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Unterschiede(n) zwischen dem Christentum und Islam

Im Dokument In guter Nachbarschaft (Seite 22-27)

a. Der Wille Gottes …

… in Jesus Christus

Für Christen ist der Wille Gottes in Jesus von Nazareth, in seiner Ver-kündigung und in seinem besonderen Lebensschicksal offenbar. Ich meine dies nicht nur religions- oder heilsgeschichtlich (dann könnten Muslime sogar noch zustimmen), sondern auch inhaltlich. Aus Jesu Wort und Geschichte entnehmen wir die unbedingte Liebe Gottes zu den Menschen. Der Wille Gottes besteht darin, den Menschen, allen Men-schen nahe zu sein. Christen wenden sich in der Nachfolge Jesu an ihr göttliches ‚Gegenüber‘, das sich ihnen in Jesus vertraut gemacht hat, das ihnen als Bruder begegnet. Die strikte Transzendenz Gottes ist damit durchbrochen. Gott begegnet uns in der Welt. ‚Vater Unser‘, das ist eine vertraute, ja liebevolle Anrede, die Jesus uns gelehrt hat. Jesus verkün-digte die Nähe Gottes. Sein Sterben, sein Tod und die Auferweckung symbolisieren diese Nähe auch in solchen Momenten, wo wir sie selbst nicht erleben können.

… im Koran

Muslime dagegen erkennen den Willen Gottes im Koran, den sie mit Hilfe einer im Einzelnen komplizierten Hermeneutik auslegen, dabei die Logik der Rechtsfindung anwenden mit dem Ergebnis, dass die religiö-sen und ethischen Weisungen die Form von Rechtsbestimmungen an-nehmen, die im – koranischen Idealfall – zugleich das zivile und öffent-liche Recht der islamischen Gemeinschaft ausmachen.

Diese unterschiedlichen Quellen, die Christen einerseits und Musli-men andererseits den Willen Gottes zugänglich machen, begründen eine oft übersehene, aber gewichtige Differenz zwischen Christentum und Islam. Denn während nach muslimischer Ansicht der Koran den Willen Gottes authentisch repräsentiert, ist die Heilige Schrift für Christen die Quelle für die Anschauung Jesu Christi, dessen persönliches Geschick den göttlichen Liebenswillen für uns dokumentiert. Wir lesen, so könnte man formulieren, die Bibel mit derjenigen ‚Brille‘, die die Heilsbedeu-tung Jesu Christi uns ‚aufsetzt‘. Dies ermöglicht den Christen nicht nur eine historische Bibelkritik, wie wir sie seit der Epoche der Aufklärung kennen, sondern auch eine christologisch gesteuerte Sachkritik, wie sie der Reformator Martin Luther begründet hat und die uns dasjenige in der Heiligen Schrift beiseite stellen lässt, was nicht „Christum treibet“. Die-ser doppelt kritische Umgang mit dem heiligen Buch ist im Islam kaum – oder wenn, dann nur ganz anders – möglich. Der Umgang mit ihm ist nicht allein ein verstehender, sondern auch ein liturgischer. Das erklärt auch die Unruhe, die die Schändungen des Koran im amerikanischen Kriegsgefangenenlager in der islamischen Welt hervorgerufen haben.

Scharf könnte man formulieren: Christentum und Islam sind nicht in gleicher Weise ‚Buchreligionen‘. Man kann daher sagen: Die Bedeu-tung, die im Islam der Koran genießt, kommt im Christentum Jesus Christus zu.

b. Der Mensch vor Gott …

Ein zweiter wichtiger Unterschied ergibt sich dann, wenn man sich an-schaut, wie sich der Mensch unter dem göttlichen Willen versteht. Man kann sagen,

… ist frei (und der Vergebung bedürftig)

dass im Koran ein eher optimistisches Menschenbild gezeichnet wird, wie aus der koranischen Version der Schöpfungsgeschichte hervorgeht.

Ähnlich wie beim Judentum wird im Islam der ‚Sündenfall‘ nicht in der gleichen Weise gewichtet, wie es in der christlichen Tradition, insbeson-dere im Protestantismus, getan worden ist. Der Mensch gilt als ein

‚schwaches‘ Wesen, das dazu neigt, dem Willen Gottes nicht zu folgen.

Der ‚Sündenfall‘ wird im Koran als bloßer „Fehltritt“ (Sure 2, 36)20 be-zeichnet. Aber der Mensch ist von sich aus in der Lage, den Willen Gottes wieder zu erkennen und den eigenen Willen an der „Rechtlei-tung“21 (Sure 2,38; vgl. 20, 123) auszurichten. Der Mensch bedarf zwar der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes, aber er wird nicht in der gleichen Weise als erlösungsbedürftig vorgestellt, wie wir es in unserer christlichen Tradition verstehen.

… ist unfrei (und der Erlösung bedürftig)

Dagegen sind Christen der Auffassung, dass wir uns als Kinder Adams aus eigener Kraft nicht von unserem sündhaften Wesen befreien und uns in heilsamer Weise auf Gott beziehen können. Das Symbol der ‚Vertrei-bung aus dem Paradies‘ steht für eine qualitativ neue Lebenssituation, die nur von Gott her und ohne menschliche Mitwirkung verändert und zueinem gerechten Leben vor Gott führt. Insbesondere der Reformator Martin Luther hat kräftig für diese Einsicht gestritten, nach der der Mensch in Dingen des Heils keinen freien Willen hat, sondern auf den gnadenhaften Selbsterweis Gottes angewiesen ist.

c. Der Mensch führt ein Leben …

Mit dieser unterschiedlichen anthropologischen Ausgangsbasis hängt auch die jeweils ganz unterschiedliche Bewertung der Bedeutung Jesu zusammen.

20 In der – die anthropologische Sicht geglückt wiedergebenden – Übersetzung von RUDI PARET (Stuttgart ⁶1993).

21 Hier und im Folgenden zitiere ich den Koran nach der Übersetzung von ADEL THEODOR KHOURY, Gütersloh ³1987.

… unter der göttlichen Rechtleitung

Im Islam wird Jesus als Prophet Gottes hochgeschätzt. Jesus ist für Muslime ein Prophet der göttlichen „Rechtleitung“. Er wird als „Ge-sandte[r] Gottes und sein Wort“ (Sure 4,171), als „Geist“ (Sure 4, 171), als „Diener Gottes“ (Sure 19, 30) bezeichnet, aber seine göttliche Natur und seine Gottessohnschaft (vgl. Sure 19,35) werden scharf abgelehnt.

Das gute Leben vor Gott ist für Muslime durch die göttliche „Rechtlei-tung“ bestimmt, die Gott durch seine Propheten über Jesus bis zu Mo-hammed mitgeteilt hat und die im Koran für jedermann verbindlich ge-genwärtig ist.

… im göttlichen Geist

Dagegen liegt im christlichen Verständnis ein ganz eigentümliches In-einander von Person und Heilswerk Jesu Christi vor. Es dient dazu, den Menschen aus seiner sündhaften Verfassung post lapsum herauszuholen und als einen gerechten Menschen vor Gott aufzustellen. Wie immer dies im Laufe der Geschichte der christlichen Theologie unterschiedlich akzentuiert worden ist: Im christlichen Glauben gehen wir davon aus, dass Jesus mehr und etwas anderes gewesen ist und bleibt als die pro-phetische Kundgabe des göttlichen Willens: Er ist die Inkarnation der göttlichen Liebe, die uns zu Gott zieht, vor Gott stellt und uns instand setzt, dieser Liebe gemäß in der Welt zu leben: In der Freiheit, die Christen durch ein Leben im göttlichen Geist möglich ist.

Der Entfaltung dieser Idee dient die Trinitätslehre. Historisch dürfte inzwischen sichergestellt sein, dass die bekannten koranischen Polemi-ken gegen die Beigesellung („schirk“) auf einem historischen Missver-ständnis beruhen. Das wird von Muslimen der Gegenwart auch zugege-ben. Umgekehrt zeigt ein Blick in die christliche Dogmen- und Theolo-giegeschichte, dass die lehrmäßige Ausgestaltung des Glaubens an den dreieinigen Gott vielfältige Veränderungen erfahren hat, aber niemals in einen Tritheismus abgeglitten ist. Was immer bei einem Dialog mit Muslimen (und Juden) über die gedankliche Entfaltung der Gottesidee herauskommen mag: Für Christen ist die als ‚Geist‘ ausgesagte Nähe Gottes oder unser ‚In-Gott-Sein‘ die zentrale religiöse Erfahrung, die uns durch Jesus Christus vermittelt wird. Für uns ist Gott als Heiliger Geist gegenwärtig. Die geisttheologische Interpretation der Gegenwart

des Heils ist, wie immer dies dogmatisch dann im Einzelnen entfaltet werden mag, unverzichtbar für das christliche Selbstverständnis und es wäre eine Aufgabe im Dialog mit den Muslimen auszumitteln, inwieweit die sparsamen Andeutungen im Koran, die auf den ‚Geist‘ verweisen, in diesem Sinne verstanden werden können, ohne dass die alten Schlachten um die Trinitätslehre nachgestellt werden müssen.

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den zentralen Vorstellungen der beiden Religionen sind also einesteils grundsätzlich, anderenteils durchaus flüssig. Feste Gemeinsamkeiten sind das Grundanliegen der Religion, das Kreaturgefühl und die personal-monotheistische Gottesvorstellung, aus der die ethische Verantwortung des Menschen für seine Mitgeschöpfe folgt. Ein fester Unterschied dürfte in der unterschiedlichen Bewertung der Heilsbedeutung Jesu Christi bestehen, die für Christen prinzipiellen Rang hat. Daraus ergeben sich weitere Unterschiede, die freilich je nach kultureller und konfessio-neller Prägung durchaus als im Fluss angesehen werden dürften. Das pessimistische Menschenbild des orthodoxen Protestantismus ist im theologischen Liberalismus aufgeweicht. Nicht in allen christlichen Konfessionskulturen gilt im Blick auf die Ethik der Begriff der Freiheit als Grundkategorie der Ethik. Eine Theologie des Geistes, die konse-quent als Explikation der christlichen Gotteserfahrung aufgebaut wird, könnte eventuell den koranischen Tritheismusverdacht ausräumen. Hier ergibt sich eine Vielzahl von Themen, die im Dialog erörtert werden können.

IV. Zur wechselseitigen Deutung von Christentum und Islam

Der Prophet Mohammed hat von Beginn seines Auftretens an die Offen-barungen, die er von Allah erhalten hat, in ein Verhältnis zur jüdischen und christlichen Religion gesetzt. Historisch nicht vollständig geklärt ist die Frage, welche konfessionellen Gestalten von Judentum und Chri-stentum er genau vor Augen hatte. Deutlich ist aber, dass das Verhältnis von Christentum und Islam mit dem Auftreten des Propheten Moham-med beginnt. Da sich umgekehrt der Islam sehr rasch ausgebreitet und Tuchfühlung mit dem Christentum aufgenommen hat, sind auf beiden Seiten theologische Deuteschemata entwickelt worden, die nun kurz vorgestellt werden sollen.

Im Dokument In guter Nachbarschaft (Seite 22-27)