Ins$tut für Musikforschung
Sommersemester 2013
Vorlesung Prof. Dr. Ulrich KONRAD
Musikgeschichte
von der AuFlärung bis zur Gegenwart
Memoria
Emblema$sches BlaO, 1610
Tobias Magaß,
memoria – periit pars maxima Öl auf Papier, 1999
Versuch einer inhaltlichen Strukturierung der Musikgeschichte von ca. 1720 bis heute I. 1720 bis 1740
Einsetzen eines $efgehenden Wandels in Musikanschauung und musikalischer Praxis unter dem Einfluss von Ideen der Au0lärung. S$lis$sche Opposi$onen und Überhänge (Johann Sebas$an Bach)
II. 1740 bis 1760
Verstärkung langwirkender, die folgenden Jahrzehnte prägender Tendenzen der Autonomi-‐
sierung (von der Nachahmungsästhe$k zur ästhe$schen Autonomie; vom Musiker als Hof-‐
diener zum bürgerlichen Künstler; vom Funk;onswerk zum ästhe$sch autonomen Kunstwerk;
von der Exklusivität der Hofmusik zur Öffentlichkeit des bürgerlichen Musiklebens).
Ausbildung und Opposi$on verschiedener ästhe$sch-‐gesellscha`licher Kategorien und
S$lbegriffe, besonders Galanter S;l und Empfindsamer S;l. Musik der Bach-‐Söhne-‐Genera$on, Hasse.
III. 1760 bis 1780
Etablierung zum Teil ausgeprägter „Konkurrenzsitua$onen“: innerhalb von GaOungen (z. B.
opera seria / opera buffa) und in der Musikanschauung (Oper / Instrumentalmusik;
Na;onals;l / „vermischter Geschmack“ / Universals;l). Zentrenbildung (z.B. Wien, Berlin, Mannheim, Paris, London, Oberitalien). Jos. Haydn, Chr. W. Gluck
IV. 1780 bis 1800
Kristallisa$onspunkte des Musiklebens im vorrevolu$onären und revolu$onären Europa:
Interna$onales System der italienischen Oper; Kosmopoli$smus der opéra in Paris; Kultur der anspruchsvollen Musik für Tasteninstrumente (London); Orchester-‐ und Kammermusik / Sinfonie und StreichquarteO (London, Paris, Wien [„Klassik“]). W. A. Mozart
V. 1800 bis 1814
Zeit des Umbruchs und der Neubes$mmung im Europa der Eroberungs-‐ und Befreiungs-‐kriege:
Beethoven und Rossini (Symphonik, Kammermusik, Oper).
VI. 1814 bis 1830
Konsolidierung des Musiklebens. Spätwerk Beethovens und Ende der Opernepoche
Rossinis. Komponieren „neben“ Beethoven (Fr. Schubert). Deutsche Oper (C. M. von Weber).
VII. 1830 bis 1850
Roman;k und Phantas;k (R. Schumann, H. Berlioz). Virtuosität und dichterische Sympho-‐
nik (N. Paganini, Fr. Liszt). Klassizismus (F. Mendelssohn). Palestrina-‐Renaissance.
VIII. 1850 bis 1875
Das Musikdrama und die Oper (R. Wagner, G. Verdi). Absolute Musik (Joh. Brahms;
Kammermusik). Neudeutsche versus Akademiker.
IX. 1875 bis 1890
Das „zweite Zeitalter der Symphonie“ (Brahms, A. Bruckner, A. Dvořák, P. Tschaikowski).
Bürgerliche Repräsentanz (oratorische Musik). Oper neben und nach Wagner.
X. 1890 bis 1920
Fin de siècle: Ausdrucks-‐ und Bekenntnismusik, Impressionismus (R. Strauss, G. Mahler, Cl.
Debussy). Moderne: An$-‐Roman$k und Atonalität (A. Schönberg, I. Stravinsky, P. Hindemith).
Beginn des „Kunstwerks im Zeitalters seiner technischen Reproduzierbarkeit“:
Schallaufzeichnung, Rundfunk.
XI. 1920 bis 1945
Pluralismus (Dodekaphonie/Wiener Schule, Neue Sachlichkeit/Hindemith, Neoklassizismus/
Stravinski, Folklorismus/B. Bartók, L. Janácek, U-‐ und E-‐Musik/Jazz-‐Rezep$on. Zusammenbruch:
„Entartete Musik“ (Musik im Na$onalsozialismus), Formalismus (Musik im Stalinismus).
XII. 1945 bis 1960
Wiederbeginn (Darmstadt, Abschied von der Musik der Weimarer Republik, Schönberg-‐
Rezep$on, Webern-‐Rezep$on), Serialismus. Aleatorik. Elektronische Musik. „Eigenwege“: G.
Lige$, K. Penderecki, H. W. Henze)
XIII. 1960 bis ca. 1985
Zwischen den Extremen: „Experimentelle Avantgarde“ und Postmoderne. Konzept einer (demokra$schen) Populärkultur in Opposi$on zur (elitären) „Hochkultur“: Popmusik.
XIV. 1985 ff.
Pluralität von „Musiken“ im medialen und globalen Zeitalter
Zentrale Erscheinungen der Musik im 18. Jahrhundert
• ProblemaJk der Binnengliederung
Überholtes Modell der älteren Musikgeschichtsschreibung aus vornehmlich deutscher Sicht: Ende des Barock 1750 – Vorklassik (bis 1780) – Klassik (ab 1780). Neues Modell: zw. 1720 und 1730 Ein-‐
setzen eines Jefgehenden Wandels in Musikanschauung und musikalischer Praxis – Ausbildung und Differenzierung europäisch-‐internaJonaler sowie naJonaler „Idiome“ und Ga`ungen – in der zweiten Jahrhunderthälae ausgeprägte „KonkurrenzsituaJonen“: innerhalb von Ga`ungen (z.B.
opera seria vs. opera buffa) und in der Musikanschauung (Oper vs. Instrumentalmusik).
„Wiener Klassik“ ist primär kein historisches Faktum, sondern ein musikhistoriographisches Kon-‐
zept, das aus verengtem Blickwinkel heraus einen schmalen Kanon an Werken Haydns, Mozarts und Beethovens von der Vielfalt der historischen Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts absondert.
• Musik des 18. Jahrhunderts als „Musik der Auglärung“
NeubesJmmung der Stellung von Musik im System der Künste. Musik zwischen Vernuna, Ge-‐
schmack und Wirkung. Allmähliche Abkehr von NachahmungsästheJk und RegelpoeJk hin zur Individualisierung der musikalischen KomposiJon („Originalgenie“): Musik als allgemeine Empfin-‐
dungssprache; das Ideal der Natürlichkeit und Verständlichkeit (Wandel der Mi`el: z.B. harmoni-‐
sche Vereinfachung, Ausbildung symmetrischer Periodenstruktur, Umwertung des Tonsatzes zu-‐
gunsten der kantablen MelodiesJmme)
AUFKLÄRUNG – les lumières – enlightenment – i lumi / illuminismo
„Auglärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit“ (Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Au3lärung, 1784)
Charles Ba`eux,
Les Beaux-‐arts réduits à un même principe (1746)
Die SCHÖNEN KÜNSTE = Dichtung, Malerei, Skulptur, Musik, Tanz, mit dem gemeinsamen Prinzip der „imitaJon“ (Mimesis) der Natur (idealtypisch: „la belle nature“): „L’objet principal de la musique et de la danse doit être l’imitaJon des senJments ou des passions.“
GEIST ⇒ Auglärung: lumière
HERZ ⇒ Gefühlserregung: sensibilité
AUSDRUCK
etwas ausdrücken = ein vorgegebenes Objekt mit typischen Mi`eln musikalisch vermi`eln
sich (selbst) ausdrücken = die subjekJven Gefühle mit individuellen Mi`eln musikalisch vermi`eln
KRITIK ist Kern auglärerischen Denkens. Sie strebt nach begründeten URTEILEN über alle Erscheinungen der Welt: z. B. Religion, Staat, Recht, Wirtschaa, Erziehung, Natur, Geschichte, und dabei nach einer Abkehr überkommener dogmaJscher Aussagen, sofern sie nicht ver-‐
nunabegründet sind.
Urteil der VERNUNFT = objekJve Beschaffenheit einer Sache = Wissenschaa
Urteil des GESCHMACKS (goût) = Wirkung einer Sache auf das betrachtende Subjekt = Kunst
Der „Scheibe-‐Bach/Birnbaum-‐Streit (1737–1745) Kri$k an der Komposi$onsweise Johann Sebas$an Bachs
1. Der Cri;sche Musicus. Herausgegeben von Johann Adolph Scheibe. Erster Theil.
Hamburg 1738. Sechsten Stück., S. 46f. Nachdruck: Johann Adolph Scheibens, ...
Cri$scher Musikus. Neue, vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1745.
2. [Johann Abraham Birnbaum], Unpartheyische Anmerckungen über eine bedenckliche stelle in dem sechsten stück des Cri;schen Musicus, [Leipzig 1738].
3. Der Cri;sche Musicus. Hamburg 1738. Sechs und zwanzigstes Stück., S. 203f.
4. J. A. Scheibe, Beantwortung der unpartheyischen Anmerckungen über eine bedenkliche Stelle in dem sechsten Stück des Cri;schen Musicus, Hamburg 1738.
5. J. A. Birnbaum, [Verteidigung Bachs gegen Scheibes Angriffe], Leipzig 1739.
6. Der Cri;sche Musicus. Hamburg 1739. Ein und Dreißigstes Stück., S. 34–37.
Dokumenta$on der Kontroverse in: Fremdschri^liche und gedruckte Dokumente zur Lebensgeschichte Johann Sebas;an Bachs 1685–1750. Kri$sche Gesamtausgabe,
vorgelegt und erläutert von Werner Neumann und Hans-‐Joachim Schulze, Kassel usw.
1969 (= Bach-‐Dokumente, II), Nrn. 400, 413, 417, 441, 442, 446, 530, 533.
Der Cri$sche Musicus. Herausgegeben von Johann Adolph Scheibe. Erster Theil. Hamburg 1738. Sechsten Stück., S.
46f. Nachdruck: Johann Adolph Scheibens, ... Cri$scher Musikus. Neue, vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1745 (R Hildesheim 1970.
Dienstags, den 14 May, 1737.
Der Herr ... ist endlich in ... der Vornehmste unter den Musicanten. Er ist ein außerordentlicher Künst-‐
ler auf dem Clavier und auf der Orgel; und er hat zur Zeit nur einen angetroffen, mit welchem er um den Vorzug streiten kann. Ich habe diesen grossen Mann unterschiedenemale spielen hören. Man erstaunet bey seiner Fer$gkeit, und man kan kaum begreifen, wie es möglich ist, daß er seine Finger und seine Füsse so sonderbar und so behend in einander schrencken, ausdehnen, und damit die wei-‐
testen Sprünge machen kan, ohne einen einzigen falschen Ton einzumischen oder durch eine so he`ige Bewegung den Körper zu verstellen.
Dieser grosse Mann würde die Bewunderung ganzer Na$onen seyn, wenn er mehr Annehmlichkeit häOe, und wenn er nicht seinen Stücken durch ein schwüls$ges und verworrenes Wesen das
Natürliche entzöge, und ihre Schönheit durch allzugrosse Kunst verdunkelte. Weil er nach seinen Fingern urtheilet, so sind seine Stücke überaus schwer zu spielen; denn er verlangt, die Sänger und Instrumentalisten sollen durch ihre Kehle und Instrumente eben das machen, was er auf dem Claviere spielen kann. Dieses aber ist unmöglich. Alle Manieren, alle kleine Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu spielen versteht, drücket er mit eigentlichen Noten aus, und das entzieht seinen Stücken nicht nur die Schönheit der Harmonie, sondern es machet auch den Gesang durchaus
unvernehmlich. Alle S$mmen sollen mit einander, und mit gleicher Schwierigkeit arbeiten, und man erkennet darunter keine Haupts$mme. Kurz: Er ist in der Musik dasjenige, was ehmals der Herr von Lohenstein in der Poesie war. Die Schwüls$gkeit hat beyde von dem Natürlichen auf das Künstliche, und von dem Erhabenen auf das Dunkle geführet; und man bewundert an beyden die beschwerliche Arbeit und eine ausnehmende Mühe, die doch vergebens angewendet ist, weil sie wider die Natur streitet.
Joh. Seb. Bach, Ich bin vergnügt mit meinem Glücke, Kantate BWV 84, 1. Satz; Christoph Nichelmann, Die Melodie nach ihrem Wesen, Danzig 1755, S. 129.
Zentrale Erscheinungen der Musik im 18. Jahrhundert
• ProblemaJk der Binnengliederung
Überholtes Modell der älteren Musikgeschichtsschreibung aus vornehmlich deutscher Sicht: Ende des Barock 1750 – Vorklassik (bis 1780) – Klassik (ab 1780). Neues Modell: zw. 1720 und 1730 Einsetzen eines Jefgehenden Wandels in Musikanschauung und musikalischer Praxis –
Ausbildung und Differenzierung europäisch-‐internaJonaler sowie naJonaler „Idiome“ und
Ga`ungen – in der zweiten Jahrhunderthälae ausgeprägte „Konkurrenz-‐situaJonen“: innerhalb von Ga`ungen (z.B. opera seria « opera buffa) und in der Musikanschauung (Oper «
Instrumentalmusik).
„Wiener Klassik“ ist primär kein historisches Faktum, sondern ein musikhistoriographisches Kon-‐
zept, das aus verengtem Blickwinkel heraus einen schmalen Kanon an Werken Haydns, Mozarts und Beethovens von der Vielfalt der historischen Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts absondert.
• Musik des 18. Jahrhunderts als „Musik der Auglärung“
NeubesJmmung der Stellung von Musik im System der Künste. Musik zwischen Vernuna,
Geschmack und Wirkung. Allmähliche Abkehr von NachahmungsästheJk und RegelpoeJk hin zur Individualisierung der musikalischen KomposiJon („Originalgenie“): Musik als allgemeine
Empfindungssprache; das Ideal der Natürlichkeit und Verständlichkeit (Wandel der Mi`el: z.B.
harmonische Vereinfachung, Ausbildung symmetrischer Periodenstruktur, Umwertung des Tonsatzes zugunsten der kantablen MelodiesJmme)
• Mit der „aufgeklärten“ Musikanschauung korrespondierende SJlbegriffe
Galanter SJl. Empfindsamer SJl. GegenposiJon eines musikalischen „Sturm und Drang“?
Geschmackslehre (goût) nach NaJonalsJlen (italienisch, französisch, „vermischter Ge-‐
schmack“ = deutsch)
„Galanter SJl“ (europäisch-‐internaJonal, 17./18. Jahrhundert)
„Les Précieuses“ im Hôtel de Rambouillet. Jean Chapelin (1638): „On n'y parle point sa-‐
vamment, mais on y parle raisonnablement, et il n'y a lieu du monde où il y ait plus de bon sens et moins de pédanterie („Man spricht hier überhaupt nicht gelehrt, sondern mit Verstand, und nirgendwo auf der Welt gibt es mehr bon sens und weniger Pedanterie“).
galant homme = gewandt, weltläufig, konversaJonsbereit, Esprit, Ironie, amouröse Tändelei: Leben als Gesellschaasspiel
galanter ≠ gelehrter SJl
Johann Chris$an Bach,
Six Sonatas for Piano Forte or Harpsichord op.5 1766
Geschmackslehre (goût) nach NaJonalsJlen (italienisch, französisch, „vermischter Ge-‐
schmack“ = deutsch)
„Galanter SJl“ (europäisch-‐internaJonal, 17./18. Jahrhundert)
„Les Précieuses“ im Hôtel de Rambouillet. Jean Chapelin (1638): „On n'y parle point sa-‐
vamment, mais on y parle raisonnablement, et il n'y a lieu du monde où il y ait plus de bon sens et moins de pédanterie („Man spricht hier überhaupt nicht gelehrt, sondern mit Verstand, und nirgendwo auf der Welt gibt es mehr bon sens und weniger Pedanterie“).
galant homme = gewandt, weltläufig, konversaJonsbereit, Esprit, Ironie, amouröse Tändelei: Leben als Gesellschaasspiel
galanter ≠ gelehrter SJl
„Empfindsamer SJl“ (norddeutsch, 2. Hälae 18. Jahrhundert)
1768 Lessing: Übersetzung des engl. Wortes „senJmental“ mit „empfindsam“.
Empfindsamkeit: bürgerlich-‐deutsch, anJ-‐raJonalisJsch, pieJsJsch beeinflusst (Beachten innerer Regungen = Rührung; Schwärmerei)
Sehr traurig u. ganz langsam / C. P. E. Bachs Empfindungen
Carl Philipp Emanuel Bach,
Achtzehn Probestücke in sechs Sonaten zum
„Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ [1753]
Sonata 5, II Adagio assai mesto e sostenuto (sehr langsam, traurig und verhalten)
ges (Fes) Eses des Vom Vortrage (S. 117)
„§ 2
Worinn aber besteht der gute Vortrag? in nichts anderm als der Fer$gkeit, musikali-‐
sche Gedanken nach ihrem wahren Inhalte und Affeckt singend oder spielend dem Ge-‐
höre empfindlich zu machen.“
(S. 122)
„§ 13
Indem ein Musickus nicht anders rühren kan, er sey dann selbst gerührt; so muß er nothwendig sich selbst in alle Affeckten setzen können, welche er bey seinen Zuhö-‐
rern erregen will; er giebt ihnen seine Emp-‐
findungen zu verstehen und bewegt sie sol-‐
chergestalt am besten zur Mit=Empfin-‐
dung.“
1
2
3
Geschmackslehre (goût) nach NaJonalsJlen (italienisch, französisch, „vermischter Ge-‐
schmack“ = deutsch)
„Galanter SJl“ (europäisch-‐internaJonal, 17./18. Jahrhundert)
„Les Précieuses“ im Hôtel de Rambouillet. Jean Chapelin (1638): „On n'y parle point sa-‐
vamment, mais on y parle raisonnablement, et il n'y a lieu du monde où il y ait plus de bon sens et moins de pédanterie („Man spricht hier überhaupt nicht gelehrt, sondern mit Verstand, und nirgendwo auf der Welt gibt es mehr bon sens und weniger Pedanterie“).
galant homme = gewandt, weltläufig, konversaJonsbereit, Esprit, Ironie, amouröse Tändelei: Leben als Gesellschaasspiel
galanter ≠ gelehrter SJl
„Empfindsamer SJl“ (norddeutsch, 2. Hälae 18. Jahrhundert)
1768 Lessing: Übersetzung des engl. Wortes „senJmental“ mit „empfindsam“.
Empfindsamkeit: bürgerlich-‐deutsch, anJ-‐raJonalisJsch, pieJsJsch beeinflusst (Beachten innerer Regungen = Rührung; Schwärmerei)
SJl der „Genieperiode“ / „Sturm-‐ und Drang“ (nach Friedrich Maximilian Klingers gleichnamigem Schauspiel, 1776/77)
deutsch, europäische Ausstrahlung, Ende 1760er bis Mi`e 1780er Jahre: Überwindung der Vernunaherrschaa, En•esselung des Gefühls, der Phantasie und der Gemütskräae (Shakespeare-‐Begeisterung)
Wolfgang Amadé Mozart
Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen; mit verschiedenen, zur Beförderung der guten Geschmackes in der prak;schen Musik dienlichen Anmerkungen begleitet, und mit Exempeln erläutert. Berlin: Johann Friedrich Voß, 1752.
Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus und eine Musik zu beurtheilen sey.
„§. 87. Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöri-‐
ger Beurtheilung, das Beste zu wählen weis: so fließt daraus ein vermischter Geschmack, welchen man, ohne die Gränzen der Bescheidenheit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl: den deutschen Geschmack nennen könnte: nicht allein weil die Deutschen zuerst darauf gefallen sind, sondern auch, weil er schon seit vielen Jahren, an unterschiedenen Orten Deutschlandes, eingeführet worden ist, und noch blühet, auch weder in Italien, noch in Frankreich, noch in andern Ländern misfällt.“
Johann Friedrich Gerhard,
Johann Joachim Quantz (1697–1773) Ölportrait, um 1725
TENDENZEN DER AUTONOMISIERUNG IN DER MUSIKGESCHICHTE DES 18. JAHRHUNDERTS
1.) Von der NachahmungsästheJk zur ästheJschen Autonomie
2.) Vom Musiker als „Hofdiener“ zum bürgerlichen Künstler („Originalgenie“) 3.) Vom „FunkJonswerk“ zum ästheJsch autonomen „Kunstwerk“
4.) Von der „Exklusivität“ der Hofmusik zur „Öffentlichkeit“ des bürgerlichen Musiklebens
KRISTALLISATIONSPUNKTE DER MUSIK GEGEN ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS
1.) InternaJonales System der italienischen Oper 2.) KosmopoliJsmus der opéra in Paris
3.) Kultur der anspruchsvollen Musik für Tasteninstrumente (London)
4.) Orchester-‐ und Kammermusik / Sinfonie und Streichquarte` (London, Paris, Wien)
Das 18. Jahrhundert als Jahrhundert der Oper
Der Metastasianische Libre`otyp (dramma per musica / opera seria: musikalisches Sprech-‐
theater). Normierung der Form (3 Akte zu je 10–15 Szenen) und des Personals (Prim-‐ und Secondarier, Tenor, Jefe SJmme). Historisch-‐mythologische Stoffe. Handlung (RezitaJv) und KontemplaJon (da capo-‐Arie).
Die Ga`ungsgeschichte wird begleitet von zunehmender KriJk; seit den 1760er Jahren ernst-‐
haae Versuche einer Opernreform. Der Libre`otyp Goldonis (dramma giocoso / opera buffa:
musikalisches Theater). Flexible Form (2 Akte, variable Szenenzahl); Personenanzahl je nach Handlung verschieden. Komödienstoffe aus der Gegenwart. Überwindung der Trennung von Handlung und KontemplaJon im Kontrast von RezitaJv und Arie. Entwicklung der Ak•inales.
Opernformen im 18. Jahrhundert
Dramma per musica / Opera seria (AnJker Mythos und Alte Geschichte)
Apostolo Zeno (1668-‐1750), Pietro Metastasio (1698-‐1782). Seit den 1720er Jahren formale
Konven$onen: Sinfonia (dreiteilig), 3 Akte (aio/aj) zu 10–15 Szenen (scena/scene), diese jeweils gebaut aus der Folge Rezita$v (recita;vo semplice/secco, rec. obbligato/accmompagnato) – Da-‐
capo-‐Arie (textlich zwei-‐, musikalisch dreiteilig); kaum Ensembles. Sechs Personen: Primarier (primo uomo/prima donna), Sekondarier (secono uomo/seconda donna), Tenor, Bass. stagione-‐Prinzip (impresario; scriiura)
Tragédie lyrique / Tragédie en musique (AnJker Mythos und Alte Geschichte)
Philippe Quinault (1635–1688). Seit den 1670er Jahren formale Konven$onen:
Prolog, 5 Akte, Versdichtung im vers alexandrin. Wechsel von récita;f simple, réc.
obligé, air, Chören, BalleOen und symphonies
Opernformen im 18. Jahrhundert
Dramma per musica / Opera seria (AnJker Mythos und Alte Geschichte)
Apostolo Zeno (1668-‐1750), Pietro Metastasio (1698-‐1782). Seit den 1720er Jahren formale
Konven$onen: Sinfonia (dreiteilig), 3 Akte (aio/aj) zu 10–15 Szenen (scena/scene), diese jeweils gebaut aus der Folge Rezita$v (recita;vo semplice/secco, rec. obbligato/accmompagnato) – Da-‐
capo-‐Arie (textlich zwei-‐, musikalisch dreiteilig); kaum Ensembles. Sechs Personen: Primarier (primo uomo/prima donna), Sekondarier (secono uomo/seconda donna), Tenor, Bass. stagione-‐Prinzip (impresario; scriiura)
Tragédie lyrique / Tragédie en musique (AnJker Mythos und Alte Geschichte)
Philippe Quinault (1635–1688). Seit den 1670er Jahren formale Konven$onen:
Prolog, 5 Akte, Versdichtung im vers alexandrin. Wechsel von récita;f simple, réc. obligé, air, Chören, BalleOen und symphonies
Dramma giocoso / Opera buffa (RealisJsche Stoffe der Gegenwart)
Carlo Goldoni (1707–1793). Seit 1730er Jahren Weiterentwicklung des Intermezzos: Überwindung des Improvisa$onstheaters zugunsten der durchgeformten Charakterkomödie. Keine Normierung der Handlung und der Rezita$v-‐ und Arienformen. Ensembles, Chöre, Finales.
Opéra comique
seit ca. 1760 komisches Genre mit gesprochenem Dialog. Arien, Ensembles, Chöre
Intermezzo (parallel zur opera seria; commedia dell‘arte, zweiteilig (par;), 2 Personen, Rezita$ve, Da-‐capo-‐Arien, DueO)
Intermède (seit MiOe des 18. Jhdts.; Liebesgeschichten, 2-‐3teilig, mehrere Personen, Rezita$ve, Arien, DueOe, Chöre, Tänze)
Johann Adolph Hasse (1699–1783)
Arminio (Dresden 1745), Arie der Tusnelda
„Se col pianto e coll‘affano“
Ritornell T. 1–18
Es-‐Dur
Arienteil A T. 18–36
„segno“
Es-‐Dur
Ritornell-‐Abschluss
B-‐Dur Arienteil A‘ T. 38–68
B-‐Dur
Ritornell-‐Abschluss
Es-‐Dur
Arienteil B T. 75–97
c-‐Moll
As-‐Dur
„Da capo“ A mit verkürztem Ritornell
B-‐Dur – Es-‐Dur
KRISTALLISATIONSPUNKTE DER MUSIK GEGEN ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS
1.) InternaJonales System der italienischen Oper 2.) KosmopoliJsmus der opéra in Paris
3.) Kultur der anspruchsvollen Musik für Tasteninstrumente (London)
4.) Orchester-‐ und Kammermusik / Sinfonie und Streichquarte` (London, Paris, Wien) Die Entwicklung instrumentalmusikalischer Ga`ungen
„Öffentliche“ Formen (Sinfonie, Concerto / Konzert) vs. „Private“ Formen (solisJsche Claviermusik, Kammermusik)
Sonate
Sowohl GaOungsbezeichnung (Solosonate, Duosonate) als auch Formmodell
(zunächst binär, dann ternär: Exposi$on (Tonika–Dominante) – Durchführung (modulie-‐
rend) – Reprise (Tonika)
Allmähliche Ausbildung von GaOungskonven$onen unter Rückgriff auf Elemente der Suite und des Diver$mentos in ganz Europa; ein-‐ bis viersätzige Typen mit oder ohne Einschluss eines Tanzsatzes (MenueO).
Wich$ge Exponenten: Baldassare Galuppi, Domenico Scarlaƒ, Georg Christoph
Wagenseil, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Johann Schobert, Daniel Steibelt, Muzio Clemen$, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé
Mozart, Ludwig van Beethoven
Muzio ClemenJ (1752–1832), Klaviersonate B-‐Dur op. 24,2 (1789/rev. 1804)
Die Entwicklung instrumentalmusikalischer Ga`ungen
„Öffentliche“ Formen (Sinfonie, Concerto / Konzert) vs. „Private“ Formen (solisJsche Claviermusik, Kammermusik)
Sonate
Sowohl GaOungsbezeichnung (Solosonate, Duosonate) als auch Formmodell (zunächst binär, dann ternär: Exposi$on (Tonika–Dominante) – Durchführung (modulierend) – Reprise (Tonika)
Allmähliche Ausbildung von GaOungskonven$onen unter Rückgriff auf Elemente der Suite und des Diver$mentos in ganz Europa; ein-‐ bis viersätzige Typen mit oder ohne Einschluss eines Tanzsatzes (MenueO)
Wich$ge Exponenten: Baldassare Galuppi, Domenico Scarlaƒ, Georg Christoph Wagenseil, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Johann Schobert, Daniel Steibelt, Muzio Clemen$, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Ludwig van Beethoven
Streichquarte`
Aus verschiedenen älteren Satztypen und Musizierformen wächst seit den 1750er Jahren das soli-‐
s$sch besetzte StreichquarteO (2 Violinen, Viola, Violoncello) hervor. Etablierung als GaOung mit höchstem Kunstanspruch. Zyklusbildung (viersätzig) in Anlehnung an die Sinfonie. Neuar$gkeit des Tonsatzes: thema$sche Arbeit, „obligates accompagnement“
„Man hört vier vernün`ige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas
abzugewinnen und die Eigenthümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen“ (Joh. W. von Goethe an Karl Fr. Zelter, 9.11.1829)
Wich$ge Exponenten: Joseph Haydn (QuarteOserien u.a. op. 1, 9, 20, 33 [1781: „auf eine ganz neue, besondere Art“], 76), Luigi Boccherini, Wolfgang Amadé Mozart („Haydn-‐QuarteOe“), Ludwig van Beethoven (op. 18)
Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791), StreichquarteB G-‐Dur KV 387 (1782) fugiert = „gelehrt“
sonatenarJg = „galant“
„durchbrochene Arbeit“
Die Entwicklung instrumentalmusikalischer Ga`ungen
„Öffentliche“ Formen (Sinfonie, Concerto / Konzert) vs. „Private“ Formen (solisJsche Claviermusik, Kammermusik)
Sonate
Sowohl GaOungsbezeichnung (Solosonate, Duosonate) als auch Formmodell (zunächst binär, dann ternär:
Exposi$on (Tonika–Dominante) – Durchführung (modulierend) – Reprise (Tonika)
Allmähliche Ausbildung von GaOungskonven$onen unter Rückgriff auf Elemente der Suite und des Diver$mentos in ganz Europa; ein-‐ bis viersätzige Typen mit oder ohne Einschluss eines Tanzsatzes (MenueO)
Wich$ge Exponenten: Baldassare Galuppi, Domenico Scarlaƒ, Georg Christoph Wagenseil, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Johann Schobert, Daniel Steibelt, Muzio Clemen$, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Ludwig van Beethoven
Streichquarte`
Aus verschiedenen älteren Satztypen und Musizierformen wächst seit den 1750er Jahren das soli-‐s$sch besetzte StreichquarteO (2 Violinen, Viola, Violoncello) hervor. Etablierung als GaOung mit höchstem Kunstanspruch.
Zyklusbildung (viersätzig) in Anlehnung an die Sinfonie. Neuar$gkeit des Tonsatzes: thema$sche Arbeit, „obligates accompagnement“
„Man hört vier vernün`ige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigenthümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen“ (Joh. W. von Goethe an Karl Fr. Zelter, 9.11.1829)
Wich$ge Exponenten: Joseph Haydn (QuarteOserien u.a. op. 1, 9, 20, 33 [1781: „auf eine ganz neue, besondere Art“], 76), Luigi Boccherini, Wolfgang Amadé Mozart („Haydn-‐QuarteOe“), Ludwig van Beethoven (op. 18)
Sinfonie (Symphonie)
Sinfonie als orchestral-‐großbesetzte, zyklisch geordnete Instrumentalmusikform. Wurzel: Opern-‐
Sinfonia, dann selbständige Konzertsinfonie. 3-‐4sätzig, festgelegte Satzcharaktere und Formmodelle:
I. Sonatensatz, II. dreiteilige Liedform oder Varia$on, III. MenueO/Trio, IV. Rondo). Zentren der GaOungsentwicklung seit den 1740er Jahren: Oberitalien, Wien, Mannheim, Berlin, Hamburg, London, Paris.
Wich$ge Exponenten: Giovanni Baƒsta Sammar$ni, MaOhias Monn, Johann Stamitz, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Joseph Haydn (104 Sinfonien, 1759–1795), Wolfgang Amadé Mozart (41 Sinfonien, 1764–
1788), Ludwig van Beethoven (9 Symphonien, 1799–1824)
Die Entwicklung instrumentalmusikalischer Ga`ungen
„Öffentliche“ Formen (Sinfonie, Concerto / Konzert) vs. „Private“ Formen (solisJsche Claviermusik, Kammermusikk)
Sonate
Sowohl GaOungsbezeichnung (Solosonate, Duosonate) als auch Formmodell (zunächst binär, dann ternär:
Exposi$on (Tonika–Dominante) – Durchführung (modulierend) – Reprise (Tonika)
Allmähliche Ausbildung von GaOungskonven$onen unter Rückgriff auf Elemente der Suite und des Diver$mentos in ganz Europa; ein-‐ bis viersätzige Typen mit oder ohne Einschluss eines Tanzsatzes (MenueO)
Wich$ge Exponenten: Baldassare Galuppi, Domenico Scarlaƒ, Georg Christoph Wagenseil, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Johann Schobert, Daniel Steibelt, Muzio Clemen$, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Ludwig van Beethoven
Streichquarte`
Aus verschiedenen älteren Satztypen und Musizierformen wächst seit den 1750er Jahren das soli-‐s$sch besetzte StreichquarteO (2 Violinen, Viola, Violoncello) hervor. Etablierung als GaOung mit höchstem Kunstanspruch.
Zyklusbildung (viersätzig) in Anlehnung an die Sinfonie. Neuar$gkeit des Tonsatzes: thema$sche Arbeit, „obligates accompagnement“
„Man hört vier vernün`ige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigenthümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen“ (Joh. W. von Goethe an Karl Fr. Zelter, 9.11.1829)
Wich$ge Exponenten: Joseph Haydn (QuarteOserien u.a. op. 1, 9, 20, 33 [1781: „auf eine ganz neue, besondere Art“], 76), Luigi Boccherini, Wolfgang Amadé Mozart („Haydn-‐QuarteOe“), Ludwig van Beethoven (op. 18)
Sinfonie (Symphonie)
Sinfonie als orchestral-‐großbesetzte, zyklisch geordnete Instrumentalmusikform. Wurzel: Opern-‐Sinfonia, dann selbständige Konzertsinfonie. 3-‐4sätzig, festgelegte Satzcharaktere und Formmodelle: I. Sonatensatz, II. dreiteilige Liedform oder Varia$on, III. MenueO/Trio, IV. Rondo). Zentren der GaOungsentwicklung seit den 1740er Jahren:
Oberitalien, Wien, Mannheim, Berlin, Hamburg, London, Paris.
Wich$ge Exponenten: Giovanni Baƒsta Sammar$ni, MaOhias Monn, Johann Stamitz, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Chris$an Bach, Joseph Haydn (104 Sinfonien, 1759–1795), Wolfgang Amadé Mozart (41 Sinfonien, 1764–1788), Ludwig van Beethoven (9 Symphonien, 1799–1824)
Concerto / Konzert
En„altung der concerto-‐Form mit ihrer Ritornellstruktur und allmähliche Ausbildung des Solokonzerts (Verbindung von Ritornell-‐ und Sonatenstruktur). In der zweiten Jahrhunderthäl`e besondere Bedeutung des Klavierkonzerts.