Deutsches Ärzteblatt
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1. April 2011 A 709 therapie-Weiterbildung generierenals die beziehungsorientierte und praxisnähere Ausbildung der Fach- hochschulabsolvent(inn)en?
Qualitätsunterschiede in den Wei- terbildungen und in den psychothe- rapeutischen Praxen, sei es für Er- wachsene, Jugendliche oder Kinder, gab es immer schon, ebenso wie bei den Ärzten; und es wird sie immer geben. Das lässt sich nicht durch ei- ne gleichmacherische Reform zu- gunsten einer einzigen Grundaus- bildung beseitigen. Die Unterschie- de sind in den Persönlichkeiten der die Profession ausübenden Perso- nen zu finden, in der Qualität und Quantität der Selbstreflexion inner- halb der Weiterbildungen, in unter- schiedlichen Qualitäten der Weiter- bildungsinstitute insgesamt. Das lässt sich nicht ganz vermeiden.
Kammerpräsident Prof. Rainer Richter stellt anmaßende und selbstüberschätzende Forderungen.
Jetzt sollen psychologische Psycho- therapeuten auch Heilmittel verord- nen? Woher haben sie das Basiswis- sen dazu? Und wo, bitte schön, sind in der Landschaft der niedergelasse- nen PPs die vielen Praxen, die eine Notfallsprechstunde, unbürokra- tisch rasche Ersttermine und Kri- senintervention anbieten?
Meine Befürchtung zum Reformge- setz der BPtK: Hier geht es um Macht, nicht um Sinn.
Prof. Dr. med. Alexander Trost, 41238 Mönchengladbach
Berechtigte Warnung
Das vom Bundesministerium in Auftrag gegebene und seit Mai 2009 vorliegende Forschungsgut- achten zur Psychotherapieausbil- dung sieht nicht generell die bishe- rige Ausbildungspraxis als reform- bedürftig, wie es in dem Beitrag über die Änderungsvorschläge der Bundespsychotherapeutenkammer erscheinen mag. Die empirische Studie zeichnet auf breiter Ebene eine hohe Zufriedenheit mit der derzeitigen Ausbildungspraxis. Än- derungsbedarf besteht vor allem hinsichtlich der Zugangsvorausset- zungen aufgrund der durch die Bologna -Reform veränderten Stu- diengänge (Bachelor/Master) und hinsichtlich der Ausbildungsfinan- zierung und hier insbesondere der mangelhaften und inakzeptablen Bezahlung der Ausbildungstätig- keit in den psychiatrischen Klini- ken.
Eine Korrektur des Psychothera- peutengesetzes hinsichtlich der ver-
änderten Zugangspraxis und mit den Ländern abgestimmte Finanzie- rungsmaßnahmen der praktischen Tätigkeit würden bereits wesentli- che Mängel beheben helfen. Diese Gesetzesrevision könnte bereits schnell erfolgen, und wie Richter ausführt, Qualitätsunterschiede zwi- schen der Behandlung von Erwach- senen und von Kindern und Jugend- lichen beibehalten. Das For- schungsgutachten schlägt auch vor, künftig zwischen Erwachsenenpsy- chotherapie und Kinder- und Ju- gendlichenpsychotherapie (KJP) zu differenzieren und die Bezeichnung Psychologische Psychotherapie auf- zugeben.
Der meiste Zündstoff liegt derzeit in der Frage, ob es künftig einen Beruf „Psychotherapeut“ für alle Altersgruppen gibt (dies favorisiert die Bundespsychotherapeutenkam- mer) oder – wie bisher – zwei psy- chotherapeutische Berufe für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen, wie es das Forschungsgutachten aufgrund sei- ner empirischen Studie vorschlägt.
In dieser Auffassung sind nicht nur die Psychotherapeuten gespalten, auch der Deutsche Verein für öf- fentliche und private Fürsorge, ein Zusammenschluss der großen Ver-
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1. April 2011 bände in den Bereichen Sozial-,Kinder-, Jugend- und Familienpoli- tik, warnt bei der vorgestellten Ein- Berufe-Lösung vor einem Aus der sozialen und (heil-)pädagogischen Studiengänge als Zugang zur Psy- chotherapie und damit vor einer deutlichen Verschlechterung der kinderpsychotherapeutischen Ver- sorgung . . .
Derzeit beginnen circa 80 Prozent die Ausbildung in KJP mit Ab- schlüssen aus sozialpädagogischen Studiengängen mit erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Grundvor - aussetzungen. Mit dieser Basisqua- lifikation können diese künftigen
Psychotherapeuten angemessene professionelle Antworten auf die psychosozialen Verarbeitungspro- zesse aktueller Lebensverhältnisse und gesteigerten Anforderungen be- züglich des Sozialen in der Gesell- schaft bereitstellen, so der Deutsche Verein.
Da das Bundesministerium für Ge- sundheit vorrangig für das Wohl der Bevölkerung zuständig ist, wird es keinen leichten Weg für eine Kom- promissbildung vor sich haben.
Dr. Steffen Fliegel, Mitglied der Forschungsgruppe
„Ausbildung in Psychotherapie“, Gesellschaft für Klinische Psychologie und Beratung, 48155 Münster
MODELLVORH A BEN
Physiotherapeuten in Westfalen-Lippe können über Aus- wahl und Dauer der Behandlung ent- scheiden (DÄ 4/
2011: „Physiothera- pie: Erstes Modellvorhaben gestartet“).
Potenzial für Fehldiagnosen
Als Orthopäde möchte ich in die- sem Medium einmal öffentlich mei- nen Unmut über die Planung dieses Modellvorhabens der BIG-Kran- kenkasse mit 40 physiotherapeuti- schen Praxen in Westfalen-Lippe kundtun. Offenbar wurde hier unter dem Deckmantel des sehr fragwür- digen § 63 Absatz 3 b Sozialgesetz- buch V unter Ausschluss der Ärzte- schaft ein Vertrag geschlossen, der die Folgsamkeit der Ärzte impli- ziert, da als Voraussetzung für das Einschreiben von Patienten in die- ses Modell die Verordnung durch den Arzt postuliert wird, dieser da- nach für einen nicht genannten Zeitraum aber offenbar nicht mehr zu Rate gezogen werden soll.
Nach Verordnung durch den Arzt soll der Physiotherapeut Therapie- hoheit erlangen in Bezug auf An- zahl, Dauer und Art der weiteren (physiotherapeutischen) Behand- lung.
Der Arzt würde hier zur simplen Durchgangsstation und wäre im
Umkehrschluss von einer Wieder- vorstellung des Patienten durch den Physiotherapeuten abhängig.
Hier sehe ich Potenzial für Fehl - diagnosen durch den Physiothera- peuten, gegebenenfalls zu späte Wie dervorstellung, falsche Be- handlung und damit eine Ver- schlechterung der Behandlung des Patienten.
Mir wird an keiner Stelle ersicht- lich, welchen Vorteil der Patient bei diesem Modellvorhaben davontra- gen soll. Den Vorteil für die (nicht budgetierten) Physiotherapeuten (die beliebig viele Physiotherapeu- ten beschäftigen dürfen) sehe ich indes deutlich.
Vielmehr scheint es darum zu ge- hen, den Arzt zunehmend aus dem System zu drängen . . .
Nach § 63 Abs. 3 b SGB V sind die Modellvorhaben mit Physiothera- peuten zulässig, soweit „es sich bei der Tätigkeit nicht um selbstständi- ge Ausübung von Heilkunde han- delt“. Das geplante Modellvorha- ben entspricht diesem Grundsatz nicht, wenn der Physiotherapeut, wie hier geplant, sein eigener Ver- ordner wird.
Was ein Physiotherapeut darf, steht glasklar in deren Ausbildungsge- setz. Da der Gesetzgeber es bisher unterlassen hat, ein echtes Berufs- gesetz zu verfassen, wird es schwer wiegende Gründe dafür ge- ben . . .
Dr. med. Thomas Kramm, 41061 Mönchengladbach
O O
P i k w B s 2 pie: ErstesModellvo
Die Autoren nehmen die angehen- den Notärzte an die Hand, vermit- teln didaktisch gekonnt das nötige Fachwissen für die Prüfung und ste- hen ihnen anschließend als kompe- tenter Ratgeber im „Ernstfall an der Front“ zur Seite. Mit dem Werk sol- len die „Repetitoriums“-Reihe (An- ästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie) um den Bereich Notfallmedizin erweitert und die gezielte Vorbereitung auf die ent- sprechende Prüfung der Zusatzbe- zeichnung ermöglicht werden.
Bereits zwei Jahre nach der Erst- auflage (Frühjahr 2008) erschien Anfang 2010 die zweite Staffel, und man plant für 2011/2012 eine über- arbeitete dritte Auflage, in der man dem jeweils aktuellen Stand der Leitlinien gerecht werden möchte.
Dieses Buch lebt von der Aktuali- tät; den Vergleich mit den elektroni- schen Medien kann man zwar nicht gewinnen, der Kraftakt jedoch, im- merzu auf der Höhe der Zeit sein zu wollen, verlangt dem neutralen Be- obachter großen Respekt ab.
Man hat im Bereich Notfall und Präklinik Facharztwissen aus den verschiedensten Teilgebieten der Medizin (Innere Medizin, Neurolo- gie, Pädiatrie, Psychiatrie und Trau- matologie) zu vermitteln, geht auf neue Empfehlungen, wie etwa zum Zeitfenster bei der Lysetherapie beim Apoplex, ein – ob allerdings Clopidogrel schon vom Notarzt ge- geben werden sollte, das „Dafür und Dagegen“ wird nicht ausrei- chend thematisiert. Weiterhin ist anzumerken, dass unter den sehr ausführlichen tabellarischen Auflis- tungen der Notfallmedikamente (mehr als 21 Seiten) das „Lidocain“
als intravenöses Therapeutikum bei Herzrhythmusstörungen zu finden ist, ohne jedoch auf dessen Obso- leszenz einzugehen.
Positiv ist wiederum die detail- berücksichtigende Schilderung des Aufbaus des Rettungswesen, teil- weise auch abseits der ärztlichen Sicht im Sinne vom feuerwehrspe- zifischen Denken; dessen „Organi- sation und Struktur“, landesspezifi- sche Unterschiede inklusive „Fach- NOTFALLMEDIZIN