits- prüfungen könne das Verordnungs- volumen verringert werden.

D Auch für den Krankenhaus- sektor werden Fehlallokationen, Überkapazitäten im Akutbereich und ein Mangel von krankenhaus- entlastenden und krankenhauser- gänzenden Einrichtungen festge- stellt. Das mit dem GRG neu einge- führte erweiterte Kündigungsrecht der Krankenkassen gegenüber dau- erhaft unwirtschaftlichen Kranken- häusern solle umfassend als Kosten- dämpfungsinstrument eingesetzt werden. Der Rat empfiehlt „drin- gend", nicht zuletzt im Hinblick auf die im SGB V geforderten neuen

„Krankenhausvergleichslisten", die Leistungsstatistiken zu verbessern und sie zu differenzierten diagnosen- und therapiebezogenen Instrumen- ten auszubauen. Gleichwohl ist sich der Rat bewußt: Ein fundiertes Ur- teil über die Effizienz und über hieb- und stichfeste Kosten-Nutzen-Ver- gleiche im stationären Bereich läßt sich nur rudimentär bilden.

Im Gleichklang mit dem (noch unveröffentlichten) Erfahrungsbe- richt über die Neuordnung der Kran- kenhausfinanzierung plädieren die Sachverständigen für eine erweiterte Liste von

Sonderentgelten,

alternati- ve Abrechnungsverfahren und für ei- ne Zurückdrängung der pauschalen Tagespflegesätze zugunsten von dif- Dt. Ärztebl. 86, Heft 8, 23. Februar 1989 (17) A-437

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fetenzierten Abteilungs-Pflegesät- zen. Unter Berufung auf einschlägige Gutachten werden die Fehlbelegung der Akutkrankenhäuser mit Pflege- fällen (rund 17 Prozent), die gestie- gene Einweisungshäufigkeit durch niedergelassene Ärzte (Zunahme der Fallzahlen) und die Fehlentwick- lung infolge von Krankenhausfällen mit kurzer Verweildauer ("Kurzlie- ger") kritisiert.

Bis zu 30 Prozent der Akutbet- ten könnten nach Meinung des Ra- tes stillgelegt oder für einen anderen sozialen Zweck "umgewidmet wer- den", wenn

~ komplementäre Einrichtun- gen im ambulanten Bereich vorge- halten würden; ein Rückgang der Pflegetage nicht zu ökonomischen Nachteilen für das Krankenhaus führt; die Personalausstattung nicht belegungsbezogen erfolgt; eine aus- reichende Vordiagnostik gewährlei- stet und eine nachstationäre Behand- lung eingeräumt wird.

Trotz des konstatierten Hand- lungsbedarfs sehen die Gutachter einen Silberstreif am Horizont: Erst- mals seit 1972 lagen die Ausgaben- steigerungen der Krankenkassen für die stationäre Krankenpflege 1988 im Limit der Grundlohnsummenent- wicklung.

Umkrempelung des Systems Weiterhin ungelöste Probleme liegen für den Rat nicht nur im "un- gebremsten Zustrom von Leistungs- erbringern", vor allem der Ärzte, im Krankenhaus- und Arzneimittel- markt und in den "Verwerfungen in den Krankenkassenstrukturen", die zu "ungerechten Beitragsunterschie- den" führen. Neben einer organisa- torischen Neugliederung der gesetz- lichen Krankenversicherung, einem noch "klärungsbedürftigen" Finanz- ausgleich und einer adäquaten regio- nalen Abgrenzung der Zuständigkeit der Krankenkassen ist für den Sach- verständigenrat ein neuartiger, ge- stufter Aufbau der Versorgungszu- ständigkeiten im ambulanten ärzt- lichen Bereich zentraler Reform- punkt. Die Gutachter favorisieren das "Primärarzt-Modell" - mit weit- gehend vom geltenden System ab-

weichenden, "alternativen Versor- gungs- und Vergütungssystemen".

Die "Reißbrettkonzeption" soll zu-

nächst in Modellversuchen getestet werden. Die Vorschläge des Rates:

[> Die medizinische Versor-

gung sollte künftig stärker durch .. all- gemeinmedizinisch qualifizierte Arz- te gesteuert und verantwortlich kon- trolliert werden. In einem auf die primärärztliche Versorgung ausge- richteten System -mit der Zentralfi- gur des Hausarztes als "Patienten- verteiler" - werden die Gebietsärzte nur auf Überweisung durch Primär- ärzte tätig.

[> Bei einem ausschließlichen

Zugang zum Gesundheitssicherungs- system über den Primärarzt wird gleichzeitig die freie Arztwahl erheb- lich eingeschränkt. Dies sei aber keine

"völlig neue Situation gegenüber dem Ist-Zustand", meinen die Gut- achter. Denn die GKV-Versicherten könnten ohnedies nur Kassenärzte oder ermächtigte Krankenhausärzte in Anspruch nehmen. Bei stationärer Behandlung gebe es für Kassenpa- tienten keine freie Arztwahl.

[> Nach den Vorschlägen soll

sich der Versicherte bei einem

"Primärarzt" einschreiben. Dieser Arzt wäre die wichtigste Anlaufstelle für den Patienten und eine Sammel- stelle für gebietsärztliche Befunde.

Dies setze jedoch eine umfassende Weiterbildung und eine regelmäßi- ge, testierte Fortbildung voraus.

[> Die Versorgung durch Pri-

märärzte habe den Vorteil, daß der Arzt bei geringfügigen Gesundheits- störungen in Kenntnis der Patienten- biographie eine rationelle Diagno- stik betreiben und technische Maß- nahmen verringern könne.

[> Um "kontraproduktiven An-

reizen", die vom Entgeltsystem aus- gelöst werden können, entgegenzu- wirken, schlagen die Gutachter die Abkehr vom Einzelle~~tungsvergü­

tungssystem und den Ubergang zu differenzierten Pauschalen (a Ia SPD, wie ausdrücklich bekannt wird) vor. In den Pauschalen sollen die Pa- tientenstruktur, die ärztliche Kom- petenz (Weiter- und Fortbildung) und die apparative Ausstattung der Praxis berücksichtigt werden. Da- durch sollen zwei Ziele erreicht wer- den: eine unerwünschte Mengenaus- A-438 (18) Dt. Ärztebl. 86, Heft 8, 23. Februar 1989

weitung zu unterbinden und die ärzt- lichen Kontaktzeiten zu verlängern.

Gleichzeitig sollen dadurch Zahl und Umfang veranlaßter und verordneter Leistungen verringert werden. Die Gesamtvergütung für die ambulante kassenärztliche Behandlung soll aber wie bisher plafondiert bleiben. Die jährliche Veränderung der Gesamt- vergütung könne sich wie bisher an einer wirtschaftlichen Größe (Ein- nahmen der GKV) orientieren und solle unabhängig von der Zahl der Ärzte sein. Für die apparative Aus- stattung sollen Zuschläge gezahlt werden, die nutzungsunabhängig sind. Bei einem mehr auf Leistungs- qualität konzentrierten Wettbewerb und bei Aufgabe der Einzelleistungs- vergütung könne auch die Bedarfs- planung für Primärärzte entfallen.

Kombinierte Honorierung Die Gebietsärzte sollen diesem Modell zufolge nur auf Überweisung hin tätig werden. Der "Primärarzt"

soll die Untersuchungen und Be- handlungen vorgeben. Der Untersu- chungsauftrag der Gebietsärzte soll klar definiert und vom Primärarzt- auftrag abgegrenzt werden. Im Sy- stem einer so gestuften Versorgung, die auf Qualität, Kompetenz und Er- fahrung aufbaut, spräche vieles da- für, die gebietsärztliche Versorgung am Krankenhaus und/oder an spe- ziellen "gebietsärztlichen Versor- gungszentren" zu konzentrieren.

Für die Vergütung der Gebiets- ärzte wird eine Kombination von Einzelleistungshonoraren, die sich am Zeitaufwand orientieren, und ambulanten Fallpauschalen vorge- schlagen. Der Rat tritt dafür ein, die Zahl der Fachärzte zu verringern und den Anreiz zur Spezialisierung zu mindern. Die derzeit hohen Lei- stungsvolumina würden dadurch ten- denziell abnehmen.

Insgesamt: Ein längst diskutier- tes und nach allen Seiten abgewoge- nes Gedankenkonvolut, eine Modell- schreinerei, die in erster Linie heuri- stischen Zwecken dienen kann, der aber in den Niederungen der Politik und der harten Realität kaum Chan- cen einer Durchsetzung eingeräumt werden. Dr. Harald Clade

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