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Unter dem Deckmantel des Sozialismus

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Brief aus … Quito

Unter dem Deckmantel des Sozialismus

Präsident Correa polarisiert und manipuliert wie Hugo Chávez

Marko Martin | Hängen großformatige Plakate mit dem Konterfei des Präsi- denten in den Straßen der ecuadoria- nischen Hauptstadt, die sich 1802 bereits Alexander von Humboldt er- wandert hatte? Nein. Rafael Correa, im April 2009 bereits in der ersten Runde mit 51,90 Prozent wiederge- wählt, ist trotzdem omnipräsent in einem Land, das er mehr und mehr als seinen Staat zu betrachten scheint.

Und auch er erwandert es sich – zu- mindest dann, wenn für seine wöchentliche Fernsehsendung die Kameras dabei sind, die den Präsiden- ten in Armenvierteln, abgelegenen Dörfern oder den Gegenden der Indi- genen zeigen.

Das von ihm angekündigte Pro- gramm lautet „Sozialismus im 21.

Jahrhundert“, und Kritiker befürch- ten, das sich hier unter dem Einfluss des venezolanischen Stichwortgebers Hugo Chávez etwas ankündigt, was eine nun eher bedenkliche Nachhal- tigkeit anstrebt. Schon ruft der Präsi- dent – ganz nach dem Vorbild des Nachbarlands – zur Bildung von

„Bürgerkomitees“ auf, um „Destabili- sierung“ zu bekämpfen und die

„Bürgerrevolution“ zu schützen. Logi- scherweise wird diese dann gleich-

gesetzt mit der Parteiengruppierung PAIS, die in Kongress und Parlament zwar nicht die Mehrheit besitzt, aber noch immer die stärkste politische Kraft ist und nach Correas Wünschen vor allem als ein williger Transmissi- onsriemen dienen soll. Wer sich dem als Minister widersetzt, wird – selbst- verständlich im Namen des „Volks- interesses“, nach altbekannter Dema- gogen-Manier verkörpert von „Señor el Presidente“ – gnadenlos gefeuert.

„Die effizienteste Kritik kommt derzeit von links“, sagen ausländische Beobachter und Mitarbeiter politi- scher Stiftungen. Dort, bei den Basis- bewegungen der Zivilgesellschaft, muss man nämlich keine Sorge haben, von den regierungsnahen Medien als

„Handlanger der Oligarchie und des Imperiums“ (sprich USA) geschmäht zu werden, wenn man etwa das Trei- ben der einflussreichen Alvarado-Brü- der kritisiert, die vom Präsidenten- palast aus ihre finanziellen Partikular- projekte im Bergbau vorantreiben und sich keinen Deut um die Interessen und Sorgen der Indigenen scheren.

Von einer Regenbogenallianz der

„progressiven Kräfte“ unter dem Bal- dachin eines gütigen Präsidenten kann deshalb keine Rede sein. © Thomas

Albrecht; Büro Hilmer, Sattler & Albrecht GmbH

122 IP Juli/August 2010

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Jenseits aller Pro- und Contra- Rhetorik bleibt jedoch eine entschei- dende Frage: Geht es den Armen heute besser als zuvor? Könnte es sein, dass sie häufig ignoriert wird in der Rede vom „Linkspopulismus“, die ver- schweigt, dass die alten Eliten und deren Parteien trotz hochtönender Namen eben keine liberalen Demokra- ten, sondern oligarchisch strukturierte Diebesbanden waren (und sind)?

„Wohl wahr, obwohl hier Genauig- keit angebracht ist.“ Vincente Albor- noz ist Wirtschaftswissenschaftler und Präsident des Forschungszen- trums CORDES, das seit Jahren die ecuadorianische Realität analysiert.

„Auf Correas Habenseite steht, dass die Sozialausgaben massiv gesteigert wurden – für Schulbauten, Schulspei- sung und eine Art Sozialhilfe. Aller- dings fällt die Verringerung der Ar- mutsquote nicht stärker aus als unter den in den gleichgeschalteten Medien verteufelten Vorgängerregierungen, unter denen sogar die Lebenserwar- tung von 61 auf 75 Jahre gestiegen war, was ja kein unwichtiger Indikator für den Fortschritt ist.“

Albornoz weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: „Der Zusam- menhang zwischen erhöhten Sozial- ausgaben und geringerer Armut ist empirisch nicht beweisbar, allen gängi- gen Mythen zum Trotz. Ungleich wichtiger ist – für die Armen ebenso wie für die breite Mittelschicht –, dass die Wirtschaft nicht stottert und die Inflation niedrig bleibt, was in Ecu- ador immerhin durch unsere Dollar- Währung mehr oder minder garantiert scheint.“ Und die Oligarchie? „War faul und gewiss diebisch, hatte in der Vergangenheit die enormen Einnah- men aus den Kakao-, später den Öl-

exporten weder der Infrastruktur noch der Binnenmarktentwicklung zugute kommen lassen. Nur – sie war eben zu keinem Zeitpunkt so mörderisch wie in El Salvador oder Guatemala. Selbst zu Zeiten von Militärdiktaturen, für das Volk von den üblich rasant wech- selnden Präsidialregierungen ohnehin kaum zu unterscheiden, gab es keine vergleichbaren Menschenrechtsverlet- zungen, Foltertoten und Verschwun- denen. Wenn Präsident Correa jetzt also auf Teufel komm’ raus polarisiert, ignoriert er bewusst die ecuadoriani- sche Geschichte und bringt uns damit alle in gefährliches Fahrwasser.“

Denn schon häufen sich die Fälle von verletzter Medienfreiheit. So wer- den regierungskritische Zeitungen ge- gängelt, und der Fernsehsender „Tele Amazonas“ (der dem Besitzer der lan- desweit größten Bank gehört) musste für ein paar Tage sogar schließen und wurde vor den Kadi gezerrt. Sein Ver- gehen: „Mögliche (sic!) Hysterie ge- schürt“ zu haben, indem man über die Sorgen der Fischer im Golf von Gua- yaqil angesichts der dortigen Gas- bohrungen berichtet hatte.

Kein Wunder, denkt der Besucher beim Abschied, dass sich die Mehrheit im viel zitierten „Volk“ für Correa ausspricht und ihm zugute hält, für

„eine gewisse Stabilität“ zu sorgen.

Von „Sozialismus“ ist dabei jedoch nirgends die Rede. Allerdings auch nicht von sozialer Demokratie.

MARKO MARTIN, lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Erzählband

„Schlafende Hunde“.

Brief aus … Quito

IP Juli/August 2010 123

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