• Keine Ergebnisse gefunden

Persistenter Identifier: _1987 ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau. image/ _1987/244/log_0045/

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Persistenter Identifier: _1987 ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau. image/ _1987/244/log_0045/"

Copied!
9
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Digitale Sammlungen der Universitätsbibliothek Stuttgart

Persistenter Identifier: 1571051867188_1987

Titel: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau

Ort: Stuttgart

Datierung: 1987

Strukturtyp: volume

Lizenz: Rechte vorbehalten - Freier Zugang PURL: https://digibus.ub.uni-stuttgart.de/viewer/

image/1571051867188_1987/1/

Abschnitt: Atelier 5. Angefangen mit Le Corbusier

Autor: Fresne, Antoine du

Strukturtyp: article

Lizenz: Rechte vorbehalten - Freier Zugang PURL: https://digibus.ub.uni-stuttgart.de/viewer/

image/1571051867188_1987/244/LOG_0045/

(2)

Anatole du Fresne

ATELIER 5

ANGEFANGEN MIT LE CORBUSIER D ie beiden Anfragen kamen ungefähr

zur gleichen Zeit, Paulhans Peters,

der einen Artikel von uns wollte — belustigt und beeindruckt von der Art, wie wir ihm gegenüber von unserem Verhältnis zu Le

Corbusier gesprochen hatten: „Das mit den

Büchern müßt ihr unbedingt bringen, als

Titel vielleicht , Lernen von Le Corbusier’

-, und die Uni Karlsruhe, mit der Bitte um einen Beitrag im Rahmen der Vortragsrei- he , Le Corbusier und das Bewuftsein der Moderne’.

Unsere Reaktion, eine spontane Zusage an Peters, der uns einfach erzählen lassen wollte, und eine ebenso spontane Absage an Karlsruhe, denn als Theoretiker oder Historiker wollten wir nicht auftreten, hat- ten keine Lust, plôtzlich aus äufierem An- laf über Dinge zu sprechen, über die wir gar nie nachgedacht hatten—, Le Corbusier und das Bewußtsein der Moderne’?!

Schließlich schafften es die Karlsruher dann doch:alles sei freigestellt, wir könn- ten reden, worüber wir wollten, Hauptsa- che Corbusier, Hauptsache Atelier 5.

So setzten wir uns hin, Alfredo Pini und ich — er einer der Gründer des Atelier 5

Foto linke Seite: Reihenhäuser Flamatt , Schweiz, 1961: Ansicht von Osten

Zeichnung linke Seite: Grundriß 1.tock (über den ,,pilotis“‘)

(1955), ich einer aus der zweiten Genera- tion, seit 1960 im Büro —, und begannen über vergangene Zeiten zu sprechen. Eine Art Interview, aus dem mitfortschreitender Zeit immer mehr ein Dialog wurde.

Weder Pininoch ich hatten eine Ahnung, wie das Gesprochene verwendet werden

sollte. Man dachte, daf) das frei Dahergere- dete wohl umgeschrieben werden miifite.

Nach den ersten zehn Minuten, in denen ich versucht hatte, Notizen zu machen, merkte ich, daß das Ganze viel zu dicht war, daß nur eine wörtliche Aufzeichnung ein Interpretieren und damit Verändern des Gesagten verhindern konnte. Also Ton- band und anschließend an jede der drei

zweistündigen Sitzungen ein Umschreiben

des schweizerdeutsch Gesprochenen in ein einigermaßen verständliches Deutsch. Als der ganze Text dann vorlag, ungehobelt, voller subjektiver Ansichten, voller Wie- derholungen, aber auch voller Wahrhei- ten, wurde klar, das war der Karlsruher

Text und derjenige für Peters zugleich:

‚Angefangen mit Le Corbusier’.

ATELIER 5 - 1955

M an aß französisch, trank franzö-

sisch, rauchte französisch, fuhr französisch, sprach, wann immer sich die Gelegenheit ergab, franzósisch. — Die Si- tuation der Architekten in der Schweiz, damals nach dem Krieg, totale Verunsi- cherung. Die ehemaligen Modernen kámpften, um die Einflüsse des Heimat- stils wieder loszuwerden. Wer die Bücher durchbláttert, dasjenige von Roth zum Beispiel, sieht genau, was gemeint ist. Die Moderne mußte sich erst wieder erholen

ihm | a

y

Le

+

von den Einflüssen des zweiten Weltkrie- ges. Der Anschluß an das bessere Vergan- gene wurde gesucht, doch ohne Mut.

Selbstverständlich konnte nicht einfach verleugnet werden, was in der Zwischen- zeit gebaut worden war. Man bekannte sich dazu und man bekannte sich nicht da- zu, suchte einfach langsam wieder das Bessere, das Freiere.

Pini: Für uns war das alles zu bedàchtig, zu unfrei, zu beladen, zu durchsichtig, zu mutlos. Hier konnten die Vorbilder nicht sein, solchem konnte man nicht nachei- fern, bei allem Respekt.

du Fresne: Noch einmal: Die Alten muß- ten also ihre Architektur befreien von den Anhángseln des Heimatstils, muften den Anschluß wieder finden an die vergange- nen besseren Zeiten, ohne daß sie verleug- nen wollten und konnten, was sie in der Zeit zwischen 1938 und 1945 gebaut hat-

ten.

Pini: Die moderne Welt setzte man zum Teil auch gleich mit der technischen Welt des Krieges. Das hatte man in der

(3)

dre

Schweiz, wenn man auch nicht direkt dar- unter gelitten hatte, eben doch schon stark mitbekommen. Von dieser modernen Welt, von dieser Seite der Moderne mußte man sich auch erst wieder erholen. Alle waren zurück zur Mutter (sprich Heimat- schutz) gerannt, und erst jetzt, nach dem Krieg, konnten sie sich wieder befreien.

du Fresne: Der ,Sonntagnachmittag am Züriberg', der war doch diesen Projekten einfach anzusehen, durchzuspüren. So wolltet ihr nicht, das waren die Probleme einer álteren Generation, die sich da lang- sam wieder vortastete.

Pini: In dieser weichen, dieser verunsi- cherten Welt gab es nun in Frankreich durch Le Corbusier etwas ganz anderes, viel sicherer, viel mutiger. Er konnte das Vorbild sein. Und wie war Frankreich da- mails? Wieso war Corbu in Frankreich und nicht in der Schweiz? Alles war da viel gró- Ber, die Qualitát, die Menge, die Fehler natürlich auch. Da war ein Prouvé, die Charlotte Perriand, der Perret. Frank- reich, das Land, das den Krieg mit Stolz

überstanden hatte. Und die moderne Kunst, wo war sie angesiedelt? In Frank- reich doch. Alle Schweizer, die etwas zu sagen hatten, waren in Paris. München und Wien vielleicht vör dem Krieg, aber nach dem Krieg, da war es einfach Paris, Frankreich.

du Fresne: Von den deutschen Künstlern, die im Widerstand gearbeitet hatten, sprach man kaum, da waren einfach die Franzosen oder die Leute, die in Frank- reich arbeiteten, Braque, Picasso. Corbu- sier.

Pini: Viele davon Ausländer, Corbu Schweizer, Picasso Spanier, Chagall Rus- se, Mirö Spanier, Beckett Ire. Dieser Mann nun, Corbu, seine Art zu arbeiten, gab einem den Mut. In seiner Sprache konnte man die angeborene Unkonven- tionalität ausdrücken, ausleben.

du Fresne: Diese Unkonventionalität, die allen Arbeiten Le Corbusiers eigen ist, die sah man, diese Sprache, die wollte man be- nutzen, mit ihr konnte man sich ausdrük- ken. Man kann ja nicht einfach hinstehen und schreien, es braucht eine Sprache.

Pini: Und es ist auch noch darauf hinzu- weisen, daß Corbu einer derjenigen war, an denen der Krieg absolut spurlos vor- übergegangen war. In seinem Werk, es scheint nicht zu fassen zu sein, kann ja kaum erkannt werden, was vor dem Krieg und was nachher gebaut worden ist. Nichts von Verunsicherung ist da zu spüren, kein plötzliches Pathos. Da saß er, fest im Sat- tel, absolut makellos stand er da. — Und jetzt konnte er fortsetzen, plotzlich war nun ein Claudius Petit da, die ,reconstruc- tion’ als nationales Problem. In der Schweiz gab es ja nichts wiederaufzubau-

en, man konnte -sich höchstens erholen vom Frust des Heimatstils. Und so blickte man nun nach Frankreich, wo mit Stolz neu aufgebaut wurde.

du Fresne: Zurück zu unserem eigenen Problem. Wir konnten da also nicht an- hängen an die eingeschüchterte Moderne.

Pini erinnert an den ,Speersprung', den die deutschen Architekten gemacht hat- ten. Nun war auf einmal sichtbar, wer vor- ausgedacht und wer hintendurch, um dem Volk zu gefallen ... Wer das Volk hinter sich haben wollte, der mußte eben zur Vergangenheit greifen, appellieren an et- was, von dem das Volk glaubt, es wisse et- was (Geschichte).

du Fresne:Corbu zeigte nun also, wie sich unkonventionell sein in der Architektur ausdrücken läßt.

Pini: Das hat fasziniert, das paßte so ge- nau, da konnte man aufspringen. Man wollte sich einem Gruppenführer an- schließen, vorbehaltlos, mit allem Fana- tismus, nicht einem Wasserträger.

du Fresne: Er gab dir die Sprache. Es ist ja auch falsch zu glauben, man habe diese Sprache einfach. Du selber wiederholst es ja zur Genüge, daf3 wir eher Wasserträger seien als Schópfer. Man sah, mit welchen Worten man Unkonventionalitát und Mo- derne ausdrücken konnte, und hat einfach

angefangen, nachzureden, die gleichen

Worte zu gebrauchen, eine Sprache ange-

nommen.

Foto rechte Seite: Le Corbusier, Villa Shodau, 1962: links Servicean- bau, rechts Nord-West- und Süd- West-Fassade

Zeichnung rechte Seite: Grundriß 2. Ebene

ER

(4)

Pini: Eine Sprache, die der eine zwar nicht verstand, die den anderen aber in Extase versetzte. Eine extreme Sprache. Und mit ihr hatten wir plötzlich eine unheimliche Kraft. — Die ältere Garde konnte einem diese Sprache eben nicht geben. Da gab es bereits zuviele Wenn und Aber, zuviele Warumnicht oder Warumnochnicht. Im nachhinein ist es schon verstándlich, war- um wir eben Brechbühlers Sprache nicht lernen konnten und wollten. Dieses Bo- denstàndige, diese Suche nach der Ver- bindung zwischen Tradition und Moder- ne, das setzte ein Verhältnis zur Vergan- genheit voraus, das wir nicht gehabt ha- ben.

du Fresne: Das Haus Alder" ist doch wie eine abstrakte Skulptur, ein Objekt, wie von einem anderen Planeten. Man fragt sich heute, wie ein solcher Bau überhaupt bewilligt werden konnte.

Pini: Ein Unternehmer aus der Gemeinde

hat geholfen, ein irrsinnig progressiver.

Wir haben natürlich überhaupt profitiert von allen Corbu-Anhángern, Kunstfreun- den. Anhángern der Moderne ganz allge-

mein. Das gab diesen frappanten Einstieg.

Wir waren zwar vóllig erfolglos, aber wir wurden geistig getragen. Wenige wollten

etwas von uns, aber das waren mindestens die Richtigen. Wäre Wright unser Vorbild gewesen, wir hätten es viel schwieriger ge- habt. Die Architekten, die auf Mies ange- sprochen haben, die hatten wieder ihren

Kreis, Haller, Schlup, Füeg.

du Fresne: So sprachen wir nun also Cor- bus Sprache ... und Halen”, direkt aus dem Lehrbuch?

Pini: Halen ist ja keine Kopie, Halen ist ja nicht ,Roq' et ,Rob', sondern vielmehr ei- ne horizontale Unité d'habitation. Der so- ziale Gedanke, der war natürlich auch schon von Corbu eingebracht worden, er hatte ja gegen die Zersiedlung gewettert.

Und die ,Charte d'Athénes', die hatte

man damals einfach auf dem Nachttisch. —

Halen, das erste Projekt mit dem Hotel, dem Jugendatelier, der Beiz, dem Laden, stark sozial, gegen die Zersiedlung, dieses

‚Paßt auf, damit wir uns nicht zersiedeln’, das war Corbu! Das freistehende Einfami- lienhaus war damals schon ein Feind. In den alten Halenprospekten findet man das alles.

du Fresne: Jetzt müssen wir aber doch den Versuch machen genauer zu beschreiben, wie ihr die ersten Projekte, einen Alder"

zum Beispiel, zustandegebracht habt.

Pini: Etwas haben wir noch nicht gesagt:

Wir bezeichnen uns als Corbu-Schüler, haben ihn aber persónlich gar nicht ge-

Haus Alder, 1958 Mitte links: Grundriß 1. Stock unten: Schnitt A-A und B-B

kannt, nie gesehen. Nur seine Bücher ha- ben wir gekannt. Da waren nur seine Bü- cher, das ist doch verrückt. Wir sprechen von uns als Corbu-Schüler ... viele andere haben aber bei ihm gearbeitet, hätten das ja alles viel besser mitbekommen können.

du Fresne: Wie war das jetzt, beim ersten

Projekt?

Pini: Angefangen hat es mit dem Gedan- ken, zu fünft eine Häusergruppe zu reali- sieren. Bei Brechbühler, dem einzigen in unserer Nähe, der Corbu wirklich gekannt hatte. Beiihm waren wir nun, als grenzen- los vorbehaltlose Bewunderer Corbus.

Brechbühler hatte seine Vorbehalte, er war da schon viel kritischer, wir waren ein- fach abgefahren. - Damals beim Morillon- wettbewerb, den wir bearbeitet hatten, hatte Brechbühler am SchluB, als er das Projekt sah, so viele Vorbehalte, daß er die Arbeit gar nicht abgeben wollte, nicht abgegeben hat. Das gleiche beim Wettbe- werb Tscharnergut. Er hatte sich in diesen Projekten, die wir bei ihm ziemlich frei be- arbeiten konnten, nicht genügend wieder- gefunden. Wir wußten das damals nicht so genau, aber es war ihm offensichtlich zu

stark Corbu-geprägt. In beiden Projekten machten wir einfach Unite d’habitation.

du Fresne: Keiner außer Brechbühler hat- te Corbu gekannt, keiner hatte die Unité

gesehen...

Pini: Der erste Corbu-Bau, den wir über- haupt in Natura gesehen haben, war Saint- Dié, im Zusammenhang mit Müller Thun". Das Projekt Halen gab es, bevor man die Unité in Marseille gesehen hatte.

Erstaunlich vielleicht für den, der das Ge- fühl hat, Architektur könne nur übermit:

I Halle 2 Eingang 3 Gäste 1 Lager 5 Heizung

A Wohn- und Eßraum mit Galerie

telt werden durch die direkte Konfronta- tion mit dem Gebauten am Ort. - Ich war

ja schon als Lehrling totaler Fan, die Be- geisterung ist nicht erst bei Brechbühler entstanden. Schon als Stift hatte ich die Corbu-Sachen gelesen. Auch die drei, die vom Technikum kamen, Hofstettler, He- sterberg, Fritz, die hatten seine Arbeiten

gekannt.

du Fresne: Und wenn ihr jetzt an diesen d

d

B-B

Wettbewerben gearbeitet habt, da lagen

die Bücher auf dem Tisch. Ihr habt euch die Sachen genau angeschaut, bis insletzte Detail...

Pini: Sicher, aber die Projekte waren doch auch schon erstaunlich freie Interpretatio- nen. Man hat zum Beispiel den Semidu- plex entwickelt, der ja nicht von Corbu war, und man war beeinflußt, beeindruckt von all den Arbeiten, die Corbu ausgelöst

(5)

x

A

hatte, den Bauten in Nordafrika, den Ar- beiten von Candilis (sehr Corbu-beein- fluBt), von Emery, von Leuten, deren Na- men man heute kaum mehr kennt. In Bern waren wir allein, aber drauBen, da sah man, was diese Corbu-Anregungen ausló- sen konnten.

Man sah, daß man das ganze Bauen und Wohnen eben anders ansehen konnte. — Und als wir vom Tech weggingen, Gerber

und ich, da hatten wir gelost, wer geht zu Corbu, wer versuchts bei Niemeyer. Ich zog das Corbu-Los und ging mich vorstel- len. Ich glaube, ich war einer unter 800,

habe lange mit Wogensky gesprochen, bis

zu Corbu bin ich gar nicht durchgedrun- gen. Und Gerber, der ging nach Siidame-

rika. - Das war alles todernst gemeint.

Man wollte Schüler sein und konnte es gar nicht. Man wollte noch genauer lernen.

Wir hatten damals ganz wenige Publika- tionen, abgegriffene, wir kannten die Er- zählungen Corbus über seine Erlebnisse in Rio.

du Fresne: Man sah also in diesen Bü- chern, wie die Sachen gemacht waren, ver- suchte durch intensives Betrachten, durch Lesen zu verstehen.

Pini: Und ganz wichtig: Gerber und ich, wir haben jeglichen anderen Lehrer refu- siert. Es war gar nicht môglich, unsin einer Schule zu einem Abschluß zu führen. Was andere Schüler durchaus akzeptiert hat- ten, von irgendeinem Lehrer gelehrt zu werden, das ging für uns nicht. Für uns wa- ren das alles drittklassige Lehrer, ob nun am Tech oder an der ETH, da gab es kei- nen, von dem wir das Gefühl hatten, er hátte ein Recht, uns waszulehren. Wir ha- ben die Schule verlassen. - Am Abend hattest du den Meister und am Tag, da hát- test du deinen Lehrer akzeptieren müssen - unmóglich. Innerhalb eines halben Jah- res hatten wir Krach, innerhalb eines Jah- res muBten wir gehen. — Wir hatten ja auch keinerlei Existenzangst. Wir waren nicht die, die da etwa Ängste hatten, was ge- schehen sollte ohne Diplom. Corbu hatte ia auch keins. Wenn er es so gemacht hat-

7 Küche 8 Terrasse 9 Schlafraum 0 Bad 2 Galerie 13 Bibliothek

te, was sollten wir uns abbrauchen mit Leuten, die gar nichts zu sagen hatten. — Und unsere große Liebe zu Corbu, unsere absolute Begeisterung, war natürlich ein Fundament für die Gruppe, wie es danach ein solches nicht mehr geben konnte. — Wir stiegen ein ins absolute Nichts. Es war eine wahnsinnig schöne Zeit. Eine Zeit der Vorbehaltlosigkeit, eine Zeit des Glaubens an sich selber. Die Rückschläge

kamen dann schon. Aber eine der Stärken des Atelier 5 ist natürlich seine Entste- hungsgeschichte. Heute müssen wir unse- re Kräfte woanders suchen.

du Fresne: Kannst du ja auch, ich denke da an die Mensa”, das war doch eine verwirk- lichte Vision, die vereinigend wirken konnte... doch zurück.

Pini: Diese Zeit der beschränkten Per- spektive hatte doch vieles erleichert, da- mals.

du Fresne: Ich sehe da einen rezepthaften Ansatz. Die Vorstellung, daß sich aus ei- nem ungeheuren Wissen um die Architek- tur die Möglichkeit ergeben könnte, Schlüsse zu ziehen, die zu einem gebauten Werk führen (nicht zu verbalen Außerun- zen oder Geschriebenem), die ist mit Fra- gezeichen zu versehen. - Die Geschichte des Atelier 5 zeigt da einen vóllig anderen Weg. Sie ist die einer totalen Abkapse-

lung, einer total einseitigen Ausrichtung

und Konzentration auf ein Vokabular, auf eine Sprache. Wo man nicht wußte, wie sich ausdrücken, nahm man das Wörter- buch zur Hand. Und zwar ein ganz be-

stimmtes, einseitiges Wörterbuch.

Pini: Aus Musterschülern gibt es wohl kei- ne Architekten, Schreiberlinge vielleicht.

du Fresne: Und gewisse Dinge sind sich doch durchaus gleich geblieben. Dieses nicht Akzeptieren eines anderen Lehrers.

Wir haben ja nicht andere Vorbilder auch noch akzeptiert, so wie man das heute et- wa bei einem Galfetti sehen kann, der sich plötzlich für Wagner interessiert, für den Wiener Städtebau, ich denke da an sein Projekt der Post Bellinzona. - Das heifit, man hat gelernt, in einem Paar Schuhe zu gehen, ein zweites Paar, das man noch ausprobieren wollte, gab es nicht. Das hat uns wahrscheinlich von der Qualität her

gesehen den Kragen gerettet.

Pini: ... Und von der Möglichkeit, zusam- men zu arbeiten, denn schon über die rich- tige Interpretation innerhalb der Corbu- Schule hat es ja einigen Streit gegeben bei uns. Ich denke da zum Beispiel an Müller Thun”. — Diese Abkapselung, diese Kon- zentration, das ist eine ganz wichtige Sa- che. Nur in diese Einseitigkeit konnte und kann man sich total hineinsteigern.

du Fresne: Die Kritik an Müller Thun, das war ja eine Kritik an der Opulenz, eine Kritik am Zuviel.

Pini: Hier sah man plótzlich eine Gefahr, daß zu hemmungslos nachgearbeitet wur- de. Hier kam schon die Frage auf, ob denn das nicht eine zu einfache Art sei, Corbu nachzuleben, nachzustricken. Das Pro- blem ‚Lernen oder Kopieren’, das war auf

Mitte rechts: Grundriß 3. Stock unten: Längsschnitt

TR

(6)

jeden Fall schon da. Wichtig das zu wis- sen. Das schafft uns ja heute bei vielen Ar- chitekten Probleme, dieses bloße Abguk-

ken, statt sich zu vertiefen und zu verste- hen versuchen. Etwas, das man heute durchaus nicht sehen will.

du Fresne: Deshalb werden wir, die wir uns vertiefen in einen beschránkten Kreis, auf ein beschránktes Thema, so mifitrau- isch, wenn wir sehen, mit wie leichter Hand da heute mancher durch die Ge- schichte und die Kulturen saust.

Pini: Das bringt mich zurück zu Corbu, der mit einem beschränkten Wissen über ein Teilgebiet, sei das nun die Industriali- sierung oder das Soziale, immer gleich ei- ne künstlerische Antwort wußte. Sein Wissen brauchte er allerdings nicht als Krücke, sondern als Sprungbrett. Mit ei- nem ganz beschränkten Teilwissen sah er sich immer in der Lage zu antworten. Das hat auch die Generation Brechbühlers so sauer gemacht. Die haben das nicht immer

X

M wA,

1 Zugangsstraße 2 Parken

3 Garage unter den terrassierten Gärten

Tankstelle Platz

Restaurant und Läden Zentrale Heizungsanlage Swimmingpool

Treppen zur Hauptstraße

^ Haustyp 12, obere Reihe Haustyp 380, obere Reihe Haustyp 12. untere Reihe .ó. Haustyp 380, untere Reihe i4 Atelierhäuser

Schnitt

i

=

Ahnen

Schlafen

Garten

ER +

—, Mi

mii

Pp $c A“

DL 0 d

18

WSa

House type 380

vertragen. Ein Tschumi damals, fast alle Lehrer, mußten mit Vorbehalten reagie-

ren.

du Fresne: Subjektive Betrachtung und immediate artistische Reaktion, das war Corbu.

Pini: Corbu hat die Leute enerviert. Viel- leicht wie uns ein Botta heute enerviert, warum muf er zu allem etwas sagen. War- um jetzt auch noch Móbel. Corbu hatte da sein Publikum, Botta auch.

G erber kommt rein. (Einer der Grün-

der des Atelier 5, lebt seit langem in Frankreich, besucht uns hie und da). Er

Fotos oben: Siedlung Halen, Schweiz, 1961

Zeichnung oben links: Lageplan

wird gleich ins Gespräch miteinbezogen.

Gerber: Die Brasilianer waren damals nicht wirklich so für Corbus Architektur.

Sie hatten ihn kommen lassen und wollten von ihm profitieren, er von ihnen, er war

ja in Südamerika auf Akquisitionstour.

Seine Skizzen für das Erziehungsgebäude als Grundlage für das Projekt Niemeyer ...

Sie brauchten ihn drüben zum Vorzeigen ...Später... Wir haben ja Glück gehabt, daB keines unserer Unité-Projekte reali- siert worden ist. In Frankreich ist das eine Katastrophe, die stehen leer, diese Din- ger. Nur Marseille ist noch voll bewohnt, aber nicht von Arbeitern, sondern von Ar- chitekten, von Freischaffenden aller Art.

Pini: Wie Halen auch.

Gerber: Der Arbeiter sucht heute offen- sichtlich etwas anderes: Bofill vielleicht, als Cache-Misére, proverster Sozialer Wohnungsbau hinter Versaille-Fassaden.

Pini: Im nachhinein sehen wir uns ja als sehr bewußte Corbu-Schüler, damals hör- ten wir das nicht unbedingt so gerne. Na- türlich haben wir mit großer Bewunde- rung sein Werk gesehen, aber ein Alder"

oder Steinmann?, das sind nicht einfach

Kopien.

du Fresne: Aber schau doch mal die Zeich- nungen, da waren doch Corbu-Minn- chen, Corbu-Bàume, einzelne Dinge hat man ja direkt übernommen.

Pini: Aber es gab doch schon eine ganz

klare Eigenständigkeit.

du Fresne: Die Loggia in Flamatt 1”, das war doch voll Corbu, oder das Dach von Flamatt 2”.

Pini: Ja dort ist es ganz klar.

du Fresne: Nun weiter. Der Erfolg von Halen war ja verrückt. Vor allem wie Ha- len bei der Fachwelt angekommen ist. Ich habe kaum einen modernen Architekten

76

(7)

te, der Aalto ist da auch noch, schau mal.

Pini: Wir waren natürlich lauter Architek- ten im Werdegang, wir wußten ja nichts, wir waren in einer totalen Vorwärtsbewe- gung. Dieses gemeinsame Erlernen des Berufes, mit der Sicherheit im Hinter- grund, dem Wissen, daß Corbu, der totale Autodidakt, es geschafft hatte. Daß ihm gar nichts im Weg gestanden hatte, daß al- so der Weg für uns auch frei sein müßte...

und er hat ja das auch gelehrt, er hat ja ge-

wettert gegen den Akademismus. - Undin dieser Zeit waren wir als Autodidakten nicht allein, Gisel zum Beispiel war auch nicht Architekt, Haller auch nicht. Die hatten alle keinen HochschulabschluB, Schlup, der eine oder andere war am Tech. - Und heute Hunderte und Aber- hunderte mit einem abgeschlossenen Ar- chitekturstudium.

du Fresne: Ich sag das auch bei jeder Gele- genheit, daB ich nach einer Bauzeichner- lehre allein im Atelier 5 Architekt gewor-

1 Weg 3 AuBenhaus 5 Eingang 6 Küche 7 Bad 9 Balkon l0 Ankleide [1 Schlafraum 13 Keller

1 Gartenhof Bedeckte Terrasse io. Kinderspielplatz 17 Solarium I8 Service

f - = LI

EI

PL oii

Y— th

;R F^ ile

TON CET P

ps

JU SaMA38 s Rm.

Da

House type 12

getroffen, der die Siedlung nicht gesehen

hatte. Rogers und Foster haben uns — ich hab das erst jetzt erfahren — Wates" ver- mittelt. Hertzberger, Richard Meier, van

Eyck, Stirling, Candilis. Rossi ist abgefah-

ren, von den Schweizern gar nicht zu re- den.

Pini: Ja, es war ein sehr steiler Start, im- merhin von 1955 bis 61 sind essechs Jahre, und die haben wir nur mit Mühe überstan- den, da hat Morgenthaler eine ganz große Rolle gespielt. Ohne ihn hátte es vielleicht Halen gar nie gegeben, vielleicht hátte auch das Atelier 5 nicht überlebt... es braucht schon viele Zufálle, daB sowas wie ein Atelier 5 überhaupt zustandekommt.

Im nachhinein sieht man das als logisches Wachsen, es hátte geradesogut in die Ho- sen gehen kónnen. Viele sind ja damals nicht durchgekommen. Vielleicht hat euer (er meint die neuen Partner von 1969) Da- zukommen dann auch den Einfluß gehabt.

ES

daß der Überlebenswille stärker wurde. — So wie es mir auch heute geht, wenn ich daran denke, daß wir uns wieder erneuert haben. Das hat uns neuen Mumm gege- ben. Es war der richtige Moment. Seitdem wir gesagt haben „kommt, macht doch mit“ sind die Fragezeichen weg. Du mußt dich beweisen.

du Fresne: Wir hätten das auch nicht erst machen können, wenn der Schnitt plötz- lich über 60 gewesen wäre... Das Arbeiten im Dialog, das war also von Anfang an da.

Mit einer direkteren Ausrichtung auf Cor- bu, mit dem Buch auf dem Tisch.

Pini: Kopf an Kopf haben wir in den Bü- chern herumgegrübelt. Das war mal, wie die Sache gewesen ist. Die Interpretation der Auswirkungen ist eine andere Sache.

du Fresne:Sicher gibt es sie. Mal, daß man ein Vorbild hatte. Stell dir die Katastro- phe vor, wenn jeder in einer anderen Rich- tung gezogen hätte, wenn einer gesagt hät-

den bin. So wie ihr bei Brechbühler gelernt habt.

Pini: Ja, er hat für uns natürlich eine große Rolle gespielt. Aber wir waren trotzdem Autodidakten in dem Sinne, daß wir die Beispiele, die Wege selber wählten. Und eines sollte man im Zusammenhang mit Corbu kräftig unterstreichen, seine Re- volte gegen den Akademismus. Weißt du, am Technikum war ein Lehrer, der große Kenntnisse hatte über Proportionen. Ein Jahr lang hast du da klassizistische Motive abgezeichnet und dich mit dem goldenen Schnitt auseinandersetzen müssen. Wirk- lich wie an der Akademie. Sein oberstes Ziel war, uns so auszubilden, wie er ausge-

Zeichnungen Mitte: Grundrisse + Schnitt

(8)

bildet worden war.

du Fresne: Sogar am Tech gabs damals ...

wogegen Corbu gewettert hat. Scheint mir wichtig, daB man spürt, in welchem Um- feld das alles passierte, auf welchen Boden das fiel.

Pini: Da war natürlich auch noch Corbus extreme Eigenwilligkeit. Er hatte doch zu jedem Problem eine Antwort. Man hatte immer das Gefühl, der wei immer was.

Unerschópflich. - Das war bei andern nicht so, jedenfalls nicht vergleichbar, we- der bei Wright noch bei Mies. Der Sche- matismus eines Mies konnte uns nicht er- freuen, schon damals hatten wir Konflikte mit seinen Anhängern. Scharoun, Saari- nen, die hab ich wahrscheinlich in den 50er Jahren gar nicht gekannt. Wir haben auch gar nicht weiter gesucht.

du Fresne: Dann kamen die 60er Jahre, in denen wir extrem wenig zu tun hatten. Ei- ne harte Phase. Und die Zeit der Ablö- sung von Corbu. Wie war das jetzt ganz ge- nau, der letzte Bau mit dem Buch auf dem Tisch, das war wohl Citron? — und der er- ste, wo das Buch nicht mehr gebraucht wurde?

Pini: Der erste Bau ,ohne' war Brossi'", danach auch Móhl'". Citron war der letz- te. Ist klar, die ,voütes catalanes' haben

wir nicht erfunden. — Also wo wir scham-

los im Corbu-Kasten gegrübelt haben, das war sicher Citron. (Wieweit liegt Neuilly zurück? Wir stellen fest 1952.) Da gab es ja das móblierte Fenster auch schon.

du Fresne: Mit Brossi und Móhl also die

Trennung?

Pini: Aber nicht erklärt. Bei Möhl weiß ich genau, da hatte ich das Buch mit Si- cherheit nicht mehr auf dem Tisch. Aber dieser Schnitt etwa um 1963, plötzlich war kein Bedarf mehr für eine direkte Anlei- tung. Bei Roth'” auch nicht mehr, die Lichtführung vielleicht noch ... Sicher auch bei den Studentenheimen' nicht mehr, da hatte man bereits das Gefühl, selber antworten zu können. Das einzelne Element in der Mehrfachverwendung, das hat uns bis zur Obsession beschäftigt.

du Fresne: Eigentlich ist das doch so, daß wir die Stöcke nicht mehr gebraucht haben zum Gehen. Ganz natürlich. Du nimmst

Abb. oben: Schnitte

eben das Buch nicht mehr hervor.

Pini: Und man hat angefangen, selbstän- diger zu argumentieren. Man hatte ja be- reits selber Erfahrungen gemacht. Viel- leicht haben wir uns von Corbu auch ein bißchen distanziert, weil er einen mit sei- ner Genialität ein wenig unsicher gemacht

hat. - Und wenn ich die Bücher von Corbu wieder hervornehme, und schaue, was er in den Jahren gebaut hat, als wir uns lang- sam entfernten, da gab es auch keinen rechten Zusammenhang mehr zwischen

den Sachen, die er zu bauen hatte - Em- bassade de France in Brasilia, Pavilion in Zürich, La Tourette, Visual Arts Center,

Chandigarh, Olivetti, Firminy, Spital in

Venedig, Kongrefpalast in Strassburg -,

und den Aufgaben, die wir hatten. - Im Existenzkampf unserer ersten Periode gab es zufálligerweise auch eine Überein- stimmung zwischen seinen und unseren

Aufgaben, Wohnungsbau, kleinere Háu-

ser. Wir sind im Wohnungsbau geblieben, under hat große Bauten fiir die Offentlich- keit gemacht. Vielleicht haben wir dies gar nie richtig bedacht, aber das dürfte auch ein Grund für eine langsame Entfernung gewesen sein. Früher sah man sich mit dem Meister zusammen den gleichen Pro- blemen gegenüber ... aber dann, was soll- ten wir schon mit Chandigarh.

du Fresne: Nun war es ja so, daß wir nicht nur starke Projekte hatten. Brossi war ein schöner Bau, Möhl sogar ein sehr schöner.

Aber da war auch noch eine ganze Reihe schwácherer Projekte. Werther'? konnte bei uns nichts auslósen als gemeinsames Werk.

Pini: Das scheint mir etwas ungerecht.

Werther war ja auch noch sehr stark Cor- bu-inspiriert. Werther ist ja ,le Bateau'.

Werther ist schon ein gutes Projekt.

du Fresne: Aber der Platz funitioniert nicht, er ist ein Flop.

Pini: Sicher, darum haben wir uns ja dann

den Fischgratmustern zugewendet (Karls- stadt'?).

du Fresne: Nochmal, plótzlich ist es also klar, du kannst es selber, du kannst dich ja unterhalten, du kannst es ja!

Pini: Und dann vielleicht noch der Einfluß der 68er Jahre, als alles in Verruf geraten war. Nichts hat diesem Termitenschwarm standgehalten. Vielleicht hatten wir auch nicht mehr so Lust, waren auch beeinflußt von dieser Stimmung, die sich gegen die moderne Architektur richtete. Die Sozio- logie war jetzt das Thema, gerade im Wohnungsbau. In Zürich hat zum Beispiel Schader, der sich vorher kaum mit Woh-

nungsbau auseinandergesetzt hatte, plötz-

lich über Wohnungsbau doziert. Das wa- ren alles Elemente, die uns im Hinter- grund auch beschäftigt haben. Das ganze Stimmungsfeld, das eigentlich eine Aus- richtung auf einen einzelnen Künstler gar nicht mehr gestattet hat. — Jetzt gab es die Ausrichtung auf die gesellschaftlichen, so-

zialen Ereignisse und Bedürfnisse. Auch an den Schulen war ja angesichts der dort herrschenden Interessen Corbu nicht mehr gut unterzubringen. Und wenn du schaust, wieviele Male pro Tag in den ver- schiedenen Abschnitten bei uns der Name Corbu erwähnt worden ist ... in den 50er und anfangs 60er Jahren täglich, am Schluß der 60er wochenlang nicht mehr.

Man schaute nicht mehr, wie hat er es dort gemacht, wie anderswo. Denn wie er es in Chandigarh gemacht hatte, das war wirk- lich zu weit weg von den Problemen, die wir zu sehen glaubten.

du Fresne: Wahrscheinlich hat sich auch in dieser Zeit das Verständnis dafür, wie ein Künstler arbeitet, spricht, sich benimmt, verändert. Ich erinnere mich da an Brech- bühler, als er kürzlich Corbu zitierte; die- sen Satz über die jugen Männer in Brasi- lien, die da Basketball gespielt haben, das Käppi auf dem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, die Zigarette im Mund- winkel, den Stolz in den Augen, das er- schien mir schon reichlich pathetisch, da gab es in der Literatur durch Joyce oder Chandler, durch viele andere, eine viel

modernere Sprache.

Pini: Man kann ja nicht jahrzehntelang wie ein Corbu arbeiten, ohne daß etwas vom Glanz verloren geht. Die MiBerfoige werden aufgeführt, ein Pessac, das unter- sucht und publiziert wird, eben auch in dieser Zeit. Alle diese Dinge wirkten ge- gen Corbu, den Künstler und Propheten,

den großartigen Improvisator, den

Schnellwissenden. —Es gab ja auch techni- sche Miflerfolge, die auf die Lange doch gewichteten. Du erinnerst dich, wie die

Leute um uns von einer Villa Savoy ge-

sprochen haben, die da langsam wegge- bróckelt ist. Heute weil man das schon fast wieder, daß es vielleicht gar nicht an- ders sein konnte, wenn man so weit voraus ist wie es Corbu war, dann kann nicht ein- fach alles funktionieren.

du Fresne: Also alles in allem ein breites Feld von Einflüssen, das letztlich diese langsame Abwendung von Corbu ge- bracht hat. Die gesellschaftlichen Verän-

derungen, die errungene Selbständigkeit.

Pini: Daß er ein alter Mann geworden war, du nicht mehrso ganz jung, man hatte dieses Abschauen ja auch lange genug

praktiziert.

du Fresne: Aber ... eine erklárte Abkehr hat es nie gegeben. Ein klares Infragestel- len, ein Begraben eines Vorbildes gab es nicht.

Pini: Auch innerlich nicht. Man hatte sich einfach ein wenig entfernt, nie aber ins Horn geblasen, daß Corbu schuld sei an der gebauten Katastrophe des 20. Jahr- hunderts, was ja noch und noch gemacht wurde. Übrigens nicht zuletzt von denen, die jetzt diese Veranstaltungen und Publi-

kationen um Corbu erneut veranlassen.

du Fresne: Es wàreinteressant das nachzu-

T8

(9)

verfolgen. Das liefe dann unter dem Titel

‚Lernen vom Fall Le Corbusiers’, nicht Lernen von Le Corbusier'.

Pini: Man fing erst wieder vermehrt an, sich für ihn einzusetzen, als Corbu ange-

griffen wurde.

du Fresne: Ich erinnere mich da an eine furchtbare Auseinandersetzung mit Cu- lot, dem Krier-Compagnon, den ich nach seinem Vortrag beim Deutschen Werk- bund in Darmstadt angegriffen habe, als er behauptete, Corbu sei ein Verbrecher gewesen, weil er Bausysteme und Kon- struktionen versucht habe an Menschen, bevor er überhaupt wußte, ob sie funktio- nieren. Das dürfte ungefähr so alt sein wie die Postmoderne, etwa zehn Jahre. — In

dem Moment, als wir die Anfechtungen

gespürt haben, übrigens auch Anfechtun-

gen durch Angestellte in unserem Büro, du kannst dich erinnern, da wurde es wie- der ein ,Zurück zu Le Corbusier', da gab es ein ,Halt, so natürlich nicht', es wurde zu einem ,Bestehen auf Le Corbusier’.

Wir waren ja überzeugt, daß er uns auf den rechten Weg geführt hatte. Mit seinem Fundament, das er uns gegeben hatte, ha- ben wir ja ein Amthaus'? bauen kónnen, eine Mensa”, ein Museum", einen Vau- cher'?, eine Thalmatt 2'?, da muB man ein- fach an die Richtigkeit dieser Schule glau- ben. — Du hast doch nie bestritten, daß er für dich ein großartiger Lehrer war, nie be- hauptet, daß er dich auf eine falsche Fähr- te gelockt habe.

Pini: Uns sind eigentlich die Angriffe auf Corbusier genau so vorgekommen wie die in den 40er Jahren. Ich sag, ‚Lernen vom Fall Le Corbusiers’, das wäre mal ein The- ma, wie er hochgejubelt wurde, niederge- macht und dann wieder hochgejubelt, von den gleichen Leuten. Wer sich wann zu ihm bekannte, wer sich wann von ihm los- sagte und dann wieder zu ihm bekannte, ein Schulbeispiel für das hysterische Ver- halten der Architekten.

du Fresne: Und dann diese dramatischen Akte in Amerika, zusammen mit der

Sprengung verslumter Wohnhäuser, die

Erklärung, jetzt müsse eine neue Archi- tektur ihren Anfang haben... und hinten- dran dann gleich die Puderdose Johnsons, das ist natürlich Wahnsinn.

Pini: Das fehlende Verständnis dafür, daß sich die Zeiten eben ändern, das hat mich schon erschreckt, nebenbei auch dieser Besuch in Firminy, und wenn Gerber er- zählt, in Nantes sei es noch schlimmer.

Und wenn du die Reaktion der jüngeren Leute unter uns siehst, die Distanz neh- men...

du Fresne: Aber gegenüber La Tourette gab es diese Distanz nicht.

Pini: Nein gar nicht. Aber wenn ich weiß, warum man Firminy so gemacht hat, weil man total andere Perspektiven hatte, total andere Perspektiven, und heute rümpft

man einfach die Nase. Nicht zu vergessen,

wenn wir die Aufträge gehabt hätten, in den 50er Jahren, dann hätten wir doch ei- ne Unité nach der anderen gebaut.

du Fresne: Gebus hat ja gesagt, wir hátten Schwein gehabt.

Pini: Vielleicht wáre es in der Schweiz so-

gar noch ein Erfolg geworden.

du Fresne: Ich erinnere mich noch genau an Jonas Friedmann, der damals anläßlich seines Vortrages zum 50sten Geburtstag des Werkbund uns allen gesagt hat, auch wenn wir Wohnungen so schnell bauen wiirden wie Autos, es wiirde nie ausrei- chen, da hatten wir das Gefühl, wir müß- ten grad nach Hause gehen und so rasch wie möglich wieder etwas bauen.

Pini: Dabei hatten wir kaum zu tun...

Jetzt, im nachhinein, kann ich eigentlich nur mit gewisser Trauer reagieren, wie ei- ner lieben Person gegenüber, die nicht mehr da ist. Aber die Nase rümpfen sicher nicht. Man sah doch da dieses totale Enga- gement für eine neue Gesellschaft, wenn ich da an den Plan ‚Voisin’ denke, dann kam der Krieg dazwischen. Da gab es eine Vision, die sich in der Vor- und Nach- kriegszeit bestätigt hatte, mindestens teil- weise. Daß sich das jetzt, in unserer Zeit, nicht mehr erfüllte, diese Vision nicht mehr da ist ... die Geschichte der Welt ist noch nicht zu Ende geschrieben.

du Fresne: Also wieder zurück zu uns, Sie wollen ja wissen, wie es bei uns genau war.

Nochmal zu dieser Zeit der Anfechtung.

Bei uns im Büro waren das doch ziemlich schlechte Zeiten. Und wir sind ja auch nicht aufgestanden und haben laut ge- schrien.

Pini: Es war mehr ein ,Ach komm, laf doch den Corbu'.

du Fresne: Uns hatte ja auch niemand nach einem Plädoyer gefragt, damals.

Pini: Es gab einfach ein paar verbissene Freunde, die Fondation Le Corbusier.

Wir haben uns sehr eingesetzt für die Clarté' in Genf.

du Fresne: Zu berichten werden wir jetzt aufgerufen. Wann haben die Attacken auf Le Corbusier denn wirklich angefangen?

Pini: So 1968/69 auf breiter Basis, und zwar nicht mal besonders nur gegen Cor- busier, sondern gegen die ganze Moderne.

Eine Art veränderte Weltanschauung.

Die 68er Jahre waren nun ja auch wirklich nicht die Jahre der Ästhetik, nicht die Jah- re der bildenden Kunst, das waren die Jah- re der Anfechtung, der sozialen Erneue- rung. Obwohl es da zwischen dem Werk Le Corbusiers und diesen Tendenzen

durchaus Übereinstimmungen gegeben

hátte. - Man muf allerdings auch sagen, daB die Rehabilitation Le Corbusiers rela- tiv früh wieder eingesetzt hat. Seine Spra- che wurde ja wieder aufgenommen, zum Beispiel durch Richard Meier, der mit sei- nen Arbeiten ein großes Echo gehabt hat.

— Und dann vor sechs bis sieben Jahren

diese Ausstellung über Corbusier in Luga-

=

it

DEw^

no, die ja sehr schön war und mir auch per- sönlich wieder sehr viel Kraft gegeben hat.

Eigentlich warer nur kurze Zeit begraben.

du Fresne: Und die heutige Bewunde-

rung?

Pini: Sicher mal für den grofeen Künstler und dann eben dieses Gefühl, daB er dich auf die richtige Weise in den Beruf geführt hat. Sicher einer der Gründe, warum die Bindung noch da ist, wir haben ja dieses Sohn-Vater-Verhältnis nie bestritten, wie viele dies getan haben... Keine Verleug- nung, sondern ein langsames immer

Selbständigerwerden.

du Fresne: Und wenn mich jetzt heute ein

junger Mann fragen würde „das überzeugt

mich, was ihr da sagt, dieser Akademis- mus, der herrscht auch heute wieder an den Schulen, mir geht es wie euch, was soll ich jetzt machen?“

Pini: Brechbühler hat es ja gesagt, die Schule ist für die Unfähigen, vielleicht ein bißchen überheblich. Die, die unsere Schule tragen, mit Ausnahmen natürlich, haben die tatsächlich etwas zu sagen?

Wenn ich die Leute nehme, die ich kenne ...dawirdin der totalen Desorientierung einfach herumgeschnüffelt und reagiert.

du Fresne: Und wenn der Schüler sagt

„richtig, aber ich finde kein Vorbild“?

Pini: Sag hat dem Jungen, er sollsich einen Beruf suchen, in dem er ein Vorbild hat.

Architekt muß man ums Verrecken sein wollen.

Legende der Bauten Atelier 5

\ Haus Alder, Rothrist/AG, 1957/58 Siedlung Halen bei Bern, 1955/61 Fabrik Müller, Thun/BE, 1956/59

Mensa in Stuttgart-Vaihingen (BRD), 1970/76 Haus Steinmann, Aarburg/AG, 1957/59 Terrassenhäuser Flamatt 1, Flamatt/FR, 1957/58 Terrassenhäuser Flamatt 2, Flamatt/FR, 1960/61 Siedlung Park Hill Village, Croydon (GB), 1966/70

Haus Citron, Carona (TI), 1961/64

‘Haus Brossi, Gerlafingen/SO, 1963/65 Haus Móhl, Kerzers/FR, 1963/66

Haus Roth, Oberhóchstadt/Frankfurt (BRD), 1967/69

Studentenwohnheime in Stuttgart-Vaihingen

(BRD). 1966/72 .

Siedlung Wertherberg (BRD), 1965/67 Wettbewerb Karlsstadt, 1966 Amthaus Bern, 1976/81 Kunstmuseum Bern, 1976/83 , Haus Vaucher bei Bern, 1980/83 i9) Siedlung Thalmatt 2 bei Bern, 1981/85

&)

Abb. oben: Le Corbusier, Villa Carthage, 1928

"O0

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Wasser versorgung geschieht durch eine Sicker galerie, welche auf dem Anstaltsterraiu angelegt ist.. Aus dem Brunnen wird das Wasser durch zwei Dampfpumpen

Hier können Sie mit dem Bootmediums von MiniTool Power Data Recovery Dateien von einer externen Festplatte wiederherstellen, die nicht bootet, weil dieses Tool Benutzern helfen

Die Beteiligung an dieser Konkurrenz ist denn auch heute schon eine derartig große, daß man wohl auf den Ausgang derselben gespannt sein darfB. Es ist kein Zweifel, daß

„Der Besuch von Titus Dittmann zeigt wieder einmal die Anziehungs- kraft der Gründerszene am KIT und in Karlsruhe“, sagt Professor Thomas Hirth, der Vizepräsident für

Unter der Volkskrankheit Nummer eins, wie Rheuma häufig bezeichnet wird, lei- den nicht nur alte Menschen, auch Kinder und junge Men- schen sind betroffen.. Text und Bild:

Genau hier soll eine Architektur- politik ansetzen. Sie soll ermögli- chen, daß unabhängig von her- kömmlichen Planungs- und Ent- scheidungsprozessen der kreati- ve Teil im Planen

Wolff, Sammlung historischer Gedichte und Volkslieder der Deut- schen. Stuttgart und Tübingen 1830.. Simrock.. 3te Ausg. Stuttgart und Tübingen

Vacquer, Maisons les plus remarquables de Paris. M., Ueber Baumaterialien und Arbeitslohn. Augsburg und Leipzig. Augsburg und Leipzig. 62,32, Volz, Geschäftsaufsätze