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Archiv "„Furtwängler, Kategorie 4„: Ein Prominenter im Kreuzverhör" (09.05.1997)

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A-1292 (68) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997

V A R I A

BILDUNG UND ERZIEHUNG/FEUILLETON

daß Anbieter etwa Freizeit- Kanutouren als „Seminar über Gewässerökologie“ tar- nen, um Bildungsurlauber als Teilnehmer zu gewinnen.

Doch Veranstalter wie Ul- la Theisling argumentieren, Lehrstoff könne heute nicht mehr nur im Hörsaal vermit- telt werden: „Vor zehn Jahren konnte man etwa beim Thema Kernenergie mit einem Vor- trag noch ganz viele Leute er- reichen. Heute wird Referie- ren und Theoretisieren kaum noch angenommen. Daher ge- hen wir Bildungsveranstalter zunehmend dazu über, auch den anschaulichen Eindruck vor Ort mit einzubeziehen.“

Gesetzesnovelle

In Hessen haben solche ganzheitlichen Ansätze sogar im Landtag Wellen geschla- gen. Die CDU-Fraktion er- kundigte sich per parlamenta- rischer Anfrage nach den Mo- dalitäten eines Gewerk- schaftsjugend-Seminars, das unter dem Titel „Beam me up, Scotty“ und anhand der Fern- seh-Saga vom Raumschiff Enterprise „die Auseinander- setzung mit utopischen Szena- rien“ ermöglichen sollte. Vor- wurf: Mißbrauch des Bil- dungsurlaubs und dazu noch Verschwendung öffentlicher Zuschüsse. An den Pranger der Konservativen geriet auch ein Seminar über „den Witz und das Lachen“.

Doch für die hessische Ar- beitsministerin Barbara Stol- terfoht (SPD) und ihr Mini- sterium ist die Angemessen- heit solcher Bildungsgänge durch genaue Prüfungen der Programme garantiert. „Die CDU hat hier auf total platte Weise richtige Schlamm- schlachten geschlagen“, erei- fert sich Ministeriums-Spre- cherin Siggi Richter: „Spekta- kuläre Titel sagen ja noch gar nichts über die Qualität eines Bildungsangebots aus. In den kritisierten Fällen handelte es sich um hochdifferenzierte Auseinandersetzungen mit den Themen.“ Das Recht auf bezahlten Bildungsurlaub soll auch durch eine seit zwei Jah-

ren geplante Gesetzesnovelle nicht eingeschränkt, sondern sogar noch ausgebaut wer- den. So muß in Hessen künf- tig ein Arbeitgeber nachwei- sen, daß ein Angebot den Ge- setzesvorgaben nicht ent- spricht – bisher lag die Be- weislast beim Antragsteller.

Im betrieblichen Alltag je- doch scheuen immer mehr Arbeitnehmer den Antrag beim Chef. Ging man in den 70er Jahren noch davon aus, daß bis zu 15 Prozent der Be- schäftigten das damals neue Recht auch wahrnehmen würden, so tun dies heute im Bundesdurchschnitt gerade 1,5 Prozent. Und wer es tut, nimmt lieber an einem be- rufskundlichen Lehrgang teil, statt etwa einen Öko-Bil- dungsurlaub zu buchen. In Zeiten unsicherer Arbeits- plätze scheuen viele sich da- vor, als „unbequem“ oder gar

„Drückeberger“ zu gelten.

Dabei sollten Arbeitgeber die Vorteile einer umfassenden Bildung ihrer Beschäftigten auch jenseits des Job-Profils nicht unterschätzen. Denn beispielsweise ökologisch ge- schultes Personal reduziert auch am Arbeitsplatz die Ko- sten umweltschädlicher Ver- haltensweisen. Oder es hilft Produkte zu entwickeln, die sich als ökologische Ver- kaufsschlager erweisen. So gesehen wird der „Urlaub“

zur Investition.

Drei Jahre Rechtsstreit

Diese Einsicht war es aber nicht, die Ute Rademacher und Wolfgang Mensebach zu- letzt doch noch die nachträgli- che Anerkennung ihres Sylt- Urlaubs durch die Kölner Ford-Werke verschafft hat.

Dazu waren vielmehr drei Jah- re Rechtsstreit bis zum Lan- desarbeitsgericht nötig. Und ein weiterer Bildungs-Trip in den Spreewald 1996 brachte den beiden schon wieder Är- ger mit den Chefs ein. Die ge- richtliche Auseinandersetzung über diesen Fall ist noch nicht beendet. Peter Tuch

Wilhelm Furtwängler war der führende Dirigent der Hitlerzeit. Was man ihm spä- ter zum Vorwurf machte, war, in Deutschland geblieben zu sein: unter einer Diktatur, die unvorstellbare Grausamkei- ten verübte (die ihm nicht ganz entgangen sein dürften), die ihn zwar künstlerisch gän- gelte, aber darüber hinaus un- geschoren ließ.

1946 mußte Furtwängler sich einem Entnazifizierungs- prozeß stellen, er war ge- zwungen, sich zu rechtferti- gen, obwohl er sich bis zuletzt ohne „Schuld“ fühlte. Dies, obgleich er ab 1933 Kompo- nisten wie Mahler und Hinde- mith befohlenermaßen nicht mehr aufführte. Der Untersu- chungsausschuß sprach ihn letztlich in allen Punkten der Anklage frei. Furtwängler

starb 1954 im Alter von 68 Jahren.

Ronald Harwood hat ein Stück über diese Verhandlung geschrieben, das bereits in England, den USA und Israel erfolgreich über die Bühne ging und nun im Wiesbadener Staatstheater seine deutsche Erstaufführung erfuhr. Har- wood befaßte sich eingehend

mit der „Schuld- oder Mitläu- ferfrage“. Eine Antwort gibt er bewußt nicht: das Publikum soll nach diesem Dialog selbst entscheiden, auf wessen Seite es steht. Auf der Bühne ent- stand eine eindrucksvolle Trümmer-Szenerie, in die die karge Amtsstube mit ein paar Holztischen und Stühlen und einem Grammophon hinein- gesetzt wurde, aus dem immer wieder Beethoven und Bruck- ner ertönen. Im spartani- schen, freudlosen Raum zwei Männer, die sich fremder kaum sein können: Major Steve Arnold ist ein amerika- nischer Offizier mit „selbst- entwickelter Verhörmetho- de“, die den anderen erst fer- tigmachen und dann zum Re- den bringen soll. Bernd Rade- macher spielt und spricht die- sen Angestellten einer Versi- cherungsgesellschaft insge- samt überzeugend.

Ihm gegenüber die noble Erscheinung Furtwänglers, der diesem rüden Befrager gegenüber Rede und Ant- wort steht. Bernd Ripken gibt den Maestro in Ton und At- titüde zurückhaltend, dann mehrmals erregt auffahrend.

Wenn es den Major des Hoch- gestochenen zuviel dünkt, brüllt er den anderen zusam- men: „Mann, ich habe Ausch- witz, habe die Leichenberge gesehen!“ Was Furtwängler sich zu der Behauptung ver- steigen läßt, Musik sei nicht nur als Kunst, sondern als Allheilmittel zu betrachten, das selbst ein Auschwitz und Bergen-Belsen vergessen ma- che . . . Jeder hält verbissen an seiner Meinung fest.

Starker langer Beifall für den anwesenden Autor und die Hauptdarsteller. Ein Stück Zeitgeschichte, das dem Hörer die Antwort auf Harwoods gestellte Frage nicht eben leicht macht.

Britta Steiner-Rinneberg

„Furtwängler, Kategorie 4“

Ein Prominenter im Kreuzverhör

Major Steve Arnold (Bernd Radema- cher, links) verhört Wilhelm Furtwäng- ler (Bernd Ripken). Foto: Bettina Müller

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