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und Grenzen

Im Dokument In guter Nachbarschaft (Seite 60-86)

von Wolfram Weiße

Einleitung

Der Dialog zwischen den Kulturen und Religionen wird immer wichtiger.

Aus dem Bedrohungsszenario eines Kampfes der Kulturen (S. Hunting-ton) wird zunehmend die Forderung nach einem Dialog zwischen Kultu-ren und Religionen (Peter L. Berger). Nach Jahrzehnten, in denen bei uns die Vorstellung einer zunehmenden – quasi automatisch ablaufenden - Säkularisierung mit einem Rückzug der Religionen auf die Privatsphä-re dominant war, gibt es seit wenigen JahPrivatsphä-ren eine veränderte öffentliche Wahrnehmung von Religion: Religion als ernst zu nehmender Faktor nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich unserer Ge-sellschaft. Scharfe Beobachter wussten es schon lange, nun setzt sich die Einsicht durch, dass die Säkularisierungsthese eine verengte Sicht dar-stellte, die für die Beurteilung künftiger Entwicklungen in Europa über-wunden werden muss. Dies nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch. Religion – bzw. in Zeiten des Pluralismus „Religionen“ – müssen in zunehmendem Maße für das friedliche Zusammenleben von Menschen in unserer Gesellschaft beachtet werden. Vertreterinnen und Vertreter von Religionen haben sich der Herausforderung zu stellen, dass der Dialog zwischen den Religionen für das eigene Selbstverständ-nis und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion an Relevanz gewinnt.

Die evangelischen Kirchen haben zu dieser Frage, besonders zum christlich-islamischen Dialog, wichtige Beiträge geliefert. In ihnen geht es um Verantwortung (Wächteramt) im öffentlichen Bereich, um die

Be-gegnung mit Menschen anderen Glaubens und um die theologischen Potenziale des Dialogs.

Hierzu gehören

• die Handreichung des Rates der EKD aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen“,

• die Erklärung des lutherischen Weltbundes zum Thema „Mission im Kontext. Verwandlung, Versöhnung und Bevollmächtigung. Ein Beitrag des LWB zu Verständnis und Praxis von Mission“ von 2005,

und ebenfalls aus dem letzten Jahr die Synodalerklärung der EKD zum Thema „Tolerant aus Glauben“.

In diesen Erklärungen tritt der Auftrag der Kirche klar heraus: Der Plu-ralismus wird anerkannt, die Verbindung zwischen Glauben und Tole-ranz wird unterstrichen, die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Parti-zipation für alle, ungeachtet ihres Glaubens, wird betont, der Auftrag zu einem versöhnten Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Weltanschauungen und Religionen wird anerkannt; so in der zuletzt erwähnten Kundgebung der EKD.

Wird sich ab morgen die Erklärung „In guter Nachbarschaft. Christ-lich-islamischer Dialog in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche“ hier einreihen und klare sowie weiterführende Akzente setzten?

Ich hoffe dies sehr!

Damit folgte unsere Kirche einem Verständnis, das mit Bonhoeffer auf die Kurzform „Kirche für andere“ gebracht werden kann. Parteien, Gewerkschaften und Interessenverbände sind daran orientiert, die eigene Organisation und die Interessen ihrer eigenen Mitglieder zu vertreten.

Religionen und Kirchen haben hier andere Möglichkeiten. Kirche ist nicht selbstvergessen, und dennoch gilt:

Die evangelische Kirche zeigt ihr Profil nicht durch Abgrenzung ge-gen andere, sondern durch Offenheit für andere Menschen. Diese Offen-heit kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass sich die Synode der NEK trotz Umstrukturierungs- und Sparzwängen des Themas

„christlich-islamischer Dialog“ annimmt.

Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern für andere, für Menschen in den eigenen Reihen und für Menschen anderer Religion und Kultur. Kir-che zeigt ihr Profil nicht durch Abgrenzung von anderen, sondern zeigt ein Gesicht, das offen ist auf andere. Sie vergisst dabei nicht ihre Iden-tität, sondern gewinnt ihr Profil durch die Verwiesenheit auf andere, durch die Hinwendung zum Nächsten, zum Nachbarn.

Eigene Identität und die Begegnung mit dem Nachbarn

Der Dialog zwischen den Religionen fordert nicht, die eigene Tradition und Verfasstheit zu vergessen, sondern sie in das Gespräch und in die Begegnungen mit einzubringen.

So würde der Reichtum der Begegnungen zwischen Muslimen und Christen geradezu eingeebnet, wenn sie sich selber und die Schätze ihrer jeweiligen Religion verstecken würden. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist allerdings, wie die eigene Identität das „Eigentümliche“ -verstanden wird: Ist sie Besitz mit Festungscharakter oder Ressource mit lebensdienlichem Potenzial?

Wie verorten wir uns im Spannungsfeld dieser beiden Pole, die in ganz unterschiedlicher Weise die Auffassung zu „Identität“ markieren?

Helmut Peukert liefert hierzu einen bemerkenswerten Beitrag, auf den hier kurz hingewiesen werden soll. Peukert mahnt, dass „der Ver-such, verzweifelt man selbst sein zu wollen, zu dem Versuch werden [kann], sich zur eigenen Macht zu entschließen und angesichts eigener Ohnmacht nichts sein zu wollen als Wille zur Macht und zu ihrer Steige-rung, und dies gegenüber aller Wirklichkeit und damit auch gegenüber den anderen“ (Peukert 2005, 190). Einer solchen Auffassung von macht-förmiger Identität stellt Peukert die der christlichen Tradition entgegen.

Hier gehe es um die Erinnerung an die Erfahrung von Vernichtung und Rettung im Tod des Jesus von Nazareth. Identität sei demnach das „hof-fende Zugehen auf Gott als den, der sich selbst erweist als der, der sich seiner Schöpfung unbedingt zuwendet und ‚die Toten lebendig macht’.

Identität in einer solchen Existenzform ist nicht das Behaupten einer schon erreichten Ganzheit, sondern hoffendes Ausgespanntsein auf die Gewährung von Integrität für die anderen und erst darin auch für sich selbst“ (Peukert 2005, 191). In diesem Votum steckt eine Sprengkraft, die eine Simplifizierung im Verständnis des Eigenen im Sinne einer von

Besitzvorstellungen geprägten „Eigentümlichkeit“ aufbricht. Identität bedeutet danach gerade nicht Festhalten des Erreichten oder genügsa-me Selbstbehauptung. Salopp ausgedrückt: Identität ist nicht als das fertig gepackte und umschnürte Paket von Tradition und Organisation zu denken, sondern als unabschließbares und auf Gnade verwiesenes Seh-nen, in dem das Eigene nicht ohne den Anderen Gestalt gewinnen kann.

Ist das nicht noch einfacher durch den Rekurs auf das Gebot der Nächstenliebe zu verstehen? Ja. Was das allerdings im Blick auf die Identitätsfrage bedeutet, das vermittelt uns in drastischer Form Emma-nuel Lévinas. Er unterstreicht, dass sich unsere gesamte Ethik auf der Relation zum Anderen, zum Nächsten, zum Nachbarn gründet. Hierbei steht die Verantwortung für den anderen im Vordergrund, die Verant-wortung „pour autrui“ – und dies kann sowohl mit „Nachbar“ als auch mit „Nächster“ übersetzt werden. Diese Verantwortung ist nach Lévinas ohne Grenzen, kann nicht als Schuld verstanden werden, die man abtra-gen könne. Diese Verantwortung geht bis ins eiabtra-gene Mark: „Cette re-sponsabilité va jusqu’à la fission, jusqu’à la dé-nucléation du moi. Et c’est là la subjectivité du moi.“ (Levinas 1993, 157). Die Verantwortung für den Anderen ist damit die Voraussetzung für die eigene Subjektivi-tät. Der Kern der eigenen Identität, so könnte man mit Lévinas sagen, liegt in der Verantwortung für den Anderen. Das Eigene kann erst durch den Anderen – den Nachbarn, den Nächsten – entdeckt, entwickelt und ausgeformt werden.

Wir haben es bei Peukert und Lévinas mit einem Ansatz zu tun, der einer selbstzentrierten Identität ein ganz anderes Modell entgegen setz-ten, nämlich das der Vorrangigkeit des Anderen. Führt uns dieser Ansatz weiter? Ich werde am Schluss darauf zurückkommen.

Begegnung und Dialog zwischen Muslimen und Christen: Erfah-rungsorientiert und vielfältig

Im Bereich der NEK liegen vielfältige Formen der Begegnung zwischen Christen und Muslimen vor. Sie haben sich über lange Jahre entwickelt und sollten verstärkt fortgeführt werden.

In allen Kirchenkreisen hat sich eine Vielzahl von Initiativen heraus-geschält, die dem Dialog zwischen Christen und Muslimen Gestalt und Gesicht verleihen. Christen werden zum Fastenbrechen von Muslimen

eingeladen, nehmen an diesem hohen islamischen Fest teil, essen und trinken in interreligiöser Gemeinschaft und werden nicht selten aufge-fordert, ein Grußwort zu sprechen. Umgekehrt werden Muslime zu Weihnachten und zu Ostern eingeladen und sprechen auch ihrerseits dort Grußworte. Muslime haben sich für die Beibehaltung des Buß- und Bettages engagiert, Christen besuchen Moscheen individuell, mit Kon-firmanden- und Frauengruppen. Interreligiöse Gesprächskreise mit Teil-nehmerinnen aus den Weltreligionen Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus, Hinduismus etc. tragen dazu bei, dass das Gespräch konti-nuierlich geführt wird, dass Vertrauen wachsen kann, um auch Fragen anzusprechen, die „heikel“ sind.

Dialog ist allerdings nicht „Allheilmittel“ für alles und jeden. Der Dialog hat Möglichkeiten, die genutzt werden sollten, aber er hat auch Grenzen, die gesehen werden müssen, um ihn nicht mit Erwartungen zu überfrachten. Aber: Der Rückzug auf die eigene Position unter Aus-klammerung oder mit Bekämpfung anderer kultureller und religiöser Standpunkte kann zwar als verlockende Alternative in einer zunehmend unübersichtlichen Welt erscheinen, bildet aber keine angemessene Ant-wort auf die Komplexität und Verwobenheit moderner Gesellschaften und ist kein Weg für eine evangelische Kirche, die sich als „Kirche für andere“ (Bonhoeffer) versteht.

Der begonnene Dialog zwischen den Religionen und Kulturen muss also auf verschiedenen Ebenen weitergeführt werden. Entscheidend für den interreligiösen Dialog ist etwas ganz einfaches, nämlich dass sich Menschen mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund ganz konkret, ganz praktisch, ganz kontinuierlich auf den Dialog einlassen. Hierzu sind Themen und Ziele unabdingbar, damit nicht aus dem beabsichtigten Dialog ein allgemeines und vielleicht bald unverbindliches Gespräch wird. In den genannten Initiativen und in vielen anderen Begegnungs-kreisen treffen diese Vorbedingungen zu. Die Bedeutung dieser Kreise – so groß oder so klein sie auch sein mögen – ist gar nicht zu überschät-zen. Und sie werden durch regelhafte Veranstaltungen im akademischen Bereich ergänzt und unterstützt. So durch Seminare, die seit mehr als 15 Jahren am Fachbereich Ev. Theologie in Hamburg stattfinden, so durch die empirische und konzeptionelle Profilierung des interreligiösen Dia-logs im Religionsunterricht m Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, durch Veranstaltungen an den Universitäten in Kiel und Flensburg. Seit einigen Jahren wird unter Einbezug von

Ex-perten aus den Weltreligionen – mit starken Vertreterinnen und Vertre-tern aus dem Islam - über die Einrichtung einer „Akademie der Weltreli-gionen“ diskutiert (Neumann 2002, Knauth/Weiße 2002) und seit An-fang diesen Jahres existiert als erster Schritt auf dieses Ziel hin das in-terdisziplinäre Zentrum „Weltreligionen im Dialog“ an der Universität Hamburg.

Im Bereich der NEK hat sich eine interreligiöse Gesprächskultur herausgebildet, in der beides möglich ist: die Wahrnehmung des Ge-meinsamen wie auch die Thematisierung von Unterschiedlichem. Als entscheidend für diesen Dialog erscheint es mir – dies möchte ich noch einmal betonen - dass sich unter den Beteiligten eine Atmosphäre des Vertrauens herausgebildet hat, in der Übereinstimmungen genauso for-muliert werden können wie offene und kritische Anfragen. Dies gilt für den Dialog zwischen Christen und Muslimen genauso wie für den Dia-log mit Vertreterinnen und Vertretern des Judentums, des Buddhismus und anderer Weltreligionen.

Dialog zwischen den Religionen – objektiver Ansatz?

Bis heute gibt es Versuche, das Typische und Kennzeichnende „des Is-lam“, „des Christentums“, „des Judentums“ etc. zu erfassen und einan-der gegenüberzustellen. Ein solcher Ansatz hat Vorzüge, aber auch Nachteile: Die innere Differenziertheit von Religionen, die unterschied-lichen geschichtunterschied-lichen und kulturellen Ausprägungen von Religionen werden in einem solchen Ansatz tendenziell vernachlässigt und führen bei Vergleichen auch bei gut Informierten und Wohlgesonnenen oft zu Festlegungen, die sich in Richtung auf Vorurteile bewegen oder zu Ste-reotypenbildungen beitragen.

Ich möchte dies kurz erläutern. Auch Ansätze, die den Eindruck reli-gionswissenschaftlicher Objektivität vermitteln, müssen kritisch-hermeneutisch unter die Lupe genommen werden – das haben wir Theologinnen und Theologen ja schließlich alle gelernt. Um nur ein re-lativ aktuelles Beispiel zu nennen: Die Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann von der Universität Marburg schreibt in der Einfüh-rung zu ihrem 2004 herausgegebenen Buch „Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme“:

„Wir wollen ganz gewiss nicht gegen den ‚Islam‘ oder gegen ‚die Muslime‘ Stimmung machen. Unser Wunsch ist allerdings, dass Realitätssinn in die wechselseitigen Begegnungen einkehren möge als Vorbereitung für einen Dialog, der erst dann wirklich beginnen kann, wenn die beiderseitigen Voraussetzungen weitgehend abge-klärt sind: ein tiefergreifender Dialog – auch daran zweifelt nie-mand – , der dringlicher denn je erforderlich ist“ (Spuler-Stegemann 2004, 8).

So weit so gut, könnte man sagen. Die Fortsetzung ist für mich nicht ganz so überzeugend. Hier heißt es bei Frau Spuler-Stegemann:

„Religion ist kein isoliertes Phänomen, das ohne Anhänger Bestand haben könnte. Eine Religion ist letztlich nichts anderes als das, was ihre Anhänger aus ihr machen. Allerdings unterscheidet Christentum und Islam das Potential, das in ihren jeweiligen heiligen Schriften steckt. Das Christentum ist vom Neuen Testament her grundsätzlich eine Religion des Friedens und bezieht in seiner Lehre von der Näch-stenliebe alle Menschen mit ein, unbeschadet dessen, dass in seinem Namen leider blutigste Kriege und grausamste Inquisitionen stattge-funden haben. Dem Islam hingegen ist ein kämpferisches Konfliktpo-tential inhärent, das aus seiner Genese zu verstehen ist. Er ist zwar ganz auf die Umma, seine Gemeinschaft der Gläubigen, bezogen und hat über weite Strecken eine beachtliche, wenn auch aus heutiger Sicht relative Toleranz gegenüber dem Christentum und dem Juden-tum geübt. Die gegenwärtigen Entwicklungen geben jedoch wegen der zunehmenden Dominanz strengster Richtungen erneut Anlass zur Sorge, nicht zuletzt wegen der Art, wie der Koran seitens der Islami-sten für ihre politischen Zwecke in Anspruch genommen wird“ (Spu-ler-Stegemann 2004, 8f.).

Ich verzichte darauf, diesen Text zu exegesieren – das könne Sie schließlich alle selber - aber Folgendes ist doch zu sagen: Auch wenn mein Hintergrund als christlicher Theologe das Interesse nahelegt, diese Beurteilung mit Dank anzunehmen, erscheint mir dies aus Gründen wis-senschaftlicher Vernunft und Kenntnisse nicht möglich zu sein. Auch religionswissenschaftliche Positionen können also nicht Objektivierbar-keit für sich in Anspruch nehmen – aber es wäre dann hilfreich gewe-sen, eigene Hypothesen als solche zu kennzeichnen. Sonst ergeben sich unter der Zielsetzung, zu einem realitätsbezogenen Dialog beizutragen, nur schwer überwindbare Hemmblöcke, bevor der Dialog begonnen hat.

Wer die Dialogvoraussetzungen vom eigenen Standpunkt aus so defi-niert, dass die eigene Position auf Kosten der anderen aufgewertet wird, wird die Möglichkeiten des Dialogs nicht ausschöpfen können. Deshalb ist es wichtig, nicht über „Fremdreligionen“ zu sprechen und zu urteilen, sondern mit den Nachbarn zu sprechen, die anderen Religionen angehö-ren. Aus “Fremden“ werden so „Nachbarn“, aus „Fremdreligionen“

werden so „Nachbarreligionen“ - ganz im Sinne des oben zitierten Em-manuel Lévinas.

Dialogverständnis in christlicher und muslimischer Perspektive Ich plädiere dafür, genauer hinzusehen, unter welchen Rahmenvoraus-setzungen Dialog gelingen kann. Hierfür gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Ansätzen in der Theologie, der Islamwissenschaft und der Er-ziehungswissenschaft. Ich konzentriere mich hier auf zwei theologische Entwürfe: Auf den des christlichen Theologen Hans-Jochen Margull und den des muslimischen Theologen Abdoldjavad Falaturi. Zu beiden An-sätzen lassen sich schnell und leicht entschiedene Gegenpositionen fin-den. Im Bereich christlicher Theologie gab und gibt es klare Abgrenzun-gen und VerurteilunAbgrenzun-gen aller anderen Religionen außer der eiAbgrenzun-genen. Und dasselbe gilt für den muslimischen Bereich. Für den interreligiösen Dialog erscheinen mir die Ansätze von Margull und Falaturi bis heute als richtungsweisend.

Das heißt nicht, dass es keine anderen gäbe. So vertreten hier anwe-sende muslimische und christliche Theologinnen und Theologen Ansät-ze, die den interreligiösen Dialog im Bereich der NEK und darüber hin-aus klug und kräftig befördern. Ich nenne beispielhaft nur Imam Mehdi Razvi, Imamin Halima Krausen, Ali Özdil, Prof. Dr. Olaf Schumann und Dr. Hans-Christoph Goßmann. Ich käme mir etwas merkwürdig vor, Ih-re Ansätze hier vorzutragen - das können und sollen Sie im Plenum und in den Arbeitsgruppen selber tun.

Hans Jochen Margull (1925-1982)

Hans Jochen Margull hat lange Zeit im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf gewirkt, bevor er die Professur für Missions- und Ökumenewis-senschaft in Hamburg bis zu seinem Lebensende 1982 innehatte. Ich

möchte an dieser Stelle nur in Stichworten daran erinnern (vgl. ausführ-licher Weiße 1999), worum es ihm ging:

Drei Voraussetzungen sind für seinen Ansatz prägend. Die erste be-steht darin, dass er Religionen als geschichtlich vermittelt und auf Zu-kunft hin offen ansieht. Damit wendet er sich gegen ein Grundverständ-nis von Religion, das von fixierten Formen und Vorstellungen des Glau-bens ausgeht (Margull 1992, 270). Die zweite Voraussetzung betrifft die Einschätzung religiöser Absolutheitsansprüche im Spannungsfeld zwi-schen Universalität und Partikularität. Margull ging davon aus, dass in dem unteilbaren Wahrheitsanspruch jeder Religion ein Absolutheitsan-spruch enthalten sei, den er auf der Ebene subjektiver Heilsgewißheit zu Recht verankert sah. Objektive Absolutheitsansprüche sah er hingegen als unangemessen an, zumal sich diese im Rahmen der Absolutheitsan-sprüche verschiedener Religionen als partikular erwiesen hätten (Mar-gull 1992, 303). Die dritte Voraussetzung markierte Mar(Mar-gull mit dem Terminus der „Verwundbarkeit“. Im Dialog tritt die Einsicht, dass das Christentum – so wie alle Weltreligionen – eine partikulare Einheit ist, als Kränkung des eigenen Selbstbewußtseins zutage. Der Schmerz über die christliche Partikularität ist aber nichts anderes als der Schmerz, den auch die anderen Religionen zu erleiden hätten.

Auf diesem Hintergrund ergaben sich für Margull folgende Prioritä-ten für den Dialog:

1. Begegnung in Gleichberechtigung: Unter interreligiösem Dialog ver-stand Margull die Begegnung und das Gespräch zwischen gleichbe-rechtigten Menschen mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund.

In Anlehnung an Martin Buber sah er als Grundbedingung und Grun-derfahrung solcher Begegnungen die Tatsache an, „dass nichts weni-ger und vielleicht auch nichts schmerzlicheres als Gleichberechtigung und Achtung die Voraussetzung für einen echten Dialog ist“(Margull 1992, 310). Dies sollte sich schon in der Terminologie ausdrücken.

Statt von einem Dialog mit anderen Religionen (mit der implizit ge-setzten Vorrangstellung der eigenen Religion) forderte er einen An-satz, der den Dialog zwischen Menschen verschiedener religiöser Tradition im Zentrum sah.

2. Christliche Identität ist nicht monologisch, sondern dialogisch: Mar-gull wies die Vorstellung einer exklusiven christlichen Identität unter Ausblendung von Welt und Weltreligionen als „Rundturm des

Mo-nologs“ zurück. Menschen anderer Traditionen sollten „von Anfang an in unseren theologischen Überlegungen mitwirken“ (Margull 1992, 323-27). Begegnung und Dialog mit Menschen anderen Glau-bens sind damit nicht ein mehr oder minder notwendiger Zusatz oder gar lediglich eine Gefahr für die „eigene“ christliche Identitätsfin-dung, sondern gehören schon im Kern zu christlicher Theologie hin-zu.

3. Die Gemeinsamkeiten der Menschen, nicht die Unterschiede der Re-ligionen sind zentral: Die entscheidende Perspektive für den Dialog bestand nach den Erfahrungen des interreligiösen Gespräches für Margull nicht in den Unterschieden religiöser Traditionen, sondern im Bewußtsein der Gemeinsamkeiten aller Menschen, die für jüdi-sches und christliches Denken in der Ebenbildlichkeit Gottes gründet.

Entscheidend waren für ihn nicht die Lehrgebäude von Religionen, sondern die Begegnungen mit Menschen anderen Glaubens. Men-schen sollten nicht von außen bestimmt werden, auch nicht durch ihre formale Religionszugehörigkeit.

4. Interreligiöser Dialog fördert nicht den Synkretismus: Aus konkreten Erfahrungen heraus konnte Margull die oft genannte Befürchtung entkräften, dass der interreligiöse Dialog zum Synkretismus führe oder auf eine Welteinheitsreligion ziele.

5. Dialog und Schweigen: Der Dialog bestehe nicht darin, dass

5. Dialog und Schweigen: Der Dialog bestehe nicht darin, dass

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