Christian Lange
Universitätsklinikum Essen / LMU Klinikum München
Alkoholbedingte Lebererkrankungen
15. September 2021
Grenzwerte für risikoarmen Alkoholkonsum
2 Was sagen die Leitlinien?
• Erhöhtes Risiko für eine Leberzirrhose ab 10 g / Tag für Frauen, 30 g / Tag für Männer
• Unklar ob kontinuierlicher Konsum oder binge drinking risikoreicher
EASL Leitlinie Alkoholic Liver Diease 2018
Grenzwerte für risikoarmen Alkoholkonsum
2
• 599.912 Alkoholkonsumenten
• Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Ereignisse
• Während 5,4 Millionen Personenjahren: 40.310 Todesfälle
• >100–≤200 g Alkohol / Woche:
• Reduktion um 6 Monate
• >200–≤350 g Alkohol / Woche: Reduktion um 1-2
• >350 g / Woche:
Reduktion um 4-5 Jahre
Wood AM et al. Lancet 2018;391:1513-1523
3
• 43.296 Männer; Alkoholkonsum in der späten Adoleszenz
• Beobachtungszeitraum 37,8 Jahre, 383 schwere Lebererkrankungen
Risiko für schwere Lebererkrankungen
Hagstrom H et al. J Hepatol 2018;68:505-510
Grenzwerte für risikoarmen Alkoholkonsum
Klinisches Spektrum
alkoholbedingter Lebererkrankungen
Spektrum der alkoholbedingten Lebererkrankungen
Alkoholische Hepatitis
Alkoholische Leberzirrhose
Akut-auf-chronisches Leberversagen
HCC
Mathurin et al. J Hepatol 2012
Alkoholbedingte Leberzirrhose
Irreversibler Umbau mit Narbenbildung
und Gewebeverlust
Mathurin et al. J Hepatol 2012
Vielfältige Komplikationen wie Aszites
Diese können bei Abstinenz
reversibel sein
Ösophagusvarizen
Normale Speiseröhre Ösophagusvarizen
Bauchwasser (Aszites)
Therapierefraktärer Aszites:
Parazentese
Bis 7l / Tag
Gabe von Humanalbumin zur Verhinderung einer Kreislaufdekompensation
CAVE: Nierenversagen
TIPS, transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt
Verbesserung der
systemischen Zirkulation, aber Verschlechterung der Leberfunktion/-Durchblutung
Leberkrebs (hepatozelluläres Karzinom, HCC)
Risiko: ca. 5%
Leberkrebs kann bei früher Diagnose gut geheilt werden!
Regelmäßiger Ultraschall zur Früherkennung (alle 6 Monate)
Malnutrition / Sarkopenie
Eingeschränkte Gluconeogenese
Proteinkatabolismus: Sarkopenie
ESPEN-Guidelines:
35-40 kcal / kg KG
1,2-1,5 g Protein / kg KG
Pflanzliches und tierisches Protein mischen
Substitution Thiamin, Zink, Folsäure
Spätmahlzeit (z.B. Fresubin)
Eventuell verzweigtkettige Aminosäuren
Körperliche Betätigung
Prognostische Stadien der Leberzirrhose
D´Amico G et al. J Hepatol 2006, Moreau R et al. Gastroenterology 2013
Kompensierte Zirrhose
Dekompensierte Zirrhose
Akut-auf-chronisches Leberversagen (ACLV) Organversagen, z.B.
Nierenversagen (Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl bzw. ≥ 2 mg/dL)
Gehirn: HE Grad 3-4
Letalität
1-3% / Jahr ca. 20% / Jahr >15% in 4 Wochen
Alkoholische Hepatitis
Subakutes Leberversagen durch schwere Hepatitis
Ausgeprägte Systemische Inflammation
Tod durch Infektionen, Organversagen
Vollständige Erholung möglich wenn keine Zirrhose vorliegt
Mathurin et al. J Hepatol 2012
Pathophysiologie
Claria J et al, Hepatology 2016
Ko-Existenz von systemischer Inflammation und Immundysfunktion
Systemische Inflammation Organversagen
Immundysfunktion Infektionen
Sole C, et al. ILC 2018, PS-015
MELD
Stadium der Lebererkrankung korreliert mit reduzierter Diversität des intestinalen
Mikrobioms (N=200)
Number of organ failures, and MELD and Child–Pugh scores, correlate with three Enterococcus MGS
Outcome nach 3 Monaten
1.00 0.75 0.50 0.25 0.00
Comp Decomp AD ACLF
Gene count (millions) 300
200 100 0
Dead LTx
Gene count (millions)
Reduzierte Diversität des intestinalen Mikrobioms:
Prädiktiv für akut-auf-chronisches Leberversagen und Tod
Prospektive Kohortenstudie
Stuhlproben von 35 Patienten mit komp. Zirrhose, 89 dek. Zirrhose, 76 ACLF
Fäkaler Mikrobiomtransfer bei Alkoholabhängigkeit
Bajaj J et al. AASLD 2020. OA #7
Placebo-kontrollierte Phase I-Studie
20 Patienten mit alkoholischer Zirrhose und mehrfach erfolglosem Entzug, mittlere Abhängigkeitsdauer 33,6 Jahre
FMT von einem Spender mit hohem Anteil an Lachnospiraceae u.
Ruminococcaceae
Reduziertes Graving an Tag 15
Alkohol-related SAEs
- Autounfall - Stürze - Relaps
3 versus 1 Patient abstinent nach 6 Monaten
Ko G. et al. A AS-112
Roseburia spp. protektiv bei alkoholischer Hepatitis
Therapie
Einfluss der Alkoholabstinenz
Pessione F. et al., Liver Intern 2003;23:45-53.
Fünf-Jahresüberleben bei Patienten mit exzessivem Alkoholkonsum Einfluss der Alkoholabstinez. N=102.
Bei Leberzirrhose
Steroidtherapie
Mathurin P. et al., Gut 2011;60:255-60.
Steroidtherapie versus Placebo bei alkoholischer Steatohepatitis:
Meta-Analyse von 5 Studien.
Lebertransplantation
Richtlinen Ärztekammer
https://www.bundesaerztekammer.de
Aufnahme auf die Warteliste bei alkoholinduzierter Zirrhose nur nach 6- monatiger vollständiger Abstinenz
Ausnahme bei akut dek. alkoholischer Lebererkrankung, Stellungnahme der Sachverständigengruppe
Ethylglucuronid im Urin bei jeder ambulanten Vorstellung, mindestens alle 3 Monate
Fachärztliche Stellungnahme zum Suchtverhalten (Psychosomatik, Psychiatrie) Psychosomatische Evaluation
Suchttherapeutische Betreuung
Alkoholinduzierter Zirrhose:
häufige Indikation zur LTX in Europa
EASL Guideline, J Hepatol 2018
Häufigkeit der Ätiologien der Leberzirrhose, die in Europa zur LTX führt
Frühe Lebertransplantation bei alkoholischer Hepatitis?
26 hochselektierte Patienten, 7 Zentren, keine Ko-Morbiditäten
Schwere alkoholische Hepatitis (1. Episode), Lille-Score ≥0.45 oder ACLF
Glaubhafte Zusage zur Abstinenz, stabiles soziales Umfeld, Konsens im Team
Mathurin et al. NEJM 2011
3/26 Patienten begannen nach LTX zu trinken (720-1140 Tagen)
Alkoholkonsum nach früher LTX bei schwerer AH
Im GY et al. O-5
146 Patienten mit schwerer alkoholischer Hepatitis und früher Lebertransplantation an 11 Zentren in den USA, MELD-Na: 36-40
Risikofaktoren für Relapse: Junges Alter, HE vor LTX, erfolgloser Entzug
Kritik an der Mathurin-Studie
Gründe für ein Abstinenzkriterium
Donckier V et al. J Hepatol 2013
Medizinische Gründe für ein Abstinenzkriterium (6 Monate?) vor LTX
Erholung der Leberfunktion bei Abstinenz möglich
20% aller Organe umsonst transplantiert
Risiko des Rückfalls nach LTX mit schlechter Prognose
Soziale / psychologische Gründe
Glaube, dass Patienten bei „selbstverschuldeter“ Erkrankung Transplantat nicht nicht verdienen
Patientenmotivation in Abstinenzphase prüfen
Glaube, dass Rückfall fehlenden Respekt vor Spender / Gemeinschaft bedeutet
Sorge, dass die Spendebereitschaft abnimmt
Allokation bei “selbstverschuldeter” Lebererkrankung
Wittenberg E et al. Med Decis Making 2003
Repräsentative Umfrage unter Bürgern der USA
Fiktive Szenarien welche Patienten bevorzugt transplantiert werden sollten