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Unter dem Pflaster – die Repression

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Academic year: 2022

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IP Januar / Februar 2017

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Marko Martin | Westeuropäische Stu- denten, die in den Jahren um 1968 mit „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“-Rufen ge gen den Vietnam-Krieg protestier- ten, hatten damals noch eine weitere Referenz: „Unter dem Pflaster – der Strand“. Macht die 1975 von Saigon in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannte südvietnamesische Metropole diesen Traum jetzt womöglich wahr?

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich vieles radikal verändert: Po- litiker und Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt suchen in „HCM City“

Investitionsmöglichkeiten, der Touris- mus ist neben dem Export landwirt- schaftlicher Güter eine der wichtigs- ten Einkommensquellen des sich öko- nomisch rasant öffnenden Vietnam.

Rund um die überlebensgroße Ho- Chi- Minh-Statue am Nguyen-Hue-Bou- levard sind keine grimmig dreinbli- ckenden Uniformierten mehr postiert, und ihre zivil camouflierten Kollegen haben nichts dagegen, wenn südkore- anische, malaysische oder japanische Touristen vor der Onkel-Ho-Statue mit lustigen Schmollmündern Selfies machen oder regionstypisch das V-Zei- chen in die Horizontale kippen lassen – Cheeese!

Ist dies nun Subversion quasi von oben her, da doch im Hintergrund des Denkmals weithin sichtbar der Rote Stern auf dem Dach des „Volks- komitee“-Gebäudes weht, eines 1908 von den Franzosen im Stil des Pari- ser Hôtel de Ville erbauten architekto- nischen Schmuckstücks? Versucht die Einheitspartei, ihre Onkel-Ho-Ideolo- gie nun via Facebook und Instagram in die Nachbarländer sickern zu las- sen? Eher nicht. Die seit Frühjahr 2016 amtierende neue Führungsrie- ge unter KP-Chef General Nguyen Phu Trong will alles andere als den Export einer kommunistischen Leh- re, die ohnehin seit dem Reformpro- gramm von 1986 immer weiter ent- kernt worden ist. Was bleibt, ist eine folkloristisch-antikolonialistische, bei Bedarf auch gern neonationalistische Herrschaftsideologie, die rote Fahnen und postmoderne Glasbetonwolken- kratzer mühelos vereint.

Und das erträumte Pflaster? Ist seit einiger Zeit zur real existieren- den Fußgängerzone geworden, zu ei- ner trendigen südostasiatischen Aus- gehmeile, bevölkert von Fashion- Beautys beiderlei Geschlechts, Stra- ßenmusikern, offensichtlich privaten Wirtschaftswachstum und Parteiwillkür im ehemaligen Saigon

Unter dem Pflaster – die Repression

Brief aus … Ho-Chi-Minh-Stadt

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Printausgabe verfügbar

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IP Januar / Februar 2017 129 Unter dem Pflaster – die Repression

Unter der Fußgänger- zone befindet sich ein Kontrollzentrum

Fleischspieß verkäufern und Tou- risten. Welch schönes Bild. Wäre da nur nicht diese Skandalsache mit dem Fisch. Noch ist nicht sicher, welche Dimension die so genannte Formosa-Affäre wirklich hat. Was im April 2016 vor der vietnamesischen Küste passierte und bis heute nach- wirkt, hat die Informationspolitik der Regierung unglaubwürdig gemacht.

Auf einer Länge von 200 Kilometern war das Meer vergiftet, verendeten Fi- sche, Fischer wurden arbeitslos. Der Schuldige, das taiwanesische Stahlun- ternehmen Formosa Steel Company, das Schadstoffe ins Wasser geleitet hat- te, wurde wochenlang durch Schwei- gen geschützt, ehe es zu einer lauen Entschuldigung kam. Hatten womög- lich, wie auch in anderen Fällen, hohe Parteifunktionäre Schmiergelder er- halten? Die Krise dauert an – und da hilft es auch nicht, Demonstrationen von Umweltaktivisten zu verbieten oder mit Polizeiknüppeln aufzulösen.

Wem kann man trauen?

„Mein Bruder war einer der friedli- chen Demonstranten, die wohlweis- lich nur Fragen auf ihre Transpa- rente geschrieben hatten und vor al- lem Formosa anklagten. Dennoch hat man ihn kurzzeitig verhaftet und unser Haus durchsucht. Die Geheim- dienstleute suchten Beweismaterial;

dabei ist keiner von uns ein Opposi- tioneller, schon gar kein Blogger, denn die begeben sich echt in Gefahr.“ Das Verblüffende hierbei: Gespräche die- ser Art, halblaut in schicken Restau- rants oder Bars geführt, sind möglich – und zwar bereits nach dem ersten Kennenlernen, wobei man aber im- mer wachsam bleibt.

Denn wem kann man trauen in einer Stadt, die sich auf trügerische

Weise derart liberal gibt, dass inzwi- schen sogar ein Gay Spa existiert, ein Ort nichtkäuflicher, promiskuitiver Begegnungen in einem charmant ko- lonial-asiatischen Design-Ambiente?

Wie passt all das zusammen? „Solan- ge du konsumierst“, erzäh-

len einheimische Studen- ten dem auswärtigen Besu- cher, „ist alles in Ordnung.

Sogar im Freundeskreis kannst du die Regierung

kritisieren. Aber wehe, du kommst auf die Idee, an der Uni eine Grup- pe zu gründen, um gegen den Formo- sa-Skandal zu protestieren. Oder ge- gen die Verschandelung unserer Stadt, in der pittoreske Altstadtquartiere Hochhäusern und oft leer stehenden Protzhotels weichen müssen, hochge- zogen zur Geldwäsche von Freunden und Strohmännern der Regierung.“

Und der westliche Traum vom Strand unter dem Pflaster? Ha, ein kurzes, zynisches Auflachen der Kommunikativsten aus der jungen Generation. „Hast du in der Fußgän- gerzone die im Laub der Baumkronen versteckten Videokameras gesehen?

Sobald auf dem Boulevard irgendet- was passieren würde, was übers Fla- nieren hinausginge, kämen aus dem Untergrund die Ordnungskräfte. Un- tertage haben sie nämlich genau dort ihr Kontrollzentrum, voller Monitore und Bewaffneter“. Unter dem Pflaster – die potenzielle Repression.

Marko Martin lebt, sofern nicht auf Reisen, als Schrift- steller in Berlin. So- eben erschien sein Erzählband „Um- steigen in Babylon“.

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