DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KURZMITTEILUNG
Chronopharmakologie des Gonadotropin-
Releasing-Hormons (GnRH)
Zu den verschiedenen Beiträgen über die Chronopharmakologie und Chronotherapie in Heft 51/52, 1985, Seiten 3837 bis 3848, hat uns Dr. Klingmüller ein besonders ek- latantes Beispiel übersandt, das wir nachstehend als kurze Mittei- lung bringen. Rudolf Gross
D
ie GnRH-Therapie ist eines der am besten belegten Beispiele für die Bedeutung der Chro- notherapie. Bei der therapeuti- schen Anwendung von GnRH ist der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Hormongaben ent- scheidend für seine Wirkung. GnRH wird im Hypothalamus syn- thetisiert und ist für die Reifung und Aufrechterhaltung der Se- xualfunktionen notwendig. Es sti- muliert die Hypophyse zur Sekre- tion der Gonadotropine LH und FSH, die ihrerseits die Keimdrüsen zur Bildung der Geschlechtshor- mone anregen.Bereits 1972 wurde GnRH von A. V. Schally synthetisiert. Thera- pieversuche bei Patienten, denen dieses Hormon fehlt, waren je-
doch zunächst enttäuschend. Erst die Untersuchungen von E. Knobil und seiner Arbeitsgruppe (Univer- sität Pittsburgh, Pennsylvania) zeigten, daß bei Rhesusaffen, die
kein GnRH bilden, die Hypophyse
nur dann zur Gonadotropinsekre- tion stimuliert werden kann, wenn es pulsatil, das heißt in bestimm- ten zeitlichen Intervallen etwa alle 90 bis 120 Minuten verabreicht wird. Kontinuierliche Gabe von GnRH oder langwirksamen GnRH- Analoga unterdrücken dagegen die Gonadotropinsekretion (W. F.
Crowley, Harvard Medical School, Boston).
~ Dies läßt zwei Schlüsse zu: 1.
Es gibt physiologischerweise, wahrscheinlich im Hypothalamus, einen Zeitgeber, der eine pulsatile GnRH-Sekretion bewirkt. 2. Die Hypophyse reagiert auf die GnRH- Stimulation nur dann langfristig mit einer Gonadotropinsekretion, wenn sie mit einer bestimmten Im- pulsfrequenz angeregt wird. Eine Frequenzänderung moduliert be- ziehungsweise supprimiert die Se- kretion, möglicherweise infolge ei- ner Reduktion der hypophysären Rezeptoren für GnRH.
Abbildung: Stimu- lation der Hypo- physe zur Aus- schüttung von LH (0) und FSH (e) durch pulsatile nasale GnRH-Ap- plikation bei ei- nem Patienten mit hypothalami- schem Hrpogona- dismus ( : GnRH- Puls)
1202 (54) Heft 17 vom 23. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A
Für die Übermittlung der endokri- nen Botschaft existiert offenbar ähnlich wie in der Nachrichten- technik ein Sender, der Wellen ei- ner bestimmten Frequenz aus- schickt, und ein Empfänger, der nur durch eine bestimmte Weilen- länge angeregt wird, dann die Nachricht übersetzt und weiterver- arbeitet GnRH hat also je nach Applikationsart zwei unterschied- liche konträre Wirkungen: Stimu- lation beziehungsweise Suppres- sion der Gonadotropin- und damit der Geschlechtshormon-Freiset- zung. Daraus ergeben sich eine Reihe therapeutischer Möglich- keiten:
Patienten, denen infolge einer hy- pothalamischen Störung GnRH fehlt und die somit infertil sind, kann GnRH mit einer kleinen Pum- pe, die alle 90 Minuten einen Hor- monpuls subkutan abgibt, substi- tuiert werden. Bei zahlreichen Frauen konnte so erstmals eine Ovulation mit anschließender Schwangerschaft ausgelöst wer- den (G. Leyendecker, Städt. Kran- kenhaus Darmstadt und L. Wildt, Universitäts-Kliniken, Bonn). Bei Männern konnten wir auf diese Weise {Abbildung) die Pubertät einleiten sowie die Spermatoge- nese induzieren und erstmals durch anschließende nasale GnRH-Gabe beliebig lange auf- rechterhalten.
Bei Erkrankungen, die durch eine vermehrte Bildung von Ge- schlechtshormonen bedingt sind, kann diese Hormonproduktion durch langwirksame GnRH-Analo- ga reversibel supprimiert werden.
Den größten Erfolg gab es bei der Behandlung von Patienten mit pu- bertas praecox. Wenige Monate nach Therapiebeginn nehmen Ho- denvolumen beziehungsweise Brustumfang und Schambehaa- rung ab. Die Regelblutung sistiert (W. F. Crowley).
Die Blockierung der Hypophysen- Gonaden-Achse durch langwirk- same GnRH-Analoga schient dar- über hinaus auch bei hormonab- hängigen Karzinomen, wie Mam-
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Chronopharmakologie des GnRH KONGRESSBERICHT
Weltweiter Kampf gegen AIDS
ma- oder Prostatakarzinom, gün- stig zu sein. Tumoren, deren Wachstum durch die Geschlechts- hormone stimuliert wird, nehmen durch die „medikamentöse Ka- stration" an Größe ab. Durch Kno- chenmetastasen verursachte Schmerzen werden gemildert (F.
Labrie, Laval-Universität Quebec).
Die Hoffnung dagegen, GnRH als ideales Kontrazeptivum einsetzen zu können, wurde enttäuscht. Bei Frauen führen langwirksame GnRH-Analoga zu Zwischenblu- tungen, bei Männern nicht nur zur Unterdrückung der Spermatoge- nese sondern auch zum Verlust der Potenz.
Es ist eine neue Erkenntnis, daß der Sekretionsmodus des Hor- mons GnRH entscheidend das hormonale Signal beeinflußt. Bis- her galt, daß die endokrine Signalübertragung bestimmt wird durch:
1. die Molekularstruktur des Hor- mons,
2. seine mittlere Serumkonzentra- tion und
3. den Funktionszustand der Hor- monrezeptoren.
Man weiß heute, daß
4. das Sekretionsprofil des Hor- mons mitentscheidend ist.
Nur durch eine zeitgerechte Appli- kation von GnRH läßt sich das physiologische Sekretionsmuster imitieren. Dies ist die Basis einer sinnvollen GnRH-Therapie und unterstreicht die Bedeutung der Ch ro no pharmakolog ie.
Literatur bei den Verfassern:
Dr. med. Dietrich Klingmüller Professor Dr. med.
Hans Udo Schweikert Medizinische Universitäts- Poliklinik, Endokrinologie Wilhelmstraße 35-37 5300 Bonn 1
Das zweite Treffen der mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeitenden AIDS-Zentren fand im Dezember 1985 in Genf statt. Die Teilnehmer berieten den Fortschritt der Er- kenntnisse und formulierten Emp- fehlungen für die Gebiete Informa- tion, Prävention, Standardreagen- zien, LAV/HTLV-111-Antikörperte- ste, epidemiologische Erfassung und Forschung auf den Gebieten Impfstoffe und antivirale Therapie.
Eine Verbesserung der zentralen Datenerfassung durch die WHO soll angestrebt werden. Hierzu müssen die nationalen Berichtssy- steme zu AIDS und LAV/HTLV-III- Infektionen vereinheitlicht und über die WHO in regelmäßigen Ab- ständen den Mitgliedsländern be- kannt gemacht werden.
Zudem sollen Richtlinien für die Prävention und Kontrolle von LAV/
HTLV-III-Infektionen erarbeitet werden. Diese Richtlinien sollen Verhaltensregeln für Angehörige medizinischer oder paramedizini- scher Berufe enthalten. Als zur In- aktivierung von LAV/HTLV-III ge- eignete Desinfektionsmittel wur- den Natriumhypochlorit (5 bis 10 g/I), Formaldehyd (50 g/I), Äthanol (700 g/I) und Glutaraldehyd (20 g/I) genannt. Weitere Richtlinien be- treffen Maßnahmen zur Verhütung der sexuellen, parenteralen oder perinatalen Übertragung von LAV/
HTLV III.
Es besteht ein dringender Bedarf an Anti-LAV/HTLV-III-Referenzrea- genzien. Gut charakterisierte Se- ren mit LAV/HTLV-111-Antikörpern sollen beim Aufbau, bei der Inter- pretation und Standardisierung von Testsystemen helfen und in- ternationale Vergleichsuntersu- chungen ermöglichen.
Den serologischen Nachweis von Anti-LAV/HTLV-III kann man mit eingehend geprüften ELISA-Test- systemen als Screening-Untersu- chung durchführen. Als geeignete Bestätigungsteste stehen lmmuno-
blot- und Immunfluoreszenzver- fahren zur Verfügung. Die Not- wendigkeit der Entwicklung von zuverlässigen und empfindlichen Methoden zum Nachweis von LAV/
HTLV-III oder viraler Komponen- ten wurde bekräftigt.
Die Entwicklung von wirksamen Impfstoffen gegen LAV/HTLV-III- Infektionen wurde als vordring- liches Ziel gesehen. Gegenwärtige Anstrengungen sind vor allem auf die Identifizierung von konstanten und konservierten genetischen Strukturen bei verschiedenen Vi- rusisolaten gerichtet, um eine möglichst breite Wirksamkeit ge- gen LAV/HTLV-III-Varianten zu er- reichen.
Versuche zur Therapie werden ge- genwärtig mit mehreren antivira- len Substanzen (Suramin, Ribavi- rin, Foscarnet, HPA 23, Ansamycin, Azidothymidin) unternommen. In- terferone und andere immunmo- dulatorisch aktive Substanzen (In- terleukin 2, Thymushormone) wer- den ebenfalls geprüft.
Therapieversuche sollten nur in kontrollierten Studien und mög- lichst in internationaler Zusam- menarbeit durchgeführt werden, um unnötige Doppeluntersuchun- gen zu vermeiden und um signifi- kant positive oder negative Resul- tate in jedem Fall so schnell wie
möglich zu erhalten.
Für die experimentelle Erprobung von antiviralen Substanzen steht mit STLV-111-infizierten Rhesusaf- fen ein geeignetes Tiermodell zur Verfügung (siehe auch WHO Wkly Epidem. Rec.: No. 43 — 25 October 1985, 333 bis 335).
Professor Dr. med.
Friedrich Deinhardt, Dr. med. Jochen Abb, Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung
der Viruskrankheiten e. V.
Pettenkoferstraße 9 a 8000 München 2
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 17 vom 23. April 1986 (57) 1203