Von Rahul Peter Das, Quickborn
Der Vaisnavismus in Bengalen ist älter als Caitanya, obwohl er
wahrscheinlich erst in der von diesem verbreiteten Form seine
überragende Bedeutung im Leben Bengalens (auch des muslimi¬
schen Teils) erlangt hat. Doch auch wenn vaisnava- (im Bengali¬
schen baisnab) sich von visnu- ableitet, ist es nicht Visnu, sondern
Krsna, der, wie in vielen anderen Teilen Südasiens auch, heute
den zentralen Platz im bengalischen Vaisnavismus einnimmt. Die
Tradition der literarischen Beschäftigung mit Krsna, seinem Le¬
ben und seinem Wirken (die sich nicht nur des Bengalischen be¬
dient hat) geht in Bengalen zwar aufdie Zeit vor Caitanya zurück
(man denke nur an berühmte Werke wie z.B. Gitägovinda und
Srikrsnakirtana), doch der größte Teil der gewaltigen Flut dieser
Literatur ergießt sich erst ab etwa der Zeit des Erscheinens Cai¬
tanyas; dieser Strom ist bis heute nicht versiegt. Nun liegt eine
umfassende Studie dieser Literaturgattung vor'. Das Werk be¬
rücksichtigt weder die sogenannte Volksliteratur noch (bis auf
einen kurzen Anhang, S. 524-544) die „tantrische" Richtung des
bengalischen Vaisnavismus (s. hierzu unten). Auch zeitlich reicht
die Studie nur bis in das 18. Jahrhundert; die nachfolgende Peri¬
ode wird nur knapp in einem zweiten Anhang (S. 545-555) umris¬
sen. Allerdings ist diese Selbstbeschränkung der Autorin alles an¬
dere als ein Nachteil, erlaubt sie ihr doch eine detaillierte und
intensive Beschäftigung mit ihrem auserwählten Gegenstand un¬
ter Vermeidung der Gefahr der Verzettelung oder der nur ober¬
flächlichen, kursorischen Abhandlung. Ob diese gewichtige Stu-
* Die in dieser Übersicht besprochenen Werke sind in den folgenden Anmer¬
kungen aufgeführt: 1, 2, 8, 9, 17, 18, 27, 29, 43, 45, 47, 55, 56, 76, 78, 80, 83, 88, 91, 93, 100, 104, 106, 116, 117, 118, 119, 121, 127, 128, 140, 148. Zur hier ver¬
wandten Transkription des Neuindoarischen s. Indo-Iranian Journal 27 {1984), S.662.
' SatvabatI Giri: Bämlä sähitye krsnakathär kramabikäs. Kal'kätä: Ratnäbali 1988, xvi, 586 S. Rs.80,-.
die einen vollständigen Überblick iiber die relevante Materie ver¬
schafft und ob die in ihr vorkommenden Beschreibungen und
Charakterisierungen der verschiedenen Werke und Autoren zu¬
treffend sind, vermag der Rezensent wegen fehlender Sachkennt¬
nis nicht zu beurteilen'^ Es fällt jedoch auf, daß die Autorin es
vermeidet, sich in Spekulationen über außerhalb ihres unmittel¬
baren Forschungsbereiches liegende Gegenstände zu ergehen; so
sind die wohl obligatorischen Ausführungen über Visnu-Krsna in
der vedischen und späteren Sanskrit-Literatur und in der Kunst
sehr knapp gehalten - solche Bescheidenheit wäre manch einer
anderen Studie wohl bekommen.
Ein Werk, das Giri nicht mehr berücksichtigen konnte, ist das
Bhubarimahgal des Raghunäth Däs (18. Jahrhundert), da die
Edition erst kurz vor der Veröffentlichung ihrer Studie erschien^.
Es handelt sich um eine Nacherzählung (keine Übersetzung) von
Bhägavatapuräna 10,1-44 (von Krsnas Geburt bis zur Tötung
Kamsas), wobei allerdings einiges aus dem Puräna ausgelassen,
andererseits hier und da einiges hinzugefügt worden ist. Trotz
seines Titels wird das Werk wie die meisten Krsna-Biographien
mit 'maiigal im Werktitel wohl nicht der eigentlichen Mahgal-
Dichtung Bengalens zugerechnet werden. Auch inhaltlich enthält
es wenig Neues, abgesehen von einigen Beschreibungen der Ge¬
sellschaft und Umgebung des Dichters. Diese aber sind nicht die
Bengalens, sondern Orissas. Und gerade dieser Umstand macht
das Werk so interessant, denn es handelt sich beim Verfasser
dieses bengalischen Werkes nicht um einen nach Orissa ver¬
pflanzten Bengalen, sondern um einen einheimischen Oriya. Wir
wissen inzwischen, daß außerhalb Bengalens Bengalisch auch in
Nepal, insbesondere am königlichen Hofe, gepflegt wurde. Wenig
bekannt ist aber, daß es etwa vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
(größtenteils jedoch im 17. und 18. Jahrhundert) in Orissa eine
Tradition des Dichtens in (in Oriya-Schrift geschriebener) benga¬
lischer Sprache gab, der wir vor allem Vaisnava-, aber auch einige
andere Werke verdanken. Das Studium des Einflusses der Mut-
'* Es sei nur angemerkt, daß zumindest eine bedeutende Studie nicht berück¬
sichtigt wurde: Rabiranjan Cattopädhyäy, Krsnakalhäy mälädhar o mädhab.
Bardhamän 1982.
^ Raghunälh'däs kria (Außentitel: Raghunälh Das-krta -) Bhuban'maiigal.
Sampädak Bisnupada Pändä (Außentitel: Bisnupada Pändä sampädita). Ka¬
likätä: Kalikätä Bisbabidyälay 1986. xi, 232, vi S. Rs.45,-.
tersprache der Dichter auf ihr Bengali dürfte sich lohnen; so läßt
sich schon in den einzigen zwei bisher veröffentlichten Werken
dieser Gattung^ unschwer Oriya-Einfluß in Wortschatz, Gramma¬
tik, Idiomatik und Metrik" nachweisen', und auch die Interaktion
verschiedener Darstellungstraditionen und dichterischer Bilder ist
interessant. Im heutigen Südasien, in dem der Nationalismus der
einzelnen Regionen immer virulenter grassiert*, wird es immer
schwerer, sich daran zu erinnern, daß solche Nationalismen zu¬
mindest in dieser Form eine relativ späte Erscheinung in dieser
Weltregion sind'.
' Neben dem Bhutan'mangal (dessen Verfasser außer diesem bengalischen
Werk auch Sanskrit- und Oriya-Werke verfaßte) ist bisher erschienen: Ufisyär
sädhak kabi Dbärikädäser Manasämahgal. Bisnupada Pändä kartrk sampädita.
Kalikätä 1979 (jedoch 23.1.1980 gemäß Innenseite des Titelblattes). Zu bengali¬
schen Werken in Oriya-Schrift s. auch Jatindra Mohan Bhattacharjee, Catalo¬
gus Catalogorum of Bengali Manuscripts. Volume I. Calcutta 1978, S.381. Vgl. auch
Bishnupada Panda, Orissan Culture - An Unknown Profile. Bhubaneswar 1987,
S.20 ff
■*Besonders auffallend ist, daß das Metrum bisweilen die volle Aussprache von
a am Wortende auch dort verlangt, wo dieses a im modernen Bengalischen weg¬
fällt (im modernen Oriya dagegen nicht). Allerdings muß hier auch berücksichtigt werden, daß das Bengalische jener Zeit in dieser Hinsicht nicht notwendigerweise die gleichen Ausspracheregeln befolgte wie die heutige Sprache.
* Die bengalischen Vorbilder der Oriya-Dichter waren in einer Sprache verfaßt, die zwar durchaus Regionalismen aufwies, jedoch, insbesondere seit etwa dem 16. Jahrhundert, als von der gesprochenen Sprache verschiedene Literatur- und
wahrscheinlich auch Kunstsprache bezeichnet werden kann. Insofern kann man
nicht ohne weiteres annehmen, daß die Dichter Orissas sich eher auf eine Form des Bengalischen bezogen, die im Grenzgebiet von Bengalen und Orissa gespro¬
chen wurde und folglich auch Eigenheiten des Oriya aufwies.
' Zum Nationalismus in Orissa s. Nivedita Mohanty, Oriya Nationalism. Quest for a United Orissa 1866-1936. New Delhi 1982 (South Asian Studies 13).
' Es darf aUerdings nicht verschwiegen werden, daß die Achtung, die Oriya- Dichter für Bengalen hegten, nicht unbedingt reziprokiert wurde; für bengalische Dichter war eher Mithila ein Vorbild, was nicht zuletzt an der weiten Verbreitung des auf Maithili aufbauenden Brajabuli in Bengalen sichtbar wird. Jedenfalls scheint kein Fall einer ähnlichen Verwendung des Oriya durch einen bengalischen ' Dichter der angegebenen Zeitperiode bekannt zu sein; Pändä erwähnt auf S.65
zwar die Handschrift eines Oriya-Werkes des Bengalen Parasuräm Däs, doch
handelt es sich hierbei um ein bengalisches Werk des Parasuräm Räy, das ledig¬
lich einige Oriya-Verse enthält und eventuell aus dem lange zwischen Bengalen
und Orissa umstrittenen Midnapore (Medinipur) stammt - offensichtlich ist
Pändä entgangen, daß das von ihm erwähnte Werk schon längst ediert vorliegt:
Parasuräm Räyer Mädhab'sahgit. Sampädanä Amitäbha Caudhuri. Säntiniketan
I37I (= 1964) (vgl. auch Giri, op. cit. in Anm. 1, S.435-443; 525).
Mit dem Einfluß Caitanyas in Orissa (und nicht in Indien, wie
im Werktitel angegeben) befaßt sich auch ein von H. C. Das edier¬
ter Sammelband*. Die meisten der siebzehn Aufsätze oriya und
bengalischer Gelehrter enthalten wenig Neues. Drei Beiträge sind
allerdings besonders erwähnenswert. Foot-Prints of Sri Chaitanya
Mahäprabhu in Jajpur von Fakirmohan Das (S. 67-82) beschäftigt
sich mit der These, daß die Vorfahren Caitanyas von Jajpur nach
Sylhet und erst von dort nach Nadia auswanderten. In seiner Ana¬
lyse macht Das auf mehrere bisher rätselhaft erscheinende Einzel¬
heiten in den Biographien Caitanyas aufmerksam, die aber mit
dem brahmanischen Brauchtum Orissas übereinstimmen. Er
kommt zu dem Schluß, daß Caitanya tatsächlich einer ursprüng¬
lich aus Orissa stammenden Familie angehörte. Ob er damit recht
hat oder nicht, überlegenswert sind seine Ausführungen auf jeden
Fall. K.S. Behera gibt in Sri Chaitanya and Identification of Ja¬
gannatha with Krisna (S. 110-117) einen neuen und interessanten
Überblick über den Transformationsprozeß der zentralen Gottheit
Puris. Schließlich untersucht B. C. Acharya in New Light on the
Passing Away of Sri Chaitanya in Orissa (S. 149-163) die Umstän¬
de des Todes Caitanyas. An Hand der Schilderung in einem neu¬
entdeckten Manuskript eines gemäß Acharya nur zwei Jahre nach
dem Tode Caitanyas verfaßten (und damit ältesten einschlägigen)
Werkes von „Madhab Patnaik" (seil. Mädhaba Pattanäyaka),
„Vaisnava Leelamrita" (seil. Baisnabalilämrta), kommt er zu dem
Schluß, daß Caitanya tatsächlich an den Folgen einer Blutvergif¬
tung starb, die er sich zuzog, als er sich beim ekstatischen Tanz am
Zeh verletzte. Er schied gemäß Acharya im Jagannätha-Tempel
dahin, wo er auch hastig an der Stelle begraben wurde, an der man
bei der Zeremonie des Navakalevara die alten Bildnisse Ja¬
gannäthas zu begraben pflegte, was einerseits deshalb gerechtfer¬
tigt erschien, weil Caitanya und Jagannätha ja eins waren, ande¬
rerseits politischen Komplikationen vorbeugte, die die Zurschau¬
stellung des Leichnams eventuell bewirkt hätte (so konnte sich
auch die Legende bilden, Caitanya sei in Jagannätha eingegan¬
gen). Zur Diskrepanz in den Datumsangaben für den Todestag in
der bengalischen und der oriya Tradition meint Acharya, die
Oriya-Tradition beziehe sich auf den eigentlichen Todestag
' Sri Chaitanya in the Religious Life of India. Edited by H.C. Das. Calcutta:
Punthi Pustak. 1989. xiii, 209 S. -I- 13 S. Abb. Rs. 400,-.
(27.4.1533), während die bengalische Tradition das Datum der
Bekanntgabe des Todes vor den angereisten bengalischen Pilgern
durch den Gajapati-König zur Zeit des Wagenfestes wiedergebe
(29.6.1533). Die Thesen Acharyas erscheinen größtenteils plausi¬
bel (auch das Begraben des Leichnams würde mit dem Sannyäsin-
Status Caitanyas in Einklang sein), doch ob sie tatsächlich zutref¬
fend sind, muß wohl noch eingehender geprüft werden. Schön
wäre es, wenn Ausgrabungen an der von Acharya erwähnten Stel¬
le durchgeführt werden könnten, doch dies dürfte bis auf weiteres
unmöglich sein. Auf jeden Fall bedarf es zur Überprüfung der vor¬
getragenen Thesen auch einer genauen Untersuchung der erwähn¬
ten Handschrift und ihres oriya Textes; befremdlicherweise ent¬
hält der Aufsatz außer einigen Textzitaten überhaupt keine
einschlägigen Angaben außer einem lakonischen „In course of in¬
vestigation, a palm-leaf manuscript in this connection was found"
- wir erfahren nicht einmal den Fund- bzw. Aufbewahrungsort!
Eine umfassende Geschichte der auf Caitanya zurückgehenden
Vaisnava-Bewegung Bengalens, die auch die neuere Forschung
berücksichtigt und in einer Sprache verfaßt ist, die dem westli¬
chen Forscher den Anschluß an die zumeist bengalischsprachige
aktuelle Diskussion erleichtert, war lange ein Desiderat; sie liegt
jetzt vor'. Das Werk ist besonders zu empfehlen,'" vor allem we¬
gen seiner Durchleuchtung des Vaisnavismus auch aus sozialhi¬
storischer Sicht, sowie der Berücksichtigung eines Großteils
(wenn auch nicht aller)" jener nicht-„orthodoxen" Strömungen'^,
die anscheinend die eigentliche Quelle der Stärke des Vaisnavis¬
mus in Bengalen sind, in den meisten Abhandlungen über diesen,
die sich ja vornehmlich mit der „orthodoxen", insbesondere der
intellektuellen Tradition befassen, aber nicht oder nur kursorisch
' Ramak ANTA Chakrabarty: Vaisnavism in Bengal 1486-1900. Calcutta: Sans¬
krit Pustak Bhandär 1985. xvi, 556 S. Rs.300,-.
Auch wenn der Spezialist natürlich nicht mit allen Details einverstanden sein wird; s. z.B. S.47l'^ von J. K. Brzezinski, Tlte Authenticity of the Caitanyaca- ritämrtamahäkävya, in: Bulletin of tlte School of Oriental and Afriean Studies,
University of London 53 (1990), S. 469-490.
" Vollständigkeit ist in dieser Hinsicht wohl auch kaum zu erlangen.
S. zu diesen auch unten.
berücksichtigt werden". Dieses Buch'" erlaubt es dem westlichen
Forscher auch, sich bequem einen ersten Überblick über die ver¬
wirrende Verzweigung und Verästelung auch innerhalb des „or¬
thodoxen" Vaisnavismus und die Problematik des Kastenwesens
in dieser doch angeblich egalitären Bewegung zu verschaffen".
Einen besonderen Platz im bengalischen Vaisnavismus nehmen
die von diesem beeinflußten Zeitgenossen und Gefährten Caitan¬
yas und deren Schüler ein, denn die Entwicklung der späteren
Bewegung(en), wie auch die Richtungs- und andere Streitigkeiten
in dieser bzw. diesen, gehen doch größtenteils auf ihr Wirken
zurück'*. So ist nicht nur für den außenstehenden Forscher, son¬
dern auch für den gläubigen Vaisnava eine Beschäftigung und
Auseinandersetzung mit dem Leben und Wirken dieses Personen¬
kreises wichtig, wenn auch dabei die Akzente natürlich jeweils
anders gesetzt werden. Seit 1978 erscheint ein mehrbändiges
Werk, das die weitverstreuten diesbezüglichen Nachrichten sam¬
melt und vereint, bisher sind fünf Bände erschienen". Aus ver¬
schiedenen Vaisnava-Werken exzerpierte, durchweg in Versen
verfaßte relevante Textpassagen werden im Original zitiert, ver-
" In dieser Hinsicht findet man, bis auf wenige Ausnahmen, in der bisherigen einschlägigen Forschung die gleiche ekadesadarsitä , die lange Zeit auch die „klas¬
sische" Indologie kennzeichnete und erst heute allmählich in ihrem vollen Aus¬
maße erkannt wird. (Speziell zum bengalischen Vaisnavismus sei in diesem Zu¬
sammenhang besonders hingewiesen auf SudhIr CakrabartI, Gabhir nirjan
pathe. Kal'kätä 1989, S. 202 ff, bes. S. 225 ff.).
" Ergänzend sei hier auch hingewiesen auf Ramakanta Chakrabarty, Vaisna¬
vism in Burdwan, in: Präci-Prabhä. Perspectives in Indology. (Essays in honour of Professor B. N. Muklierjee.) Edited by D. C. Bhattacharyya, Devendra Handa.
New Delhi 1989, S. 289-318, sowie Dgl., Vaisnavism in Bengal, in: Culture of
Bengal through the Ages. Some Aspects. Edited by Bhaskar Chattopadhyay.
Burdwan 1988, S. 275-307.
Für einige interessante Einzelheiten s. auch Baru Candidäsa, Singing
the Glory of Lord Krishna. Tlie Srikrsnakirtana translated and annotated by
M.H. Klaiman. Chico, California 1984 (Classics in Religious Studies 5), S.9f
" S. hierzu auch Chakrabarty, op. cit. in Anm. 9, S. 184-189. Zu beachten ist auch ein wenig bekanntes Werk (wohl weil es in einer Zeitschrift in Bangladesch erschien) : Äh'mad SarIph [Hrsg.], Caitanyatattbapradip. Brajamohan Däs biracita (1620 khristäbda), in: Säliilya Patrikä 12,1. Sit 1385 [= 1979], S. 129-193.
" KiSORl Däs Bäbäji: Srisrigaurabhaktämrta lahari. Hälisahar, 24 Par'ganä (ab Bd. 4: Uttar 24 Par'ganä): Kisori Däs Bäbäji. (Gauriya Baisnab'sästra 5.) Pratham khanda : 1385 (= 1978), 146 S. Rs. 10,-. Dbitiya khanda: ^901 (= 1983). 129 S. Rs.
10,-. Trtiya khanda: 1392 (= 1986). 130 S. Rs.I2,-. Caturtha khanda: 1394 ( = 1988). S. I-l 12. Rs. 10,-. Paiicam khanda: 1396 (= 1990). S.I 13-201. Rs.lO,-.
Neuere Werke zum bengalischen Vaisnavismus 141
bunden durch Verse, die der Kompilator selbst verfaßt hat und
die oft nicht im originalen Wortlaut zitierte Passagen paraphra¬
sieren. Bis jetzt sind 232 Personen beschrieben worden, wobei es
sich nicht nur um biographische oder hagiographische Angaben
handelt, sondern gegebenenfalls auch um den Platz, den die je¬
weilige Person in der Avatära-Lehre der bengalischen Vaisnavas
einnimmt. Im ersten Band fmden sich zudem einige theologisch¬
dogmatische Abschnitte. Für seine immensen Mühen sind wir dem
Verfasser zu Dank verpflichtet und dürfen hoffen, daß das sehr
nützliche Werk recht bald einen glücklichen Abschluß erreiche.
Nirmal'näräyan Gupta beschäftigt sich schon lange mit dem
Leben, Wirken und Einfluß Caitanyas (s. hierzu auch ZDMG 137
[1987], S. 166-170). In seiner neuen Studie'* untersucht er den
Einfluß und besonders das Bild des großen religiösen Erneuerers
in den Literaturen der Sprachen der Bengalen benachbarten Ge¬
biete sowie der verschiedenen Regionen, die Caitanya während
seiner Reisen am Anfang des 16. Jahrhunderts besuchte oder be¬
sucht haben soll". Sehr detailliert werden die assamesische und
die oriya Literatur untersucht (S. 28-69 bzw. S. 70-240). Was die
Vaisnava-Literatur Assams betrifft, so wird Caitanya in ihr nur
sehr sporadisch erwähnt. Folgt man der allgemein herrschenden
Lehrmeinung, so ist dies auch nicht verwunderlich, da der in
Assam verbreitete Vaisnavismus größtenteils einer anderen Quel¬
le entspringt als der bengalische Caitanyas^". Gupta jedoch ver-
'» Nirmal'näräyan Gupta: Bhäratiya sähitye sricaitanya. Kal'kätä: Ratnäbali 1986. [4], 348 S. Rs.50,-.
" Bengalen und seine Literatur werden - da eine nochmalige, detaillierte Be¬
schäftigung mit ihnen im hiesigen Kontext offensichtlich überflüssig ist - auf S. 332-338 nur sehr kursorisch gestreift.
" Charles N. E. Eliot {Hinduism in Assam, in : Tlie Joumal of the Royal Asiatie Society of Great Britain and Irelandfor 1910, S. 11 55-1186) schreibt allerdings (S. 1 169):
„The Vaishnavism which entered Assam was of Caitanya's school. Its first apostle was Sankar Deb, a Kayasth, ofthe Nowgong DistrictSpeziell assamesische Gelehrte vemeinen jedoch meistens vehement bengalischen Einfluß oder Verbindungen zu Ben¬
galen; vermeintliche Verbindungen werden in der Regel als Fiktion zurückgewiesen (s.
z. B. Maheswar Neog, Socio-Political Events in Assam Leading to the Militancy of the Mäyämariyä Vaisnavas. Calcutta/New Delhi 1982, S.42f.). Dies mag durchaus den Tatsachen entsprechen. Andererseits ist aber auch bekannt, daß das im Vergleich zu den Bengalen sehr kleine Volk der Assamesen stets in der Furcht lebt, von dem mäch¬
tigen Nachbarvolk sprachlich und kulturell vereinnahmt zu werden, was zu oft grotesk anmutenden Versuchen führt, die eigene Andersartigkeit und getrennte Entwicklung zu beweisen und hervorzuheben. Vgl. auch Anm. 99.
*
sucht zu beweisen, daß der große assamesische Lehrer des
Vaisnavismus, Sahkar'dev, unter dem direkten Einfluß Caitanyas
gestanden habe. Ob Guptas Beweisführung schlüssig ist, bleibe
dahingestellt; auf jeden Fall scheint es ziemlich sicher, daß seine
These zu einem heftigen Gelehrtenstreit führen wird. Was andere
ostindische Regionen betrifft, so werden Manipur, seine Kultur
und Literatur nur sehr kurz abgehandelt (S. 340-342), obwohl hier
der bengalische Vaisnava-Einfluß groß ist. Wie auch Anurädhä
Bandyopädhyäy^' ist der Autor wohl durch sprachliche Schwie¬
rigkeiten gezwungen worden, es bei einigen allgemeinen Bemer¬
kungen zu belassen". Daß Caitanya auch in der Braj-Dichtung
eine Rolle spielt (S. 287-313), kann nicht überraschen, da gerade
in dieser Region der Einfluß bengalischer Vaisnavas groß ist. Was
Sprachen in anderen Teilen Indiens betrifft, so wird man Gupta
beim gegenwärtigen Forschungsstand wohl nicht in allen Einzel¬
heiten folgen können. Einige Beeinflussung hat es bestimmt ge¬
geben, doch um in jedem Falle ähnlichen Gedankenguts oder
ähnlicher Bilder in der Dichtung einen Einfluß des bengalischen
Vaisnavismus zu konstatieren, bedarf es doch wohl sichererer Be¬
weise. Erschwerend kommt die Sprachproblematik hinzu; Gupta
benutzt zwar ausgiebig gujarati Quellen in der Originalsprache
(S. 269-286) (wobei er sein Augenmerk allerdings größtenteils ei¬
ner sehr modernen^^ Dichtung widmet, die aber für Älteres wenig
aussagefähig ist) und auch einige marathi Primärquellen, für die
Diskussion der dravidischen Literaturen (S.241 -250) und der ma¬
rathi Literatur (S. 251-268) muß er sich aber ganz bzw. größten¬
teils auf englische Übersetzungen und Sekundärliteratur stützen.
Natürlich wird ein einzelner Forscher kaum jemals in der Lage
sein, alle in Frage kommenden Sprachen zu beherrschen; dies
ändert aber nichts daran, daß eine Untersuchung in diesen Spra¬
chen verfaßter Literatur in einem solchen Falle eben nur schwer¬
lich das gewünschte Maß von Genauigkeit und Zuverlässigkeit
wird erlangen können. Ein Blick auf die Bibliographie am Ende
des Werkes zeigt ohnehin, daß in vielen Fällen offenbar nur ein
" Pürba bhäratiya baisnab ändolan o sähitya, Kalikätä 1983, S. 38-46.
" Zum großen Einfluß der Vaisnava-Religion in Manipur s. z.B. Saroj Nalini Parratt, ne Religion of Manipur. Beliefs, Rituals and Historical Development.
Calcutta 1980. (Dieses Werk ist offenbar weder von Gupta noch von Bandyo¬
pädhyäy eingesehen worden.) S. auch unten, Anm. 79.
" Um 1929 verfaßten (s. S.280).
Teil der einschlägigen Literatur verwendet worden ist. Doch im
großen und ganzen ist das Werk äußerst informativ und kann auf
jeden Fall als Ausgangspunkt für weitere Forschungen in dieser
Richtung dienen. Besonders beachtenswert ist der Hinweis, daß
zwischen Nänak und Caitanya eventuell eine Verbindung bestan¬
den haben könnte (S.3f.; 339 f.)^". Schließlich noch eine kleine
Anmerkung zur „hindi" Literatur (S. 314-331); die Sprache des
auf S.31 6-328 untersuchten, um 1916 verfaßten Werkes ist nicht
„Hindi", sondern Avadhi (Avadhi)".
Eines der wichtigsten Werke des bengalischen Vaisnavismus
ist Krsnadäs Kabiräjs Caitanyacaritämrta. Zeitlich die letzte
und einflußreichste der großen Biographien Caitanyas, setzte es
sozusagen den Schlußstrich unter die Entwicklung des theolo¬
gisch-mythologischen Deutungsprozesses der Person Caitanyas;
durch sein hohes Ansehen festigte es nicht nur die Deutung Cai¬
tanyas als die Vereinigung von Krsna und Rädhä darstellender
göttlicher Hermaphrodit, die das ältere Bild von Caitanya als
Krsna so gut wie vollständig verdrängte, sondern trug auch we¬
sentlich zur wohlfundierten theoretischen Untermauerung von
Dogmatik, Kultus und Ritus und Entwicklung einer Systematik
bei, die eine noch ziemlich lockere Sammelbewegung in eine
organisatorische Struktur einfügte. Auch die heute weitverbrei¬
tete manjari sädhanä scheint wesentlich durch dieses Werk zu
seiner Beliebtheit gelangt zu sein^*. Die erste englische Teilüber¬
setzung dieses Werkes erfolgte 1913; diese Prosaübertragung der
Madhya Lilä, des längsten und wichtigsten der drei Abschnitte
des Werkes, entstammte der Feder Jadunath Sarkars. Die
Übersetzung wurde 1922 und 1932 überarbeitet und durch einige
Zusätze aus anderen Abschnitten sowie anderen Erklärungen u.
dgl. erweitert; es wurden allerdings auch einige Passagen weg¬
gelassen, welche „contained learned disquisitions and phüologi¬
cal subtleties only masters of Sanskrit grammar and philosophy
" S. hierzu auch Rosen, op. cit. in Anm. 43, S. 128.
" Es wird höchste Zeit, daß dem unwissenschaftlichen „Hindi-Imperialismus", der heute in Nägari geschriebene indoarische Sprachen (außer Marathi) einfach unter „Hindi" subsumiert, energischer entgegengetreten wird.
^' Zur Würdigung von Krsnadäs Kabiräjs Caitanyacaritämrta s. vor allem Ka¬
pitel 5 von Tony Kevin Stewart, Tlie Biographical Images of Krsna-Caitanya. A Study in the Perception of Divinity. PhD-Diss. Chicago 1985 (noch unveröffent¬
licht).
can follow". Die Ausgabe von 1932 liegt jetzt als Nachdruck
vor" (das Zitat im letzten Satz entstammt S.ixf.). Obwohl es
inzwischen mehrere (auch vollständige) englische Übersetzungen
des Werkes gibt und eine neue Übersetzung von Edward C. Di¬
mock und Tony K. Stewart in Kürze erscheinen wird, ist dieser
Nachdruck dennoch zu begrüßen, allein schon wegen der Ele¬
ganz seiner gepflegten Sprache, die, stilistisch in der englischen
Literatur des letzten Jahrhunderts verwurzelt, selbst als Prosa
eine Atmosphäre von Poesie zu erschaffen vermag, wie es wohl
weder dem typischen „Indian English" noch dem modernen
Amerikanischen möglich sein dürfte.
Krsnadäs Kabiräj scheint sehr von dem Sanskrit-Werk Tatt-
msandarbha des JIva Gosvämin (Beng. JTb Gosbäm!) beeinflußt
gewesen zu sein. Dieses Werk^* ist einer der einflußreichsten phi¬
losophischen Texte des bengalischen Vaisnavismus; es ist deshalb
sehr zu begrüßen, daß nun (als eine von Wilhelm Halbfass in
Philadelphia betreute Dissertation) endlich eine vollständige eng¬
lische Übersetzung vorliegt, die zudem mit kritischen Anmerkun¬
gen und einer detaillierten Studie über den Stellenwert des Wer¬
kes und seiner Kommentare im philosophischen Gedanken¬
gebäude dieser religiösen Bewegung versehen ist^'. Dem Rezen¬
senten fehlen die Kenntnisse zu einer kritischen Würdigung der
Übersetzung und Studie, sowie zu eigenen Anmerkungen zu den
philosophischen Doktrinen des Tattvasandarbha. Hervorgehoben
seien hier aber einige wichtige Schlußfolgerungen Elkmans, die
von Relevanz für eine nach wie vor aktuelle Auseinandersetzung
innerhalb des bengalischen Vaisnavismus sind: Gemäß Jiva (wie
auch Krsnadäs) soll Caitanyas Tradition (so wie sie von JTva
verstanden wird) letztendlich auf dessen paramaguru Mädhaven-
" Chaitanya's Life and Teachings. From his contemporary Bengali biography the Chaitanya-charit-ämrita. Translated by Jadunath Sarkar. Calcutta: Orient Long¬
man Limited 1988. xii, 239 S.
" Das u.a. das Bhägavatapuräna zur höchsten Autorität über alle Sruti- und Smrti-Werke erhebt und diese dadurch für eigentlich überflüssig erklärt (s. hierzu
auch Prabhä^kumär Mukhopadhyay, Bärnläy dharmasähitya {laukik). Kal'kätä
1388 (= 1981), S.82f. Zum Bhägavatapuräna vgl. auch J.A.B, van Buitenen, On
the Archaism of the Bhägavata Puräna, in: Krishna: Myths, Rites and Attitudes.
Edited by Milton Singer. Honolulu 1966, S. 23-40).
" Stuart Mark Elkman: Jiva Gosvämin's Tattvasandarbha. A Smdy on the Philo¬
sophical and Sectarian Development of the Gaudiya Vaisnava Movement. Delhi:
Motilal Banarsidass 1986. xvi, 208 S.
drapurP" zurückgehen, der aber nicht mit der Mädhva-Schule in
Verbindung gebracht wird. Diese Verbindung wird jedoch in den
Werken des Tattvasandarbha-Kommentators Baladeva^' herge¬
stellt, allerdings wahrscheinlich auf der Grundlage einer schon
vorhandenen Tradition. Wohl als Reaktion hierauf verfaßte
Rädhämohana einen Tattvasandarbha-Kommentar, der die Ei¬
genständigkeit der Caitanya-Tradition betonte. Aber es ist Bala-
DEVAs Kommentar, der weitgehend als autoritativ angesehen wur¬
de und dadurch die Interpretation von JIvas Werk und
letztendlich Caitanyas Lehre im dualistischen Sinne bedingte. Der
hierdurch verursachte Streit innerhalb der bengalischen Vaisnava-
Bewegung" hat vor nicht allzu langer Zeit die Gründung eines
neuen bengalischen Vaisnava-Ordens zur Folge gehabt, der sich
sowohl auf Caitanya als auch auf Madhva beruft und auf den
letztendlich auch die ISKCON-Bewegung (International Society
for Krishna Consciousness)" zurückgeht^".
Dem Klappentext von Elkmans Werk ist zu entnehmen, daß
„he embraced monastic order of the Vedänta Society of Southern
California. Since then he has been one of its enthusiastic mem¬
bers". In diesem Zusammenhang mag darauf hingewiesen wer-
Dieser war der Lehrer von Caitanyas dtksäguru Isvarapuri.
^' Der übrigens nicht aus Bengalen, sondern aus Orissa stammte und zuerst ein
Anhänger der Mädhva-Schule war.
" Vgl. hierzu auch Hamsanäräyan Bhattäcärya, Yugäbatär srikrsnacaitanya.
Kalikätä 1984, S. 377 ff., Chakrabarty, op. ciLin Anm. 9, S.67f.
" Die „Hare-Krischna-Sekte".
" In diesem Zusammenhang sei auch hingewiesen auf Tamonäs Candra Däs
Gupta, Präcin bängälä sähityer kathä. Kalikätä 1948, S. 50 von Dbitiya khanda.
Studies in Old Bengali Literature: „To the Vaisnavas of other provinces the in¬
junction of the six Goswamis have little value. Even a sect of the modern Vaisnavas of Bengal have disclaimed the infallibility of the Goswamis. They are the present , Gauriya Math' people of Bengal. They are now trying to have a stable footing at Brindaban, inspite of the somewhat unfriendly attitude ofthe Gauriya Vaisnavas."
Bei der erwähnten Vaisnava-Gruppe handelt es sich aber um die Bewegung von
Kedär'näth Datta (Bhaktibinod Thäkur) (der eigentlich ein neohinduistischer Mo¬
dernist und auch von Darwin sehr beeinflußt war; s. zu ihm auch op. cit. in
Anm.9, S.396ff.), auf den letztendlich die ISKCON-Linie zurückgeht; die An¬
hänger von ISKCON wären mit der obigen Aussage DÄS Guptas gewiß nicht
einverstanden. Sollte sie dennoch zutreffen, so hat offenbar im Laufe der Zeit in dieser Hinsicht eine Umbewertung stattgefunden.
den, daß in Nordamerika^' der Hinduismus^* nicht nur auf dem
Papier längst als „legitime Alternative" zum Christentum akzep¬
tiert ist und in etwa wie der Judaismus eingestuft wird; auch die
verschiedenen lokalen und überregionalen Behörden tragen die¬
sem Umstand schon lange Rechnung. Alle Richtungen des Hin¬
duismus profitieren von dieser Entwicklung, doch am meisten
scheint sie dem Vaisnavismus zugute zu kommen. Dies liegt wohl
vor allem daran, daß gerade der Vaisnavismus nicht nur durch
den stetig wachsenden Anteil der ursprünglich Südasien entstam¬
menden nordamerikanischen Bevölkerungsgruppe an Bedeutung
gewinnt, sondern sich auch schon längst im „Mainstream" eta¬
bliert hat", nicht zuletzt auf Grund der Bemühungen verschiede¬
ner hinduistischer Gruppierungen, die zwar größtenteils von Süd¬
asiaten ins Leben gerufen worden sind, jedoch ihrem Wesen nach
als „echt amerikanisch" betrachtet werden müssen^^ Besonderes
Gewicht hat dabei die ISKCON-Bewegung^'. Der Einfluß gerade
In dessen Bevölkerung jüngsten Hochrechnungen zufolge schon in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts die Nachfahren der aus Europa stammenden Einwanderer in der Minderheit sein werden.
" Obwohl die mit diesem Terminus verbundenen Probleme inzwischen hinläng¬
lich bekannt sind, wird er mangels eines geeigneteren Ausdrucks wohl beibehalten werden müssen, zumal er auf einer in Südasien selbst zwar ursprünglich fremden, inzwischen aber als „einheimisch" empfundenen Terminologie basiert
" Eine ähnliche Entwicklung könnte eventuell auch der Sikhismus erfahren.
" In der einschlägigen Literatur wird in dieser Hinsicht oft nicht klar genug unterschieden zwischen religiösen Bewegungen, die in einer andernorts schon lange existierenden Tradition stehen, und Neuerungen wie etwa die der Anhänger der Transzendentalen Meditation, Bhagwan Rajneesh usw.
" Hierzulande scheint diese Entwicklung wenig zur Kenntnis genommen zu werden. Dabei ist, obwohl die Bevölkerungsstruktur vor allem im kontinentalen Westeuropa eine andere ist, prinzipiell auch hier eine ähnliche Entwicklung nicht auszuschließen. Auf jeden Fall geht es nicht mehr an, solche religiösen Bewegun¬
gen zu ignorieren oder pauschal als „jugendgefährdende Sekten" abzutun. Ohne¬
hin scheint es dem außenstehenden Betrachter in vielen Fällen so, als würde bei der pauschalen Kritik an „Sekten" ein gewisser „Futterneid" bei Vertretern der sogenannten etablierten Religionen eine Rolle spielen, wobei diese oft zu verges¬
sen scheinen, daß auch die heute in Westeuropa vorherrschenden Religionen hier nicht autochthon sind. Auch beim Lustigmachen über „exotische" Gewänder und
„komisches" Gebaren wird häufig übersehen, daß einem nicht in hiesigen religiö¬
sen Traditionen Aufgewachsenen etwa Ordenstrachten oder bei rituellen Anlässen verwandte Gewänder oder Observanzen durchaus ein Anlaß zur Belustigung sein könnten. Man wird sich auch hierzulande wohl damit abfinden müssen, daß sol¬
che Bewegungen (unter denen es zweifellos viele „schwarzen Schafe" gibt) doch eben auch auf gebildete, gut informierte und keineswegs geistig labile Menschen
der letzten Gruppierung ist weitaus größer, als es die Zahl ihrer
Mitglieder vermuten lassen würde; auch in Indien selbst ist die
ISKCON-Bewegung (als eine „re-importierte" Form des Hinduis¬
mus) inzwischen sehr aktiv. Zum einen liegt dies wohl daran, daß
diese Bewegung es vermocht hat, auch unter westlicher Führung
die Verwurzelung in der indischen Tradition zu wahren und so
gut wie keine Kompromisse mit schnell wechselnden Modeströ¬
mungen zu schließen, zum anderen aber auch daran, daß sie eine
erstaunliche Akzeptanz unter Auslandsindern und auch z.T. in
Indien selbst gefunden hat"", wodurch sie allerdings allmählich
anziehend wirken, besonders dann, wenn z. B. - um nur ein Beispiel zu nennen - der aufgeregte tagespolitische Aktionismus, der einen großen Teil etwa der deut¬
schen protestantischen Geistlichkeit kennzeichnet, kaum Anziehungskraft besitzt für einen, der unzufrieden ist mit einer Lage, die er ähnlich empfindet (ob zu Recht oder nicht, bleibe dahingestellt) wie Rosen (op. cit. in Anm. 45, S.lOf.):
„While some writers and social critics consider man's reactionary quest for spiri¬
tual knowledge to be a positive outcome of a world gone mad with secular advan¬
cement, there is another school - and rightly so! - that brings to light an inherent downside to the New Age „enlightenment". We are now beset, they say, with a plethora of every conceivable kind of metaphysical, mystical mumbo-jumbo, and the result is that the mind rejects spirituality in the same way that it initially rejected materialism. And so you have a sort of cat-and-mouse game, wherein one rejects material advancement for spiritual life and then rejects spiritual life for the same kind of material advancement that one had rejected in the first place. The game goes on; the chase goes back and forth; the mind is sent reeling. As a result, the mass of people settle for a sort of placated materialism."
Literatur zur ISKCON-Bewegung: Edmund Weber (Hrsg.), Krishna im We¬
sten. Frankfurt am Main/Bern/New York 1985 (Studia Iranica 30), James
A. Beckford, Cult Controversies. Tlie societal response to new religious movements.
Reprinted New York 1986, S.322 (index), Ders. (Hrsg.), New Religious Move¬
ments and Rapid Social Change. Paris/London/Beverly Hills/Newbury Park
1986, S. 242 (Index), Richard Burghart (Hrsg.), Hinduism in Great Britain. Tlie Perpetuation of Religion in an Alien Cultural Milieu. London/New York 1987, S. 81-99 (Sean Carey, Tlie Indianization of the Hare Krishna movement in Britain)
und S.282 (Index zur Bibliographie), Joachim Finger, Gurus, Ashrams und der
Westen. Eine religionswissenschaftliche Untersuchung zu den Hintergründen der In¬
ternationalisierung des Hinduismus. Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1987 (Studia Irenica 32), S.526 (Index), Larry D.Shinn, Tlie Dark Lord. Cult
Images and the Hare Krishnas in America. Philadelphia 1987, Edmund Weber
und TiLAK Raj Chopra (Hrsg.), Shri Krishna Caitanya and the Bhakti Religion.
Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1988 (Studia Irenica 33), Raymond
Brady Williams, Religions of Immigrants from India and Pakistan. New Threads in the American Tapestry. Cambridge/New York/Melbourne 1988, S.324 (Index),
Charles R. Brooks, The Hare Krishnas in India. Princeton, New Jersey 1989,
Elise Bjorkan (ed.) International Society for Krishna Consciousness. New
immer mehr „indisiert" wird, was langsam aber sicher zu großen
Veränderungen in der Bewegung führen dürfte."' Doch wie dem
auch sei, als echter Fortsetzer des bengalischen Vaisnavismus
kommt der ISKCON-Bewegung im gegebenen Zusammenhang
eine Bedeutung zu, die andere derartige Bewegungen nicht bean¬
spruchen können.
Die Publikationen aller solcher Bewegungen werden in Fach¬
kreisen oft nach einem flüchtigen Durchblättern mit einem mit¬
leidigen Lächeln zu den Kuriosa gestellt, an denen die Indologie
wahrlich nicht arm ist; dies gilt auch für ISKCON-Publikationen.
Man stelle sich aber vor, es handelte sich um christliche oder
jüdische Gruppierungen; viele Publikationen, die den offiziellen
Segen einer gewissen Gruppierung („Sekte") haben, sind zweifel¬
los propagandistisch oder tendenziös, aber daraus kann man mit¬
nichten ableiten, dies müßte immer oder gar in den meisten Fäl¬
len zutreffen. Und wohl kaum ein Forscher käme etwa auf die
Idee, ein Werk nur kursorisch oder gar ungeprüft als unwissen¬
schaftlich abzutun, bloß weil sein Autor sich zum Christentum
oder Judentum bekennte, vielleicht sogar ein Mönch oder Rabbi¬
ner sei. Auch bei indischen Werken, die gläubige Hindus,
Buddhisten oder Jainas verfaßt oder ediert haben, würde man
nicht so verfahren. Warum bei Werken, deren Verfasser den wei¬
ter oben erwähnten religiösen Gruppierungen angehören, anders
verfahren werden sollte, ist nicht einzusehen.
In diesem Zusammenhang sei hier auf die neueren Publikatio¬
nen von Steven J. Rosen (Satyaraja Dasa Adhikari) aufmerk¬
sam gemacht. Rosen ist ein vom Judaismus zum ISKCON-
Vaisnavismus übergetretener US-Amerikaner, der in seinen
Publikationen einerseits versucht, dem Außenstehenden seinen
Glauben in einer intellektuell ansprechenden Form zu vermitteln,
andererseits einen interreligiösen Dialog mit den anderen in
Nordamerika vorherrschenden Religionen in Gang zu bringen. Er
hat sich mit erstaunlichem Fleiß und Akribie bemüht, die intel¬
lektuellen Grundlagen seines neuen Glaubens zu erforschen, ge-
York/London 1990 (2 Bde.) (Cults and New Religions), Steven J.Gelberg, Hare Krishna, Hare Krishna. Five Distinguished Scholars on the Krishna Movement in the West. New York 1983. Weitere Literatur ist in diesen Werken verzeichnet. S.
auch Haack, op.cit. in Anm. 98.
" Ohnehin verzeichnen einige Forscher eine zunehmende Faktionalisierung der ISKCON-Bewegung; s. z.B. Brooks (op. ciL in Anm. 40), S.216-218.
treu der Weisung des ISKCON-Gründers Bhaktibedänta Prab-
hupäda (Bhaktivedanta Prabhupada), der dies von allen seinen
Anhängern forderte; er zitiert Werke in der für die ISKCON-Be¬
wegung überaus wichtigen Sprache Bengalisch und scheint auch
einigermaßen mit dem Sanskrit zurechtzukommen''^ In drei Wer¬
ken beschreibt er das Leben und Wirken Caitanyas"^, der sechs in
Vrindavan residierenden „Kirchenväter""" des bengalischen Vais¬
navismus"' und der drei von Vrindavan nach Bengalen entsandten
Organisatoren des gaui^iya"* Vaisnavismus Sri(ni)bäs Äcärya, Na-
" Wobei einem allerdings doch Bedenken kommen, wenn man Transkriptionen oder Übersetzungen wie die folgenden sieht:
shri chaitanya mano bhishtam stapitam yena bhulale
svayam rupa kada mayam dadati sva padanli kam (op. cit. in Anm. 45, S. 197),
namo maha-vadanyaya, krishna prema pradaya te
krishnaya-krishna-chaitanya, namne gaur-rvishe namaha
„O most munificent incarnation ofthe Lord! You are Krishna Himself appearing as Shri Chaitanya. You have assumed the golden color of Radharani, and you are freely distributing what no other incarnation has ever distributed - pure love of God" (ibid., S.91).
Die Transkriptionen lassen vermuten, daß hier Auswendiggelerntes einfach
dem Klange gemäß niedergeschrieben wurde, wozu noch erschwerend hinzu¬
kommt, daß Sanskrit innerhalb der ISKCON-Bewegung anscheinend von Spre¬
chern des Bengali unterrichtet wird (bzw. wurde), einer Sprache, deren Lautin¬
ventar, Betonung und Sprechrhythmus eine denkbar schlechte Grundlage für das korrekte Erlernen der Sanskritaussprache bieten. Auch fragt sich der Leser von Rosens Werken oft, ob seine Übersetzungen des Sanskrit (viele der wichtigsten Werke des bengalischen Vaisnavismus sind in Sanskrit geschrieben) von ihm selbst stammen oder auf Erläuterungen anderer beruhen, die ungeprüft und kritiklos als korrekte Übersetzungen akzeptiert worden sind. Dies betnfft auch Interpretatio¬
nen, die als genaue Übersetzungen ausgegeben werden, wie z. B. op. cit in
Anm. 55, S. 204: „In the course of this conversation, bhakti says, idam sthanam parityajya videsham gamyate maya. Literally this means: ,1 will leave this country, India, and go abroad!'."
" Steven Rosen: India's Spiritual Renaissance. Tlie life and times of Lord Chaitanya.
Brooklyn, New York: FOLK Books 1988. [8], xii, 194 S. -f- 32 S. Abb. US-$ 12,95.
" Hiermit wird der Terminologie („, Church fathers'") von Brzezinski (s.
Anm.lO), S.481 Folge geleistet. Obwohl dieser Ausdruck (insbesondere Kirche) natürlich nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist, bestehen doch große Ge¬
meinsamkeiten mit der Entwicklung im Christentum (vor allem bei den Westkir¬
chen); man könnte auch durchaus den Terminus „Kirchenlehrer" für die späteren theologischen Autoritäten verwenden (natürlich wieder im übertragenen Sinne).
Zu den Vaisnava-Kirchenvätern vgl. auch Anm. 34.
" Steven Rosen: The Six Goswamis of Vrindavan. New Revised Edition [der
ersten Aufiage 1990]. Brooklyn, New York: FOLK Books, und Borehamwood,
Herls.: Bhaktivedanta Book Trust Ltd. 1991. [7], 224 S. US-$ 6,95 bzw. £. 3,50.
" Zu diesem Ausdruck vgl. Anm. 95.
rottam Datta und Syamänanda"". Dem einfachen westlichen Leser,
der weder des Bengalischen mächtig ist noch über das Spezialwis¬
sen des mit der einschlägigen Literatur vertrauten Forschers ver¬
fügt, war es bisher nur schwer möglich, sich über Leben und Wir¬
ken der von Rosen Beschriebenen umfassend zu informieren. Ihm
mögen Rosens Werke empfohlen werden. Natürlich wird der dog¬
matisch unbefangene Spezialist vieles an den Werken bemängeln,
die ja nicht nur von einem bestimmten Blickwinkel aus verfaßt,
sondern auch von der ISKCON-Obrigkeit geprüft und gutgehei¬
ßen worden sind; man wird in ihnen folglich nichts finden, was
dem in deren Sicht „orthodoxen" Bild widerspräche - ein Beispiel
kritischer Wissenschaftlichkeit sind sie gewiß nicht. Doch wäre al¬
lein dies ein Grund, Rosens Werke nicht ernst zu nehmen, so mü߬
te man mit dem gleichen Recht etwa ein Werk über Jesus und die
Kirchenväter nur deshalb als unseriös abtun, weil es von einem
Dominikanerpater verfaßt worden ist. Denn obwohl Rosen seine
und seiner Religionsgemeinschaft Glaubensgrundsätze nicht in
Frage stellt, ist er doch bemüht, auch andere Stimmen als allein
die seiner Gemeinschaft zu Worte kommen zu lassen, weshalb er
auch (insoweit es einem gebildeten und recht gut informierten
Nichtfachmann möglich ist) bengalisch- und englischsprachige
Primär- und Sekundärliteratur gebührend berücksichtigt. Zwar
wird Kontroverses"* in der Regel apologetisch im Sinne der ISK-
CON-Dogmatik erklärt"', doch in Fällen, in denen offenbar kein
derartiger siddhänta vorliegt, läßt er es auch bei einem non liquet
" Steven Rosen: Ttie Lives of the Vaishnava Saints. Shrinivas Acharya, Narottam
Das Thakur, Shyamananda Pandit. [Brooklyn, New York]: FOLK Books 1991. ix,
204 S. US-$ 10,95.
" Es handelt sich in solchen Fällen allerdings in der Regel um Details von nicht allzu großer Bedeutung. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung etwa mit ande¬
ren Richtungen des gauriya Vaisnavismus oder gar mit anderen Formen des sich gleichfalls auf Caitanya berufenden Vaisnavismus in Bengalen (siehe hierzu un¬
ten) fmdet nicht statt, war wahrscheinlich auch unerwünscht.
■" Op. cit. in Anm. 43, S.vif; „Where other scholarly and academie sourees deviate from Shrila Praphupada's, I have explained why they do so. And after considering the relative authenticity and accuracy of such deviant texts, I have given an honest account of where they fall short. In all cases, thorough, scholarly research tends to support Shrila Prabhupada's presentation, and this will be pro¬
ven throughout by reason and logic as well as by reference to literature written by Lord Chaitanya's contemporaries."
bewenden'", und in mindestens einem Fall könnte man aus seinen
Anmerkungen sogar eine überaus vorsichtige Kritik an Prab¬
hupada herauslesen". Auch ist sich Rosen durchaus der Tatsache
bewußt, daß die Angaben traditioneller Vaisnava-Biographien nur
kritisch zu verwenden sind". So können einem, der stets der obigen
Einschränkungen eingedenk ist, diese drei Werke durchaus als gu¬
te einleitende biographische Informationsquellen dienen; darüber
hinaus beinhalten sie auch viel Information zu Dogmatik und
Theologie des bengalischen Vaisnavismus aus ISKCON-Sicht, wie
auch die mit dieser Bewegung verbundenen Rituale".
Wie bereits erwähnt, ist der Dialog zwischen den Religionen
ein besonderes Anliegen Rosens'". Zwei Werke sind aus dem Dia¬
log mit dem Judaismus" und dem Christentum'* entstanden. Es
In anderen Fällen begegnen wir einer differenzierenden Betrachtungsweise, die man nicht erwarten könnte, wenn die gängigen Vorstellungen über Anhänger der ISK¬
CON-Bewegung allesamt zuträfen: „Although these suprahuman activities are not ac¬
cepted by disbelievers, their very existence and inclusion in canonical Vaishnava lite¬
rature attest to Lord Chaitanya's greatness, for He inspired the faith of exalted, stalwart devotees. In other words, whether or not the miracles of a Moses, a Jesus, or Mahä¬
prabhu Himself are accepted as factual, the testimony of such occurrences speaks highly ofthe persons who inspired them. ... Clearly, an ordinary person could not evoke such praise, and, accordingly, there are only a handful of personalities who are remembered for miraculous deeds. In a sense, the love that such praise gives rise to is more important than whether the miracles themselves had actually occurred" (op. ciL in Anm.43, S.78).
*' Ibid., S. 181"^. Es handelt sich um die Annahme einer historisch unmöglichen
Begegnung Caitanyas mit dem Marathen Tukäräm. Auch bei dem heiklen Thema
von Caitanyas Tod ist Rosen überaus vorsichtig; Prabhupädas Akzeptanz der The¬
se, Caitanya sei in das Bildnis Jagannäthas zu Puri eingegangen, wird zwar gebüh¬
rend hervorgehoben, doch findet man keine Aussage, die es einem ermöglichen würde, auch Rosen zweifelsfrei eine solche Ansicht zuzuschreiben (S. 141-145).
" S. z.B. op. CiL in Anm. 47, S.8ff.
" Dem Leser wäre allerdings ein großer Gefallen getan worden, wenn transkri¬
bierte Wörter und Passagen mit diakritischen Zeichen versehen worden wären - im Zeitalter des Komputersatzes wahrlich kein Problem!
" Er ist der „Minister of Interreligious Affairs" der ISKCON-Gemeinde New
Yorks. Allerdings vermißt man in seinen Werken eine Auseinandersetzung mit
anderen Formen des bengalischen Vaisnavismus selbst; auch eine Stellungnahme
zu der in Anm. 98 wiedergegebenen Behauptung, auch ISKCON zeichne sich
(u.a.?) durch tantrische Praktiken aus, würde man begrüßen.
" Om Shalom. Judaism and Krishna Consciousness. Conversadons Between Rab¬
bi Jacob N. Shimmel and Satyaraja Dasa Adhikarl Brooklyn, New York: FOLK
Books 1990. iii, 213 S. US-$ 6,95.
" East-West-Dialogues. An Interreligious Encounter. Conversations Between The
Reverend Alvin V. P. Hart and Satyaraja Dasa Adhikari. Brooklyn, New York:
FOLK Books 1989. ii, 105 S. US-$ 4,95.
geht dabei nicht um einen rehgiösen Disput, sondern um den
Versuch, einander besser zu verstehen und eventuell Gemeinsam¬
keiten zu entdecken, auf jeden Fall über vorhandene Differenzen
offen, aber verständnisvoll zu sprechen". Die in den genannten
zwei Bänden wiedergegebenen Dialoge sind äußerst informativ
und interessant, obwohl es bisweilen doch den Anschein hat, als
handele es sich um eine Belehrung (durch Rosen) eines zwar
gelehrten, aber letztendlich doch ein minderwertiges Wissen Be¬
sitzenden, wobei natürlich die Frage auftaucht, ob dies den Tenor
der Gespräche getreu wiedergibt oder eher auf editorischer Um¬
gestaltung beruht. Dies ist allerdings nur ein subjektiver Ein¬
druck, den ein anderer Leser nicht unbedingt haben wird. Dem
Indologen besonders auffallen und beunruhigen muß aber die
Tatsache, daß die Gesprächspartner Rosens in ihm offenbar nicht
nur einen Vertreter des ISKCON-Glaubens oder aber (was schon
bedenklich genug wäre) des gauriya Vaisnavismus überhaupt se¬
hen, sondern des Vaisnavismus überhaupt, wenn nicht gar des
Hinduismus überhaupt'^ Dies muß zwangsläufig zu schwerwie¬
genden Mißverständnissen führen, die dadurch vergrößert wer¬
den, daß manches von dem, was Rosen sagt, zwar auf seinen
eigenen Studien basiert, größtenteils aber die Lehre Prabhupädas
wiedergibt. Dieser war zwar nach Ausweis seiner verschiedenen
Schriften recht bewandert in allem, was Dogmatik und Theologie
seiner eigenen sektarischen Gruppierung betrifft, seine Ausfüh¬
rungen zur indischen Geschichte und Geistesgeschichte im größe¬
ren Rahmen, wie auch zur außerindischen Geistesgeschichte,
scheinen dagegen eher auf solchen Quellen'' zu beruhen, die dem
sich als den „wahren" Hinduismus verstehenden Neohinduismus
(der den traditionellen Hinduismus immer mehr verdrängt) zuzu¬
rechnen sind*", wobei noch anzumerken gilt, daß der in vielem
" Diese interreligiösen Dialoge sind natürlich nichts Singuläres, da sie in ähn¬
licher Form auch anderswo wohl bekannt sind.
" Zwar wird in dieser Hinsicht gelegentlich differenziert (z.B. op. cit. in Anm. 55, S. 58 ff.), doch solche Differenzierungen scheinen den Tenor der Gesprä¬
che kaum zu beeinflussen.
" Zu diesen muß auch die geistige Lehrerlinie gerechnet werden; s. zu dieser Anm. 34.
'° Es ist bezeichnend, daß die meisten ISKCON-Anhänger ursprünglich Nicht-
inder, heute immer mehr in der Fremde an Orientierungsproblemen leidende
Inder sind, deren Ideen über indische Religion und Tradition größtenteils aus ISKCON-Quellen gespeist werden. (Damit soll natürlich nichts über den allge-
Neuere Werke zum bengalischen Vaisnavismus 153
auf ursprünglich westlichem Gedankengut basierende Neohin¬
duismus in seinen verschiedenen Formen*' gerade in Bengalen
besonders einflußreich ist". Der Neohinduismus kann in äußerst
gelehrter Gestalt auftreten", manifestiert sich heute aber immer
mehr durch merkwürdige und oft skurrile (nicht selten mit pseu-
do-naturwissenschaftlichen Argumenten garnierte), aber anschei¬
nend sehr einflußreiche Publikationen*". Auch die ISKCON-Be-
meinen Bildungsstand der Anhänger oder ihr eigenes Fachwissen ausgesagt wer¬
den.) Auch das Wohlwollen, mit dem viele in Indien die Aktivitäten der ISKCON betrachten, hat seine Grenzen meistens dort, wo es um religiöse oder philosophi-
I sehe Interpretationen geht oder um Konflikte mit den eigenen religiösen Überzeu¬
gungen, wie ja überhaupt der Vaisnavismus caitanyaistischer Prägung bei der traditionalistisch gebildeten Gelehrtenwelt (im Unterschied zur allgemeinen Be¬
völkerung, deren Vaisnavismus aber sehr oft nicht der der „orthodoxen" gauriya Strömung war oder ist) sogar innerhalb Bengalens keinen leichten Stand hat(te) (was allerdings das Gutheißen neohinduistischen Gedankenguts im ISKCON-Ge- wand nicht ausschließt). Jogendra Nath Bhattacharya {Hindu Castes and Sects.
Reprinted Calcutta 1973, S.370) bemerkt: „As, on the one hand, a Chaitanite teacher need not either be a scholar or an eloquent teacher, so, on the other hand, anybody may at any time, and at any place, practise the cult." Hiermit erklärt er
I zwar die Popularität der Bewegung Caitanyas in Bengalen, spricht aber gleichzei¬
tig und wahrscheinlich unbewußt ein Urteil über die Fähigkeiten ihrer Führer aus, das bezeichnend für einen großen Teil der traditionalistisch gebildeten Gelehrten¬
welt Bengalens war und wohl auch heute noch ist.
' " Zur Charakterisierung des Neohinduismus sei besonders hingewiesen auf den
leider wenig bekannten Aufsatz Aspeets of Neo-Hinduism as Contrasted with Sur¬
viving Traditional Hinduism von Paul Hacker, in: Paul Hacker, Kleine Sehriften herausgegeben von Lambert Schmithausen. Wiesbaden 1978 (Glasenapp-Stiftung 15), S. 580-608. S. auch die ausführliche Erörterung bei Wilhelm Halbfass, Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung. Basel/Stuttgart 1981, S. 545 (Index), sowie Sieglinde Dietz, Indien blickt auf Europa. Hinduistische Reform¬
bewegungen des 19. Jahrhunderts, in: Asien blickt auf Europa. Begegnungen und Irritationen Herausgegeben von Tilman Nagel Beirut 1990, S. 119-138.
" Die im Westen wohl bekanntesten Vertreter des „Hinduismus" stammen auch aus Bengalen: Arabinda Ghos und Narendranäth Datta (Sbämi Bibekänanda).
" Deren „Wissenschaftlichkeit" aber leider größtenteils aus der Suche nach Argumenten zur Untermauerung bereits feststehender Thesen besteht (womit na¬
türlich keineswegs gesagt werden soll, daß dies eine speziell neohinduistische oder
' gar südasiatische Eigenart sei).
" Ein besonderes Kennzeichen derartiger Publikationen ist u.a. ihre fast völlige
Unkenntnis moderner westlicher indologischer Forschung, insbesondere der
nicht-englischsprachigen; die Auseinandersetzung mit der westlichen Forschung erschöpft sich größtenteils in dem Versuch, die Unhaltbarkeit der Thesen anti¬
quierter Schriften (oft noch aus dem 19. Jahrhundert) zu beweisen, die für „klas¬
sische" Indologen im Westen höchstens noch historischen Wert haben, in Indien aber immer wieder nachgedruckt werden (dies gilt auch für den in Indien ubiqui-
1.
wegung steht offenbar unter derartigem Einfluß. Dies führt zu
einer merkwürdigen Argumentationsweise Rosens. So ist es z. B.
einerseits durchaus im Einklang mit der traditionellen Doktrin
des bengalischen Vaisnavismus, daß die für diese wichtigen
Schriften, insbesondere das Bhägavatapuräna (daneben auch die
Bhagavadgitä), als Essenz der gesamten Smrti und Sruti-Literatur
gelten, deren religiöse Gedanken sich in ihrer reinsten Form in
diesem Vaisnavismus verkörpert finden (was dann dazu führt,
daß bei Rosen die gesamte nachvedische Literatur „vedisch" ge¬
nannt", die eigentliche vedische Literatur aber, bis auf einige
wenige Zitate aus ihrer spätesten, upanisadischen Schicht**, au¬
ßer acht gelassen wird), oder aber daß der Vegetarismus direkt
aus „den Veden"*' hergeleitet wird**, andererseits gehören aber
tären Friedrich Max Müller, dessen editorische und popularisierende Verdien¬
ste zwar unbestreitbar sind, der aber ansonsten schon zu Lebzeiten in der klassi¬
schen Indologie, insbesondere in Deutschland, nur eine periphäre Rolle gespielt hat). Die Flut derartiger Publikationen hat inzwischen ein solches Ausmaß ange¬
nommen, daß viele westliche Indologen indische Publikationen nur noch gelegent¬
lich zur Kenntnis nehmen, sehr zum Leidwesen seriöser indischer Forscher, die beispielsweise die „outlandish paths trodden by Vedic scholarship in India today"
(S. R. Sarma in Aligarh Journal of Oriental Studies 4 [1987], S. 193) nicht minder ärgerlich finden. Da diese Art von Neohinduismus sich inzwischen in den indo¬
logischen Abteilungen vieler indischer Universitäten fest etabliert hat, treten auf internationalen Fachtagungen die Verkünder von Merkwürdigem in immer größe¬
rer Zahl auf und haben schon für manche Peinlichkeit gesorgt, und es hat den Anschein, als steuere die Entwicklung auf einen wohl nicht mehr vermeidbaren Eklat in nächster Zeit zu.
" Diese Terminologie ist inzwischen auch bei vielen (vor allem nordamerikani¬
schen) Kollegen, die es eigentlich besser wissen müßten, gang und gäbe, was zu ernsthaften Problemen führt. Aus welchem Grunde es hierzu gekommen ist, wäre einer Untersuchung wert. Es ist ja auch zu beobachten, daß im Neuindoarischen die altindoarischen Termini vaidika- (z.T. auch srauta-) immer mehr nicht das bezeichnen, was mit der eigentlichen vedischen (Opfer)tradition im Zusammen¬
hang steht, sondern das, was aus heutiger Sicht „traditionell" ist, aus historischer
Sicht dagegen dem Bereich nachvedischer Neuerungen zugerechnet werden muß.
" Wobei allerdings auch spätere nichtvedische Werke kritiklos zu den Upa¬
nisaden gezählt werden, bloß weil sie das Wort upanisad- im Werktitel führen.
" Die, durchaus mit traditionellem Verständnis im Einklang, auch als die Quel¬
le allen Wissens angesehen werden, wobei wir annehmen könnten, daß Rosen in
solchen Kontexten tatsächlich die Sruti-Literatur meint, was allerdings nicht klar ist.
" Allerdings vermengen sich hierbei Traditionalistisches und Neohinduistisches auf schier unentwirrbare Weise. Ein großer Teil des Neohinduismus (der ja be¬
kanntlich so gut wie nie zwischen Vegetarismus, Ahirnsä und Rinderverehrung unterscheidet, die ihren Ursprüngen nach verschieden sind), wird mit dem Pro¬
blem des Fleischverzehrs innerhalb des Hinduismus (zu diesem Ausdruck vgl.
beispielsweise die Leugnung einer indogermanischen („ari¬
schen") Einwanderung nach Südasien*' oder die Apologetik in
Bezug auf den Monotheismus zum Standardrepertoire des Neo¬
hinduismus™. Überhaupt verrät Rosen eine teilweise erschrecken¬
de Unkenntnis der modernen westlichen „klassischen" indologi¬
schen Forschung". Sollte dies charakteristisch für die ISKCON-
bewegung sein, so dürfte sie sich nicht wundern, wenn sie von
Anm. 36) dadurch fertig, daß er ihn schlicht leugnet oder entsprechende Nach¬
richten uminterpretiert (heute zu Beobachtendes wird dabei als Aberration darge¬
stellt). Diese Argumentationsweise ist zwar älter als die Auseinandersetzung mit dem Westen (und auch charakteristisch für einen Teil des bengalischen Vaisnavis¬
mus), doch scheint sie nichtsdestotrotz aus historischer Sicht eine Neuerung zu sein, da die eigentlichen traditionalistischen Argumente anderer Natur (und auch subtiler) sind, stammen sie doch noch aus einer Zeit, in der möglicherweise der
Vegetarismus noch als Neuerung empfunden und daher mit Vorhandenem in Ein¬
klang zu bringen war.
" „This was invented by a scholar named Mortimer Wheeler, in the 1930s - everything was based on such flimsy evidence" (op. cit. in Anm.55, S.58)! tjber- haupt läßt vieles bei Rosen darauf schließen, daß ihm die Indogermanistik ein verschlossenes Buch ist, was nicht zuletzt auch seine abenteuerlichen, z.T. haar¬
sträubenden etymologischen Erläuterungen zeigen.
Ironischerweise wird auf diese Weise manches, das ursprünglich aus dem We¬
sten stammte, als „indisch" wieder in den Westen importiert, u.a. auch gewisse
Ansichten über das Alter und die Weisheit der Veden, wie auch die Idee vom
„spirituellen" Indien und der inhärenten Überiegenheit indischer Spiritualität perse.
" So darf es nicht verwundern, daß wir trotz der immer wiederkehrenden Be¬
tonung der Wichtigkeit der Rezitierung der Namen Krsnas keinerlei Auseinander¬
setzung finden mit dem Phänomen der Bedeutung des wahren (und in der Regel
verborgenen) Namens (und der mit dem Wissen um ihn verbundenen Macht über
seinen Träger) im magischen Weltbild, wie es z. B. in den Brähmana-Texten greif¬
bar wird, und trotz der Hervorhebung der Bedeutung des Namens auch im Ju¬
daismus (op. cit. in Anm.55, S. 143 ff.; s. auch op. cit. in Anm. 56, S.37ff) auch keinen Hinweis auf die Tatsache, daß dies z. B. aus ethnologischer und religions¬
wissenschaftlicher Sicht an sich nichts Besonderes ist, da solches auch Tür viele andere Kulturen der Welt gilt (und selbst im GRiMMschen Rumpelstilzchen noch greifbar ist). Dies ist nur ein Beispiel unter zahlreichen für die noch ausstehende Auseinandersetzung mit der kritischen modernen Indologie. Wichtiger als die Dis¬
kussion einzelner Sachfragen ist in diesem Zusammenhang aber eine Grundsatz¬
diskussion über wissenschaftliche Arbeitsmethodik. So muß einem Indologen bei¬
spielsweise sofort auffallen, daß bei Rosen eine Diskussion fehlt über die bei einigen bengalischen Vaisnavas verbreitete Deutung (historisch gesehen eine Um¬
interpretierung, obwohl ein Gläubiger dies natürlich abstreiten wird) von hare im
Mantra hare krsna hare räma, das nicht als Vokativ des Appellativums hari-
Krsna/Visnus, sondern als der Vokativ eines (ansonsten unbelegten) femininen harä-, gedeutet als Name Rädhäs, erklärt wird. Oder ist Rosen, der nur die letz¬
tere Deutung erwähnt (op. cit. in Anm.55, S.146), sich gar nicht der Tatsache
Fachvertretern'^ als Gesprächspartner (und nicht nur als For¬
schungsgegenstand) nicht ernstgenommen werden sollte; wenn
allerdings eine etwaige Beschäftigung mit dieser Forschung sich
nicht nur auf Apologetik beschränken sollte (und bei der zweifel¬
los vorhandenen intellektuellen Kapazität innerhalb der Bewe¬
gung ist dies durchaus vorstellbar), so dürfte ein interner Konflikt
eventuell im Bereich des Möglichen sein".
Die ISKCON-Bewegung ist inzwischen weltweit vertreten; zur
Zeit ist sie Zeitungsberichten zufolge besonders in den ehemaligen
kommunistischen Staaten des Ostblocks aktiv und erfährt dort
auch regen Zuspruch. Doch schon lange vorher, noch zu den Zei¬
ten des Kalten Kriegs, breitete sie, größtenteils im Untergrund, ih¬
ren Einfluß in dieser Weltregion aus, auch in der damaligen So¬
wjetunion, wo sie unbarmherzig verfolgt wurde'". Die Reformen
Gorbacovs brachten dann eine Wende, und heute dürfen auch
ISKCON-Anhänger ihre Religion frei von der Furcht vor staatli¬
chen Repressalien öffentlich ausüben und verbreiten; sie hat in¬
bewußt, daß seine Auffassung des Mantras im gesamtindischen Kontext die einer kleinen Minderheit ist? Dabei finden wir doch sogar im Caitanyacaritämrta (auf den ein großer Teil der heutigen Dogmatik und Theologie des gauriya Vaisnavis¬
mus fußt) den folgenden Vers, der zweifelsfrei von hari- ausgeht (Ädililä 17,21):
harer näma harer näma harer nämaiva kevalam kalau nästy eva nästy eva nästy eva gatir anyathä.
Auch eine diesbezügliche Durchsicht von Prabhupädas 17-bändiger kommentier¬
ter Übersetzung des Caitanyacaritämrta (die an Hand der ausgezeichneten Indizes leicht ist) zeigt, daß er unzählige Male von hari- (= Krsna) spricht, harä- o. dgl.
aber nirgends erwähnt.
" Die apodiktische Äußerungen als ebensolche ansehen werden, auch wenn sie noch so ehrwürdigem Munde entstammen sollten.
" In diesem Zusammenhang muß auch darauf hingewiesen werden, daß die
Gründung der ISKCON in eine Zeit fiel (1965), zu der gerade in Nordamerika eine für die Indologie/Südasienforschung verhängnisvolle Entwicklung im Gange war, die letztendlich zu einer Aufteilung der Forschung in zwei Zweige geführt hat, die so gut wie keine Notiz voneinander und von den jeweiligen Forschungs¬
ergebnissen nehmen. Zu den unglückseligen Folgen dieser Entwicklung s. bes.
Rahul Peter Das, On the Subtle Art of Interpreting, in: Journal of the American Oriental Society III (1991), S. 131-161. Es fällt auf, daß die meisten nordameri¬
kanischen Forscher, zu denen Rosen (und wohl auch die ISKCON-Bewegung
überhaupt) Kontakt pfiegt, gerade dem Zweig anzugehören scheinen, dem philo¬
logisch orientierte „klassische" Indologen (d.h. der Richtung, die auch heute noch in Deutschland vorherrscht) größtenteils nicht angehören.
" Wobei auch die bekannten Unterdrückungsmethoden von Deportation, Ab¬
erkennung der Bürgerrechte, Haft (auch in Arbeitslagern) oder Einweisung in die berüchtigten psychiatrischen Kliniken eingesetzt wurden.
zwischen regen Zulauf. Über diese Entwicklung gibt es jetzt ein
äußerst interessantes bengalisches Werk.'* Eingangs schildert der
offenbar weit gereiste Autor seine schon seit 1970 stattfindenden
Begegnungen mit ISKCON-Anhängern aus aller Welt in verschie¬
denen Erdteilen, auch auf der Kumbh Melä im Jahre 1989, bei der
die ISKCON eine wichtige Rolle spielte; auch geht er auf ver¬
schiedene Aspekte der Präsenz der ISKCON auf indischem Boden
ein. Diese Schilderungen sind äußerst interessant, wenn sie auch
oft einen recht lobhudelnden Tenor haben. Wir erfahren auch, daß
eine Gruppe sowjetischer Gläubiger an der erwähnten Melä teil¬
nehmen wollte, wegen der angeblichen Schlamperei der indischen
Behörden in Moskau aber ihre Visa nicht mehr rechtzeitig erhalten
konnte (S.3). Bald danach traf die Gruppe aber doch noch in In¬
dien ein; die Gespräche, die der Autor mit Mitgliedern der Grup¬
pe führte, liefern den Stoff für den größten Teil seines Werkes. Wir
erfahren von der schweren Verfolgung seitens der sowjetischen Be¬
hörden, die den Glauben der Verfolgten aber letztendlich gestärkt
habe. Erstaunt lesen wir auch, daß mehrere der Gläubigen früher
Muslime waren". Dann erfahren wir von angeblichen Wundern,
die manchen über die schwere Zeit ihrer Prüfungen hinweghalfen.
Äußerst interessant sind auch hier erwähnte, offenbar feste Über¬
zeugungen, die z. B. besagen, daß Lenin als Gorbacov wiederge¬
boren wurde (S.65), daß Gorbacov in seinem Privatzimmer ein
Exemplar Prabhupädas Bhagavadgitä As It Is aufbewahre (S. 67)
und daß der Tod Andropovs auf die Rezitation des Narasirnha-
mantra durch Harikes Sbämi Mahäräj in Nordamerika zurückzu¬
führen sei - zwei Tage danach starb Andropov, und die Unter¬
drückung der ISKCON-Anhänger in der Sowjetunion fand mit
dem Anbrechen der Gorbacov-Ära ein Ende (S.42; 63).
Das folgende Werk™ verspricht einen Überblick über fünfhun¬
dert Jahre Caitanya-Forschung. Wer allerdings eine systematische
" Hierbei dürfte auch das im Bereich der ehemaligen Sowjetunion sehr verbreitete Interesse an Indien überhaupt eine Rolle gespielt haben (die einheimischen Rund¬
funksender strahlen sogar offenbar recht populäre Lieder aus Hindi-Filmen aus).
" SuREs'cANDRA SÄHÄ: Räsiyäy srikrsna. Kalikätä: Mandal Buk Häus 1396 (=
1989). 174 S. Rs. 20,-.
" Man beachte in diesem Zusammenhang, daß einem Bericht aus dem Jahre 1983 zufolge ein bengalischer Muslim noch zu Lebzeiten Prabhupädas (er verstarb 1977) einen Gihäd gegen ISKCON gefordert hatte.
" Debäsis Bandyopädhyäy: Caitanyacarcär päc'so bachar. Kalikätä: Änanda Päb'lisärs Präibhet Limited 1987. [9], 159 S. Rs.20,-.
Forschungsgeschichte erwartete, wäre enttäuscht, denn es han¬
delt sich eigentlich um ein Sammelsurium verschiedener Aufsät¬
ze, die zwar alle mit Caitanya und seiner Religion in Verbindung
stehen, aber als Sammlung dem Werktitel keinesfalls gerecht wer¬
den. So findet man z. B. einen Abriß der Lebensgeschichte Caitan¬
yas, seines religiösen Systems, der Verbreitungsgeschichte und
der Guru-Stammbäume des bengalischen Vaisnavismus, Be¬
schreibungen und Würdigungen seiner engsten Jünger, Hauptbio¬
graphen und verschiedener Vaisnava-Lyriker, Abhandlungen
über einige dem bengalischen Vaisnavismus wichtige Stätten und
Beschreibungen einiger Volksbräuche und von Vaisnavismus be¬
einflußten synkretistischen „Volksreligionen", daneben - dem
Werktitel besser entsprechend - Biographien einiger Gelehrter,
die sich mit dem bengalischen Vaisnavismus befaßt, z.T. ihn auch
propagiert haben. Mag man vor allem die hagiographischen
Aspekte und das Herausbilden einer Systematik in dem Werk der
Jünger und Biographen (und auch der Volksdichter) noch als Cai¬
tanya-Forschung im weitesten Sinne betrachten, so fällt es bei
einem Großteil der Aufsätze schwer, einen Zusammenhang mit
dem Werktitel zu sehen. Doch abgesehen von diesem Umstand,
der manchen, der das Werk auf Grund von vom Titel erweckten
Erwartungen aufschlägt, sicher enttäuschen wird, ist das Buch
recht lesenswert und enthält eine Fülle von interessantem Mate¬
rial - allerdings eher von populärwissenschaftlichem als von wis¬
senschaftlichem Interesse, wenn auch der Forscher bei der Lek¬
türe immer wieder auf Einzelheiten stößt, die ihm nicht ohne
weiteres geläufig sind".
Dem im Titel des letzten Werkes enthaltenen Anspruch gerech¬
ter wird eine Anthologie*", die der intellektuellen Auseinanderset¬
zung mit dem Phänomen Caitanya im 19. und 20., z.T. auch im
18. Jahrhundert gewidmet ist. Es handelt sich um Auszüge aus
den Werken bengalischer Autoren, wobei auch die „Volksdich¬
tung" einschließlich der „muslimischen" Vaisnava-Dichtung*' ge-
" In Zusammenhang mit Anm. 22 sei besonders auf den Manipur betreffenden Abschnitt auf S. 86-88 hingewiesen.
Bähäli manisäy sricaitanya. Sampädak Nirmal'näräyan Gupta. Kal'kätä:
Ratnäbali 1985. ii, 162 S. Rs. 20,-.
" Hierzu s. Yatindramohan Bhattäcärya, Bähgälär baisnab'bhäbäpanna mu- satmän kabir padamanjusä. Kalikätä 1984 (man beachte auch die Bibliographie auf S. 449-467). Über den tatsächlichen Glauben der Dichter, die sich hinter den muslimischen Namen verbergen, herrscht Unklarheit; vgl. hierzu Edward C.Di-