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In guter Nachbarschaft

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In guter Nachbarschaft

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In guter

Nachbarschaft

Dokumentation der Synode der

Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zum Thema „Christlich-islamischer Dialog“

im Februar 2006

Im Auftrag des Präsidiums der Synode herausgegeben von

Hans-Christoph Goßmann

RVB

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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-928936-89-3

 2006 Präsisium der Nordelbischen Kirche

Reformatorischer Verlag, Hamburg Grafik und Layout und Produktion:

BoD Verlagsservice Hamburg

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lich-islamichen Dialog in der NEK-Synode

von Synodenpräsident Hans-Peter Strenge

Ein Jahr lang hat sich die Nordelbische Synode intensiv mit dem Christ- lich-islamischen Dialog in der Nordelbischen Kirche befasst, nachdem im November 2004 der Startschuss für den Vorbereitungsausschuss fiel, eine Themensynode vorzubereiten. Im Juni 2005 waren die Synodalen zunächst zu einem Studientag versammelt, der spannend und interessant war: durch die Vorträge von Herrn Prof. Steinbach und Herrn Prof. von Scheliha wur- den Grundlagen vermittelt - welches die Gemeinsamkeiten und Unter- schiede der beiden Religionen sind - wertvolle Informationen, um den Dialog in der Nordelbischen Kirche zwischen Christen und Muslimen zu fördern. Denn was bedeutet es, in einen Dialog zu treten? Wie soll man anknüpfen, wenn die Bezugspunkte fehlen und keine Kenntnisse der ande- ren Seite vorhanden sind? Verständnis entsteht durch Verstehen, was viel mit Fakten und Wissen zu tun hat. So haben wir in diesem einjährigen Pro- zess vor allem daran gearbeitet, diese Kenntnisse zu vermitteln.

Dann, im Februar 2006, folgte die Themensynode, zu der muslimi- sche Gäste dazu kamen. Darüber haben wir uns besonders gefreut! Herr Abu Ahmad Jakobi, Vorsitzender des Arbeitsausschusses für interreli- giösen Dialog der Schura, Rat der islamischen Gemeinschaften in Ham- burg, bedankte sich für diese Form der direkten Kommunikation inner- halb des Kirchenparlaments mit muslimischen Gästen und für die Of- fenheit, mit der hier dem Thema begegnet wurde. Der islamische Theo- loge Mehdi Razvi, Iman in der deutschsprachigen Gemeinde des islami- schen Zentrums in Hamburg, in der er einige Jahrzehnte die Koranstun- de abhielt und Seminare über islamisches Recht lehrte, gleichzeitig einer der bedeutendsten Koraninterpreten Deutschlands, war wunderbarerwei- se auch bei uns zu Gast, ebenso wie die muslimische Künstlerin Frau Waltraud Wahida Azhari, die uns ihre Ausstellung „Geschwisterreligio- nen“ zur Verfügung stellte.

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Die Arbeitsgruppen wurden von Fachberatern und sehr kundigen mus- limischen Frauen und Männern beraten, über deren genaues Zuhören und die Beantwortung von Fragen wir uns nicht nur gefreut haben, sondern auf die wir im besten Sinne angewiesen waren, haben wir doch durch sie die

„andere Sicht der Dinge“ gehört. So sind in diesen Kontakten Verbindun- gen entstanden wie nach langer Plenardebatte dann auch die Erklärung der Synode der Nordelbischen Kirche zum Christlich-islamischen Dialog „In guter Nachbarschaft“, die Sie in dieser Dokumentation in verschiedenen Sprachen wiederfinden. Das Synodenstatement ist nämlich nicht deswegen beschlossen worden, damit es in Schubladen verschwindet oder gut abge- heftet in Ordnern ein kümmerliches und trockenes Dasein fristet, sondern, damit es lebt! Die Erklärung möchte Menschen ermuntern, Kontakt und Austausch zu suchen, Unsicherheit zu überwinden, Feindbilder und Vor- urteile abzubauen und tatsächlich zur Nachbarschaft zu finden, hier: zur Nachbarschaft mit Menschen anderer Religionen. Dies gilt für alle Reli- gionen, besonders ist hier die nachbarschaftliche Beziehung zu muslimi- schen Menschen gemeint. Sie braucht - aktuelle Ereignisse, die uns auch um den Frieden bangen und für ihn beten lassen, zeigt dies deutlich - Stär- kung und Förderung vor allem und zu allererst im Einzelkontakt der Men- schen. Es ist also keine abstrakte Sache, sondern höchst leicht machbar von jedem und jeder von uns. Wie also bekommen die Buchstaben der Erklä- rung Leben eingehaucht? Indem sie Anstoß ist, aktiv zu werden, Veran- staltungen zu besuchen, sich dort zu öffnen für Andersgläubige, für die Schätze, die in der anderen Religion liegen, und zu erkennen, dass nichts uns alle trennen kann von der Liebe Gottes, die jede Religion zwar anders benennt und definiert, von der sich aber alle einig sind, dass sie für die ge- samte bewohnte Bevölkerung gedacht ist und uns in friedlichem Zusam- menleben zusammenbringen will.

„Gott hat uns verschieden geschaffen, damit wir voneinander lernen“, so fiel ein Satz auf dieser Synodentagung. Und genau so soll es sein. Dass diese Dokumentation mit dafür sorgen möge, dass wir die Unterschied- lichkeit als Reichtum erkennen und nicht nach Gleichmacherei streben und darum, die andere Seite zu verändern, das wünsche ich mir. Bedanken möchte ich mich bei dem Beauftragten des Christlich-islamischen Dialogs der Nordelbischen Kirche, Herrn Dr. Hans-Christoph Goßmann, für die engagierte Unterstützung des Ausschusses und der Synodenberatungen:

von seinen umfassenden Erfahrungen haben wir profitiert. Ihm ist sehr zu danken – nicht zuletzt auch für diese Dokumentation.

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Geleitwort von Synodenpräsident Hans-Peter Strenge ... 5

Zu den Texten in dieser Dokumentation von Hans-Christoph Goßmann... 9

Die Vorträge auf dem Studientag Arnulf von Scheliha: Der Islam als Religion aus christlich-theologischer Sicht ... 12

Udo Steinbach: Der internationale Terrorismus als friedenspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts ... 42

Synode Cynthia Lies: Kurze Einführung in das Synodenthema „Christlich-Islamischer Dialog in der NEK“ und Erläuterungen zum Ablauf der Beratungen ... 54

Rüdiger Sachau: Einbringung ... 56

Abu Ahmad Jakobi: Grußwort ... 57

Wolfram Weiße: Christlich-islamischer Dialog – Möglichkeiten und Grenzen. 60 Hans-Christoph Goßmann: Andacht ... 80

Erklärung In guter Nachbarschaft. Christlich-islamischer Dialog im Bereich der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche... 83

Übersetzung ins Türkische ... 86

Übersetzung ins Englische ... 89

Übersetzung ins Französische ... 92

Übersetzung ins Portugiesische... 95

Übersetzung ins Spanische... 98

Übersetzung ins Kiswaheli... 101

Stellungnahme des Theologischen Beirates zu der Erklärung "In guter Nachbarschaft"... 104

Anhang Mitglieder des synodalen Vorbereitungsausschusses ... 112 Nordelbische Kirchenkreisbeauftragte für den christlich-islamischen Dialog . 113

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von Hans-Christoph Goßmann

Die Themensynode zum christlich-islamischen Dialog in der Nordelbi- schen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) im Februar 2006 hatte einen vergleichsweise langen Vorlauf. Auf diese Weise konnte sie gründlich vorbereitet werden. So war auf der Synodentagung im Februar 2005 beschlossen worden, vor dieser Themensynode einen Studientag durchzuführen, auf dem sowohl die christlich-theologische Sicht des Is- lams als auch die politischen Dimensionen dieser Religion ausführlich thematisiert werden. Dieser Studientag fand am 18. Juli 2005 in Rends- burg statt. Prof. Dr. Arnulf von Scheliha, Professor für systematische Theologie an der Universität Osnabrück, hielt einen Vortrag zum Thema

‚Der Islam als Religion aus christlich-theologischer Sicht’ und Prof. Dr.

Udo Steinbach, Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, hielt einen Vortrag zum Thema ‚Der internationale Terrorismus als frie- denspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts’.

Am 2. und 3. Februar 2006 wurde das Thema ‚Christlich-Islamischer Dialog im Bereich der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche’

auf der Tagung der Synode der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rendsburg beraten.

Cynthia Lies, Vizepräsidentin der Synode und Vorsitzende des syn- odalen Ausschusses, der diese Themensynode vorbereitet hat, gab eine kurze Einführung in das Synodenthema und erläuterte den Ablauf der Beratungen. Anschließend wurde das Thema durch Dr. Rüdiger Sachau, den damaligen Vizepräsidenten der Synode eingebracht. Danach sprach Abu Ahmad Jakobi, der Vorsitzende des Ausschusses der Hamburger Schura für den interreligiösen Dialog, ein Grußwort.

Die Grundlage für die Beratungen auf der Synodentagung wurden durch den Vortrag ‚Christlich-islamischer Dialog – Möglichkeiten und Grenzen’ von Prof. Dr. Wolfram Weiße, Professor für Erziehungswis- senschaft an der Universität Hamburg, gelegt. Die Impulse dieses Vor-

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trags wurden von den Synodalen in mehreren jeweils thematisch ausge- richteten Arbeitsgruppen aufgenommen und diskutiert. In diesen Ar- beitsgruppen wurde auch der Entwurf der Synodenerklärung „In guter Nachbarschaft. Christlich-islamischer Dialog in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche" besprochen. Am 3. Februar wurde die Diskussion nach einer Andacht von Pastor Dr. Hans-Christoph Goß- mann, dem bisherigen Beauftragten der Nordelbischen Evangelisch- Lutherischen Kirche für den christlich-islamischen Dialog, im Plenum fortgesetzt. Nach einer Grundsatzdebatte zum Thema wurde der Text der Erklärung intensiv diskutiert. Dabei wurden verschiedene Änderungsan- träge aufgenommen und eingearbeitet. Anschließend wurde die Erklä- rung einstimmig – ohne Gegenstimmen und Enthaltungen – von der Synode verabschiedet.

Die Erklärung „In guter Nachbarschaft. Christlich-islamischer Dia- log in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche" wurde da- nach in verschiedene Sprachen übersetzt:

• ins Türkische, damit auch die meist älteren unter uns lebenden Mus- liminnen und Muslime mit türkischem Hintergrund, die im Allgemei- nen nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, diese Erklä- rung zur Kenntnis nehmen können,

• ins Englische, Französische, Portugiesische und Spanische, damit diese Erklärung auch in die internationalen ökumenischen Diskussio- nen eingebracht werden kann, und

• ins Kiswahili, damit die Mitglieder afrikanischer Kirchen, insbeson- dere der Evangelischen Kirche in Tansania (ELCT), zu der die Nor- delbische Evangelisch-Lutherische Kirche über das Nordelbische Zentrum für Weltmission und Kirchlichen Weltdienst (NMZ) partner- schaftliche Beziehungen pflegt, diese Erklärung zur Kenntnis nehmen können. Dies legt sich deshalb nahe, weil im Gebiet der Evangeli- schen Kirche in Tansania viele Menschen islamischen Glaubens leben und der christlich-islamische Dialog auch dort ein Thema ist, das das Leben der Kirchengemeinden bestimmt.

Der Theologische Beirat hat zu der Erklärung „In guter Nachbarschaft.

Christlich-islamischer Dialog in der Nordelbischen Evangelisch- Lutherischen Kirche“ eine Stellungnahme abgegeben, die den Synodalen

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auf der Synodentagung zur Kenntnis gegeben und von ihnen intensiv diskutiert wurde.

Im Anhang werden sowohl die Mitglieder des synodalen Vorbe- reitungsausschusses als auch die nordelbischen Kirchenkreisbeauf- tragten für den christlich-islamischen Dialog genannt, damit diejeni- gen, die in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche am christlich-islamischen Dialog interessiert sind, Kontakt zu ihnen auf- nehmen können.

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theologischer Sicht

von Arnulf von Scheliha

I. Einleitung – Anmerkungen zur gegenwärtigen Islam-Debatte

„Die Zeiten des Kuscheldialoges sind vorbei!“ – Mit diesem Aufruf be- endete Kirchenpräsident Dr. Steinacker auf dem jüngsten Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover seinen Beitrag zum christlich- islamischen Dialog. Damit sprach Steinacker nur besonders drastisch aus, was sich seit einiger Zeit als führende Meinung in der öffentlichen Publizistik herausschält. Bemühte man sich noch unmittelbar nach den Ereignissen des 11. September 2001 um eine behutsame Differenzierung von Religion und Terror, so gehört zu den gegenwärtigen Fernwirkun- gen jener Ereignisse, dass man gegenüber dem Islam das Trennende hervorhebt und innerhalb des Islam rückwärts gewandte Strömungen als repräsentativ hinstellt. Die Debatte um eine künftige EU-Mitgliedschaft der Türkei, das Kopftuch, die Parallelgesellschaften1, der sog. Ehren- mord, die Zwangsehen, die Sexualmoral – kein Thema, das nicht schon für eine Balkenüberschrift der „Bild-Zeitung“ tauglich gewesen wäre und das in bemerkenswerter Schnelligkeit in die evangelikale Publizistik hineinkopiert wird. Der Symbolwert solcher Kampagnen ist es, der suk- zessive zu einer Veränderung der Stimmung geführt hat. Auch die EKD ist daran beteiligt, wenn man, wie etwa Bischof Huber davon spricht,

1 „Die Entwicklung religiös begründeter Parallelgesellschaften – wie dies auch in unserem Lande in Bezug auf den Islam in vielen Städten zu beobachten ist – bil- det einen Nährboden des Fundamentalismus“ (Bischof Huber: „Die Religion und der Staat“ – Vortrag auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 02.02.2005, zitiert nach: www.ekd.de/vortraege/154_050202_huber_ fried- rich_ebert_bonn.html., abgerufen am 29.06.2005).

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„dass interreligiöse Schummelei nicht mehr funktioniert“2 und mit dieser Einschätzung und anderen Formulierungen3 die bisherigen Anstrengun- gen im christlich-islamischen Dialog – zumindest indirekt – pauschal abwertet. Auch EKDseitig wird man nicht müde, auf extremistische Tendenzen im Islam aufmerksam zu machen und die staatlichen Organe zu ermuntern, von allen Möglichkeiten der Rechtsordnung Gebrauch zu machen, um Gefahren einzudämmen. Einer solchen Forderung ist dort, wo sie wirklich angebracht ist, natürlich zuzustimmen. Aber untergrün- dig wird durch die Art, wie man sich im Rahmen solcher Einlassungen auf den Islam bezieht, eine bestimmte Stimmung erzeugt.

Dazu zwei Beispiele:

Im Blick auf die Geschichte der freiheitlichen Rechtsordnung verweist man auf die christliche Religionsgeschichte, die aufgeklärte Vernunft, die Trennung von Kirche und Staat sowie auf das säkulare Rechtsver- ständnis, während dem Islam beschieden wird (jetzt folgt ein Zitat von Bischof Huber): „Die Religionsfreiheit als individuelles Menschenrecht ... ist durch den Islam im Ganzen bisher nicht anerkannt worden.“4 Das Problematische an dieser Formulierung besteht darin, dass in der Wen- dung „Islam im Ganzen“ unterstellt wird, als gäbe es muslimischerseits eine Instanz, die für den Islam in Gesamtheit sprechen könnte. Da es diese Instanz aber bekanntlich nicht gibt, und Bischof Huber das natür- lich auch weiß, wird mit dieser Formulierung subtil suggeriert, dass es Muslimen an der Fähigkeit gebricht, die geforderte Anerkennung aus- sprechen zu können.

Ein zweites Beispiel und abermals ein Zitat von Bischof Huber: „Für den Islam gilt … insgesamt: der Staat ist organisierte Religion. Sein Recht ist religiöses Recht. Seine Quellen findet das Recht in der Religi-

2 „Nicht der gleiche Gott.“ Der Vorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, definiert die Grenzen des Dialogs mit dem Islam härter und enger denn je. Interview mit dem Magazin FOCUS vom 22. November 2004, zitiert nach:

www.ekd.de/aktuell/ 442_041122_huber_islam_focusinterview.html., abgerufen am 29.06.2005.

3 „Entweder hängen sie noch einer idealisierenden Multi-Kulti-Stimmung nach…

oder sie dämonisieren den Islam…“ (vgl. ebd.).

4 Bischof Huber: „Die Religion und der Staat“ – Vortrag auf Einladung der Fried- rich-Ebert-Stiftung in Bonn am 02.02.2005 (wie Fußnote 1).

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on.“5 Auch hier wird mit einem gewissermaßen lehramtlichen Gestus dekretiert, was für „den Islam ... insgesamt“ gelten soll. Er wird mit ei- nem angeblich vom Christentum hervorgebrachten säkularen Rechtsver- ständnis konfrontiert, das er in der gleichen Weise anzuerkennen habe, wie dies für Christen gelte. Die Aporie ist eine doppelte: Wiederum gibt es keine Instanz, die muslimischerseits für „den Islam ... insgesamt“

sprechen könnte. Da diese Instanz nicht existiert, werden Muslime pau- schal als reformunfähig hingestellt. Schwerer noch wiegt ein rechtsphi- losophisches Missverständnis, das Huber unterläuft. Denn zur Säkulari- tät des Rechtes, die Huber zu Recht herausstellt, gehört auch, dass die Gründe, aus denen die Anerkennung des Rechtes vollzogen wird, außer- halb des Rechtes liegen und daher nicht in ihrer Bestimmtheit eingefor- dert werden können. Das besagt: Wir brauchen von Muslimen nicht mehr zu fordern als die bedingungslose Anerkennung unserer Freiheits- ordnung. Aus welchen Gründen sie sie anerkennen, ob aus religiösen, moralischen, philosophischen oder nur pragmatischen, sind vom Recht, darin liegt sein freiheitlicher Charakter, selber nicht mehr vorzuschrei- ben. Insofern liegt bei Huber trotz aller Betonung der Säkularität unserer Rechtsordnung eine ebendiese überstrapazierende Moralisierung des Rechts vor.6

Solche Beispiele ließen sich vermehren und ich befürchte, dass die- ser Mainstream der medialen Öffentlichkeit im Blick auf die Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft zu einem Flurschaden führen könnte. Vordergründig könnten die Kirchen zwar von der öffentlichen Distanznahme von den Muslimen profitieren. Im Ergebnis werden aber interne Verwerfungen innerhalb der deutschen Religionskultur erzeugt, die lange nachwirken und sie nachhaltig beschädigen könnten. Ich halte es daher für besser, dass die Kirchen im öffentlichen Diskurs weniger als

5 Ebd.

6 Anders gewendet: Die vorrechtlichen Geltungsgründe der freiheitlichen Rechts- ordnung sind nicht auf bestimmte religiöse oder moralische „Triebfedern“ fest- gelegt, sondern können auch den Rechtsnormen selbst oder einem allgemeinen Sozialethos entnommen werden. „Die Ethik lehrt hernach nur, daß, wenn die Triebfeder, welche die juridische Gesetzgebung mit jener Pflicht [pacta sunt ser- vanda] verbindet, nämlich der äußere Zwang, auch weggelassen wird, die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend sei“ (Immanuel KANT: Me- taphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Metaphysik der Sitten, Teil I, hg.

von BERND LUDWIG, Hamburg 1986, 30).

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Anwälte des Rechtsstaates denn als Anwälte der Religion auftreten soll- ten. Die religionsrechtliche Bewertung der Haltung der muslimischen Organisationen kann man der Politik und der Rechtspflege überlassen.

Aber die kirchliche Kompetenz ist in einem religionswissenschaftlich gesättigten theologischen Dialog mit dem Islam nicht zu ersetzen. In diesem Dialog kann man sich zu Nutze machen, was Bischof Huber am Islam vermisst: Nämlich die Tatsache, dass es muslimischerseits keine letzte Lehr- und Autoritätsinstanz gibt. Das nämlich erlaubt es uns, als Christinnen und Christen mit den Muslimen im Stadtteil, in der Kom- mune, in der Region und im Bundesland ‚auf Augenhöhe‘ in Kontakt zu treten und diejenigen Fragen zu besprechen, die man wirklich hat. Der Dialog zwischen den Religionen, auch der Dialog zwischen Christen und Muslimen, ist ein Dialog zwischen Menschen. Er bedarf keiner in- stitutionellen Bevormundung, sondern er entnimmt die Themen aus dem Reservoir der gemeinsamen Lebenswelt einerseits und der jeweiligen religiösen Tradition andererseits.

Die zuletzt genannten Stichworte bilden auch die Aufbaumomente für meine theologische Reflexion des Islam. Sie nimmt Christen und Muslime als religiöse Menschen in einer gemeinsamen Lebenswelt wahr und thematisiert ihre Anliegen in der Perspektive der je eigenen religiö- sen und konfessionellen Tradition, die freilich gerade wegen der geteil- ten Lebenswelt nicht apart zu setzen, sondern aufeinander zu beziehen sind. Dabei ergeben sich Fragen und Probleme in Hülle und Fülle, so dass niemand zu befürchten braucht, hier würde einem „Kuscheldialog“

das Wort geredet. Wovon ich allerdings mit diesem Programm einer in der Lebenswelt geerdeten Theologie weg möchte ist, dass wir Großfor- meln operieren, von „dem“ Islam sprechen, Pauschalurteile abgeben und nur Vorurteile bestätigen. Ich denke, dass die Chance gerade der Dialog- arbeit in den kirchlichen Werken, den Gemeinden und den Kirchenkrei- sen ‚vor Ort’ darin besteht, die religiösen Anliegen und theologischen Einsichten zu diskutieren. Dagegen können politische und rechtliche Fragen zurückgestellt werden. Das ist entlastend und differenzierend.

Darin liegt die Chance und die sollte die Kirche nutzen!

Bevor ich – nach dieser Einleitung – im dritten Teil meines Vortra- ges die genannte Perspektive lebensweltlich zurück gebundener Theolo- gie einnehme, möchte ich zuvor einige methodische Vorbemerkungen anbringen, deren Berücksichtigung bereits als inhaltliche Kriterien des Dialogs mit Muslimen gelten können.

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II. Religionstheoretische und methodische Vorbemerkungen

In Religionswissenschaft und Theologie wird seit längerer Zeit ein in- tensiver Diskurs darüber geführt, was überhaupt Religion ist und wie überhaupt die Ebene genauer zu beschreiben ist, auf der etwa Christen- tum und Islam gemeinsam anzusiedeln seien. Diese Debatte mag Nicht- Fachleute überraschen, denn vor der Hand scheint es kein Problem zu sein, Religionen als Religionen zu bezeichnen. Für die Wissenschaft, die die Religionen genau verstehen wollen, ist das aber gar nicht so selbst- verständlich. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Begriff der Religion zwar vorchristlichen Ursprungs ist, aber vor allem innerhalb der christli- chen Theologie spezifisch geprägt wurde7 und seit der Epoche der Auf- klärung eine religionskritische Bedeutung angenommen hatte.8 Erst dar- aufhin wurde er von der Religionsdogmatik des aufgeklärten Protestan- tismus aufgegriffen und er übernahm die methodische Schlüsselfunktion einer Religionsbegründung und -vergleichung.9

Demgegenüber haben andere Religionen einen vergleichbaren Be- griff nicht und damit auch gar kein Selbstverständnis von sich als „Reli- gionen“ hervorgebracht. Der Hinduismus gehört dazu und das promi- nenteste Beispiel ist das Judentum. Im klassischen Judentum kommt der Begriff der Religion gar nicht vor. Er ist vielmehr erst vom neuzeitlichen Christentum in das jüdische Denken eingewandert.10

Die nur eingeschränkte Universalität des Religionsbegriffs bestimmt den religions- und kulturwissenschaftlichen Methodendiskurs in einem

7 Vgl. ERNST FEIL: Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs, 2 Bde., Göttingen 1986-1997.

8 Vgl. HANS G. KIPPENBERG: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religi- onswissenschaft und Moderne, München 1997, 13-43.

9 Vgl. ARNULF VON SCHELIHA: „Dogmatik, ‚ihre Zeit in Gedanken gefaßt‘?

Die dogmatische Aufgabe zwischen historischer Kritik und christologischer Ge- genwartsdeutung, in: Systematische Theologie heute, hg. von H. DEUSER und D. KORSCH, Gütersloh 2004, 60-84.

10 Vgl. HEINRICH VON STIETENCRON: Der Begriff der Religion in der Religi- onswissenschaft, in: Der Begriff der Religion, hg. von W. KERBER, München 1993, 111-137; HANS-MICHAEL HAUßIG: Der Religionsbegriff in den Reli- gionen. Studien zum Selbst- und Religionsverständnis in Hinduismus, Buddhis- mus, Judentum und Islam, Berlin/Bodenheim 1999, 9-37.

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hohen Maße. Dabei wird auch im Blick auf den Islam die Frage erörtert, ob er überhaupt als Religion bezeichnet werden könne, stehe er doch für ein kulturelles Gesamtset, in dem Religion, Ethos, Recht und Politik un- unterscheidbar ineinander lägen.11 Wie immer man sich zu dieser These verhalten mag: Der Islam selbst ist es, der einen Begriff ausgeprägt hat, in dem – wie bei „unserem“ Religionsbegriff, religionsbegründende und religionsvergleichende Merkmale zusammenlaufen. Es ist das korani- sche Wort dīn, das in allen gängigen Koranübersetzungen mit „Religi- on“ übersetzt wird, und in dem das eigene Selbstverständnis, wie wahre Form der Gottesverehrung zu sein, mit anderen Formen von dīn in eine vergleichende Beziehung gesetzt wird.12 Damit können wir eine erste Gemeinsamkeit notieren: Christentum und Islam ist es gemeinsam, den eigenen Anspruch im kritischen Vergleich mit anderen Religion zu the- matisieren. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

Eine weitere Konsequenz aus dem religionstheoretischen Grundla- gendiskurs von Religionswissenschaft und Theologie sei angedeutet: Je- der Religion wird eine Selbstständigkeit und Eigenständigkeit zugemes- sen. Weder gemeinsame historische Wurzeln noch gemeinsame Glau- bensvorstellungen oder Handlungsanweisungen können als Anlass dafür genommen werden, die eine Religion von einer anderen her zu erklären.

Schon Adolf von Harnack, einer der führenden Vertreter der sog. Histo- rischen Theologie des 19. Jahrhunderts, formulierte: „Aeussere Ue- bereinstimmungen in cultischen, ceremonial- und lehrgesetzlichen For- meln […] können in der einen Religion einen ganz anderen Sinn und Zweck haben, unterliegen mithin einer anderen Deutung als in der ande- ren; umgekehrt können innere Übereinstimmungen … sich hinter an- dersartigen Formen verbergen, so dass das wirklich Gleichartige nicht sofort als solches durchschaut wird.“13 Harnack geht methodisch davon aus, dass ein auf der Oberfläche ansetzender Religionsvergleich deswe- gen wenig aussichtsreich ist, weil die Erscheinungsformen einer jeden

11 Dass der Islam „dem westlichen Betrachter einmal als Religion erscheint, ein andermal als Politik, zeigt nur die begrenzte Geltung dieser uns geläufigen Un- terscheidung an.“ (H.G. KIPPENBERGER: Diskursive Religionswissenschaft, in: Neue Ansätze in der Religionswissenschaft, hg. von B. Gladigow und H. G.

Kippenberg, München 1983, 9-28, 13).

12 Vgl. HAUßIG: Religionsbegriff in den Religionen, 194-243.

13 ADOLF VON HARNACK: Lehrbuch der Dogmengeschichte II, 4 1909, Nach- druck Darmstadt 1990, 529f.

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Religion einerseits von ihrer für sie spezifischen, inneren Dynamik her gesteuert werden, andererseits sich in ihnen zugleich nicht-religiöse Motive Geltung verschaffen.

Die dem Neuen Testament und dem Koran gemeinsame Bezugnahme auf alttestamentlich-jüdische Traditionen begründet für sich noch keine religiöse Gemeinsamkeit.

Die Tatsache, dass Maria und Jesus im Koran eine hervorragende Be- deutung haben, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass ganz andere Inhalte mit ihnen verbunden sind.

Der Hinweis darauf, dass Jesus auch im Neuen Testament gelegentlich

„Prophet“ genannt wird,14 kann nicht den Sachverhalt verstellen, dass Jesus im Neuen Testament eben nicht nur als Prophet aufgefasst wird, sondern – nach Ansicht der neutestamentlichen Schriftsteller und wohl auch nach eigener Selbstbekundung15 – mehr gewesen ist und gerade für dieses „mehr“ am Kreuz gestorben ist.

Daraus folgt: Entscheidend für eine realistische Auffassung des interre- ligiösen Dialoges ist, dass die für das Neue Testament und den Koran jeweils spezifische Verknüpfung der gemeinsamen Traditionen mit den- jenigen Aussagen, die beiden Religionen nicht gemeinsam sind, Beach- tung findet. Die individuelle Identität der jeweiligen Religion baut sich aus der unterschiedlichen Vernetzung der gemeinsamen Motive auf.

Dieses innere Netzwerk einer jeden Religion gilt es zu berücksichtigen, wenn man Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Religion feststellen und theologisch gewichten will.16

14 Mk 6, 15 par; 8, 28 par; Mt 21, 11. 46 (das Volk nennt Jesus einen Propheten), Joh 4, 19; 9, 17 (einzelne bezeichnen Jesus als Propheten), Lk 7, 39; Joh 7, 52 (einzelne oder mehrere Pharisäer erwägen mit negativem Ergebnis, ob Jesus Pro- phet ist). Lk 24, 19; Apg 3, 22; 7, 37 (Jünger [in weiterem Sinn] nennen Jesus ei- nen Propheten), Lk 13, 33 (Jesus bezeichnet sich [indirekt] als Prophet), Mk 6, 15; Mk 8, 28; Mt 16, 14 (Jesus wird mit alttestamentlichen Propheten verglichen, aus den zeitgenössischen Propheten herausgenommen und den klassischen Pro- pheten gleichgesetzt.).

15 Vgl. ADOLF VON HARNACK: Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorle- sungen vor Studierenden aller Facultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin gehalten, Leipzig ³1900, 79–83.

16 Vgl. dazu ARNULF VON SCHELIHA: Der Islam im Kontext der christlichen Religion, Münster 2004, 54-64.69-84.

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Vor diesem Hintergrund geraten theologische Ansätze in die Kritik, die auf der Basis festgestellter Gemeinsamkeiten zwischen den Religio- nen die andere Religion aus der Perspektive der eigenen Religion gleich- schalten wollen. Das ist etwa bei den Religionstheologien der Fall, die wir seit ca. 20 Jahren beobachten. Sie stimmen darin überein, dass alle Religionen Wege zur Erlangung des einen Heils seien. Das ist deshalb ein problematischer Satz, weil ja gerade zwischen den Religionen der Inhalt dessen, was als „Heil“ angesehen und verstanden wird, umstritten ist. Mit einer solchen Aussage schiebt man aus der Perspektive des eige- nen Selbstverständnisses der anderen Religionen das eigene Selbstver- ständnis unter.17 Den umgekehrten Fall einer Gleichschaltung finden wir im Islam dort, wo man Jesus als Propheten des einen Gottes anerkannt, aber jede christologische Näherbestimmung als Verfälschung seiner ‚ei- gentlichen’ Botschaft ablehnt.18 Christen können die muslimische Deu- tung des Christentums nicht pauschal für sich übernehmen.

Die methodische Berücksichtigung der individuellen Selbständigkeit der Religion schließt nun freilich nicht aus, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht doch erkannt und benannt werden können. Dabei ist freilich die Optik zu berücksichtigen, die jeweils eingenommen wird.

Nimmt man aus einer religionswissenschaftlichen „Fernoptik“ alle Reli- gionen in den Blick, die im Zuge der menschlichen Kulturgeschichte ausgebildet worden sind, fallen die gemeinsamen Grundanliegen der drei okzidentalen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) schneller und schärfer ins Auge, als wenn man aus einer christlichdogmatischen

„Nahoptik“ heraus auf den Islam schaut.

Im Rahmen einer historisch-aufgeklärten theologischen Reflexion gilt es daher, die unterschiedlichen Perspektiven aufeinander zu bezie- hen und sich wechselseitig korrigieren zu lassen. Oder anders: Die christlich-theologische Deutung des Islam kann weder von der Binnen- logik der jeweiligen Religion absehen noch kann sie die Gemeinsam-

17 Vgl. zur Kritik an diesen Religionstheorien VON SCHELIHA: Der Islam im Kontext der christlichen Religion, 21-25.40-44.55-59.80-82 und neuerdings:

CHRISTIAN DANZ: Einführung in die Theologie der Religionen, Wien 2005.

18 Vgl. GÜNTER RISSE: „Gott ist Christus, der Sohn der Maria“. Eine Studie zum Christusbild im Koran, Bonn 1989; JOSEF IMBACH: Wem gehört Jesus? Seine Bedeutung für Juden, Christen und Moslems, München 1989; OLAF H. SCHU- MANN: Der Christus der Muslime, Gütersloh 1975.

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keiten ignorieren. Sie wird daher die Gemeinsamkeiten (geteilte Le- benswelt und gemeinsames Anliegen als Religion) zum Ausgangspunkt einer theologischen Differenzierung der beiden Religionen machen. Das soll nun im folgenden Abschnitt unternommen werden.

III. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Christentum und Islam

1. Gemeinsamkeiten als Religionen: Überschreiten der vorfindli- chen Wirklichkeit

a. Das Überschreiten der Welt

Die Grunderfahrung, die mit der Religion verbunden ist, besteht darin, dass wir bemerken, dass die vorfindliche Welt, in der wir leben und die uns im Alltagsbewusstsein gegenwärtig ist, nicht die einzige Wirklich- keit ist, in der wir existieren. Religion liegt vor, wenn wir unsere vor- findliche Lebenswelt überschreiten, uns auf eine ‚höhere Wirklichkeit’

beziehen, eine Orientierung für unsere Lebenswelt außerhalb der hiesi- gen Welt suchen. Der religiöse ‚Urakt‘ besteht also im Transzendieren der Welt.

Diese Hinwendung zu einer höheren Wirklichkeit verändert unsere Interpretation der vorfindlichen Welt, denn diese verliert in dieser Per- spektive ihre Einzigartigkeit und ihre Dominanz. In der Religion wird sie auf Distanz gebracht und grundlegend relativiert. Gleiches gilt für die Auffassung unseres eigenen Lebens. Wir finden in der „höheren Wirk- lichkeit“ Antworten auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Da- seins.

Diese Bewegung der inneren Distanz zur vorfindlichen Welt und ih- re Deutung aus der Perspektive jener transzendenten Welt, aus der wir grundlegende Orientierungen schöpfen, ist den Religionen gemeinsam.

Religiöse Menschen wissen: Wir leben in dieser Welt, von der wir eine

‚höhere‘ Wirklichkeit unterscheiden und von der her wir unser hiesiges Leben grundlegend verstehen und es ausrichten. Dass es eine solche

‚höhere‘ Wirklichkeit gibt und dass wir unser Leben von ihr her verste- hen, ist, so möchte ich zunächst festhalten, ein Anliegen, das Muslime und Christen teilen.

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b. Das Kreaturgefühl und der ethische Schöpfungsglaube

Dieses Sich-Beziehen auf eine ‚höhere Wirklichkeit’ verdichtet sich für Christen und Muslime zu dem Bewusstsein, dass diese ‚höhere‘ Wirk- lichkeit nicht irgendeine andere Wirklichkeit ist, sondern diejenige Wirklichkeit, die unsere vorfindlich-augenscheinliche Wirklichkeit nicht nur trägt, sondern auch begründet. Muslime und Christen eint ein grund- sätzliches „Kreaturgefühl“, das ihnen sagt, dass unser Leben und die Welt, in der wir leben, sich nicht selbst verdanken, sondern uns ge- schenkt und uns überantwortet sind. Anders: Wir verstehen uns als „Ge- schöpfe“ mit dem Auftrag, die Schöpfung in einer für uns lebensdienli- chen Weise zu gestalten. Ein Geschöpf zu sein bedeutet für Christen und Muslime, die natürliche Umwelt zu kultivieren. Dazu gehört auch, dass dieser Auftrag in ethischer Verantwortung für diese Schöpfung wahrge- nommen wird. Es ist nicht nur eine Verantwortung den nächsten menschlichen Generationen gegenüber, sondern auch eine Verantwor- tung, die wir gegenüber der Schöpfung als solcher verspüren.

c. Der persönliche Gott

Kreaturgefühl und ethischer Schöpfungsglaube verdichten sich für Christen und Muslime in der Erfahrung, dass sie ihr persönliches Leben von einem sie persönlich anredenden Gott empfangen, den sie als den

„Herrn der Welt“ und den „Herrn über Leben und Tod“ verehren.

Christen und Muslimen ist also der personale Charakter des Gottesver- hältnisses gemeinsam und deshalb spielt in beiden Religionen das Gebet eine so große Rolle. Das Gebet ist diejenige Form, in der das personale Gottesverhältnis ‚belebt‘ und bewusst gestaltet wird. Im Gebet wenden sich Christen und Muslime an den persönlichen und, wie ich meine, auch an den gleichen Gott.19

19 Vgl. dagegen „Ob Gott derselbe Gott ist, muss man ihm selber überlassen. Als Menschen können wir nur über das Glaubensbekenntnis urteilen. Wir haben als Christen keinen Grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen Gott wie die Muslime bekennen.“ (Wolfgang Huber: „Nicht der gleiche Gott“ [wie Fußnote 2]). Aus dem im Vortrag vertretenen Ansatz einer lebensweltlichen Theologie ergibt sich, dass Menschen in religiösen Dingen mehr als „nur über das Glau- bensbekenntnis urteilen“ können, nämlich über gemeinsame Erfahrungen, zu de- nen auch die Erfahrung des einen und gemeinsamen Gott gehören kann. Wer wollte das mit welchem Argument bestreiten, gar verwehren?

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Zu der Vorstellung, dass uns im Gebet Gott persönlich gegenwärtig ist, gehört, dass wir ihn uns vorstellen als einen uns schlechthin überle- genen Willen, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, mit dem wir auch zu ringen haben, weil er uns unseren Eigen oder Selbstwillen, an- ficht. ‚Dein Wille geschehe‘, so beten Christinnen und Christen: nicht immer leichten Herzens, wie ich hinzufüge. Denn wer opfert schon gern die eigenen Glückserwartungen an das eigene Leben der bisweilen auf- scheinenden ‚Härte‘ des göttlichen Willens? – Die ‚Hingabe an Gott‘

(islam) gehört auch für Muslime zum Grundverständnis ihrer Religion und es lohnt sich an dieser Stelle, diese gemeinsame Tradition von Ju- den, Christen und Muslime zu betonen.

Woran aber erkennen wir im Gebet den Willen Gottes? Ich denke, dass hier der Punkt erreicht sein könnte, wo christliche und muslimische Antworten auseinander treten. Ich komme daher zu den

2. Unterschiede(n) zwischen dem Christentum und Islam

a. Der Wille Gottes …

… in Jesus Christus

Für Christen ist der Wille Gottes in Jesus von Nazareth, in seiner Ver- kündigung und in seinem besonderen Lebensschicksal offenbar. Ich meine dies nicht nur religions- oder heilsgeschichtlich (dann könnten Muslime sogar noch zustimmen), sondern auch inhaltlich. Aus Jesu Wort und Geschichte entnehmen wir die unbedingte Liebe Gottes zu den Menschen. Der Wille Gottes besteht darin, den Menschen, allen Men- schen nahe zu sein. Christen wenden sich in der Nachfolge Jesu an ihr göttliches ‚Gegenüber‘, das sich ihnen in Jesus vertraut gemacht hat, das ihnen als Bruder begegnet. Die strikte Transzendenz Gottes ist damit durchbrochen. Gott begegnet uns in der Welt. ‚Vater Unser‘, das ist eine vertraute, ja liebevolle Anrede, die Jesus uns gelehrt hat. Jesus verkün- digte die Nähe Gottes. Sein Sterben, sein Tod und die Auferweckung symbolisieren diese Nähe auch in solchen Momenten, wo wir sie selbst nicht erleben können.

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… im Koran

Muslime dagegen erkennen den Willen Gottes im Koran, den sie mit Hilfe einer im Einzelnen komplizierten Hermeneutik auslegen, dabei die Logik der Rechtsfindung anwenden mit dem Ergebnis, dass die religiö- sen und ethischen Weisungen die Form von Rechtsbestimmungen an- nehmen, die im – koranischen Idealfall – zugleich das zivile und öffent- liche Recht der islamischen Gemeinschaft ausmachen.

Diese unterschiedlichen Quellen, die Christen einerseits und Musli- men andererseits den Willen Gottes zugänglich machen, begründen eine oft übersehene, aber gewichtige Differenz zwischen Christentum und Islam. Denn während nach muslimischer Ansicht der Koran den Willen Gottes authentisch repräsentiert, ist die Heilige Schrift für Christen die Quelle für die Anschauung Jesu Christi, dessen persönliches Geschick den göttlichen Liebenswillen für uns dokumentiert. Wir lesen, so könnte man formulieren, die Bibel mit derjenigen ‚Brille‘, die die Heilsbedeu- tung Jesu Christi uns ‚aufsetzt‘. Dies ermöglicht den Christen nicht nur eine historische Bibelkritik, wie wir sie seit der Epoche der Aufklärung kennen, sondern auch eine christologisch gesteuerte Sachkritik, wie sie der Reformator Martin Luther begründet hat und die uns dasjenige in der Heiligen Schrift beiseite stellen lässt, was nicht „Christum treibet“. Die- ser doppelt kritische Umgang mit dem heiligen Buch ist im Islam kaum – oder wenn, dann nur ganz anders – möglich. Der Umgang mit ihm ist nicht allein ein verstehender, sondern auch ein liturgischer. Das erklärt auch die Unruhe, die die Schändungen des Koran im amerikanischen Kriegsgefangenenlager in der islamischen Welt hervorgerufen haben.

Scharf könnte man formulieren: Christentum und Islam sind nicht in gleicher Weise ‚Buchreligionen‘. Man kann daher sagen: Die Bedeu- tung, die im Islam der Koran genießt, kommt im Christentum Jesus Christus zu.

b. Der Mensch vor Gott …

Ein zweiter wichtiger Unterschied ergibt sich dann, wenn man sich an- schaut, wie sich der Mensch unter dem göttlichen Willen versteht. Man kann sagen,

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… ist frei (und der Vergebung bedürftig)

dass im Koran ein eher optimistisches Menschenbild gezeichnet wird, wie aus der koranischen Version der Schöpfungsgeschichte hervorgeht.

Ähnlich wie beim Judentum wird im Islam der ‚Sündenfall‘ nicht in der gleichen Weise gewichtet, wie es in der christlichen Tradition, insbeson- dere im Protestantismus, getan worden ist. Der Mensch gilt als ein

‚schwaches‘ Wesen, das dazu neigt, dem Willen Gottes nicht zu folgen.

Der ‚Sündenfall‘ wird im Koran als bloßer „Fehltritt“ (Sure 2, 36)20 be- zeichnet. Aber der Mensch ist von sich aus in der Lage, den Willen Gottes wieder zu erkennen und den eigenen Willen an der „Rechtlei- tung“21 (Sure 2,38; vgl. 20, 123) auszurichten. Der Mensch bedarf zwar der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes, aber er wird nicht in der gleichen Weise als erlösungsbedürftig vorgestellt, wie wir es in unserer christlichen Tradition verstehen.

… ist unfrei (und der Erlösung bedürftig)

Dagegen sind Christen der Auffassung, dass wir uns als Kinder Adams aus eigener Kraft nicht von unserem sündhaften Wesen befreien und uns in heilsamer Weise auf Gott beziehen können. Das Symbol der ‚Vertrei- bung aus dem Paradies‘ steht für eine qualitativ neue Lebenssituation, die nur von Gott her und ohne menschliche Mitwirkung verändert und zueinem gerechten Leben vor Gott führt. Insbesondere der Reformator Martin Luther hat kräftig für diese Einsicht gestritten, nach der der Mensch in Dingen des Heils keinen freien Willen hat, sondern auf den gnadenhaften Selbsterweis Gottes angewiesen ist.

c. Der Mensch führt ein Leben …

Mit dieser unterschiedlichen anthropologischen Ausgangsbasis hängt auch die jeweils ganz unterschiedliche Bewertung der Bedeutung Jesu zusammen.

20 In der – die anthropologische Sicht geglückt wiedergebenden – Übersetzung von RUDI PARET (Stuttgart ⁶1993).

21 Hier und im Folgenden zitiere ich den Koran nach der Übersetzung von ADEL THEODOR KHOURY, Gütersloh ³1987.

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… unter der göttlichen Rechtleitung

Im Islam wird Jesus als Prophet Gottes hochgeschätzt. Jesus ist für Muslime ein Prophet der göttlichen „Rechtleitung“. Er wird als „Ge- sandte[r] Gottes und sein Wort“ (Sure 4,171), als „Geist“ (Sure 4, 171), als „Diener Gottes“ (Sure 19, 30) bezeichnet, aber seine göttliche Natur und seine Gottessohnschaft (vgl. Sure 19,35) werden scharf abgelehnt.

Das gute Leben vor Gott ist für Muslime durch die göttliche „Rechtlei- tung“ bestimmt, die Gott durch seine Propheten über Jesus bis zu Mo- hammed mitgeteilt hat und die im Koran für jedermann verbindlich ge- genwärtig ist.

… im göttlichen Geist

Dagegen liegt im christlichen Verständnis ein ganz eigentümliches In- einander von Person und Heilswerk Jesu Christi vor. Es dient dazu, den Menschen aus seiner sündhaften Verfassung post lapsum herauszuholen und als einen gerechten Menschen vor Gott aufzustellen. Wie immer dies im Laufe der Geschichte der christlichen Theologie unterschiedlich akzentuiert worden ist: Im christlichen Glauben gehen wir davon aus, dass Jesus mehr und etwas anderes gewesen ist und bleibt als die pro- phetische Kundgabe des göttlichen Willens: Er ist die Inkarnation der göttlichen Liebe, die uns zu Gott zieht, vor Gott stellt und uns instand setzt, dieser Liebe gemäß in der Welt zu leben: In der Freiheit, die Christen durch ein Leben im göttlichen Geist möglich ist.

Der Entfaltung dieser Idee dient die Trinitätslehre. Historisch dürfte inzwischen sichergestellt sein, dass die bekannten koranischen Polemi- ken gegen die Beigesellung („schirk“) auf einem historischen Missver- ständnis beruhen. Das wird von Muslimen der Gegenwart auch zugege- ben. Umgekehrt zeigt ein Blick in die christliche Dogmen- und Theolo- giegeschichte, dass die lehrmäßige Ausgestaltung des Glaubens an den dreieinigen Gott vielfältige Veränderungen erfahren hat, aber niemals in einen Tritheismus abgeglitten ist. Was immer bei einem Dialog mit Muslimen (und Juden) über die gedankliche Entfaltung der Gottesidee herauskommen mag: Für Christen ist die als ‚Geist‘ ausgesagte Nähe Gottes oder unser ‚In-Gott-Sein‘ die zentrale religiöse Erfahrung, die uns durch Jesus Christus vermittelt wird. Für uns ist Gott als Heiliger Geist gegenwärtig. Die geisttheologische Interpretation der Gegenwart

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des Heils ist, wie immer dies dogmatisch dann im Einzelnen entfaltet werden mag, unverzichtbar für das christliche Selbstverständnis und es wäre eine Aufgabe im Dialog mit den Muslimen auszumitteln, inwieweit die sparsamen Andeutungen im Koran, die auf den ‚Geist‘ verweisen, in diesem Sinne verstanden werden können, ohne dass die alten Schlachten um die Trinitätslehre nachgestellt werden müssen.

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den zentralen Vorstellungen der beiden Religionen sind also einesteils grundsätzlich, anderenteils durchaus flüssig. Feste Gemeinsamkeiten sind das Grundanliegen der Religion, das Kreaturgefühl und die personal- monotheistische Gottesvorstellung, aus der die ethische Verantwortung des Menschen für seine Mitgeschöpfe folgt. Ein fester Unterschied dürfte in der unterschiedlichen Bewertung der Heilsbedeutung Jesu Christi bestehen, die für Christen prinzipiellen Rang hat. Daraus ergeben sich weitere Unterschiede, die freilich je nach kultureller und konfessio- neller Prägung durchaus als im Fluss angesehen werden dürften. Das pessimistische Menschenbild des orthodoxen Protestantismus ist im theologischen Liberalismus aufgeweicht. Nicht in allen christlichen Konfessionskulturen gilt im Blick auf die Ethik der Begriff der Freiheit als Grundkategorie der Ethik. Eine Theologie des Geistes, die konse- quent als Explikation der christlichen Gotteserfahrung aufgebaut wird, könnte eventuell den koranischen Tritheismusverdacht ausräumen. Hier ergibt sich eine Vielzahl von Themen, die im Dialog erörtert werden können.

IV. Zur wechselseitigen Deutung von Christentum und Islam

Der Prophet Mohammed hat von Beginn seines Auftretens an die Offen- barungen, die er von Allah erhalten hat, in ein Verhältnis zur jüdischen und christlichen Religion gesetzt. Historisch nicht vollständig geklärt ist die Frage, welche konfessionellen Gestalten von Judentum und Chri- stentum er genau vor Augen hatte. Deutlich ist aber, dass das Verhältnis von Christentum und Islam mit dem Auftreten des Propheten Moham- med beginnt. Da sich umgekehrt der Islam sehr rasch ausgebreitet und Tuchfühlung mit dem Christentum aufgenommen hat, sind auf beiden Seiten theologische Deuteschemata entwickelt worden, die nun kurz vorgestellt werden sollen.

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1. Die Deutung des Christentums aus muslimischer Sicht

Offensichtlich ist es so gewesen, dass der Prophet Mohammed, verstärkt in der ersten Phase seines Auftretens, seine Offenbarung in religionsge- schichtlicher Sukzession zu Judentum und Heidentum verstanden hat.

Nach den koranischen Befunden werden Christen und Juden bis zu ei- nem gewissen Grad als religionsverwandt geschätzt, während Heiden bzw. Polytheisten Gegenstand von polemischer Abgrenzung sind. Gegen die Vielgötterei der arabischen Stämme ist die „Stiftung“ der neuen Re- ligion insbesondere gerichtet, während die Religionsverwandtschaft mit den Christen auf zweifache Weise ausgedrückt wird.

• Einmal wird als gemeinsames Kennzeichen mit den Leuten des Bu- ches der Besitz der Schrift genannt. In Thora und Evangelium wur- de Judentum und Christentum der Wille Gottes bekannt gemacht, der aber innerhalb der religiösen Traditionen von Juden- und Chri- stentum entstellt (vgl. Sure 5, 65-66) wurde, bis er schließlich im Koran unmissverständlich und letztgültig offenbart ward. Diese Gemeinsamkeit einer Buchreligion ist für Muslime wichtig und darin liegt ein hoher symbolischer Wert, auch wenn wir dem christ- licherseits nicht in der gleichen Weise folgen können.

• Sodann wird die Nähe durch die heilsgeschichtliche Sukzession der Propheten ausgedrückt. Mose und Jesus sind im Koran ebenso wie andere Gestalten des Alten Testaments Propheten des einen Gottes, als deren Siegel Mohammed gilt, der den Islam als wahre Religion restituiert hat. Im Blick auf den gegenwärtigen Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden kommt dem Propheten Abraham be- sondere Bedeutung zu, weil sich an ihm die Idealbedeutung von dīn festmacht. „Und als sein Herr zu ihm sprach: ‚Sei (Mir) ergeben.‘

Er sagte: ‚Ich ergebe mich dem Herrn der Welten.‘ Und Abraham hat es seinen Söhnen aufgetragen, er und auch Jakob: ‚O meine Söhne, Gott hat für euch die (reine) Religion erwählt. So sollt ihr nur als Gottergebene sterben.‘“ (Sure 2, 131f.). Abraham gilt als prophetischer Stammvater von Juden, Christen und Muslimen. In ihm personalisieren sich die beiden Merkmale des koranischen Wortes dīn: Es wird der Bezug zu anderen Religionen so hergestellt, dass die komparative Überbietung zugleich ausgesagt wird. Man wird daher sagen können, dass die Gewichtung innerhalb der pro-

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phetischen Heilsgeschichte auch religionspolemische Akzente ein- schließt, weil mit Abraham der Islam als älteste Religion herausge- stellt und die prophetische Bedeutung des Mose und Jesus zugleich geschmälert wird: „O ihr Leute des Buches, warum streitet ihr über Abraham, wo doch die Tora und das Evangelium erst nach ihm her- abgesandt wurden?... Abraham war weder Jude noch Christ, son- dern er war Anhänger des reinen Glaubens, ein Gottergebener, und er gehörte nicht zu den Polytheisten. Diejenigen unter den Men- schen, die am ehesten Abraham beanspruchen dürfen, sind die, die ihm gefolgt sind, und dieser Prophet und diejenigen, die glauben…“

(Sure 3, 65.67f.).22

Während also im Koran Christen und Juden als religiöse Verwandte an- erkannt und innerhalb der religiösen Gemeinschaft (umma) toleriert werden, gilt dies für die Polytheisten nicht. Aber auch ihre Form der Gottesverehrung fällt unter den Begriff dīn.23 Was den Umgang mit ih- nen angeht, so finden sich durchaus gegenläufige Aussagen im Koran.24 Es gibt einerseits den „Schwertvers“25, nach dem die arabischen ‚Göt- zendiener’ nur die Wahl zwischen Bekehrung und gewaltsamen Tod ha- ben. Andererseits findet sich der berühmte Vers „Es gibt keinen Zwang in der Religion. Der rechte Wandel unterscheidet sich nunmehr klar vom Irrweg. Wer also die Götzen verleugnet und an Gott glaubt, der hält sich an der festen Handhabe, bei der es kein Reißen gibt…“ (Sure 2, 256).

Auch in diesem Vers wird die grundsätzliche Vorrangstellung des Islam nicht aufgegeben, aber es wird eingeräumt, dass die innere Logik von dīn menschlichen Zwang nicht gestattet. In diesem Zusammenhang wird

22 Vgl. auch Sure 4, 125: „Und wer hat eine schönere Religion als der, der sich völ- lig Gott hingibt und dabei rechtschaffen ist und der Glaubensrichtung Abrahams, als Anhänger des reinen Glaubens, folgt?...“ (vgl. zum historischen Zusammen- hang RUDI PARET: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, Stuttgart ⁴1976, 119-122).

23 „Und auch viele von den Polytheisten haben ihre Teilhaber verlockend gemacht, ihre Kinder zu töten, um sie zu verderben und sie in ihrer Religion zu verwirren.

Wenn Gott gewollt hätte, hätten sie es nicht getan….“ (Sure 6, 137).

24 Vgl. dazu MICHAEL COOK: Der Koran, Stuttgart 2002, 45-49.

25 „Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo im- mer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf.

Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann laßt sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und barmherzig.“ (Sure 9, 5).

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stets Sure 109, 4-6 zitiert: „Weder ich werde verehren, was ihr verehrt habt, noch werdet ihr verehren, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.“26 Zur Begründung der Toleranz den ande- ren Formen von dīn gegenüber sind zwei Argumentationslinien erkenn- bar. Das theologische Argument verweist auf die göttliche Ursächlich- keit. Seine Vorsehung entscheidet über den rechten Glauben, wie aus Sure 10, 99f hervorgeht.27 Seinem Gericht obliegt die Strafe von Häresie und Apostasie: „Und laß diejenigen sitzen, die ihre Religion zum Ge- genstand von Spiel und Zerstreuung nehmen und die das diesseitige Le- ben betört. Und ermahne durch ihn, auf daß niemand dem Verderben preisgegeben wird für das, was er erworben hat. Er hat dann außer Gott weder Freud noch Fürsprecher…“ (Sure 6, 70). In der Gegenwart ist es vor allem dieser Vers, der für muslimische Rechtsgelehrte die Basis ist, wenn aus muslimischer Sicht das Recht auf Glaubensfreiheit begründet wird.28 Der andere Begründungszusammenhang setzt schöpfungstheo- logisch ein und argumentiert anthropologisch. Als göttliche Geschöpfe sind alle Menschen vor Gott gleich. Diese Gleichheit macht auch ihre von der Religion unabhängige Würde (karāma) aus29 und begründet die Einheit der Menschen30. Die Würde erstreckt sich auf seinen freien Wil- len, der dem Menschen eine selbstständige Zuwendung zur göttlichen Rechtleitung ermöglicht, was Zwang und Gewalt in Fragen von dīn aus- schließt. Um seine Würde als Gottes Gabe erkennen und sein Leben die- ser Würde gemäß führen zu können, hat Gott, so wird weiter argumen- tiert, dem Menschen seine Vernunft gegeben, den Propheten gesandt, den Menschen seine Heiligen Schriften offenbart und ihm die Freiheit

26 Vgl. auch Sure 10, 104-106.

27 „Wenn dein Herr wollte, würden die, die auf der Erde sind, alle zusammen gläu- big werden. Bist du es etwa, der die Menschen zwingen kann, gläubig zu wer- den? Niemand kann glauben, es sei denn mit der Erlaubnis Gottes...“.

28 Vgl. COOK: Koran, 47-49.

29 Vgl. ABDOLDJAVAD FALATURI: Der Islam im Dialog, Hamburg 51996, 130f mit Verweis auf Sure 17, 70 und 49, 13; ebenso Ayatollah Seyyed Abbas Husseini GHAEM-MAGHAMI: Menschenrechte und Menschenwürde. Einfüh- rung in das islamische Menschenbild, in: Al-Fadschr (Die Morgendämmerung) Nr. 116, 21 (2004), 46-50, 46.

30 Vgl. NASSIR EL-DIN EL-ASSAD: Minderheiten im Islam, in: Menschenbilder – Menschenrechte. Islam und Okzident: Kulturen im Konflikt, hg. von S.

BATZLI, F. KISSLING und R. ZIHLMANN, Zürich 1994, 154-172, 157f.

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der Zustimmung gewährt: „Jeder rationale Mensch kann die Richtigkeit der religiösen Gebote des Islam erfassen, und die Anerkennung dieser Gebote bringt natürlich Verantwortung mit sich. Deshalb betont der Is- lam, dass es keinen Zwang im Glauben geben darf.“31

Analysiert man vor diesem Hintergrund theologische Stellungnah- men aus der Feder deutschsprachiger Muslime, so fällt auf, dass der Be- griff dīn gegenwärtig in einem Bedeutungsumfang verwendet werden kann, der unserem Verständnis von Religion durchaus nahe kommt.32 Dabei dient das singularische Vorkommen des Begriffs dīn im Koran als Beleg für die These von einer essentiellen Einheit aller Religionen. Nach ihr liegt in Judentum, Christentum und Islam ungeachtet ihrer Unter- schiede in Tradition und Zeremonien eine gemeinsame Wahrheit zu Grunde. „Der Koran erklärt, dass die Religionen ungeachtet all ihrer Unterschiede ... eine gleiche Essenz und Wahrheit haben.“33 Mit dieser essenzialistischen Interpretation geht man über die komparative Inter- pretation des Begriffs hinaus und verfolgt die Absicht, vor allem die gemeinsamen Merkmale von dīn zu akzentuieren und im Rekurs auf Su- re 2, 256 jeden Zwang auszuschließen, also Toleranz zu begründen. Das ist ein für die Inkulturation des Islam in unsere Religionslandschaft hoch bedeutsamer Vorgang.

31 GHAEM-MAGHAMI: Menschenrechte und Menschenwürde, 49.

32 Dass der Begriff dīn sogar die modernen, vom Menschenrechtsdenken geprägten Merkmale des Begriffs der Religion an sich zu ziehen vermag, habe ich gezeigt in: ARNULF VON SCHELIHA: Der Religionsbegriff und seine Bedeutung für den gegenwärtigen Islam, in: Der Protestantismus zwischen Aufklärung und Mo- derne, hg. von R. BARTH, C.-D. OSTHÖVENER und A. V. SCHELIHA, Frankfurt am Main 2005, 233-250.

33 Vgl. die Stellungnahme von Ayatollah Seyyed Abbas Husseini GHAEM- MAGHAMI in: Das gemeinsame Wesen von Frieden und Spiritualität in den abrahamitischen Religionen, in: Al-Fadschr (Die Morgendämmerung) Nr. 118, 21 (2004), 3-6, 3f.

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2. Die Deutung des Islam aus christlicher Sicht

Die christliche Theologie ist sich nie ganz sicher gewesen, wie sie den Islam einordnen soll.34 Als nachchristliche Religion widerstreitet der Is- lam schon durch seine bloße Existenz dem z.B. im Hebräerbrief des Neuen Testaments formulierten Anspruch des Christentums, durch das Opfer Jesu Christi seien die Menschen „ein für allemal“ (Hebräer 9,12) mit Gott versöhnt. Dem Christentum gegenüber tritt der Islam als eine Religion auf, die das Christentum überbieten wollte und dessen Haupt- lehren infrage stellte: Die Trinität, die Inkarnation und die Erlösung. Zu- gleich versagte dem Islam gegenüber das in der Alten Kirche entwickelte heilsgeschichtliche Schema, mit dessen Hilfe christliche Theologen die vorchristlichen Religionen und die philosophischen Systeme der Grie- chen einzuordnen vermochten. Diese wurden positiv gewürdigt, insofern sie Keime der Wahrheit, die auf Gottes Offenbarung vor verweisen, ent- halten. Der neuen nachchristlichen Religion gegenüber hat man sich da- her in einer uneinheitlichen Weise gegenüber verhalten. Fünf Modelle möchte ich kurz vorstellen:

a. Muslime als Ungläubige

In der Zeit der Kreuzzüge galten die Muslime als Ungläubige.35 Der Kampf gegen die Heiden war ein wesentliches Motiv für die mittelalter- lichen Kreuzzüge.36 Einen späten Nachklang findet diese Einordnung im 20. Jahrhundert bei Karl Barth (1886–1968), der den absoluten Wahr- heitsanspruch der im Wort Gottes vorliegenden christlichen Offenbarung neu zur Geltung gebracht hat. Barth übt schärfste Kritik an der gesamten humanen Religionsgeschichte, in die die Geschichte des Christentums freilich weitgehend hineinfällt: „Religion ist Unglaube; Religion ist eine

34 Vgl. auch die – für die Neuzeit nicht so versierte – Darstellung von SIEGRIED RAEDER: Der Islam und das Christentum. Eine historische und theologische Einführung, Neukirchen-Vluyn 2001, 165–200.

35 Vgl. den Aufruf Papst Urbans II. auf der Synode von Clermont am 27. November 1095 zum ersten Kreuzzug, in: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. II: Mittelalter, hg. von R. MOKROSCH und H. WALZ, Neukirchen-Vluyn 1980, 69f.

36 Vgl. HANS EBERHARD MEYER: Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart ⁹2000, 20ff.

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Angelegenheit, man muß geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlo- sen Menschen.“37 Zwar gesteht Barth dem Islam als einer nachchristli- chen Religion eine „Sonderbehandlung“38zu. Sie besteht aber nur darin, dass Barth das vom Islam gegen das Christentum gerichtete Monotheis- mus-Argument umdreht, dem Islam „religiöse Verklärung der Zahl Eins“39 vorwirft und ihn als „Potenzierung alles sonstigen Heidentums“40 einstuft. Heute wird diese Position in evangelikalen Kreisen vertreten.41 b. Muslime als Häretiker

Als ein „Häretiker“ kommt Mohammed etwa in der „Göttlichen Komö- die“ Dantes (1265-1321) vor.42 Im ersten Artikel der evangelisch- lutherischen Bekenntnisschrift „Confessio Augustana“ (1530) werden die „Mahometisten“ neben den altkirchlichen Sekten, die den trinitari- schen Gottesgedanken ablehnen, aufgeführt.43 Von praktischer Relevanz war die religiöse Formulierung von Verwandtschaft freilich nicht: Der Toleranzgedanke ist erst eine Errungenschaft der Aufklärung. Bis dahin respektierten einander nicht einmal die unterschiedlichen christlichen Konfessionen auf einem Territorium.

c. Der Islam als Religion des Gesetzes

Für Martin Luther (1483–1546) dagegen entsprach der Islam wegen des Monotheismus und der religiös begründeten Lebensordnung als „Geset- zesreligion“ und hielt ihr das Evangelium entgegen.44 Diese Deutung des Islam als Gesetzesreligion ist im vergangenen Jahrhundert in der

37 KARL BARTH: Die kirchliche Dogmatik I/2, Zürich ³1945, 327.

38 A.a.O. 926.

39 KARL BARTH: Die kirchliche Dogmatik II/1, Zürich 1940, 505.

40 Ebd.

41 Vgl. die Meldung unter der Überschrift „Arbeitskreis bibeltreuer Publizisten: Es gibt Anzeichen dafür, daß die Endzeit angebrochen ist. Islam „erste antichristli- che Religion nach Christus“ (Idea Spektrum 23/2005, 12).

42 Vgl. HARTMUT BOBZIN: Mohammed, München 2000, 11f.

43 Vgl. Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh ⁹1982, 51.

44 Vgl. CARL HEINZ RATSCHOW: Die Religionen, Gütersloh 1979, 15–19.

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VELKD-Studie „Religionen, Religiosität und christlicher Glaube“45 ver- tieft worden. Danach gehört der Islam wie die anderen Religionen auch

„zum Welthandeln Gottes“.46 Wie „alles Schöpfungsgeschehen [...] [ist]

auch dieses Gotteshandeln [in den Religionen] darauf angelegt, ‚auf daß sie Gott suchten, ob sie ihn erfaßten und fänden‘“.47 Der Islam ist Be- standteil des göttlichen Schöpfungshandelns und seine Leistung wird insbesondere darin gesehen, dass er „im Verständnis des Gesetzes“ auf den „heiligen, nicht hinterfragbaren göttlichen Willen() Gottes“48 ver- weist, „die letzte Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott“49 ein- schärft und insbesondere auf „die Verbindung zwischen Glauben und sozialem Handeln“50 aufmerksam macht. Die sittliche Bedeutung des Islam wird hervorgehoben und gewürdigt, während die religiöse Be- deutung deutlich relativiert wird, insofern durch das Heilswerk Jesu Christi die religiösen Grundideen des Islam im Prinzip als überwunden gelten.

d. Der Prophet Mohammed als Abschluss der göttlichen Offenba- rungsgeschichte (Reinhard Leuze)

Der Münchener Systematiker Reinhard Leuze hat jüngst vorgeschlagen, die Geschichte der Selbstoffenbarung des einen Gottes erst bei Moham- med enden zu lassen und christlicherseits Mohammed als Propheten des einen Gottes anzuerkennen: „Erst wenn wir Mohammed als Propheten des einen Gottes, der auch unser Gott ist, anerkennen, erst wenn wir die- se Religion [d.h. den Islam] auf die Offenbarung dieses Gottes zurück- führen, den wir aus den biblischen Schriften kennen, schaffen wir eine Grundlage, von der aus die [...] Polemik“51 ihr Ende finden kann.

45 Religionen, Religiosität und christlicher Glaube. Eine Studie, hg. von der Ge- schäftsstelle der Arnoldshainer Konferenz und dem Lutherischen Kirchenamt Hannover, Gütersloh ²1991, 125ff.

46 A.a.O. 126.

47 Ebd.

48 A.a.O. 54.

49 Ebd.

50 Ebd.

51 REINHARD LEUZE: Christentum und Islam, Tübingen 1994, 359.

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Das Problem in Leuzes Ansatz besteht darin, dass seine These vom Ende der Offenbarungsgeschichte bei Mohammed bloße Versicherung bleibt.52 Selbst wenn man christlicherseits Mohammed als Propheten des einen Gott anerkennt und man sich mit Muslimen einig weiß im Gehor- sam gegenüber dem 1. Gebot, so bleibt für Christen problematisch die enge Verbindung des Prophetenamtes, wie Mohammed es selbst ver- standen hat, mit seiner Position in der islamischen Gemeinschaft und der politischen Führung, die er für sich und seine Nachfolger beansprucht und durchgesetzt hat. Denn für Christen ist bleibend wichtig (insbeson- dere in der modernen Welt), dass der Glaube sich gerade nicht durch politische Macht verwirklicht, sondern in der Nachfolge des von den re- ligiösen und politischen Institutionen erniedrigten Jesus Christus. Die christliche Religion sucht von vorn herein die Differenzierung von Reli- gion und politischer Ordnung, so dass sich vom eigenen Offenbarungs- verständnis her die historische Person des Mohammed schwerlich als Träger der göttlichen Offenbarung anerkennen lässt.

Man sieht, dass man sich auf einen der muslimischen Deutung des Christentums vergleichbar klaren Einschätzung dem Islam gegenüber nicht hat verständigen können. Deutlich ist, dass eine gewisse Ver- wandtschaft stets erspürt wurde, dass aber gleichzeitig die Fremdheit wahrgenommen und dem Bedürfnis nach Abgrenzung entschlossen ent- sprochen wurde. Befriedigend sind alle diese Modelle nicht (und keines hat sich durchsetzen können) und daher möchte ich diesen Vortragsteil abschließen mit einer kurzen Würdigung der …

e. (Die) Erklärung „Nostra aetate“ über das Verhältnis der römisch- katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen des Zweiten Vatikanischen Konzils

Dort heißt es: „Mit Wertschätzung betrachtet die Kirche auch die Mus- lime, die den einzigen Gott anbeten, den lebendigen und für sich seien- den, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat, dessen auch verborgenen Ratschlüssen mit ganzem Herzen sich zu unterwerfen sie bemüht sind, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den sich der islamische Glaube gerne bezieht. Jesus, den sie freilich nicht als Gott anerkennen,

52 Vgl. VON SCHELIHA: Der Islam im Kontext der christlichen Religion (wie Fußnote 16), 46-51.

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verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mut- ter Maria und rufen sie manchmal auch andächtig an. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichts, da Gott allen Menschen vergilt, nachdem sie auferweckt sind. Deshalb legen sie auf ein sittliches Leben Wert und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. ….“53

Man sieht an dieser Erklärung, dass sich die katholische Kirche nicht auf theologische Raster einlässt, sondern die Gemeinsamkeiten akzen- tuiert, ohne die Unterschiede unter den Tisch fallen zu lassen. Die mo- notheistische Gottesidee, der Schöpfungsglaube, die Frömmigkeit, die Bedeutung Jesu und seiner Mutter, der Gerichtsglaube und die sittliche Lebenspraxis werden positiv gewürdigt, wobei im Blick auf Maria kon- fessionelle Interessen leitend sind. Als Hauptdifferenz wird die Christo- logie benannt, die freilich von so großem Gewicht ist, dass sie die Ge- meinsamkeiten überlagert. Beachtlich ist, dass Abraham als gemeinsame Bezugsgröße benannt wird, wobei die vorsichtige Formulierung des Konzilstextes ins Auge fällt („auf den der islamische Glaube sich gerne beruft“). Man kann daran erkennen, dass für Christen nicht die Genealo- gie entscheidend ist, sondern Abrahams Vorbild im Glauben, das darin besteht, im Vertrauen auf Gott Risiken einzugehen, ihm zu folgen, wenn es gilt, menschliche Erwartungen und Traditionen abzustreifen und neue Wege einzuschlagen. Damit kann aus christlicher Perspektive gesagt werden, dass die gemeinsame Berufung auf Abraham ambivalent bleibt.

Einerseits bündeln sich in ihm gemeinsame Traditionen, die bis zu ei- nem gewissen Grade auch mobilisiert werden können. Zugleich kann an Abraham aber auch der Unterschied der Glaubensweisen festgemacht werden, so dass die gegenwärtig beliebte Berufung auf die „abrahamiti- sche Ökumene“ mit Vorsicht zu gebrauchen ist.

Zu beachten ist, was in dieser Erklärung nicht erwähnt wird, nämlich die prophetische Sendung des Mohammed, der keine religiöse Dignität zugewiesen wird. Ebenso ist zu bemerken, dass die vom Konzil gewür- digte „Sittlichkeit“ nicht näher erläutert wird. Dahinter verbirgt sich eine in dem Dokument zwar nicht erwähnte, in den Konzilsberatungen deut- lich herausgestellte Kritik an der Polygamie im Besonderen und dem ko- ranischen Familienrecht im Allgemeinen.

53 Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. von H. DENZINGER, Freiburg i.Br. ³1991, 1247.

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