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Archiv "Erythropoietin: Karriere eines Hormons" (06.02.1998)

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ekombinantes humanes Ery- thropoietin (rhEPO) ist zu ei- nem exemplarischen Vertre- ter einer zunehmenden Zahl von gen- technologisch hergestellten Therapeu- tika geworden, zu denen Impfstoffe, Zytokine, Enzyme und Hormone gehören. Dabei unterscheidet es sich von anderen Hormonen wie Insulin und Wachstumshormon insofern, als die gentechnologische Herstellung nicht die Aufreinigung aus tierischem oder menschlichem Gewebe ablöst, sondern überhaupt erstmals eine the- rapeutische Anwendung ermöglicht hat. Aus 2 500 Litern Urin von Patien- ten mit schweren aplastischen An- ämien und dadurch stark stimulierter EPO-Produktion wurden ursprünglich wenige Milligramm des Hormons auf- gereinigt (62) (Grafik 1). Die Bestim- mung der Aminosäurensequenz von Bruchstücken dieses Materials war Voraussetzung, um mit komplemen- tären Oligonukleotiden das EPO-Gen

aus Genbanken zu isolieren (34, 44).

Während die Menge des aus Urin auf- wendig isolierten EPO lediglich aus- gereicht hätte, um einen einzigen Dia- lysepatienten ein bis zwei Jahre lang zu behandeln, steht rekombinantes, durch Expression des Gens in Säuge- tierzellkulturen gewonnenes EPO theoretisch unbegrenzt zur Verfügung.

Physiologie von Erythropoietin

Das Hormon EPO besteht aus ei- ner Eiweißkette von 165 Aminosäuren, an die vier komplexe Kohlenhydratsei- tenketten angebunden sind, die 40 Pro- zent des gesamten Molekulargewichtes von 35 kD ausmachen. Es ist ein essen- tieller Wachstums- und Überlebensfak- tor für späte erythroide Vorläuferzellen

(Grafik 2) (16, 35, 42). Die Bindung von EPO an spezifische Oberflächenrezep- toren dieser Zellen ermöglicht ihre Ausdifferenzierung zu Retikulozyten und Erythrozyten, indem ein früh- zeitiger, vorprogrammierter Zelltod (Apoptose) verhindert wird (41). Die Plasmaspiegel von EPO, die überwie- gend in „Units“ angegeben werden, lie- gen normalerweise bei etwa 10 bis 25 U/l, was einer Konzentration von zirka 3 bis 7 pmol/l entspricht (13, 21, 77).

Jede Form von Sauerstoffmangel, sei es durch Reduktion der Sauerstofftrans- portkapazität bei Anämie, durch Blockade der Sauerstofftransportkapa- zität bei Kohlenmonoxydexposition oder durch Verminderung der arteriel- len Sauerstoffsättigung bei Ventila- tionsstörungen oder Höhenexposition, führt normalerweise nach 1,5 Stunden zu einem Anstieg des EPO-Spiegels (13, 17, 21, 77, 97). Bei anhaltender, schwerer Anämie können die Plasma- konzentrationen tausendfach erhöht sein (13, 21, 77). Produziert wird EPO vor allem in Leber und Nieren, wobei

Erythropoietin:

Karriere eines Hormons

Kai-Uwe Eckardt

R

Abteilung Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie und Intensivmedizin (Leiter:

Prof. Dr. med. U. Feil), Charité-Virchow- Klinikum Berlin

Stichwörter: Erythropoietin*, rhEPO, Hormon, chronische Nierenerkrankung, Anämie.

Durch sauerstoffabhängige Produktion des Hormons Erythropoietin (EPO) steuert die Niere die Neubildungs- rate von Erythrozythen. Inadäquat niedrige EPO-Pro- duktion führt bei chronischen Nierenerkrankungen zur Entwicklung einer Anämie. Seit zehn Jahren steht gentech- nologisch hergestelltes rekombinantes EPO (rhEPO) für den therapeutischen Einsatz zur Verfügung. Die renale Anämie läßt sich damit in nahezu allen Fällen effektiv be- handeln. Auch die Frühgeborenenanämie und Entzün-

dungs- und Tumoranämie, bei denen die EPO-Antwort der Niere reduziert

sein kann, können in vielen Fällen mit rhEPO gebessert werden. Selbst bei völlig intakter endogener EPO-Produk- tion kann durch EPO-Therapie eine zusätzliche Stimula- tion der Erythropoese induziert werden, was bei Eigen- blutspendern ausgenutzt wird. Der geschätzte weltweite jährliche Umsatz von rhEPO liegt jetzt schon bei 2 000 Millionen Dollar, und eine kostengünstigere Herstellung würde einen weiter zunehmenden Einsatz des Hormons ermöglichen.

Key words: Erythropoietin, recombinant EPO, hormon, chronic renal failure, anemia.

Ten years ago, following cloning of the gene for erythro- poietin (EPO), the primary humoral regulator of red cell formation, and its successful expression in mammalian cell lines, the first dialysis patients were treated with recombinant EPO in order to improve the anemia that occurs in chronic renal failure. The success of this treatment has exceeded even the most optimistic expectations. More than 90 per cent of renal patients respond to EPO therapy, and im- provement of their anemia is associated with a significant,

and partly unexpected, reduction of morbidity.

Meanwhile more than 350 000 patients with re-

nal failure worldwide are regularly treated with EPO. The hormone was also found to be effective in the treatment of anemia of prematurity, in subgroups of patients with anemia of chronic diseases, and in autologous blood donors, allow- ing them to predonate more blood in a given time period.

Second generation drugs are on the horizon which may further improve the therapeutic options for stimulating erythropoiesis and hopefully will also allow a reduction of treatment costs.

ZUSAMMENFASSUNG

SUMMARY

* alternative deutsche Schreibweise: Erythropoetin

(2)

die Leber der entscheidende Produk- tionsort in der Fötalphase ist (27). Zu- mindest unter tierexperimentellen Be- dingungen kann der Beitrag der Leber zur EPO-Produktion zwar auch im er- wachsenen Organismus durchaus rele- vant bleiben, ein Ausfall der renalen Produktion wird aber durch die Leber normalerweise nicht kompensiert (92).

Als die ersten niereninsuffizien- ten Patienten mit rhEPO behandelt wurden (24, 98), wußte man zwar, daß es bei ihnen trotz anhaltend niedriger Hämoglobin Konzentrationen zu kei- nem adäquaten Anstieg der EPO- Spiegel kommt (Grafik 3); welche Zellen EPO normalerweise pro- duzieren und wie Sauerstoffmangel zu diesem Anstieg führt, war aber völ- lig unklar. Mittler- weile sind zelluläre Sauerstoffsensor- mechanismen, die zu einem An- stieg der Expres- sion des EPO- Gens unter Hypo- xie führen, charak- terisiert und zum Teil identifiziert worden. In der Le- ber findet die Ex- pression von EPO in Hepatozyten und perisinusoida- len, sogenannten Ito-Zellen statt (18, 56), in der Nie- re in peritubulären Fibroblasten, die funktionelle und strukturelle Ähn- lichkeiten mit den Ito-Zellen aufwei- sen (3, 57). Warum diese Zellen im Laufe einer chro- nischen Nieren- erkrankung die Fähigkeit zu einer adäquaten EPO- Produktion verlie- ren, ist weiterhin unklar und könnte mit einer Trans- formation dieser Zellen im patho- logisch veränder- ten Nierengewebe zusammenhängen.

Die Störung könn- te aber auch dar- auf beruhen, daß durch den Ausfall der renalen Aus- scheidungsfunktion funktionelle Vor- aussetzungen für

den Sauerstoffsensormechanismus entfallen.

Interessante Hinweise gibt es dafür, daß die die EPO-Produktion steuernden zellulären Mechanismen, einschließlich der Aktivierung eines Hypoxie-induzierbaren Transkripti- onsfaktors und dessen Bindung an ei- ne regulatorische DNA-Sequenz im Bereich des EPO-Gens (72, 84, 96) nicht nur für die Regulation von EPO relevant sind. Vielmehr scheinen die- se Mechanismen in anderen Zellen und unter anderen (patho)physiologi- schen Bedingungen eine Vielzahl von Stoffwechsel-, Wachstums- und Ent- zündungsprozessen sauerstoffabhän- gig zu regulieren (10, 76). Die weitere Aufklärung dieser Regulation wird deshalb vermutlich über die Patho- physiologie der Erythropoese hinaus bedeutsam sein.

Einsatz von rekombinantem Erythropoietin

Die zehnjährige Erfahrung mit dem therapeutischen Einsatz von rhEPO hat mindestens vier wesentli- che Aspekte gelehrt:

« Für die renale Anämie ist EPO-Mangel die entscheidende Ur- sache; sie kann durch EPO-Substituti- on in nahezu allen Fällen erfolgreich behandelt werden.

¬ Die pathophysiologische Be- deutung der renalen Anämie ist größer als bislang angenommen.

­ Auch bei einem Teil der Pati- enten mit anderen Anämieformen, die nicht primär auf EPO-Mangel be- ruhen, und bei Gesunden mit unge- störter EPO-Produktion läßt sich die Blutbildung durch rhEPO-Therapie stimulieren.

® Die unerwünschten Wirkun- gen sind insgesamt gering und akzep- tabel.

Chronische Niereninsuffizienz

Entgegen langjährigen Spekula- tionen über urämische Hemmstoffe der Blutbildung ist die Ansprechbar- keit des Knochenmarks auf rhEPO bei Niereninsuffizienz nicht wesent- lich beeinträchtigt (25), und 95 Pro- zent der Patienten lassen sich erfolg- reich mit rhEPO behandeln (1, 14, 22, Klonierung des

EPO Gens Aufreinigung von EPO

aus 2 500 l Urin von Patienten mit aplastischen Anämien

(→ ca. 7 mg) Verdau zu Peptidfragmenten

Bestimmung der Aminosäuresequenz

dieser Fragmente Synthese von radioaktiv markierten, komplementären

Oligonukleotiden Screening einer humanen

DNA Gen-Bank* mit diesen Oligonukleotiden

Extraktion von EPO Gen-Fragmenten

(genomische DNA) Radioaktive Markierung

dieser Fragmente und Sreening einer zu mRNA

aus humaner Leber komplementären cDNA

Bank**

Extraktion von EPO cDNA

Expression des EPO Gens in Zellinien Einbau der EPO cDNA in einen Expressionsvektor***

Einschleusung des Vektors in Säugetierzellen (z.B. „chinese hamster ovary“ =

„CHO“-Zellen) Isolierung von Zellen,

die EPO exprimieren Amplifikation eines Klons

dieser Zellen (→ Produzentenklon) und

Aliquottierung

Herstellung von rekombinantem EPO Einbringen eines Aliquots von Zellen des Produzenten-

zellklons in das Zellkultur- medium eines Biofermenters

(z.B. 1 600 l Volumen) Vermehrung dieser Zellen

und semikontinuierliche Ernte des Zellkulturmediums

Filtration des Mediums und chormatographische Aufreinigung

von rekombinantem EPO Qualitäts- und Reinheitskontrolle

*Ca. 3 x 105, in das Genom von Phagen integrierte DNA-Fragmente mit einer Länge von ca. 1 x 104 Nukleotiden, die das haploide menschliche Genom ent- halten.

**cDNA enthält im Gegensatz zur genomischen DNA nur die kodierenden Anteile der DNA.

*** Zirkuläres DNA-Element, das in Zellen integriert und dann von diesen Zellen abgelesen werden kann.

Grafik 1

(3)

90). Die Geschwindigkeit der Anä- miekorrektur ist dosisabhängig. Mit hohen Dosen (1500 U/kg und Woche) kann ein Anstieg des Hämatokrits um mehr als drei Prozentpunkte pro Wo- che erreicht werden (24). Eine solch schnelle Korrektur ist aber in der Re- gel nicht notwendig, unökonomisch und vermutlich mit einem erhöhten

Risiko für das Auftreten von Neben- wirkungen behaftet. Deshalb wird die Therapie üblicherweise mit einer niedrigen Wochendosis von etwa 75 U/kg begonnen. Steigt der Hämato- krit nicht innerhalb von etwa vier Wo- chen um mehr als drei Prozentpunkte, sollte die Dosis um zirka 25 U/kg und Woche erhöht werden. In der Erhal-

tungsphase ist bei einigen Patienten eine Dosisreduktion möglich. Die Applikation kann intravenös oder subkutan erfolgen. Durch subkutane Applikation wird im Vergleich zur in- travenösen Gabe eine zwar deutlich geringere, aber gleichmäßigere und länger anhaltende Erhöhung der Plas- maspiegel erreicht, wodurch bei ei- nem Teil der Patienten eine gewisse Dosiseinsparung möglich ist (9, 37, 51). Bei Hämodialysepatienten wird rhEPO aus rein praktischen Erwä- gungen häufig im Anschluß an die je- weilige Dialyse gegeben. Insbesonde- re die subkutane Applikation kann aber auch zu anderen Zeitpunkten er- folgen, und Dosierungsschemata von einmal wöchentlich bis hin zu tägli- cher Applikation sind möglich.

Voraussetzung für die Wirkung von rhEPO ist die ausreichende Ver- fügbarkeit von Eisen, wobei der zu- sätzliche Bedarf häufig durch paren- terale Eisengabe gedeckt werden muß (32, 50). Bei ausreichender Ei- senzufuhr ist ein Nichtansprechen auf die Therapie selten und kann auf la- tente Entzündungssituationen oder Malignome hinweisen, bei denen die Eisenfreisetzung aus aufgefüllten Speichern vermindert sein kann oder Entzündungsmediatoren mit der Wir- kung von EPO interferieren (59).

Weitere Ursachen verminderten An- sprechens können das Vorliegen einer Knochenmarksfibrose infolge eines Hyperparathyreoidismus (75) oder eine Aluminiumüberladung (65) sein.

Auch eine inadäquat geringe Dialyse- behandlung führt zu einer suboptima- len Antwort auf rhEPO (33).

Interessanterweise hat erst die Behandlung der renalen Anämie deutlich gemacht, welche Bedeutung ihr für die Situation eines Nierenin- suffizienten zukommt. Nicht nur las- sen sich durch rhEPO allgemeines Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit verbessern und der Transfusionsbe- darf senken. Vielmehr werden eine große Vielzahl physiologischer Parti- alfunktionen, deren Störung man zu- vor in erster Linie der Urämie zuge- schrieben hatte, von kognitiver Funk- tion bis hin zur Immunfunktion (Text- kasten: Positive Effekte), durch teil- weise Korrektur der Anämie ein- drucksvoll beeinflußt. Rückgewinn oder Erhalt einer zumindest partiel- Erythrozyten

Serum EPO Retikulozyten

Erythroblasten CFU-e BFU-e pluripotente Stammzellen Knochenmark

Sauerstoff-Sensing

Leber – Hepatozyten

– perisinusoidale Ito Zellen – peritubuläre Fibroblasten Aktivierung regulatorischer Segmente des EPO Gens (hypoxieinduzierbarer Transkriptionsfaktor HIF 1)

EPO Gen – Transkription EPO mRNA

Niere Lunge Sauerstoffsättigung Regulation der Blutbildung durch sauerstoffabhängige Produktion von Erythropoietin

arterieller Sauerstoffgehalt Grafik 2

Schematische Darstellung der Beziehung zwischen Serum-EPO und Hämoglobin

10 000

1 000

100

10 Serum-EPO (mU/ml)

4 6 8 10 12 14 16 Hämoglobin (g/dl)

normale EPO-Antwort reduzierte EPO-Antwort

(Anämie chronischer Erkrankungen) fehlende EPO-Antwort

(renale Anämie) Grafik 3

(4)

len Arbeitsfähigkeit scheinen mög- lich, sofern die sozioökonomischen Voraussetzungen dafür vorliegen.

Gerade unter diesem Aspekt ist ein frühzeitiger Therapiebeginn vor Be- ginn der Dialysepflichtigkeit wichtig.

Wesentlich ist dabei, daß die Therapie mit rhEPO den Nierenfunktionsver- lust bei präterminal Niereninsuffizi- enten nicht beschleunigt (78, 82, 94).

Ob letztendlich auch die Morta- lität chronisch Nierenkranker durch die Behandlung mit rhEPO gesenkt werden kann, wird unklar bleiben. Es ist aber zumindest nicht unwahr- scheinlich, wenn man berücksichtigt, daß sich unter der Anämiekorrektur die Myokardhypertrophie als ein nachgewiesener Risikofaktor zurück- bildet (47, 52, 87).

Eine entscheidende, noch unge- klärte Frage ist die nach dem anzu- strebenden „Ziel-Hkt/Hb“. Bisherige Erfahrungen stützen sich im wesentli- chen auf eine Anhebung des Hb auf 10 bis 12 g/dl. Vielfach wird vermutet, daß weitere Korrektur auch zu weite- rer Verbesserung des Gesamtzustan- des der Patienten führen wird. Kon- trollierte Studien, die mittlerweile zu dieser Frage durchgeführt werden, müssen aber zunächst klären, ob das bislang beobachtete günstige Verhält- nis zwischen Nutzen und Risiken der rhEPO-Therapie auch bei höheren Hämoglobin-Werten bestehen bleibt und welche zusätzlichen Dosen und damit Kosten für eine weitere Hämo- globin-Anhebung erforderlich sind.

Frühgeborenenanämie

Die Anämie von Früh- und Neu- geborenen ist ein zweites Indikations- gebiet, bei dem eine Substitutionsthe- rapie mit rhEPO möglich ist. In der Perinatalphase ist das Ansprechen der endogenen EPO-Produktion auf einen Hämoglobin-Abfall vermin- dert, was mit der Verlagerung der EPO-Produktion von der Leber in die Nieren zusammenhängen könnte (19). Der Transfusionsbedarf von Frühgeborenen stellt trotz aller Bemühungen um Minimierung iatro- gener Blutverluste ein relevantes Pro- blem dar, und die Möglichkeit, die Blutbildung dieser kleinen Patienten durch rhEPO-Gabe zu stimulieren, bedeutet deshalb einen wesentlichen

Fortschritt (5, 53). In Relation zum Körpergewicht sind höhere Dosen er- forderlich als bei Erwachsenen, was aber nicht unbedingt ein schlechteres Ansprechen des Knochenmarks be- deutet, da die Abbaurate und das Ver- teilungsvolumen von EPO bei Neuge- borenen höher sind als bei Erwachse- nen (5).

Anämie chronischer Erkrankungen

Viele chronisch entzündliche oder maligne Erkrankungen gehen mit einer Anämie einher. Diese soge- nannte „Anämie chronischer Erkran- kungen“, die in erster Linie auf einer Bildungsstörung roter Blutzellen be-

ruht, ist weltweit nach der Eisenman- gelanämie die zweithäufigste Anä- mieform (59). Bei zahlreichen der zu- grunde liegenden entzündlichen oder malignen Erkrankungen wurde ge- zeigt, daß der Anstieg der EPO-Spie- gel geringer ausgeprägt ist als bei chronischen Blutungsanämien (Gra- fik 3). Ursache für diese Hemmung der EPO-Produktion können zirku- lierende Zytokine sein oder hämody- namische Faktoren wie die Plasmavis- kositätserhöhung bei Gammopathien (26, 36, 89). Da eine inadäquat niedri- ge EPO-Produktion häufig nur ein Teilaspekt in der Pathogenese dieser Anämien ist und beispielsweise auch eine direkte Hemmung der Erythro- poese oder eine verminderte Eisen- freisetzung aus dem retikuloendothe- lialen System beteiligt sind, ist die Chance einer Behandelbarkeit mit rhEPO grundsätzlich geringer als bei der renalen Anämie. Mit im Vergleich zur „Substitutions“-Therapie bei Nie- reninsuffizienz deutlich höheren,

„pharmakologischen“ Dosen können aber bei vielen Patienten mit Karzino- men, Lymphomen und chronisch ent- zündlichen Gelenk- oder Darmer- krankungen eine Anhebung des Hb- Wertes, eine Reduktion des Transfu- sionsbedarfs und vielfach auch eine Verbesserung der Lebensqualität er- reicht werden (Textkasten: Erfolgrei- che Anämie-Behandlung).

Besonderen Stellenwert hat die EPO-Therapie unter chemotherapeu- tischer Behandlung mit Cis-Platin, da dabei eine durch Nierenschädigung induzierte Störung der EPO-Produk- tion eine wesentliche Rolle spielt (100). Für AIDS-Patienten und Pati- enten mit myelodysplastischem Syn- drom (MDS) konnte gezeigt werden, daß der endogene Serum EPO-Spie- gel eine gewisse Voraussage über den Therapieerfolg erlaubt (Patienten mit Spiegeln > 500 U/l sprechen deutlich schlechter an) (31, 69). Bei Patienten mit myelopdysplastischem Syndrom scheint außerdem eine Kombination von EPO mit anderen Wachstumsfak- toren (79) sinnvoll zu sein.

Eigenblutspender

Die Beziehung zwischen Sauer- stoffangebot und EPO-Spiegeln ist exponentiell und im Bereich einer nur Positive Effekte bei der Behandlung

von niereninsuffizienten Patienten mit rhEPO

verbesserte

Lebensqualität (11, 39, 64) verbesserte körperliche

Leistungsfähigkeit (11, 52, 58) reduzierter

Transfusionsbedarf (24, 98) verminderte Angina-

pectoris-Symptomatik (52, 99) Reduktion von

Myokardhypertrophie (47, 52) verbesserte kognitive

Funktion (54)

verbesserter

Ernährungszustand (4, 38) verbesserter

Glukosemetabolismus (2) verbesserte

Sexualfunktion (8, 81) verbesserte

Immunfunktion (85)

reduzierte

Blutungsneigung (90, 95) verminderter Juckreiz (15, 93) Vermeidung von

Eisenüberladung (43)

(5)

geringen Reduktion des arteriellen Sauerstoffgehaltes sehr flach (Grafik 3). Das bedeutet, daß ein mäßiger Hä- moglobin-Abfall oberhalb einer Hb- Konzentration von etwa 10 g/dl nur zu einem geringen, in Einzelfällen kaum nachweisbaren EPO-Anstieg führt (40, 46, 61). Aus teleologischer Sicht scheint diese „konservative“ Regula- tion sehr sinnvoll: das Risiko einer durch Überstimulation des Knochen- marks induzierten Polyzythämie ist höher als das einer nur langsamen Korrektur einer mäßiggradigen An- ämie. Unter kontrollierten Bedingun- gen kann durch pharmakologische Dosen von rhEPO die Blutbildung aber soweit stimuliert werden, daß die Anämiekorrektur schneller erfolgt

und so bei Eigenblutspendeprogram- men eine größere Menge Erythro- zyten präoperativ gewonnen werden kann (29, 71). Da operativer Blutver- lust offensichtlich weitgehend unab- hängig ist von dem vorhandenen Blut- volumen, profitieren insbesondere Patienten mit einem entsprechend ih- rer Konstitution niedrigen Blutvolu- men (Frauen mit niedrigem Körper- gewicht) von der präoperativen EPO- Therapie. Darüber hinaus wird der- zeit in zahlreichen Studien auch der perioperative Einsatz von rhEPO zur Verringerung des Transfusionsbe- darfs und zur schnelleren postoperati- ven Anämiekorrektur evaluiert. Ein-

drucksvolle Berichte liegen bereits vor über die Vermeidung von Trans- fusionen durch EPO-Therapie bei Zeugen Jehovas (28).

Mißbrauch als Doping-Mittel

Von Leistungssportlern kann rhEPO eingesetzt werden, um durch Steigerung der Blutzellmasse die Ausdauerleistungsfähigkeit zu er- höhen (88). Diese Anwendung von rhEPO wird wie die Gabe von Eigen- oder Fremdblutkonserven als „Blut- Doping“ eingestuft (12, 80). Aller- dings ist der Nachweis der rhEPO- Applikation auf Grund der Struk- turähnlichkeit mit dem endogenen Hormon und der lang anhaltenden Wirkung schwer zu führen. Ungeach- tet der sportlich-ethischen Problema- tik ist die Anhebung des Hämoglo- bins auf supranormale Werte mit ei- nem erheblichen gesundheitlichen Risiko für die Athleten verbunden und hat in Verbindung mit der Hämo- konzentration unter der körperlichen Belastung vermutlich schon zu meh- reren Todesfällen geführt (88).

Nebenwirkungen

Der zunehmende Einsatz von rhEPO wäre nicht möglich, wenn die kontrollierte Therapie nicht weitge- hend ohne ernsthafte Nebenwirkun- gen wäre. Das gentechnologisch her- gestellte Hormon ist, was den Prote- inanteil betrifft, identisch mit dem endogenen Hormon und, was den Zuckeranteil der derzeit verfügbaren Präparate betrifft, sehr ähnlich (91).

Die Bildung von Antikörpern ist ver- mutlich unter anderem deshalb welt- weit nur in sehr wenigen Einzelfällen beobachtet worden (6, 63, 68), und in zumindest einem dieser Fälle wurde ein EPO-Präparat mit einer etwas an- deren Zuckerstruktur verwendet (6).

Klinisch relevant ist als Neben- wirkung ein Anstieg des Blutdrucks (23, 55, 74), der aber nicht direkt un- ter der Applikation auftritt und prak- tisch nur bei Niereninsuffizienten be- obachtet wird, obwohl andere Patien- ten sehr viel höhere Dosen erhalten.

Vermutlich hat EPO deshalb keine di- rekte hypertensive Wirkung, sondern die mit Korrektur der Anämie ver- bundene Erhöhung des peripheren

Widerstandes führt vor allem bei ent- sprechend prädisponierten Patienten zu Blutdruckanstiegen. Direkte Ef- fekte auf Gefäßzellen lassen sich ex- perimentell nur mit rhEPO-Konzen- trationen nachweisen, die in der Re- gel weit über den unter Therapie er- reichten Konzentrationen liegen (73).

Hypertensive Enzephalopathie und Krampfanfälle sind in den ersten klinischen Studien beschrieben worden (20), werden aber unter langsamerer Anämiekorrektur mit niedrigen rhEPO-Dosen praktisch nicht mehr beobachtet. Die Verbesse- rung der Gerinnungsfunktion kann in Verbindung mit der Zunahme der Blutviskosität die Entstehung von Thrombosen der Dialysefisteln be- günstigen, aber die Inzidenz von Shuntthrombosen ist insgesamt nicht wesentlich gesteigert (11, 90).

Kosten, Nutzen und Perspektiven

In der Therapie dialysepflichti- ger Niereninsuffizienz ist rhEPO mittlerweile fest etabliert. Schon bei präterminalen, noch nicht dialyse- pflichtigen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und erst recht bei nicht renalen Indikationen ist die Umsetzung von Studienergebnissen in die Praxis aber längst noch nicht so weit vorangeschritten. Die Zulassun- gen für rhEPO beschränken sich bis- lang auf die Indikationen Nierenin- suffizienz, Chemotherapie mit Platin, Frühgeborenenanämie und Eigen- blutspende. Weitere kontrollierte Studien sind nötig, um bei unter- schiedlichen nichtrenalen Indikatio- nen Richtlinien für eine sinnvolle An- wendung geben zu können. Die Er- fahrung mit chronisch Nierenkranken lehrt aber sicherlich, daß man dabei die pathophysiologische Relevanz ei- ner chronischen Anämie nicht unter- schätzen sollte. Von daher könnte der Einsatz von rhEPO durchaus in Situa- tionen sinnvoll sein, in denen eine mäßige Anämie üblicherweise tole- riert wird, solange sie nur mit Fremd- blutgaben behandelt werden kann, wie bei vielen chronischen Erkran- kungen, nach Blutverlusten aus un- terschiedlicher Ursache, postoperativ oder bei Intensivpatienten. ! Chronisch entzündliche oder maligne

Erkrankungen, bei denen über eine erfolgreiche Anämie-Behandlung mit rhEPO berichtet wurde.

rheumatoide

Arthritis (60, 70) chronisch

entzündliche

Darmerkrankungen (83)

AIDS (31, 69)

Multiples Myelom (48, 67) Non-Hodgkin-

Lymphome (67)

Karzinome mit und ohne

Chemotherapie (7, 49, 66, 102)

(6)

Limitierend für einen umfassen- deren Einsatz sind vor allem die Ko- sten, insbesondere auch weil die erfor- derlichen Dosen in diesen Situationen relativ hoch sind. Der derzeitige Preis für rhEPO ist mitbestimmt durch eine auf Dialysepatienten zugeschnittene Kalkulation, aber auch durch die Ko- sten der Herstellung in aufwendigen Säugetierzellkulturen. Nachdem zu- nächst ein gentechnologisches Produkt entwickelt wurde, das dem endogenen Hormon soweit als möglich entspricht, gehen Entwicklungsansätze deshalb heute schon dahin, das Molekül gezielt zu modifizieren, um beispielsweise die Stabilität und damit die Wirksamkeit zu erhöhen oder auch eine orale Ein- nahme zu ermöglichen. Eine andere aufsehenerregende Strategie gelang im letzten Jahr mit der Herstellung von einfachen, 14 bis 20 Aminosäuren lan- gen, nicht mit EPO strukturverwand- ten Peptiden, die den EPO-Rezeptor in vivo und in vitro stimulieren und da- mit das Hormon möglicherweise völlig ersetzen können (Grafik 4)(45, 101).

Dieses „Molecular mimicry“ gilt als Sensation im Bereich der Biotechnolo-

gie und könnte erhebliche Auswirkun- gen auf die Behandlungskosten und damit auch die Therapieoptionen ha- ben. Auch gentechnologische Ansätze werden tierexperimentell verfolgt, bei denen ein modifiziertes EPO-Gen

vorübergehend in unterschiedlichen Zellen exprimiert wird, die daraufhin das Hormon sezernieren (30, 86). Ob- wohl solche Strategien noch weit vom klinischen Einsatz entfernt sind, ist durchaus nicht auszuschließen, daß sie nach weiteren zehn Jahren Erfahrung mit EPO als Therapeutikum zum Be- handlungsrepertoire von Anämien gehören werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-285–290 [Heft 6]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers

Priv.-Doz. Dr. med. Kai-Uwe Eckardt Abteilung Innere Medizin

mit Schwerpunkt Nephrologie und Intensivmedizin

Charité-Virchow-Klinikum Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Der Autor dankt Herrn Prof. Dr. med. U. Frei und Herrn Priv.-Doz. Dr. med. D. Kampf für Ihre Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes.

Frauen mit der höchsten radiolo- gisch ermittelten Knochendichte haben ein erhöhtes Risiko, ein postmenopau- sales Mammakarzinom zu entwickeln.

Dieser Zusammenhang zwischen der Knochendichte, die als Maß für die Höhe der körpereigenen Östrogenwer- te genommen wurde, und dem Auftre- ten postmenopausaler Mammakarzi- noma zeigte sich in einer Gruppe von 1 373 Frauen aus der Framingham Stu- die, bei denen in den Jahren von 1967 bis 1970 eine posterioanteriore Rönt- genaufnahme der Hand gemacht wur- de. In der Gruppe traten bis Ende 1993 insgesamt 91 Brustkrebsfälle auf, wo- bei die Frauen mit der dichtesten Korti-

kalis am zweiten Metakarpalknochen überdurchschnittlich häufig betroffen waren (RR 3,5 im Vergleich zu 1,0 bei den Frauen der höchsten Quartile an Knochendichte im Vergleich zur nied- rigsten Quartile). Die Hintergründe dieses Zusammenhangs sind bisher nicht völlig geklärt, die kumulative Wirkung körpereigener Östrogene könnte eine Rolle spielen. silk Zhang Y, Kiel DP et al.: Bone mass and risk of breast cancer among post- menopausal women, N Engl J Med 1997;

336: 611–617.

Dr. Y. Zhang, Rm. b-612, Boston Univer- sity Medical Center, 88 E Newton St., Boston, MA 02118, USA.

N 52

L 2 L 3 F 93

A

W W

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S S

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C 181 L 6

L 5L 4

C

N L 1

Grafik 4

Die Bildung eines Dimers aus zwei EPO-Rezeptormolekülen ist Voraussetzung für die Aktivierung des EPO- Rezeptors und damit die zelluläre Wirkung von EPO auf erythropoetische Vorläuferzellen. Dazu bindet norma- lerweise ein EPO-Molekül an die extrazellulären Komponenten von zwei Rezeptormolekülen, die sogenannten EPO-bindenden Proteine. Die Grafik zeigt eine dreidimensionale Darstellung eines Komplexes aus einem Dimer künstlich synthetisierter EPO-mimetischer Peptide (im Zentrum). Diese nur 20 Aminosäuren langen Peptide, die nicht mit EPO strukturverwandt sind, können die Funktion des 165 Aminosäuren langen EPO- Moleküls ersetzen. Reproduziert aus Livnah et al. 1996.

Knochendichte und Brustkrebsrisiko

bei postmenopausalen Frauen

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