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Die Geschichte der britischen Frauen- bewegung nach

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Rezensionen

Linda Walker

Die Geschichte der britischen Frauen- bewegung nach

1918 im Lichte der Forschungsliteratur

Während der letzten drei Jahrzehnte stand jede Veröffentlichung zur Geschichte der ersten Phase des britischen Feminismus un- ter dem Eindruck von Ray Stracheys The

Cause, einem Buch, das 1928 das erste Mal

publiziert und inzwischen mehrmals von dem feministischen Verlag Virago nachge- druckt wurde. The Cause, ein beständiger Klassiker, der die Frauenbewegung durch 100 Jahre sozialer, politischer und ökono- mischer Umwälzungen begleitet hat, wurde mit der genauen Beobachtungsgabe einer selbst Betroffenen geschrieben: Ray Stra- chey war eine engagierte Frauenrechtlerin und Gründerin der »Women's Employment Federation« nach dem Krieg. Ihre Ge- schichte beleuchtet die Entwicklung von vielen Seiten, faßt die vielen Kampagnen zusammen, die der Frauenbewegung der Viktorianischen Zeit ihr Gesicht gaben, und findet ihren Höhepunkt schließlich in den

»glorreichen Tagen« der militanten Suffira- gettenbewegung der edwardianischen Epo-

Feministische Studien 2/94

che. Die Art und Weise, in der Strachey ihre Geschichte aufbaut, rechtfertigt durchaus ihre Behauptung: »Die Frauenbewegung hat ihre Ziele praktisch erreicht.« Denn sie schließt mit dem Reformenkatalog, der vom Parlament in den Jahren zwischen der ersten Verleihung des Frauenstimmrechts

1918 und der Gewährung vollständiger po- litischer Gleichberechtigung im Jahr 1928 abgesegnet wurde, das Jahr, in dem Stra- chey ihre Geschichte der Frauenbewegung enden läßt. Allerdings war ihr dabei be- wußt, daß »die Sache« sich unaufhaltsam weiterbewegen und auf fremdes Gebiet wa- gen würde bei ihrer Suche nach weitrei- chenden Verbesserungen für die Frauen im besonderen und für die Gesellschaft im all- gemeinen.

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Historikerinnen, die sich mit Feminis- mus beschäftigten, sind von Stracheys Her- angehensweise stark beeinflußt: Sie über- nehmen von Strachey den thematischen Aufbau, das Hervorheben des Gleichheits- prinzips, den Optimismus im Hinblick auf den Fortschritt und, was am wichtigsten ist, 1928 als Jahr des endgültigen »Sieges«. Bis vor kurzem ist die Geschichte der briti- schen Frauenbewegung immer im Rahmen dieses Rasters geschrieben worden, wobei das Ende des 1. Weltkriegs - das metapho- rische »Ende des 19. Jahrhunderts« - als passendes Abschlußdatum gewählt wurde.

Was nach 1918 mit der Frauenbewegung

passierte, blieb unbeantwortet, was der all-

gemeinen Auffassung Vorschub leistete,

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danach sei es mit der Frauenbewegung nur noch bergab gegangen bis zu ihrer endgül- tigen Auflösung.

Neuerdings nun bemühen Historikerin- nen sich, auch der Zeit nach 1918 mehr Be- achtung zu schenken. Ihre Veröffentlichun- gen über die Zwischenkriegszeit und die Zeit nach 1945 ermöglichen heute viele fundierte Diskussionen zu Schlüsselthemen und haben unsere Kenntnisse des Feminis- mus zweifellos vertieft. Und doch möchte ich behaupten, daß in mancher Hinsicht Stracheys Vermächtnis immer noch wirk- sam ist, vor allen Dingen im Hinblick auf die Auffassung, mit der Frauenbewegung sei es bergab gegangen. Die zwanziger Jah- re werden als eine Zeit fortdauernder Akti- vitäten betrachtet, in der die Feministinnen versuchten, ihre neue politische Macht ein- zusetzen und ihre Ziele neu zu definieren.

Von der Organisation her blieb die Bewe- gung stark, Politiker fürchteten die Auswir- kungen des Frauenstimmrechts und eine Reihe frauenfördernder Gesetze krönte das Jahrzehnt der Reformen. Dagegen wurden die dreißiger Jahre als eine Zeit des femini- stischen Rückzugs dargestellt, der organisa- torischen Schwächung angesichts eines konservativen politischen und kulturellen Klimas. Bis heute hat niemand die still- schweigende Übereinkunft darüber in Fra- ge gestellt, es sei mit der Frauenbewegung tatsächlich bergab gegangen. Ich werde am Ende des Essays darauf noch einmal zu sprechen kommen - es gibt jedoch unter- schiedliche Auffassungen darüber, wie, warum und wann dieser Abstieg begann.

Verständlicherweise bestand ein großes Interesse am Schicksal der Stimmrechts- vereine der Vorkriegszeit und ihren Nach- folgeorganisationen nach 1918. Nach der ersten Studie von Jane Lewis haben Histo- rikerinnen immer wieder die scharfen Aus- einandersetzungen zwischen Frauen, die sich für gleiche Rechte einsetzten, und den

»neuen Feministinnen« hervorgehoben, die letzten Endes dazu führten, daß die »Natio- nal Union of Societies for Equal Citizen- ship« auseinanderbrach. Höhepunkt war eine erbitterte öffentliche Diskussion mit

der »Six Point Group« über die Frage der protektiven Gesetzgebung.2 Lewis hatte eine ambivalente Interpretation der Pro- gramme und Ideen der neuen Feministin- nen und der Rolle von Eleanor Rathbone, der Schlüsselfigur im Kampf um die »Fa- milienbeihilfe«, vorgenommen. Obwohl der neue Feminismus letzten Endes den ge- sellschaftlichen Status quo und die traditio- nelle Familie akzeptieren mußte, muß aner- kennend hervorgehoben werden, daß er den Versuch unternahm, die Rolle der Frau selbstbestimmt zu definieren, d.h. darauf (»... zu bestehen, daß Frauen nicht notwen- digerweise weniger wert sind, weil ihre Be- dürfnisse und Umstände andere sind.«) und eine Gesellschaft abzulehnen, die nach männlichen Wertvorstellungen strukturiert war.3 Auf ähnliche Art und Weise kam Johanna Alberti zu dem Schluß, daß die Verfechterinnen der Gleichberechtigung der Meinung waren, Sozialreformen, die mit Mutterschaft, Sexualität und Wohlfahrt zu tun hätten - den essentiellen Anliegen des neuen Feminismus - hätten de facto nichts mit Gleichberechtigung zu tun. »Die Zweideutigkeit des Gleichheitskonzepts ist, wenn die Geschlechterdifferenz aner- kannt wird, immer schon ein Gegenstand feministischer Debatten gewesen.«4 Femi- nistinnen diskutierten nicht nur Probleme und Ziele, sondern, grundsätzlicher, das Prinzip der Gleichheit an sich. Susan Kingsley Kent andererseits geht mit dem neuen Feminismus scharf ins Gericht: Er vertrete eine konservative Lehre, die ironi- scherweise Theorien über die Geschlech- terdifferenz akzeptiert habe, die der Vor- stellung Vorschub leisteten, Männer und Frauen seien unterschiedlichen Bereichen zuzuordnen: »Am Ende der zwanziger Jah- re fanden die neuen Feministinnen sich in ein Konzept eingebunden, das die Frauen in die Falle der traditionellen Hausfrauen- und Mutterrolle laufen ließ und ihre Fähig- keit einschränkte, sich für Gleichheit und Gerechtigkeit für Frauen einzusetzen.«5

Kent vertritt die Ansicht, daß der neue Feminismus nach dem Ersten Weltkrieg nicht in der Lage war, die Geschlechterauf-

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fassung, die die Rollen, Aktivitäten und Möglichkeiten von Frauen bestimmte, in Frage zu stellen oder sie gar umzuformen.

Wie auch andere Historikerinnen stellt sie in ihrer jüngsten Veröffentlichung den Be- ginn einer Auseinandersetzung über das vermeintlich freizügigere sexuelle Klima der zwanziger Jahre dar. Diente der Bruch von viktorianischen Tabus - man diskutier- te über eheliche Beziehungen und sexuelles Vergnügen - letzten Endes nur dazu, Hete- rosexualität, Ehe und Mutterschaft in ihrem Wert hervorzuheben, zu Lasten der gleich- geschlechtlichen Liebe und anderer Le- bensstile? Nach Meinung von Sheila Jef- freys stützte der neue »wissenschaftliche«

Diskurs über Sexualität in der Tat Ehe und Mutterschaft in einer Art und Weise, die das Lesbischsein, die unverheirateten Frau- en und, daraus folgend, auch den Feminis- mus stigmatisierte.6 Die Kampagne für Ge- burtenkontrolle, eines der Hauptanliegen in den zwanziger Jahren, wird so in einem konservativen Licht gesehen, ebenso wie das weitverbreitete Werk von Marie Stopes.

Die Betonung lag mehr auf der Verbesse- rung der heterosexuellen ehelichen Bezie- hungen als auf der Suche nach Erfüllung und Freiheit für alle Frauen. Die neue Mo- ral kam so den neuen Feministinnen in ih- rem Bemühen entgegen, lieber den Unter- schied der Geschlechter wieder hervorzu- heben, als ihn zu eliminieren.

In den jüngsten Veröffentlichungen von Martin Pugh und einem neuen Buch von Olive Banks, die beide in ihrer Analyse auch auf die Zeit nach 1945 eingehen, wird die Auseinandersetzung über die relevanten Verdienste der neuen Feministinnen und der Verfechterinnen der Gleichberechti- gung auch im Kontext eines zunehmenden politischen und kulturellen Konservatis- mus angesiedelt.7 Pugh beschreibt den Zer- fall der Frauenbewegungsorganisationen vor dem Hintergrund einer mehr und mehr propagierten Häuslichkeit, der wachsenden Popularität von Ehe und Mutterschaft und einem antifeministischen Backlash. Die Verschiebung feministischer Prioritäten in dieser Zeit war eine verständliche evolutio-

näre Reaktion auf sich ändernde Zeiten.

Der neue Feminismus gewann die Vorherr- schaft über die Verfechterinnen des Gleich- heitsprinzips, weil er sehr viel besser in die Zeit paßte. In seiner Beurteilung der 50er Jahre stellt Pugh die übliche Vorstellung in Frage, die Frauenbewegung sei »eine aus- gebrannte Kraft, die in einem Jahrzehnt des Konservatismus und des Materialismus schließlich verlöschte«.8 Die Frauenbewe- gung überlebte an den Rändern, und enga- gierte Frauengruppen waren weiterhin ak- tiv: Ihre bescheidenen Erfolge bestanden beispielsweise in gleicher Entlohnung für Staatsangestellte und für Lehrerinnen.

Doch ihre Reihen waren arg gelichtet, und sie blieben politisch marginal. Entschei- dend war aber, daß es ihnen nicht gelungen war, Nachwuchs für die Führungspositio- nen heranzuziehen.

Pugh scheint sich an ein sehr eng ge- faßtes Konzept zu halten, was unter Femi- nismus zu verstehen ist: Im wesentlichen sind bei ihm die Gruppen gemeint, deren Hauptziel es war, sich für die Emanzipation der Frauen einzusetzen. Und vielleicht ist es dieses eng gefaßte Konzept, das in der Vergangenheit zu dem Urteil führte, mit der Frauenbewegung sei es bergab gegangen.

Olive Banks dagegen macht Unterschiede zwischen »Feminismus« und »Frauenbe- wegung«, wobei sie zu der letzteren auch solche aktiven Organisationen wie die

»Women's Co-Operative Guild« zählt, die mit Bewegungen verbunden waren, die an- dere Ziele hatten. So war die Aufsplitterung der feministischen Aktivitäten auf Partei- politik, Friedensbewegung und internatio- nale Angelegenheiten nicht notwendiger- weise ein Zeichen für die Schwächung der Bewegung. Vielmehr wurden diejenigen, die versuchten, sich für feministische Ziele auch im Rahmen anderer Organisationen wie zum Beispiel der Konservativen Partei und der Arbeiterbewegung einzusetzen, durch die vorherrschende konservative Sichtweise über die Rolle der Frau und die Trennung der Lebensbereiche von Mann und Frau behindert. Wo Pugh also von Ent- wicklung spricht, schreibt Banks von Kon-

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flikten, was ihre feindselige Haltung ge- genüber dem neuen Feminismus, beson- ders in den 50er Jahren, erklärt, »als er eine grundlegend anti-feministische Haltung mit unterstützte, die auch große Rückwir- kungen auf den Feminismus selbst hatte«.9

Bei allen Historikerinnen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, besteht eine grundlegende Übereinstimmung dahinge- hend, daß die Klassenfrage, besonders wenn sie mit einer bestimmten Parteipolitik ver- bunden war, wesentlich dazu beitrug, die Bewegung nach 1918 zu spalten. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte es eine größere Be- reitschaft gegeben, Klassenschranken zu überwinden und bei bestimmten Aktionen zusammenzuarbeiten. Die Aktivistinnen der entstehenden Arbeiterinnenbewegung hak- ten die Mittelklasse-Feministinnen sozusa- gen in der »Liberal Federation« und den Stimmrechtvereinen unter und arbeiteten mit ihnen bei Themen wie Schwerarbeit, Re- form des Scheidungsrechts und Stimmrecht zusammen. In dieser Hinsicht handelte die britische Bewegung eindeutig anders als ihre kontinentalen Schwesterverbände. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß das Stimmrecht, das die Frauen nun gleichbe- rechtigt mit Männern in die politischen Par- teien trieb, verantwortlich dafür war, daß das Geschlecht als bindende Kraft seinen Ein- fluß verlor und sich statt dessen die Klassen- gegensätze mehr und mehr ausprägten. Eini- ge Historikerinnen haben die wachsende Trennung zwischen den feministischen Or- ganisationen der Mittelklasse und denen der Arbeiterinnenbewegung in den Zwanziger Jahren hervorgehoben.

Laut Harold Smith und Pat Thane war das auf Themen wie Geburtenkontrolle, protektive Gesetzgebung und Familienbei- hilfe zurückzuführen, die die ideologischen Differenzen zwischen dem Feminismus und der traditionellen Labourpolitik deut- lich machten.10 Für Banks dagegen hatte die feindselige Haltung »weniger mit Poli- tik zu tun als mit der Loyalität der Arbeiter- und Gewerkschaftsfrauen der Arbeiterbe- wegung gegenüber.«11 Die allgemeine Re- gel, daß Abgeordnete sich parteikonform

verhielten, wurde besonders von Frauen wie Margaret Bondfield (Arbeitsministerin im Jahre 1929) und Marion Phillips (Vor- sitzende der Frauensektion der Arbeiterpar- tei) befolgt, die ein hohes Amt anstrebten oder bereits innehatten, unabhängig davon, wie ihr ursprüngliches feministisches En- gagement ausgesehen hatte. Trotzdem wa- ren viele weibliche Abgeordnete, wie Brian Harrison aufzeigte, durchaus bereit, sich zusammenzutun, um besondere Gesetze voranzubringen, und es läßt sich nicht leug- nen, daß führende Persönlichkeiten aller Parteien dem Feminismus und seiner po- tentiellen Macht, Frauen auch über die tren- nenden Klassenschranken hinweg zu verei- nen, mißtrauisch gegenüberstanden.12

In einem neuen Buch über Frauen im Labour Movement in der Zwischenkriegs- zeit vertritt Pamela Graves die Ansicht, daß Feministinnen, die dauernd kämpften, »ih- ren spezifisch weiblichen Platz in der Partei einzunehmen«, scheiterten.13 Die entschei- denden Themen in diesem Zusammenhang waren Geburtenkontrolle, Familienbeihilfe und Verfassungsreformen. Wenn daran auch das Scheitern der feministischen Ar- beit innerhalb der Parteien deutlich wurde, so war das doch nicht der einzige Grund für die Spaltung der Frauenbewegung insge- samt. Graves bemerkt, daß die weiblichen Parteimitglieder im Durchschnitt unbewan- dert in der politischen Arbeit waren und keine Erinnerung an die Zeit vor dem Krieg hatten, in der die Zusammenarbeit unter den Frauen gang und gäbe war, sondern erstaunlich klassenorientiert auftraten. In ihren Augen waren die Feministinnen der Mittelklasse, die der Partei nicht angehör- ten, »reiche aber untätige Damen«, die kein wirkliches Verständnis für die Arbeiterklas- se hatten. Nicht einmal die neuen Frauen- rechtlerinnen, die sich in NUSEC zusam- menfanden, einer Organisation, die mit der Arbeiterbewegung und ihrer Sicht der Frauenprobleme viel gemein hatte, konnten diese starke Abneigung aufheben. Soweit scheint ein Einverständnis darüber zu be- stehen, daß es in den Zwischenkriegsjahren eine Ausdifferenzierung der Aktivitäten der

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Frauenbewegung gab, die allerdings mit dem Niedergang des Feminismus einher- ging. Es wird verschiedentlich die Ansicht vertreten, daß die zwanziger Jahre zwar oberflächlich betrachtet als Jahrzehnt der ideologischen Debatten und des organisa- torischen Elans galten, nichtsdestoweniger aber gerade in dieser Zeit die schädigenden Auseinandersetzungen über Fragen der Klassenzugehörigkeit, der Sexualität und des eigentlichen Charakters des Feminis- mus ihren Anfang nahmen. Eines der Pro- bleme, das sich bei der Beschäftigung mit dem Feminismus nach 1918 stellt, ist - und hier kehren wir zu Stracheys The Cause zurück - der Irrtum, das »Goldene Zeital- ter« des edwardianischen Suffragettentums sei eine Periode gewesen, in der feministi- sches Tun zielstrebig auf einen einseitigen Zweck hin ausgerichtet und im Gegensatz hierzu mit dem Erreichen des Stimmrechts für Frauen eine Zeit der Unsicherheit und der Suche nach neuen Zielen angebrochen sei. Eine weitere Schwierigkeit liegt in den unterschiedlichen Interpretationen von

»Feminismus« und »Frauenbewegung«.

Einige sahen in der Ausdifferenzierung der Bewegung hin zu nicht spezifisch femini- stischen Themen und Organisationen ein Zeichen des Niedergangs. Doch, wie Mar- tin Pugh meint, »was von dem einen Blick- winkel aus betrachtet wie ein Niedergang aussah, schien von einem anderen aus eine evolutionäre Weiterentwicklung zu sein«.

14

Wir müssen uns fragen, ob das Engagement der »Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit« und der »Women's Co-ope- rative Guild« in der Friedensbewegung während der dreißiger Jahre nicht eher ein Zeichen für die beständige Stärke des Fe- minismus war als für seine Schwäche.

Mit Ausnahme von Graves haben alle o.g. Historikerinnen die Bewegung von ei- ner nationalen Perspektive aus betrachtet.

Das, so würde ich meinen, könnte leicht zu falschen Schlußfolgerungen führen. Ein Merkmal des britischen Feminismus war immer seine Ausrichtung auf lokale und regionale aber auch überregionale Belange.

Die der Partei verpflichteten Mitglieder

folgten also durchaus nicht immer den Wei- sungen der »Parteiführung«. Wie Graves aufzeigte, blieben die Bemühungen der La- bour Feministinnen auf nationaler Ebene zwar erfolglos, auf regionaler Ebene, in Ortsvereinen und Gemeinderäten aber ar- beiteten sie mit viel Schwung und durchaus auch mit Erfolg. Auf ähnliche Weise belegt eine bisher unveröffentlichte Doktorarbeit von Jane Mark-Lawson, daß in den dreißi- ger Jahren Frauen der Textilstadt Nelson im Norden Englands bei Themen durchaus po- litisch aktiv waren, die etwas mit ihrer Si- tuation als Frau zu tun hatten, ein Engage- ment, das ebenso stark auf nachbarschaftli- cher Zusammenarbeit wie auf einer offiziellen politischen Arbeit basierte.

15

Weil besonders viel über den britischen Feminismus des 19. und 20. Jahrhunderts in London veröffentlicht wurde, betrachten wir die Bewegung nur zu leicht als national und homogen, obwohl tatsächlich die meiste Arbeit regional geleistet wurde. Liddington und Norris bewiesen diese Vermutung mit ihrer sehr beeindruckenden Arbeit über die Frauenrechtlerinnen in Lancashire.

16

Heute gibt es auch Veröffentlichungen über Wales und Schottland, aber immer noch bestehen Lücken im Hinblick auf die Städte Manche- ster, Liverpool, Birmingham und Bristol.

17

Die Ironie an der Sache ist, daß für Diplom- und Doktorarbeiten viel in kleinen Gemein- den recherchiert wurde, daß die meisten Ar- beiten aber nicht veröffentlicht wurden.

Wichtig ist auch, daß man nicht nur einzelne Aktionen zu bestimmten Themen unter- sucht, sondern auch intellektuelle Querden- kerlnnen und die sozialen Vernetzungen nä- her betrachtet, wodurch die örtlich wie auch regional organisierte Frauenbewegung ihr eigentliches Profil erhielt. Erst wenn wir sehr viel mehr über die Frauenbewegung wissen - und zwar vor und nach dem Krieg - , auf örtlicher und auf nationaler Ebene, können wir ihre Stärken und auch ihre Schwächen vollkommen würdigen und end- lich das Vermächtnis von The Cause distan- zierter betrachten.

A. d. Engl, übersetzt v. Beate L. Menzel

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Anmerkungen

1 Ray Strachey, The Cause. Erstveröffentlichung 1928. Virago, London 1978.

2 Jane Lewis, »Beyond Suffrage: English Femi- nism in the 1920s«, in: The Maryland Historian, Bd. VI, Nr. 1, Frühling 1975, S. 1-17.

3 ebd., S. 6 - 7 .

4 Johanna Alberti, Beyond Suffrage. Feminists in War and Peace, 1914-1928. Maximilian Press, London 1989, S. 189.

5 Susan Kingsley Kent, »Gender reconstruction af- ter the First World War«, in: Harold L. Smith (Hrsg.): British Feminism in the Twentieth Cen- tury. Edward Elgar, Aldershot, Hants., 1990, S. 66.

6 Sheila Jeffreys, The Spinster and Her Enemies:

Feminism and Sexuality, 1880-1930. Pandora, London 1985.

7 Martin Pugh, Women and the Women i Move- ment in Britain 1914-1959, Macmillan, Lon- don 1992 und Olive Banks, The Politics of Brit- ish Feminism 1918-1970, Edward Elgar, Al- dershot, Hants., 1993.

8 Pugh, a.a.O., S. 284.

9 Banks, a.a.O., S. 3.

10 Harold Smith, »Sex versus Class: British Femi- nists and the Labour Movement, 1919-1929«, in:

The Historian 8, December 1985, und Pat Thane,

»The women of the British Labour Party and fe- minism, 1906-1945« in: Harold L. Smith, Bri- tish Feminism in the Twentieth Century, a.a.O.

11 Banks, a.a.O., S. 128.

12 Brian Harrison, Prudent Revolutionaries. Por- traits of British Feminists between the Wars.

Clarendon, Oxford 1987.

13 Pamela M. Graves, Labour Women. Women in British Working-Class Politics 1918-1939.

Cambridge University Press, Cambridge 1994.

14 Pugh, a.a.O., S. 136.

15 Jane Mark-Lawson, »Women, Welfare and Urban Politics: A Comparative Analysis of Luton and Nelson 1917-1934«, unveröffentlichte Disserta- tion, Lancaster University 1987.

16 Jill Liddington und Jill Nortis, One Hand Tied Behind Us. The Rise of the Women's Suffrage Movement. Virago, London 1978.

17 Zum Beispiel: Eleanor Gordon, Women and the Labour Movement in Scotland, 1850-1914.

Clarendon Press, Oxford 1986; Esther Breiten- bach und Eleanor Gordon (Hrsg.): Out of Bounds. Women in Scottish Society 1880- 1945. Edinburgh University Press, Edinburgh 1992; Angela V. John (Hrsg): Our Mothers 'Land.

Chapters in Welsh Women's History 1830- 1939. University of Wales Press, Cardiff 1991.

Regine Othmer-Vetter

Blick zurück mit Zorn?

A propos du MLF

1994 wird in Frankreich der fünfzigjähri- gen Befreiung von der Okkupation durch Nazideutschland gedacht. Neben diesem mit großem Aufwand begangenen Jubilä- um sollten zwei für die Frauenbewegung wichtige Ereignisse nicht vergessen wer- den: Vor fünfzig Jahren erhielten die Fran- zösinnen endlich das Wahlrecht - ein Fak- tum, das vielleicht deshalb geringe öffent- liche Aufmerksamkeit erfährt, weil es noch in die Zeit des Vichy-Regimes fällt (21. 4.

44). Zum andern der fünfundvierzigste Geburtstag von Simone de Beauvoirs Buch

Le deuxième sexe.

Von 1949 an sollte es in Frankreich noch einmal etwa zwanzig Jahre dauern, bis die wichtigste These dieses Buches - die Frau ist das Andere - im öffentlichen Raum durch eine neue Frauenbewegung politisch militant gewendet wurde. Dann erst fand auch seine Autorin einen prak- tisch-politischen Zugang zum Feminismus.

Noch später - einige behaupten schon da- mals - werden sich verschiedene französi- sche Frauengruppen durch ihre Stellung zu Beauvoir polarisieren. Angesichts der für die neue Frauenbewegung international un- umstrittenen Bedeutung von Le deuxième

sexe war die Schärfe der Kontroversen oft

nicht nachvollziehbar. Sie resultierte nicht allein aus theoretischen Differenzen, son- dern auch aus besonderen Praktiken inner- halb der französischen Frauenbewegung.

Françoise Picq

1

stellt deren Aufstieg

und Zerfall zwischen Anfang der siebziger

und Anfang der achtziger Jahre dar. Sie be-

harrt auf einem emphatischen »Wir Frau-

en« als Ausgangspunkt der Bewegung, ge-

genüber allen späteren Differenzen, ohne

diese deshalb zu unterschlagen. Picq teilt

viel von dem emotionalen Klima mit, das

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entstand, als die verkrusteten Strukturen der Nachkriegsgesellschaft aufbrachen und als die Frauen aus ihrer Isolation herauska- men, um das »Wir« zu entdecken. Das war wie der Beginn einer Liebesaffare. Der er- ste Teil des Buches heißt denn auch »Die Zeit der Entdeckung«, der zweite »Die Zeit der Widersprüche«. Es ist eine narrative Darstellung, die Distanz zum Geschehen wahren will, aber einen fast intimen Cha- rakter annimmt. Der Eindruck des Intimen entsteht, mehr noch als aus der Binnensicht der Autorin, die in die Ereignisse involviert war, durch die Einfarbung des Materials auf das sie sich stützt: anonyme Stimmen von Frauen, nur mit Vornamen oder Initia- len gezeichnete kleine Artikel aus schnell zusammengehefteten Broschüren, Flug- blätter, vergessene feministische Zeit- schriften. Materialien, die wir oft zu un- recht »graue Literatur« nennen. Das Ver- gangene ist polylogisch, nimmt die einander oft widersprechenden Stimmen einzelner und Gruppen von Frauen auf, welche einmal unter dem Zeichen des MLF (Mouvement de la Libération des Femmes - Frauenbefreiungsbewegung) versammelt werden konnten. Picq bringt den lebendi- gen Untergrund späterer Richtungskämpfe zum Vorschein. In Zeiten des Anonymats wurden Rechtstitel auf Positionen noch nicht angemeldet, blieben Differenzen da- her auch vorläufig unmarkiert. Picq macht die Differenzen erkennbar, ohne das Urteil der Parteigängerin, zu der sie geworden ist, immer schon in Anschlag zu bringen.

Trotz der »intimen« Darstellung ist Picqs Buch kein subjektiver Erfahrungsbe- richt, es stützt sich auf eine umfangreiche Studie über die Frauenbefreiungsbewe- gung und ihre gesellschaftlichen Auswir- kungen, die zwischen 1984 und 1987 am CNRS in Zusammenarbeit mit Liliane Kandel, Françoise Ducroq und Nadja Rin- gart entstand (359). Picq erläutert deren methodische Orientierungen, die zugleich die des Buches sind. Ihr Ausgangspunkt liegt in der Einsicht der neuen Frauenbewe- gung - die übrigens auf Beauvoir zurück- geht - , daß es keine Erkenntnis über die

gesellschaftliche und kulturelle Unter- drückung der Frauen außerhalb der persön- lichen, der gelebten Erfahrung (le vécu) ge- ben könne. Deswegen wurde die Analyse der schriftlichen Hinterlassenschaft des MLF durch eine Untersuchung zur Lebens- praxis der Beteiligten ergänzt. Mit Hilfe von etwa zwanzig lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen unterschiedlicher so- zialer, kultureller oder religiöser Herkunft, politischer und sexueller Orientierung etc., die an den Anfängen der Bewegung betei- ligt waren, sollte Aufschluß über biographi- sche Wurzeln und lebensgeschichtliche Be- deutung feministischen Engagements ge- wonnen werden.2 Die Interviews wurden in einem zweiten Schritt durch eine umfang- reiche Fragebogenaktion ergänzt, deren Auswertung den allgemeinen sozialstruk- turellen Befund der Rekrutierung des größten Teils der Feministinnen aus den ab- hängig beschäftigten Mittelschichten be- stätigte. Die Entscheidung für den Feminis- mus kann selbstverständlich nicht allein durch diese Daten erklärt werden. Der so- zialpsychologische Zugang der Studie, sagt Picq, ermöglichte es zu zeigen, daß und wie jede einzelne zur Trägerin eines kollektiven Prozesses geworden war. Dabei sollte der Unterschied zwischen persönlichen Ent- würfen und unbewußt realisierten Strategi- en beachtet werden (361). Die Darstellung der Geschichte des MLF beschränkt sich auf Paris, bezieht sich nicht auf die Grup- pen in der Provinz, denen es überlassen bliebe, ihre eigene und wie Picq vermutet, weniger konfliktreiche Geschichte zu schreiben (363).

Es geht also auch um Konflikte und es geht Picq ausdrücklich darum, eine histori- sche Wahrheit zu restituieren: Daß nämlich die Frauenbefreiungsbewegung (MLF) als soziale Bewegung nicht aus einem Grün- dungsakt hervorgegangen ist, den zwei oder drei Frauen zu verantworten hätten.

Diese Klarstellung hat ebenso wie eine dar- an anschließende über verschiedene Schreibweisen von MLF, Mouvement des Femmes, le Mouvement mit den Besonder- heiten der Entwicklung in Frankreich zu

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tun, wo MLF ein eingetragenes Warenzei- chen ist. Da wären wir dann schon mitten in der Wiedergabe eines Teils von Picqs Erzählung, die sich im Geflecht weiter be- stehender Auseinandersetzungen situiert.

Picq bemüht sich, die mit der Registrierung von MLF als »marque déposée« durch An- toinette Fouque von Édition des femmes im November 1979 einsetzende Geschichte ei- ner Enteignung rückgängig zu machen.

Nach der Registrierung konnte der öffent- liche Gebrauch von MLF durch andere als die Titelinhaberinnen gerichtlich geahndet werden.

3

Dieser Akt kam einer Beschlag- nahmung der Geschichte einer sich aus ver- schiedenen Gruppen rekrutierenden auto- nomen Bewegung gleich, die dieses Kürzel

»ungeschützt« verwendet hatte. Seitdem gibt es die Frage »Wem gehört das MLF?«, der auch ein Kapitel des Buches gewidmet ist (292f.). Der Streit um die Geschichte ist Anfang der neunziger Jahre zu einem Streit um Gründungsakte geworden, nachdem im Dezember 1990 in verschiedenen französi- schen Medien verlautete, das MLF sei 1970 von drei Frauen gegründet worden, von Antoinette Fouque, Josiane Chanel und Monique Wittig. Ganz ähnlich war es auch in einem Interview mit Antoinette Fouque aus dem Débat nachzulesen, das 1991 in deutscher Übersetzung

4

erschien.

1991 schreibt Christine Delphy in den

Nouvelles Questions Féministes einen Arti-

kel über »Ursprünge der Frauenbefreiungs- bewegung in Frankreich«,

5

der gegen das Renommée, das Antoinette Fouque sich als deren angebliche Gründerin in der publizi- stischen Öffentlichkeit verschaffte, die

»facta bruta« geltend machen will. Wenn, wie bei Delphy und zum Teil auch bei Picq, die Geschichte des MLF als Ereignisge- schichte rekonstruiert wird, so kann wohl datiert werden, wann der Name MLF in der Öffentlichkeit zum ersten Mal auftaucht und mit welchen Gruppen und welchen Personen Aktionen vorbereitet und durch- geführt wurden. Delphy betont, daß Fouque entweder nicht partizipiert oder sich doch zumindest mit »Klauen und Zäh- nen« gegen bestimmte Aktionen gesperrt

habe. So etwa gegen die Publikation einer Sondernummer der Zeitschrift Partisans

»Libération des Femmes: année zéro« von Juli/Oktober 1970, mit der Picq den Beginn des MLF datiert.

Picq berichtet auch von der Vorgeschich- te: seit 1967 waren verschiedene kleine Gruppen entstanden wie Féminin, masculin,

avenir (FMA), der Delphy 1968 beitrat.

Während des Mai 68 radikalisierte sich die- se Gruppe und FM A hieß nunmehr Féminis-

me, marxisme, action, ihr gehörten auch

Männer an. Nur aus Frauen bestand dagegen eine andere an der chinesischen Kulturrevo- lution orientierte Gruppe, die sich im Mai 68 konstituierte, der u.a. Monique Wittig, Jo- siane Chanel und Antoinette Fouque ange- hörten. Erste Treffen dieser beiden Gruppen zeitigten heftige Debatten über die Inan- spruchnahme des Begriffs Feminismus und das Erbe der Frauenrechtskämpfe. Daß diese übrigens nahezu unbekannt waren, mag ein unfreiwilliges Rezeptionsergebnis von Beauvoirs deuxième sexe sein, in dem die Geschichte der Frauenbewegung bekannt- lich eine gering geschätzte Rolle spielt.

Fouque wies die feministische Erbschaft als bürgerlich und reformistisch zurück, sie sollte daran festhalten, sich niemals als Fe- ministin zu definieren.

6

Es entstanden Affi- nitäten und Gegensätze quer zu den Aus- gangspositionen der Gruppen. Monique Wittig und andere schlössen sich der von Delphy vertretenen Position an, daß Frauen jenseits der Klassenunterschiede aufgrund der ihnen gemeinsamen häuslichen Ausbeu- tung einer sozialen Kategorie zuzurechnen sind. Gegen die marxistische »Nebenwider- spruchsthese« setzte Delphy die vom

»Hauptfeind«,

7

vom Patriarchat. Dieser Analyse folgend mußte auch die geschlecht- liche Arbeitsteilung innerhalb der eigenen politischen Gruppe zum Problem werden:

MFA trennte sich von seinen männlichen Mitgliedern, die Frauen waren autonom ge- worden.

Es begann die Zeit der öffentlichen Auf-

tritte und Aktionen: eine Frauenversamm-

lung in der Universität Vincennes, eine So-

lidaritätskundgebung von nicht einmal

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zehn Frauen für die anläßlich des 50. Jah- restages des Frauenwahlrechts streikenden Amerikanerinnen durch die Ehrung der

»Frau des unbekannten Soldaten« am Are de Triomphe. Provokation der »General- stände der Frau«, einer durch Meinungs- umfragen von der Zeitschrift Elle vorberei- teten Aktion. Protest gegen deren An- spruch, alle Frauen vertreten zu wollen und Verbreitung eines Gegenfiragebogens,

8

So- lidaritätsaktion mit den streikenden Arbei- terinnen einer Tricotagenfabrik etc.

Schließlich die Kampagne zur Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs, die durch die berühmt gewordene und später auch bei uns nachgeahmte Selbstbezichtigungsakti- on der 343 von 1971 intiiert wurde. In die- sem Zusammenhang entstand die Gruppe

Choisir (Wählen), der die Anwältin Gisèle

Halimi, Simone de Beauvoir, Delphine Seyrig und ähnliche Berühmtheiten ange- hörten aber auch Frauen aus »der Bewe- gung«. Da es sich um eine eingetragene Vereinigung handelte, mit dem Ziel, fortbe- stehende gesetzliche Diskriminierungen abzuschaffen, nennt Picq sie die »legale und respektable Seite der informellen und radikalen Bewegung« (69). Im Umfeld die- ser Gruppe entstand die Idee zu den »Tagen der Mutualité« 1972, wo Anklage gegen die Verbrechen an Frauen geführt wurde.

9

In einem von Florence Hervé und Ma- rieluise Christadler herausgegebenen Sam- melband,

10

der sich durch die Zusammen- arbeit zweier Herausgeberinnen unter- schiedlicher Staatsangehörigkeit als Ver- such einer transnationalen Vermittlung empfiehlt, werden im Überblick einige Ka- pitel der Geschichte der französischen Frauenbewegung von der Französischen Revolution bis heute aufgeschlagen. Der Band enthält zwei Beiträge von Florence Hervé (zu Revolten und Revolutionen zwi- schen 1789 und 1871 und zur Résistance), Beiträge zu Feminismus und Pazifismus zwischen 1914 und 1940 (Christine Bard) zur »Frauenarbeit« (Françoise Thébaud) zum Kampf um die Geburtenkontrolle (Anne Kova), einen Text von Benoite Groult zum alten und neuen Antifeminis-

mus. Die meisten Beiträge zeichnet Marie- luise Christadler. Sie schreibt über die

»Musen der Republik«, die »Frauenbewe- gung in der Dritten Republik«, den »Kampf der Französinnen um politische Gleichbe- rechtigung« und über Frauen und gesell- schaftlichen Wandel. Leider enthält das Buch einige Flüchtigkeiten und Ungereimt- heiten. So etwa erhielten bei Hervé die Französinnen das Wahlrecht nach der Be- freiung (S. 104), bei Christadler dagegen durch Regierungsdekret am 21. 4. 1944.

Das Datum bleibt unkommentiert. Mag frau sich auf den Widerspruch einen trans- nationalen Reim machen! Für einen schnel- len Überblick und punktuelle Einblicke in die Frauengeschichte Frankreichs ist der Band trotzdem nützlich.

Zur Geschichte des MLF und dessen politisch-kulturellem Kontext schreibt vor allem Marieluise Christadler, die sich ver- schiedentlich auf Picqs Buch bezieht. Sie folgt den oft verschlungenen Pfaden ihrer Darstellung nicht und greift der besseren Übersicht halber für die im MLF vertrete- nen Gruppen auf eine Einteilung zurück, die Maité Albistur und Daniel Armogathe schon 1977 in ihrer Histoire du féminisme

français vorgeschlagen haben. Danach

können vier Haupttendenzen unterschieden

werden: Die Revolutionären Feministin-

nen, die sich von allen Parteien und Ver-

bänden distanzierten und die zu Initiatorin-

nen verschiedener größerer Aktionen wur-

den. Unter ihnen ein »Fest der Mütter« zum

Muttertag 1971, eine Demonstration gegen

die Ausbeutung der Mütter, einen Markt

der Frauen in Vincennes 1973. Der Cercle

Elisabeth-Dimitriev" (aus einer trotzkisti-

schen Gruppe hervorgegangen) und die

Tendance Lutte de classe (die der ebenfalls

trotzkistischen Ligue communiste révolu-

tionnaire) nahestand. Während die Revolu- tionären Feministinnen ihr Hauptziel in der

Abschaffung des Patriarchats sahen, hielten

die anderen an der Priorität des Klassen-

kampfes fest, gingen aber sporadische

Bündnisse ein und veränderten ihrem femi-

nistischen Engagement entsprechend die

Strukturen der gauchistischen Organisatio-

(10)

nen, denen sie angehörten (vgl. Picq, 231).

Von diesen Gruppen unterschied sich Psy- chépo (Psychanalyse et Politique)12 radi- kal. Der Feminismus galt dort als Sackgas- se für die Erforschung und die Bewertung der Geschlechterdifferenz. Feminismus war das »zum Mann werden« der Frau. Die Frauen von Psychépo lehnten es ab, in einer männlich homologisierten Gesellschaft an politischer Macht zu partizipieren, wäre dies doch eine Homogenisierung ihrer spe- zifischen Differenz gewesen. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, sich an den ver- schiedensten Aktionen zu beteiligen, die Édition des femmes und Buchläden zu gründen und zu einer respektablen ökono- mischen Macht zu werden.

Picq, die als Besonderheit der neuen französischen Frauenbewegung im interna- tionalen Vergleich hervorhebt, daß sie sich insgesamt auf der äußersten Linken situier- te, nennt drei Tendenzen, verwirft aber im Unterschied zu Christadler eine Klassifika- tion nach deren Muster.

Den Akzent auf Tendenzen zu setzen, zu ungunsten der Gruppen, der Projekte, der Formen des Kampfes, der Reflexionsthe- men, heißt die Bewegung in Schemata ein- schließen, denen sie sich gerade entzog. ...

Das heißt die Frauenbewegung mit einer x-beliebigen gewerkschaftlichen oder poli- tischen Organisation zu vergleichen (190).

Daß sie das nicht tut, sondern im ersten Teil des Buches von Aktionen, Projekten, Theo- rieentwürfen handelt, an denen sich ver- schiedene (noch) nicht klar konturierte Grüppchen beteiligten, und daß sie nicht strikt chronologisch verfährt, erleichtert ne- ben dem Fehlen eines Registers nicht die Übersicht über das Geschehen. Aber das Buch ist so reich an Informationen, die uns sonst nicht zugänglich sind, daß es über- setzt werden sollte. Detailreichtum weist es auch im zweiten Teil auf, in dem es um die Widersprüche geht, die sich im Traum von der Schwesterlichkeit verbargen und die sich im Laufe der Jahre so zuspitzten, daß Allianzen immer schwerer möglich wur- den. Dazu gehört die Auseinandersetzung zwischen heterosexuellen und lesbischen

Frauen, die Debatte um Reform oder Revo- lution, der Coup von Psychépo - Édition des Femmes, das Aufbrechen der Diskussi- on um Gleichheit oder Differenz:

Es gibt zwei Wege, sagt man bei Psychépo, wo man die maoistische Dialektik prakti- ziert. Die reformistische Perspektive der Feministinnen, die an die »Schwesterlich- keit« glauben und den Konflikt und seine Dynamik zurückweisen, das ist »zwei fusio- nieren zu einem«. Die revolutionäre Linie von Politik und Psychoanalyse ist: »Eins teilt sich in zwei!« (Picq 191).

Im Umkreis dieser Gruppe, die ihre Theo- rien nicht schriftlich fixierte, entstand in kritischer Auseinandersetzung mit der Lacanschen Psychoanalyse die Praxis »der Arbeit am weiblichen Unbewußten«, die über die nationalen Grenzen hinaus be- kannt und produktiv gemacht wurde. Früh schon findet sie Anhängerinnen in Italien, die »Mailänderinnen« haben es dokumen- tiert. - Als teilnehmende Beobachterin der Pariser intellektuellen Frauenszene kenn- zeichnet Rosi Braidotti die Position Antoi- nette Fouques, der Wortführerin der Grup- pe, als einen Kampf gegen das »Gesetz des Vaters«, das nach Lacan den Eintritt in die

»symbolische Ordnung« bewirkt. Fouque ging es um die Wiederaneignung der Mut- terbeziehung durch die Frauen. Durch po- sitive Identifizierung mit der Mutter sollte diese symbolisch aufgewertet und die weibliche Kreativität verstärkt werden. Da- mit würde der Keim einer symbolischen Revolution gelegt, welche die Position des strukturellen Ausgeschlossenseins von Weiblichem in der Kultur überwindet. Wie andere französische Differenztheoretike- rinnen unterschied Fouque die homosexu- elle weibliche Libidoökonomie von der les- bischen Position, welche als symmetrisch zu einer phallozentrischen verstanden wur- de. Danach war eine lesbische Position ideologisch und die der weiblichen Libi- doökonomie revolutionär. Den Weg der weiblichen Libidoökonomie einzuschla- gen, bedeute auch zu einer neuen Definiti- on von Heterosexualität zu gelangen, einer

(11)

solchen nämlich, die der Relevanz der Ge- schlechterdifferenz Rechnung trägt.

13

Anti- feministische Haltungen verschwisterten sich hier mit einer radikalen Utopie, mit einem großen Entwurf zur Befreiung des Weiblichen, die mit Hilfe einer »Praxis des Unbewußten« durchgesetzt werden sollte, in der andere nichts als die Etablierung neuer Herrschaftsstrukturen durch den sy- stematischen Einsatz einer »wilden Psy- choanalyse« sahen.

14 Psychépo stellt in ge-

wisser Weise den bewegten Hintergrund dar, für das, was unter dem Label »New french feminism« international verbreitet und diskutiert werden sollte. Braidotti erin- nert daran, daß jede Frauenbewegung ihre Mütter und Tochter kennt, und sie versucht, die Konfliktlinien innerhalb der französi- schen Frauenbewegung auch als intergene- rationelle auszuweisen. Sie sieht, daß die Angriffe »Lacanianischer Weiblichkeits- theoretikerinnen« auf Beauvoir wegen de- ren Phallizismus und impliziten Mysogy- nie ein hoher Preis sind, um Programme zu formulieren, die den Feminismus mit post- strukturalistischen und dekonstruktivisti- schen Theorien verknüpfen. Es muß aber wohl anerkannt werden, daß hier eine Ver- schiebung stattfand, die ein bis dahin unbe- kanntes Feld der Reflexion eröffnete.

15

Un- abhängig von der Gewaltsamkeit, mit der die neuen Positionen dann durchgesetzt werden sollten,

16

muß eine internationale Bedeutung der neuen französischen Frau- enbewegung doch hier gesucht werden.

Freilich kann auch danach gefragt wer- den, ob nicht anstelle der in der Theorie so viel bemühten symbolischen Mutter

17

gele- gentlich eher ein Mann die Rolle des

»Briefträgers« gespielt hat, »als eine In- stanz, die bestimmte theoretische Positio- nen sozusagen für den Weitertransport qua- lifiziert«, wie es Geneviève Fraisse 1993 in einem Interview

18

formuliert, das für die hier berührten Zusammenhänge auch sonst instruktiv ist. Die »Briefträger-Frage« ließe sich verknüpfen mit der Thematik eines

»Feminismus männlichen Geschlechts« als einer französischen Besonderheit, auf die Florence Hervé und Marieluise Christadler

mit Benoite Groult immer wieder hinwei- sen. Hinter dem Geschmack an der sexuel- len Differenz steht die lange Tradition einer Kultivierung des erotischen Umgangs der Geschlechter miteinander und einer symbo- lischen Repräsentation der Frau, die in pro- testantischen Ländern ihresgleichen sucht.

Zwischen Mitte und Ende der siebziger Jahre verrannte sich die Frauenbewegung in der doppelten Sackgasse zwischen Natu- ralismus und Soziologismus, konstatiert Picq mit Braidotti (263). Aber anders als andere macht sie nicht die Spaltungsten- denz von Psychgpo allein für den Zerfall der Bewegung verantwortlich, sondern stellt ihn in den Zusammenhang mit allge- meinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, die schließlich nach dem Wahlsieg der Sozialisten zur Einrichtung eines Frauenministeriums führten, das sich der großen Kampagnenthemen annahm.

Die Erfahrung der Frauen aus der Bewe- gung sei dabei nicht mehr gefragt gewesen (332). Andererseits sind Erfolge zu ver- zeichnen: wie andernorts ist die Frauenbe- wegung in Frankreich an der gesellschaft- lichen Modernisierung beteiligt. »Die Re- form ist nicht einfach die Antithese der Revolution, wie man es im Fieber der Ak- tion glaubte. Sie ist ebensosehr ihre Resul- tante« (349). Der in den siebziger Jahren

»unerhörte« Diskurs der Feministinnen sei

in den Achtzigern »unhörbar« geworden

und es habe sich ein Konsens hergestellt,

der den Kampf besiegeln wollte, schreibt

Picq. Mitte der achtziger begruben die Me-

dien den Feminismus zusammen mit Simo-

ne de Beauvoir, während gleichzeitig die

neuen Beziehungen zwischen Männern und

Frauen, die neue Macht der Frauen gefeiert

wurden (349). Kann es bei diesem trauri-

gen Abgesang belassen werden? Hat sich

am Kern des Verteilungsmodus zwischen

Männern und Frauen nichts verändert? Ma-

rieluise Christadler formuliert distanzierter

aber doch in Anlehnung an Picq: Wenn der

Feminismus ... aus der Mode gekommen ist und gelegentlich sogar einem ausge- sprochenen Antifeminismus Platz macht, so nicht, weil seine Ziele erreicht wurden, son-

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dern weil inzwischen der Gedanke an eine aktive Interessengemeinschaft der Frauen als Kollektivismus verschrieen und der Glaube an den Fortschritt als Ideologie diskreditiert ist. Dabei hat sich doch gera- de im Fall des MLF die Utopie als listiger Umweg zu einem insgesamt befriedigenden Fortschritt erwiesen ( 186).

Anmerkungen

1 Françoise Picq: Libération des Femmes. Les Années-Mouvement, Paris: Seuil 1993, 381 S.,

135 F.

2 Die Lebensgeschichte dieser ersten Gruppe von Befragten wies unerwartete Besonderheiten auf, die es, wie Picq bemerkt, wert wären, anhand einer größeren Population verifiziert zu werden.

Dies waren die große Bedeutung des Mutterbildes und der mütterlichen Abstammung in der Her- kunftsfamilie, die Wichtigkeit der TÖchterfamili- en und nicht traditionale Formen der familialen Arbeitsteilung (360).

3 Tatsächlich geschah das auch, wie Picq berichtet, als sich aus Protest gegen diesen Enteignungsakt eine Assoziation mit dem Namen »Mouvement pour les luttes féministes. MLF« gebildet und die

»Chroniques d'une imposture« (Chronik eines Betrugs) mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir 1981 beim Verlag Tierce publiziert hat- te: Die G.m.b.H. Des Femmes klagte wegen il- loyaler Konkurrenz und gewann den Prozeß (Picq 1993: 310).

4 Antoinette Fouque: Frauen in Bewegungen. Ein Gespräch. In: Freibeuter Nr. 48/1991.

5 Christine Delphy: Les origines du Mouvement de libération des femmes en France. In: Nou- velles Questions Féministes. Nr. 16-17-18/

1991.

6 »Was den Feminismus betrifft, so wußte ich da- mals überhaupt nicht, was das war und aus heu- tiger Sicht würde ich sagen, daß ich das bedauere.

Es war ein Zeichen dafür, daß ich von den Kämp- fen der Frauen in der Geschichte keine Ahnung hatte. Aber ich möchte betonen, daß mich mein Mißtrauen gegen Ideologien, in denen ich damals genauso gefährliche Illusionen eiblickte wie in den Religionen, davor bewahrt hat, mich jemals als Feministin zu definieren« (Fouque in Freibeu- ter 48/1991, 39).

7 Ihr Aufsatz mit dem Titel »L'ennemi principal«

erschien in der genannten Nummer der Zeitschrift Partisans, zusammen mit einem von Margaret Benston zur politischen Ökonomie der Frauenbe- freiung, Anne Koedts »Mythos vom vaginalen Orgasmus«, Christiane Rocheforts »Le mythe de

la frigidité féminine« und vielen anderen z. T. aus dem Amerikanischen übersetzten Texten.

8 Ein Beispiel: »Wenn eine Frau ihren Mann be- trügt fragte Elle, ist das in jedem Fall ein unver- zeihlicher Fehler? Je nach dem Umständen ein mehr oder weniger entschuldbarer Fehler? - Sind Sie der Ansicht, übersetzten sie, daß eine Frau, die ihren Unterdrücker mit anderen Frauen teilt, das Recht hat, sich anderswo unterdrücken zu lassen?« (nach Picq. S. 22).

9 Alle Frauen waren aufgerufen, Zeugnis abzulegen von den »legalen, täglichen, unsichtbaren Verbre- chen, diese Verbrechen, die manchmal so perfekt sind, daß die Opfer sich ihrer gar nicht bewußt sind oder sich selbst für schuldig halten« (Picq, 135).

10 Marieluise Christadler, Florence Hervé (Hrsg.):

Bewegte Jahre - Frankreichs Frauen, Düssel- dorf: Zebuion-Verlag 1994, 237 S„ DM 24,80.

11 Wer war Elisabeth Dimitriev? Das wußte von den MLF Frauen auch keine, schreibt Picq. Sie war während der Tage der Commune die Hauptinfor- manün für Marx gewesen (Picq 1993, 225).

12 Statt »Psychoanalyse und Politik«, wie die kor- rekte Übersetzung wäre, heißt diese Gruppe bei Christadler und Hervé »Psychologie und Politik«.

13 Rosi Braidotti: Patterns of Dissonance. A study of women in contemporary philosophy. Cam- bridge: Polity Press, 1991, S. 227.

14 Vgl. Delphy a.a.O.

15 Vgl. Braidotti a.a.O., S. 228.

16 Es hat Frauen gegeben, die sich durch die Arbeit an sich selbst, am eigenen Unbewußten, an stali- nistische Rituale der Selbstkritik erinnert fühlten.

Wobei die Psychoanalyse den Platz des Marxis- mus eingenommen habe, der es erlaubte, Gedan- ken oder Handlungen völlig entgegen den ur- sprünglichen Intentionen zu deuten (Picq 193).

17 In der Psychoanalyse spielen Genealogien nicht nur theoretisch eine Rolle. Es ist in den psycho- analytischen Gemeinschaften von großer Bedeu- tung, wer wen analysiert hat. In Elisabeth Roudi- nescos Geschichte der Psychoanalyse in Frank- reich (La bataille de cent ans. Histoire de la psychanalyse en France. 2, Paris: Seuil 1986) war nachzulesen, daß Antoinette Fouque von Luce In- garay und die wiederum von Serge Leclaire ana- lysiert wurde. Eine andere Genealogie hat Michelle Bouraux-Hartemann in einem ironi- schen Artikel zur »Bewegung von Serge Antoi- nette Lacan« ausgemacht. (Le mouvement de Ser- ge Antoinette Lacan. In: J. Sedat (ed.): Retour à Lacan, Paris: Fayard 1981).

18 Über Geschichte, Geschlecht und einige damit zusammenhängende Denkverbote. Ein Gespräch mit Geneviève Fraisse geführt von Eva Horn. In:

Neue Rundschau. 104. Jahrgang 1993, Heft 4.

(13)

Georges Duby, Michelle Perrot (Hrsg.):

Geschichte der Frauen.

Bd. 2: Mittelalter, hrsg. v. Christiane Kla-

pisch-Zuber. (Zuerst: Storia delle Donne in Occidente, Vol. 2: Il Medioevo, Rom 1990) Editorische Betreuung der deutschen Aus- gabe: Claudia Opitz. Frankfurt/New York:

Campus Verlag 1993, 584 S„ DM 88,-.

Zum ersten Mal gibt es nun ein umfangrei- ches und mit Abbildungen gut ausgestatte- tes Werk, das für die Zeit von der Antike bis in die Gegenwart in fünf Bänden For- schungsergebnisse über die Geschichte von Frauen vorstellt. 1990 erschien es zunächst in italienischer, 1991 in französischer Spra- che, acht weitere Übersetzungen entstehen zur Zeit (u.a. eine japanische und eine por- tugiesische). Georges Duby und Michelle Perrot zeichnen federführend verantwort- lich für die Gesamtherausgabe in einem in- ternational zusammengestellten Team von Autoren und Autorinnen einzelner Beiträ- ge. Jeder Band behandelt in sich geschlos- sen eine traditioneller Chronologie entspre- chende Epoche und ist von ein oder zwei spezialisierten Herausgeberinnen betreut worden. Die räumliche Begrenzung um- spannt das europäische Abendland. Band 1 widmet sich der Antike (Herausgeberin ist Pauline Schmitt Pantel), Band 2 dem Mit- telalter (Christiane Klapisch-Zuber), der 3. Band behandelt die Frühe Neuzeit (Ar- iette Farge und Natalie Zemon Davis), die Bände 4 und 5 gelten dem 19. (Geneviève Fraisse und Michelle Perrot) und dem 20.

Jahrhundert (Françoise Thébaud).

Die deutsche Übersetzung durchlief eine erneute Durchsicht und Aufbereitung und wurde getragen von einem Team bun- desdeutscher Spezialistinnen der Frauen- und Geschlechtergeschichte für die jewei- lige Epoche: Die editorische Betreuung der Gesamtausgabe liegt in den Händen von Heide Wunder, die, zusammen mit Rebekka Habermas, auch den Einzelband über die Frühe Neuzeit herausgibt. Den An- tikenband koordinierte Beate Wagner-Ha- sel, für das Mittelalter zeichnet Claudia

Opitz verantwortlich, das 19. Jahrhundert präsentiert Karin Hausen und das 20.

Gisela Bock.

Ich möchte im folgenden den Mittelal- terband vorstellen: Am Anfang stehen

»Normen und Diskurse«: Fünf Beiträge er-

füllen die Aufgabe, den gesellschaftlichen

Rahmen für weibliches Handeln aus den

Vorstellungen von Männern über das We-

sen, über Ort und Raum der Geschlechter

herzuleiten. Jacques Dalarun berichtet über

die Entstehung des Jungfräulichkeitsidea-

les aus klerikaler Misogynie. Dabei erwei-

tert und differenziert er die bisher zu domi-

nant gesehene Polarität zwischen Eva und

Maria um eine dritte Figur: Maria Magda-

lena, die reuige Sünderin, deren Bedeutung

als entlastender Orientierungsfigur für vie-

le Frauen er deutlich herausarbeitet. Die

Abwehr des Weiblichen findet in den Theo-

rien der Ärzte und Naturwissenschaftler

ihre Entsprechung, wobei Claude

Thomasset auf die spannungsreiche Aus-

einandersetzung mit der meist ignorierten

arabischen Medizin hinweist, die der Frau

ein Recht auf Lust zuerkennt. So weltfremd

und absurd die Theorien über die »Natur

der Frau« insgesamt scheinen mögen, for-

derten sie doch auch praktische Folgerun-

gen für das tägliche Leben heraus: Aus der

Vorstellung von der weiblichen Inferiorität

wird die Mannespflicht abgeleitet, Frauen

zu beaufsichtigen (Carla Casagrande), ihre

Rolle als »gute Gattin« zu definieren und

die Erfüllung dieses Ideals zu überwachen

(Silvana Vecchio). Auch die Frauenklei-

dung unterlag einer Kontrolle, über die

Diane Owen Hughes in einem glänzenden

Essay über die sozialen Funktionen von

Kleidung berichtet. Nicht nur die Gelehrten

also prägten mit ihren Worten das Zusam-

menleben der Geschlechter. Auch von den

Diskursen der Bürger und Kaufleute ist die

Rede. Der Quellenwert von Kleiderordnun-

gen wurde bisher verkannt. Auch gibt es

keine vergleichbare Studie, die das spezifi-

sche Interesse der Männer am Tuch heraus-

arbeitet, dem zentralen Handelsprodukt

städtischen Aufschwungs. Sie sind es, nicht

die Frauen, die ihm vielfältig symbolische

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Funktionen zuweisen: Es steht für Status wie soziale Mobilität, wird zum Mittel der Distinktion und Ausdruck kollektiver Iden- tität. Unter dem Vorwand, weibliche Putz- sucht kanalisieren zu müssen, sind Luxus- gesetze ein Mechanismus zur normativen Regelung des sozialen Lebens.

Dieser erste Block entspricht der theo- retischen Überzeugung der Herausgeberin- nengruppe, daß gerade im Mittelalter den männlichen Vorstellungen ein herausragen- der Stellenwert bei der Konstruktion der Bedingungen für die Geschlechtsidentität und damit auch für die Realität des Zusam- menlebens zukam. Ein zweiter Teil über- prüft nun die Auswirkung der Normen im

»Frauenalltag« vor allem des Ehelebens. In chronologischer Folge werden zentrale Ge- sichtspunkte der gesellschaftlichen Ent- wicklung aufgezeigt, die das tägliche Le- ben von Frauen prägten, Ordnungsfaktoren wirtschaftlicher, rechtlicher und demogra- phischer Art. Suzanne Fonay Wemple be- richtet über das quellenmäßig schwierig zu erschließende frühe Mittelalter. Unter den germanischen Frauen verfügten die West- gotinnen über die meisten Rechte. Die Polygamie etwa war nur im westgotischen Recht verboten. Germanen durften ihre Ehefrauen leichter verstoßen, als es nach dem römischen Recht zulässig war. Um zu Aussagen über die Umsetzung der Rechts- norm zu gelangen, geht die Autorin metho- disch neue Wege und wertet geschickt auch erzählende Quellen aus.

Für das 11712. Jahrhundert wurde bis- her eine entscheidende Verbesserung der weiblichen Position behauptet, die vor al- lem durch die Indikatoren der Konsensehe und der gesellschaftlichen Höherbewertung der Frau durch Marienverehrung und das Ideal der Höfischen Minne belegt schien.

Alle drei werden jetzt in der »Geschichte der Frauen« als nur sehr begrenzt wirksam relativiert: Paulette L'Hermite-Leclercq zeigt die Schwierigkeiten der Umsetzung der Norm freier Gattenwahl für Frauen auf.

Durch das Fortbestehen der Ideale von Jungfräulichkeit und klösterlicher Welt- flucht, so ihr Ergebnis, erfuhren Ehefrauen

und Mütter vielmehr sogar eine deutliche Verschlechterung ihrer Stellung gegenüber der Karolingerzeit. Georges Duby präzi- siert seine bereits bekannte These über den eigentlich männlichen Charakter der Hof- kultur und die zentrale Funktion der »jeu- nes«, der unverheirateten jungen Männer in ihr. Der Verhaltenskodex der Minnelitera- tur begegnete zwar deren Zügellosigkeit und bot daher Frauen einen gewissen Schutz vor männlichen Übergriffen. Doch hatte das Ideal der höfischen Liebe zu- gleich einschüchternde Folgen für die Ent- faltung ihrer eigenen Intentionen, seien sie intellektueller oder gar sinnlicher Art. Es diente dazu, »die Frauen abzurichten und das zu unterdrücken, was sie in den Augen der Männer beunruhigend machte« (278).

Dem »Frauenalltag im Spätmittelalter«

widmet sich ausführlich die einzige deut- sche Autorin, Claudia Opitz. Interessant sind vor allem ihre Ausführungen über weibliche Berufsausübung. Sie stellt klar, daß es am Ende des Mittelalters keines- wegs eine Verdrängung von Frauen, son- dern sogar eine Zunahme ihrer Teilhabe am Arbeitsprozeß gab, die aber mit einer Ab- nahme der Qualität der ausgeübten Tätig- keiten korrelierte. Auch hier also müssen verbreitete Einschätzungen eines Phäno- menes aufgrund neuer Forschungsergeb- nisse erheblich korrigiert werden.

Der folgende Teil gilt »Spuren und Bil- dern von Frauen« in Auswertung archäolo- gischer und kunstgeschichtlicher For- schungsergebnisse: Es wird danach gefragt, was überlieferte Gegenstände (Francoise Piponnier) und Abbildungen (Chiara Fru- goni) von Frauen erzählen. Vor naiver Deu- tung warnen die Autorinnen: Gemalte Bil- der von Frauen sind nicht einfach als Dar- stellung von historischer Realität lesbar, sie weisen vielmehr oft auf Symbolfunktionen von Weiblichkeit hin. So ging ein Kaiser- schnitt in der Regel tödlich für die Gebä- rende aus, auch wenn Darstellungen diesen Vorgang beschönigen, wie C. Casagrande betont. Auch in anderen Beiträgen profitiert der Band von seinem interdisziplinären Konzept. Er lehrt, verschiedene Ebenen der

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Aussage zu unterscheiden und verweigert die Antwort auf die simple Frage, wie es der Frau im Alltag erging. Gerade auf der Pluralität weiblicher Existenzen beharrt zu Recht das Konzept, das von Christiane Kla- pisch-Zuber in der Einleitung dargelegt und begründet wird.

Angesichts der erdrückenden Domi- nanz der Überlieferung männlicher Stim- men aus dem Mittelalter wenden sich be- wußt erst die letzten Beiträge den Äußerun- gen von Frauen selber zu. In einem theoretisch anspruchsvollen und sprachlich geschliffenen Beitrag spürt Danielle R6gnier-Bohler dem Zusammenhang zwi- schen Sprache und Geschlecht nach. Das Informationsbedürfnis weniger fachspezi- fisch geschulter Leserinnen wird damit freilich nicht befriedigt. Hier erweist sich der eigens für die deutsche Ausgabe ange- fertigte Beitrag der Theologin Elisabeth Gössmann als erhellend und hilfreich. Er bietet einen vorzüglichen Überblick über den »zweistimmigen Diskurs« (498). Die- ser ergibt sich aus der konflikthaften Dop- pelung von männlich und weiblich gepräg- ter Theologie. Gössmann weist nach, daß sich trotz der Autorität der seit den Kir- chenvätern reproduzierten Lehre eine durchaus eigenständige weibliche Theolo- gie entwickelte.

Duby beendet den Band mit einer kur- zen Skizze über einen Rechtsfall, der be- sonders lebhafte weibliche Selbstaussagen überliefert. Er zitiert und erläutert den Ein- zelfall, verzichtet aber bewußt auf seine Einordnung in größere Zusammenhänge.

So bleiben die Erwartungen, die mit der etwas zu großartigen Kapitelüberschrift

»Stimmen der Frauen« über diese wenigen Seiten erweckt werden, unerfüllt. Dieser wichtige Teil einer Geschichte der Frauen muß erst noch geschrieben werden, ganze Fragekomplexe sind noch unbeantwortet.

Diese Erkenntnis wird am Schluß des Ban- des vermittelt und reizt zum Mitdenken und Weiterfragen.

Der Band ist sehr ansprechend illu- striert und präsentiert sich insgesamt benut- zerinnenfreundlich: Um den Lesefluß für

ein anspruchsvolles, aber nicht unbedingt fachspezifisch vorgebildetes Publikum nicht zu unterbrechen, ist der laufende Text von Fußnoten und Betrachtungen für Ex- perten (etwa über Quellengattungen) entla- stet. Belege und weitere Literaturangaben finden sich am Schluß des Bandes, gegen- über der französischen Ausgabe erweitert um deutschsprachige Ausgaben und um neuere Titel aktualisiert. Ein Personen- und ein Sachregister schließen das Buch ab. Al- lerdings ist das Sachregister sehr knapp ge- halten. Bei der Durchsicht fällt sofort das Fehlen zentraler Begriffe zum Verständnis weiblicher Lebensrealität auf. Unerläutert bleibt etwa ein Rechtsinstitut wie die

»Munt«, die männliche Vormundschaft über die Frau. Auch was es mit der »Dos«

auf sich hat, möchte die Leserin oder der Leser vielleicht gerne einmal nachschla- gen, jener Gabe, die die Frau in der Ehe von ihrem Mann erhält und deren Funktion für die Einschätzung ihrer Situation so wichtig und umstritten ist. Als Nachschlagewerk und Handbuch, das gesicherte Informatio- nen oder auch Zahlen vermitteln könnte, etwa darüber, wie viele Frauen es in wel- chen Berufen gab, ist der Band ebenfalls ungeeignet. Dazu freilich ist der For- schungsstand noch nicht ausgereift genug.

Es widerspricht auch dem Anspruch der Autorinnen und Autoren. Diese wollen ihr Werk vielmehr als Angebot verstanden wis- sen, als Mitteilung einer von verschiedenen denkbaren Sichtweisen, als »vorläufige Bi- lanz, als Arbeitsmittel, als Ort des Gedächt- nisses« (so Duby und Perrot in ihrem Vor- wort zu dem Gesamtwerk, hier: S. 10).

S o bleibt eine Reihe von Fragen offen, Erwartungen werden systematisch nicht er- füllt, das Wiederfinden bekannter Namen und Daten verweigert. Claudia Opitz hat entsprechende Verwirrung kommen sehen und in ihrem Nachwort Besonderheiten des Bandes wie die »Absenz >mächtiger Frau- en<« und »eine gewisse Politikferne« (527) aus der Tradition der Annales-Schule erläu- tert, der die Herausgeberinnen sich verbun- den fühlen. Die Arbeiten dieser Gruppe sind bis heute in Deutschland noch wenig

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rezipiert. Manches, das als orientierende Überschrift im Inhaltsverzeichnis vermißt wird, ist freilich nicht ganz aus dem Ge- schichtsbild getilgt, sondern findet sich in- nerhalb eines anderen Kontextes wieder.

Informationen über Rechtsnormen etwa ha- ben einen anderen Stellenwert erhalten, und statt der vertrauten Ereignisstruktur gibt es einen Zeitrahmen, der gesellschafts- geschichtlich wohlbegründet ist. Er stellt Zäsuren wie die des 12. Jahrhunderts oder des Spätmittelalters als einer Übergangs- phase heraus.

Insgesamt halte ich den vorliegenden Mittelalter-Band für eine äußerst fhichtbare Provokation von innovativem Charakter.

Vor allem unsere Methodendiskussion er- fährt einen Anstoß durch die hier vorge- führte konsequente Arbeit im interdiszipli- nären Team. Der Aussagewert von bislang für die historische Forschung wenig ge- nutzten Quellen wird vorgeführt, es wird mit Bildern und Symbolen aus Sprache, Farbe und Stein und vor allem auch mit erzählenden Texten gearbeitet. Naturgemäß sind die Einzelbeiträge von unterschiedli- cher Qualität. Originell aber sind sie alle, zum Teil wegweisend und einzelne ganz ausgezeichnet. Die sprachliche Qualität er- reicht bei einigen der Aufsätze ein geradezu literarisches Niveau. Die verschiedenen Übersetzerinnen haben sich bei der schwie- rigen Arbeit der Übertragung in das Deut- sche sensibel und erfolgreich bemüht, diese Brillanz der Darstellung zu erhalten.

Worten von Männern werde zuviel und der konkreten Lebenswelt von Frauen zu- wenig Beachtung geschenkt, so hat Gianna Pomata kritisiert. Sie beanstandet auch die Trennung und starre Gegenüberstellung

»von Diskursen und Praktiken« innerhalb dieses Bandes. Angesichts der differenzier- ten Präsentation der vielschichtigen Durch- lässigkeit und Durchdringung verschiede- ner Realitätsebenen scheint mir dieser Vor- wurf überzogen. Ihre Forderung nach mehr Betonung der Fakten statt ihrer kulturellen Repräsentationen hat aber sicher ihre Be- rechtigung für zukünftige Forschungen in der Zeit »nach >Histoire des femmes<«.

Denn auch wenn es innerhalb der breiten Vielfalt historischer Frauenforschung ver- schiedene Wege und Zugänge und viel- leicht auch Umwege oder gar Sackgassen gibt - daß mit der vorliegenden Synthese wirklich eine entscheidende Zäsur für die Geschichte der Erforschung von Frauen im Mittelalter und die Vermittlung der Ergeb- nisse erreicht ist, ist offensichtlich.

Bea Lundt

Irene Hardach-Pinke: Die Gouvernante.

Geschichte eines Frauenberufs. Frankfurt

am Main/New York: Campus 1993, 310 S„

DM 49,-.

Gertrud Bäumer beschrieb 1914 die Gou- vernante als »ein armes Fräulein aus guter Familie«, die »mit ihren paar Tochterschul- kenntnissen den Weg der Entsagung durch fremde Häuser zog«. Dieser abwertenden Charakterisierung folgt die Marburger So- ziologin Irene Hardach-Pinke in ihrem

»Versuch einer Sozialgeschichte der Gou- vernanten« (8) nicht. Vielmehr zeige sich rückblickend, »daß Gouvernanten eine Schlüsselstellung in der Herausbildung qualifizierter weiblicher Erwerbsarbeit ein- nehmen« (12) und außerdem belege deren Berufsgeschichte, »daß bürgerliche Bil- dung« und >Bildungsbürgertum< für Frauen etwas anderes bedeuteten als für Männer, und daß sich seit dem 18. Jahrhundert jen- seits der Rollenzuschreibungen >Hausfrau, Gattin und Mutten auch eine andere weib- liche >Bürgerlichkeit< herausbildete« (9).

Mit dieser These wendet sich die Autorin gegen eine gängige Auffassung, daß akade- mische Prüfungen bestimmend für die Zu- gehörigkeit zum Bildungsbürgertum sind.

Hardach-Pinkes Monographie über er-

ziehende und unterrichtende Frauen in

fremden Haushalten reicht von den Anfän-

gen im 17. Jahrhundert bis zum Beginn des

20. Jahrhunderts und basiert auf zahlrei-

chen deutsch-, englisch- und firanzö-

sischsprachigen Autobiographien und Ro-

manen sowie Zeitschriften und Korrespon-

denzen.

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Ausgehend von dem berühmten und mehrfach verfilmten Schicksal der engli- schen Gouvernante Jane Eyre in Charlotte Brontes gleichnamigen Roman werden im ersten Kapitel die unterschiedlichen Moti- ve von Frauen bürgerlicher Herkunft für diese Erwerbstägigkeit sowie die Erfahrun- gen als Erzieherinnen in fremden Häusern beschrieben. Berücksichtigt werden dabei auch die Sichtweisen der männlichen und weiblichen Zöglinge und die der Arbeitge- berinnen. Von der exzentrischen englischen

»Miss«, der koketten »Französin« und dem tüchtigen deutschen »Fräulein« ist dabei die Rede, sowie von den ökonomischen, sozialen und psychischen Problemen dieser berufstätigen Frauen. Die fremde Frau, die in die intimisierte Privat-Familie eindringt und am bürgerlichen Familienleben teil- nimmt, konkurriert mit der Mutter um die Zuneigung der Kinder. Ihr stellt Hardach- Pinke den akademisch vorgebildeten Haus- lehrer gegenüber, für den diese Stellung oft nur eine Übergangszeit auf dem Weg in eine gesicherte Berufslaufbahn war. Durch diesen Vergleich werden die unterschiedli- chen Aufgaben der Fremden im Haus deut- lich: er unterrichtet, sie erzieht. Daß diese literarischen Beschreibungen nicht nur Fik- tionen sind, versucht Hardach-Pinke durch den Bezug auf die Biographien der Auto- rinnen, die zeitweilig selbst als Gouvernan- ten gearbeitet hatten, und auf pädagogische Lexikonartikel, die auf diese Romane als Darstellung der Berufsrealität von Gouver- nanten verweisen, zu erhärten.

Das zweite Kapitel ist mit »Pädagogi- sche Begründung des Gouvernantenwe- sens« überschrieben. Fdnelos Traktat

»Über Tochtererziehung« von 1687 wird als erster Beleg für Gouvernanten als »un- verzichtbare Hilfe in der häuslichen Mäd- chenerziehung« (51) herangezogen. Auch bei dem pietistischen Pädagogen und Fdne- lon-Übersetzer August Hermann Francke sowie den Philantropen Johann Bernhard Basedow und Joachim Heinrich Campe, die der bürgerlichen Frau die dreifache Be- stimmung als Hausfrau, Mutter und Gattin zugeschrieben haben, findet die Hauslehre-

rin als Mitarbeiterin der Mutter Erwäh- nung, Pädagoginnen, die selbst als Gouver- nanten gearbeitet hatten (z.B. Betty Gleim, Tinette Homburg, Caroline Rudolphi), sprachen sich zu Beginn des 19. Jahrhun- derts für eine Ausbildung für diese Berufs- tätigkeit aus und wurden selbst in diese Richtung aktiv. Wie stark der Beruf der Gouvernante bis ins 19. Jahrhundert von Frankreich geprägt wurde, zeigt sich nicht nur in der französischen Berufsbezeich- nung, sondern auch in den Erziehungsrat- gebern. Es waren im 18. Jahrhundert vor allem Französinnen, die auch ins Deutsche übersetzte Lehrbücher für ihre Kolleginnen verfaßten. Der Vergleich dieser Ratgeber verdeutlicht die unterschiedlichen Bil- dungsvorstellungen der Verfasserinnen: die eine wollte stärker die Tugend- und Her- zensbildung, die andere die Verstandesbil- dung fördern, gemeinsam war ihnen die Ablehnung der sogenannten gelehrten Bil- dung.

Von der Hofmeisterin, die im 17. Jahr- hundert in Frankreich - analog dem Hof- meister (gouverneur) - im Ehrenamt dem Haushalt fürstlicher Kinder vorstand und der zusammen mit Sous-Gouvernanten die Erziehung der Fürstenkinder oblag, über die Ausgestaltung dieser Position im deut- schen Adel bis hin zum Eindringen dieser Berufsgruppe in bürgerliche Kreise berich- tet das dritte Kapitel. Hier betont die Auto- rin die doppelte Bedeutung der französi- schen Sprache in der Erziehung im Bürger- tum. Entgegen den Ratschlägen der Pädagogen ließen die bürgerlichen Kreise ihre Töchter in der französischen Sprache unterrichten, um ihnen auf diesem Weg so- wohl den Zugang zur höfischen Lebens- weise wie auch zu einer fremden, als hö- herwertig angesehenen Kultur zu ermögli- chen.

Um 1800 waren es vor allem die nach Deutschland geflüchteten Hugenottinnen, die für den Französischunterricht engagiert wurden. Anhand der umfangreichen Korre- spondenz eines in Berlin lebenden huge- nottischen Gelehrten beschreibt Hardach- Pinke das sich herausbildende System der

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