• Keine Ergebnisse gefunden

Rosenbergstrasse 115

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Rosenbergstrasse 115"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

M E D I E N

M O D E N

M E D I Z I N

Stuttgart, die Hauptstadt des Landes Ba - den-Würtemberg und der Schweizer Men- talität nahe, erlebt in diesen Tagen das Fehlen der direkten Demokratie. Die Poli- tiker haben beschlossen, einen neuen Bahnhof zu bauen – natürlich nicht nur der Liebe zur Bahn wegen, sondern auch, weil dadurch ein paar Hektaren Land ge- wonnen und überbaubar würden. Ein gutes Geschäft – nur leider nicht für die Steuerzahler. Die sollen die Kosten von anfänglich geschätzten 2, vielleicht auch 6 und am Ende möglicherweise 8 oder 10 Milliarden Euro übernehmen. Dagegen wehrt sich die Bevölkerung, wenn auch, leider, mit untauglichen politischen Mit- teln. In einer Talk-Sendung er fährt man weshalb. Was bei uns, wo man über jeden Veloweg abstimmt, undenkbar ist, ist in Deutschland (und natürlich auch in Frankreich und anderen EU-Ländern mit indirekter Demokratie) die Normalität.

Die Politiker erhalten mit der Wahl prak- tisch eine Carte blanche. In der Talk- Runde wird verschämt die Schweiz als Vorbild genannt. Deutsche Politiker von links bis rechts schütteln da nur die Köpfe. Keiner von ihnen kann (und will) sich vorstellen, wie das gehen soll. Die Bürger sollen über Steuerfragen abstim- men? Über Bauprojekte? Über Schulen und Spitäler? Über Gesetze? Da sind sie sich über (fast) alle Parteigrenzen hinweg einig: Viel zu kompliziert. Nicht zumut- bar. Die entschei dende Frage: Wie bitte soll man denn die Fragen formulieren?

Das Problem ist so vielschichtig, dass das Volk in seiner Beschränktheit – im Gegen- satz zu den Poli tikern(?) – eh nicht draus kommt. Das meinen die ernst!

■ ■ ■

Nein, der Rhein ist nicht die Grenze zwi- schen einem gescheiten und einem dum- men Stimmvolk. Er ist die Grenze zwi- schen Politikern, die gelernt haben, mit den manchmal ungeliebten und ärgerlichen

Mehrheitsmeinungen des Volkes umzu - gehen, und solchen, denen ein Volk, das mitentscheidet, nicht ganz geheuer und eigentlich eher lästig ist.

■ ■ ■

Rentner sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Dabei hätte man es ahnen können: In US-amerikanischen Spielfil- men treten des öfteren rüstige Alte buch- stäblich «in Aktion». Clint Eastwood ist im Jahre 2000 bereits gesunde 70 Jahre alt, was ihn aber nicht daran hindert, als

«Space Cowboy» mit seinen Kumpels Do- nald Sutherland (65), James Garner (72) und Tommy Lee Jones (im Jahr 2000 ju- gendliche 54) ins Weltall geschossen zu werden und die Welt vor den Auswir - kungen eines Absturzes eines russischen Satelliten voller Atomwaffen zu retten.

Silvester Stallone ist immerhin auch schon 62 Jahre, als er als Rentner-Rambo (in

«Rambo IV») eine paar Piraten plattmacht.

Und Kirk Douglas überfällt – ebenfalls 70 Jahre alt – als Archie, zusammen mit dem sogar 73-jährigen Burt Lancaster (Harry), in «Archie und Harry – Sie kön- nen’s nicht lassen» einen Zug. So gesehen ist der 67-jährige Peter Hans Kneubühler, der während neun Tagen eine oder meh- rere Staffeln der Bieler Polizei narrte und offenbar ganz gut mit Waffen umgehen kann, keine Besonderheit, sondern ledig- lich die Schweizer Version des amerika - nischen Alters-«Helden». Alter schützt eben längst nicht mehr vor Kriminalität.

Unsere Gefängnisse sind heute vergleichs- weise voll mit deliktischen Alten, denen es – romantisch ausgedrückt – im Alters- heim zu langweilig ist.

■ ■ ■

Ebenfalls amerikanische Züge trägt die Glorifizierung des psychisch kranken Kneubühler, dessen offensichtliche Alters- Cleverness manchem imponiert. Auf Face-

book jedenfalls gibt es mehrere Gruppen, die seine Flucht mit medialem Applaus und deutlicher Sympathie begleiteten und in ihm eher einen alternden Edelganoven oder gar Freiheitskämpfer sahen als einen schwer angeschlagenen Amokläufer.

■ ■ ■

Kneubühler – die Geschichte begann nicht nur, sie endete auch filmreif – wurde am Ende von einem Polizeihund namens Faro gestellt und dabei ins Bein gebissen. (Nur so nebenbei: Der Biss wird – das Gesetz will es so – in der Statistik der Hundebisse als Beissunfall mit einem Schäferhund erscheinen.)

■ ■ ■

Apropos Alter: Das pensionierte Ehepaar hat es sich im Wohnzimmer gemütlich ge- macht. SIE und ER wälzen hoch philoso- phische Fragen und kommen dabei auch auf die Sterbehilfe zu sprechen. Ein sen - sibles Thema. Die Wahl zwischen Leben und Tod beschäftigt beide. ER: «Wenn es mal so weit kommen sollte, lass mich nicht in einem solchen Zustand! Ich will nicht leben, wenn ich nur noch von Ma- schinen und von Flüssigkeiten aus einer Flasche abhängig bin. Wenn du findest, ich sei in diesem Stadium, dann schalte bitte die Maschinen ab, die mich am Leben erhalten.» SIE schaut ihren Mann auf der Couch nachdenklich an, und nach kurzem Zögern steht sie langsam, aber entschlossen auf – stellt den Fernseher und den Computer ab und schüttet das Bier weg.

Richard Altorfer

Rosenbergstrasse 115

ARS MEDICI 19 2010

741

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nur weil die Bevölke- rung mehrfach dafür gestimmt hat, nur weil drei von fünf Bundesrichtern fan- den, das Recht der Kantone, selber über das Recht auf Selbstdispensation zu

Über die Lärmmessungen konnten wir uns nicht einigen, über die Zahl der Flüge gibt’s hingegen keine Diskussionen, die kann man

(Die Analogie zur Verrichtungsbox, in die moderne Zürcher Stadtväter ihre ungeliebten Flach- und Blasarbeiterinnen verban- nen möchten, liegt nahe.) Da, was am patientenseitigen

So hart, dass man – wenn man sich das erlauben kann –, so scheint es, um eine Erhöhung des Zwangsabonne mentspreises für die Mit- glieder der SGAM beziehungsweise der Hausärzte

Schuld ist der sogenannte morbiditätsorientierte Risikostrukturaus- gleich (Morbi-RSA). Was wir in der Schweiz daraus lernen können? Da unsere Spital- direktoren nicht dümmer sind

Das Vorgehen hat selbstverständ- lich System: Es lässt sich die Unwirksam- keit einer Behandlung nicht wissenschaft- lich nachweisen, wenn die wissenschaft - liche Relevanz

der Rappaz würde auch sicher rasch eine finden, aber leider steht ihm der Sinn anderswo) sich weiter im Hungerstreik befindet und am Ende zu sterben droht, sollen ihn die Ärzte

Von 1991 bis 1999 war Cassis Mit- glied der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen, von 1997 bis 2005 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Dro- genfragen, von 2000 bis