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Die Deutung des Christentums aus muslimischer Sicht

Im Dokument In guter Nachbarschaft (Seite 27-31)

Offensichtlich ist es so gewesen, dass der Prophet Mohammed, verstärkt in der ersten Phase seines Auftretens, seine Offenbarung in religionsge-schichtlicher Sukzession zu Judentum und Heidentum verstanden hat.

Nach den koranischen Befunden werden Christen und Juden bis zu ei-nem gewissen Grad als religionsverwandt geschätzt, während Heiden bzw. Polytheisten Gegenstand von polemischer Abgrenzung sind. Gegen die Vielgötterei der arabischen Stämme ist die „Stiftung“ der neuen Re-ligion insbesondere gerichtet, während die ReRe-ligionsverwandtschaft mit den Christen auf zweifache Weise ausgedrückt wird.

• Einmal wird als gemeinsames Kennzeichen mit den Leuten des Bu-ches der Besitz der Schrift genannt. In Thora und Evangelium wur-de Juwur-dentum und Christentum wur-der Wille Gottes bekannt gemacht, der aber innerhalb der religiösen Traditionen von Juden- und Chri-stentum entstellt (vgl. Sure 5, 65-66) wurde, bis er schließlich im Koran unmissverständlich und letztgültig offenbart ward. Diese Gemeinsamkeit einer Buchreligion ist für Muslime wichtig und darin liegt ein hoher symbolischer Wert, auch wenn wir dem christ-licherseits nicht in der gleichen Weise folgen können.

• Sodann wird die Nähe durch die heilsgeschichtliche Sukzession der Propheten ausgedrückt. Mose und Jesus sind im Koran ebenso wie andere Gestalten des Alten Testaments Propheten des einen Gottes, als deren Siegel Mohammed gilt, der den Islam als wahre Religion restituiert hat. Im Blick auf den gegenwärtigen Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden kommt dem Propheten Abraham be-sondere Bedeutung zu, weil sich an ihm die Idealbedeutung von dīn festmacht. „Und als sein Herr zu ihm sprach: ‚Sei (Mir) ergeben.‘

Er sagte: ‚Ich ergebe mich dem Herrn der Welten.‘ Und Abraham hat es seinen Söhnen aufgetragen, er und auch Jakob: ‚O meine Söhne, Gott hat für euch die (reine) Religion erwählt. So sollt ihr nur als Gottergebene sterben.‘“ (Sure 2, 131f.). Abraham gilt als prophetischer Stammvater von Juden, Christen und Muslimen. In ihm personalisieren sich die beiden Merkmale des koranischen Wortes dīn: Es wird der Bezug zu anderen Religionen so hergestellt, dass die komparative Überbietung zugleich ausgesagt wird. Man wird daher sagen können, dass die Gewichtung innerhalb der

pro-phetischen Heilsgeschichte auch religionspolemische Akzente ein-schließt, weil mit Abraham der Islam als älteste Religion herausge-stellt und die prophetische Bedeutung des Mose und Jesus zugleich geschmälert wird: „O ihr Leute des Buches, warum streitet ihr über Abraham, wo doch die Tora und das Evangelium erst nach ihm her-abgesandt wurden?... Abraham war weder Jude noch Christ, son-dern er war Anhänger des reinen Glaubens, ein Gottergebener, und er gehörte nicht zu den Polytheisten. Diejenigen unter den Men-schen, die am ehesten Abraham beanspruchen dürfen, sind die, die ihm gefolgt sind, und dieser Prophet und diejenigen, die glauben…“

(Sure 3, 65.67f.).22

Während also im Koran Christen und Juden als religiöse Verwandte an-erkannt und innerhalb der religiösen Gemeinschaft (umma) toleriert werden, gilt dies für die Polytheisten nicht. Aber auch ihre Form der Gottesverehrung fällt unter den Begriff dīn.23 Was den Umgang mit ih-nen angeht, so finden sich durchaus gegenläufige Aussagen im Koran.24 Es gibt einerseits den „Schwertvers“25, nach dem die arabischen ‚Göt-zendiener’ nur die Wahl zwischen Bekehrung und gewaltsamen Tod ha-ben. Andererseits findet sich der berühmte Vers „Es gibt keinen Zwang in der Religion. Der rechte Wandel unterscheidet sich nunmehr klar vom Irrweg. Wer also die Götzen verleugnet und an Gott glaubt, der hält sich an der festen Handhabe, bei der es kein Reißen gibt…“ (Sure 2, 256).

Auch in diesem Vers wird die grundsätzliche Vorrangstellung des Islam nicht aufgegeben, aber es wird eingeräumt, dass die innere Logik von dīn menschlichen Zwang nicht gestattet. In diesem Zusammenhang wird

22 Vgl. auch Sure 4, 125: „Und wer hat eine schönere Religion als der, der sich völ-lig Gott hingibt und dabei rechtschaffen ist und der Glaubensrichtung Abrahams, als Anhänger des reinen Glaubens, folgt?...“ (vgl. zum historischen Zusammen-hang RUDI PARET: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, Stuttgart ⁴1976, 119-122).

23 „Und auch viele von den Polytheisten haben ihre Teilhaber verlockend gemacht, ihre Kinder zu töten, um sie zu verderben und sie in ihrer Religion zu verwirren.

Wenn Gott gewollt hätte, hätten sie es nicht getan….“ (Sure 6, 137).

24 Vgl. dazu MICHAEL COOK: Der Koran, Stuttgart 2002, 45-49.

25 „Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo im-mer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf.

Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann laßt sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und barmherzig.“ (Sure 9, 5).

stets Sure 109, 4-6 zitiert: „Weder ich werde verehren, was ihr verehrt habt, noch werdet ihr verehren, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.“26 Zur Begründung der Toleranz den ande-ren Formen von dīn gegenüber sind zwei Argumentationslinien erkenn-bar. Das theologische Argument verweist auf die göttliche Ursächlich-keit. Seine Vorsehung entscheidet über den rechten Glauben, wie aus Sure 10, 99f hervorgeht.27 Seinem Gericht obliegt die Strafe von Häresie und Apostasie: „Und laß diejenigen sitzen, die ihre Religion zum Ge-genstand von Spiel und Zerstreuung nehmen und die das diesseitige Le-ben betört. Und ermahne durch ihn, auf daß niemand dem VerderLe-ben preisgegeben wird für das, was er erworben hat. Er hat dann außer Gott weder Freud noch Fürsprecher…“ (Sure 6, 70). In der Gegenwart ist es vor allem dieser Vers, der für muslimische Rechtsgelehrte die Basis ist, wenn aus muslimischer Sicht das Recht auf Glaubensfreiheit begründet wird.28 Der andere Begründungszusammenhang setzt schöpfungstheo-logisch ein und argumentiert anthroposchöpfungstheo-logisch. Als göttliche Geschöpfe sind alle Menschen vor Gott gleich. Diese Gleichheit macht auch ihre von der Religion unabhängige Würde (karāma) aus29 und begründet die Einheit der Menschen30. Die Würde erstreckt sich auf seinen freien Wil-len, der dem Menschen eine selbstständige Zuwendung zur göttlichen Rechtleitung ermöglicht, was Zwang und Gewalt in Fragen von dīn aus-schließt. Um seine Würde als Gottes Gabe erkennen und sein Leben die-ser Würde gemäß führen zu können, hat Gott, so wird weiter argumen-tiert, dem Menschen seine Vernunft gegeben, den Propheten gesandt, den Menschen seine Heiligen Schriften offenbart und ihm die Freiheit

26 Vgl. auch Sure 10, 104-106.

27 „Wenn dein Herr wollte, würden die, die auf der Erde sind, alle zusammen gläu-big werden. Bist du es etwa, der die Menschen zwingen kann, gläugläu-big zu wer-den? Niemand kann glauben, es sei denn mit der Erlaubnis Gottes...“.

28 Vgl. COOK: Koran, 47-49.

29 Vgl. ABDOLDJAVAD FALATURI: Der Islam im Dialog, Hamburg 51996, 130f mit Verweis auf Sure 17, 70 und 49, 13; ebenso Ayatollah Seyyed Abbas Husseini GHAEM-MAGHAMI: Menschenrechte und Menschenwürde. Einfüh-rung in das islamische Menschenbild, in: Al-Fadschr (Die MorgendämmeEinfüh-rung) Nr. 116, 21 (2004), 46-50, 46.

30 Vgl. NASSIR EL-DIN EL-ASSAD: Minderheiten im Islam, in: Menschenbilder – Menschenrechte. Islam und Okzident: Kulturen im Konflikt, hg. von S.

BATZLI, F. KISSLING und R. ZIHLMANN, Zürich 1994, 154-172, 157f.

der Zustimmung gewährt: „Jeder rationale Mensch kann die Richtigkeit der religiösen Gebote des Islam erfassen, und die Anerkennung dieser Gebote bringt natürlich Verantwortung mit sich. Deshalb betont der Is-lam, dass es keinen Zwang im Glauben geben darf.“31

Analysiert man vor diesem Hintergrund theologische Stellungnah-men aus der Feder deutschsprachiger Muslime, so fällt auf, dass der Be-griff dīn gegenwärtig in einem Bedeutungsumfang verwendet werden kann, der unserem Verständnis von Religion durchaus nahe kommt.32 Dabei dient das singularische Vorkommen des Begriffs dīn im Koran als Beleg für die These von einer essentiellen Einheit aller Religionen. Nach ihr liegt in Judentum, Christentum und Islam ungeachtet ihrer Unter-schiede in Tradition und Zeremonien eine gemeinsame Wahrheit zu Grunde. „Der Koran erklärt, dass die Religionen ungeachtet all ihrer Unterschiede ... eine gleiche Essenz und Wahrheit haben.“33 Mit dieser essenzialistischen Interpretation geht man über die komparative Inter-pretation des Begriffs hinaus und verfolgt die Absicht, vor allem die gemeinsamen Merkmale von dīn zu akzentuieren und im Rekurs auf Su-re 2, 256 jeden Zwang auszuschließen, also Toleranz zu begründen. Das ist ein für die Inkulturation des Islam in unsere Religionslandschaft hoch bedeutsamer Vorgang.

31 GHAEM-MAGHAMI: Menschenrechte und Menschenwürde, 49.

32 Dass der Begriff dīn sogar die modernen, vom Menschenrechtsdenken geprägten Merkmale des Begriffs der Religion an sich zu ziehen vermag, habe ich gezeigt in: ARNULF VON SCHELIHA: Der Religionsbegriff und seine Bedeutung für den gegenwärtigen Islam, in: Der Protestantismus zwischen Aufklärung und Mo-derne, hg. von R. BARTH, C.-D. OSTHÖVENER und A. V. SCHELIHA, Frankfurt am Main 2005, 233-250.

33 Vgl. die Stellungnahme von Ayatollah Seyyed Abbas Husseini GHAEM-MAGHAMI in: Das gemeinsame Wesen von Frieden und Spiritualität in den abrahamitischen Religionen, in: Al-Fadschr (Die Morgendämmerung) Nr. 118, 21 (2004), 3-6, 3f.

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