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Archiv "Arzneimittelforschung: Geht es nur um die Wahrheit?" (02.07.2004)

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P O L I T I K

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A1944 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 272. Juli 2004

unter den Ländern nicht lange halten lassen“, befürchtet Danner. Aus diesem Grund existieren zwischen der AOK Sachsen und polnischen oder tschechi- schen Krankenversicherungen noch keine Verträge. „Solche Verträge werden die Preise in Osteuropa in die Höhe treiben und letztlich dazu führen, dass die Osteuropäer sich ihre eigenen Gesundheitssysteme nicht mehr leisten können“, befürchtet Thomas Meinhold von der AOK Sachsen.

Etwas reger ist die Nachfrage osteu- ropäischer Patienten nach deutschen Gesundheitsdienstleistungen. „Die An- zahl von angeblichen Notfällen über den Auslandskrankenschein E 111 ist stark gestiegen“, sagt Danner. Besorgniserre- gend daran sei, dass die osteuropäischen Sozialversicherungen mit großer Wahr- scheinlichkeit bald nicht mehr in der Lage seien, die Behandlungskosten an die deutsche Krankenkasse zurückzuer- statten. Schließlich erfolge die Abrech- nung nach deutschen Konditionen, nicht nach denen der osteuropäischen Nach- barländer. Martina Merten

Krankenversicherung und

Gesundheitsleistungen im Ausland

>Leistungen ohne vorherige Genehmigung (Ko- stenerstattung), zum Beispiel bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen, Arzneimitteln und physiotherapeutischen Behandlungen; Erstattungs- beitrag richtet sich nach den in Deutschland gelten- den Konditionen (unter anderem Zuzahlungen);die entstandenen Kosten werden höchstens bis zu dem Beitrag erstattet, den die deutsche Krankenver- sicherung für die gleiche Leistung im Inland tragen würde; vom Erstattungsbeitrag wird zudem ein Ab- schlag abgezogen, um den höheren Verwaltungs- aufwand abdecken zu können

>Leistungen mit Leistungsberechtigungs- schein oder Auslandskrankenschein, zum Beispiel über den E 112 bei gezielten Behandlungen,hier gelten Rechtsvorschriften und Gewährleistungs- regeln des Aufenthaltslandes; oder über E 111 (ge- gebenenfalls Europäische Krankenversicherungs- karte) bei Notfallbehandlungen; Versicherter muss nicht in Vorleistungen treten;

>Leistungen mit vorheriger Genehmigung, zum Beispiel bei Krankenhausbehandlungen, Zahnersatz oder ambulanten Badekuren; beim Zahnersatz ist ein übersetzter Kostenvorschlag des ausländischen Arztes notwendig

>Weitere Informationen unter:

1. www.aok.de; Bundesland; Leistungen 2. www.dvka.de (Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland)

3. www.kzbv.de (Kassenzahnärztliche Bundes- vereinigung)

4. www.vzbv.de (Verbraucherzentrale Bundes-

verband) MM

Textkasten

D

er Verband Forschender Arznei- mittelhersteller (VFA) macht sich Sorgen. „Im internationalen Ver- gleich der großen Pharmastandorte ist Deutschland mittlerweile Schlusslicht“, erklärte VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer Anfang dieses Jahres in Berlin. Während die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung hierzulan- de vermutlich sinken, rechnen drei Viertel der VFA-Unternehmen mit steigenden Investitionen im Ausland.

„Deutschland läuft immer mehr Gefahr, als Forschungsstandort den Anschluss zu verlieren“, warnte Yzer.

Den Standort USA bewerten die VFA- Mitglieder dagegen in einer internen Befragung mit der Bestnote 1,3.

Was tun? Das deutsche Arzneimittel- recht gilt als eines der strengsten der Welt. Eine Forderung der pharmazeuti- schen Industrie lautet, klinische Unter- suchungen weniger zu reglementieren.

Kosten und Zeit für die Entwicklung neuer Wirkstoffe sollen sinken. Für die Sicherheit der Patienten sehen die Hersteller dadurch keine Nachteile.

Schließlich finde die Forschung über- wiegend an universitären Einrichtun- gen statt – und diese seien nun einmal glaubwürdig und neutral.

Studienergebnisse können jedoch objektiv erhoben und dennoch umsatz- orientierten Zielen angepasst werden.

Kenner der Szene meinen, dass ein be- deutender Prozentsatz aller Daten, die zur Registrierung eines neuen Medika- ments bei den Behörden vorgelegt wer- den, schöngefärbt oder gefälscht sind.

Diese Einschätzung müsste Verbrau- cherschützer und Politiker aufhorchen lassen. Denn sie wurde kürzlich vom Vorsitzenden der Arzneimittelkom-

mission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), Prof. Dr. med. Bruno Müller- Oerlinghausen, referiert. Die Institution hat es sich seit ihrer Gründung 1911 zur Aufgabe gemacht, die Sicherheit und Effektivität von Medikamenten kritisch zu prüfen.

Auftragsforschung

„Nein, wir sitzen gewiss nicht in einem Boot“, stellt Müller-Oerlinghausen ge- genüber Vertretern großer Industrie- verbände klar, die gerne Gegensätz- liches behaupten. Er warnt vor einem schleichenden Glaubwürdigkeitsverlust der medizinischen Wissenschaft – Folge der ungebremsten Kommerzialisierung akademischer Ressourcen. „Unzweifel- haft ist, dass es offene, echte, kreative Zusammenarbeit gibt oder zumindest gegeben hat. Ich vermute aber, dass es sich doch um seltene Vorgänge han- delt; das Gros der industriegespon- serten biomedizinischen Forschung an den Universitäten dürfte Auftrags- forschung sein.“

Das Thema wurde in Deutschland lange Zeit vernachlässigt. Umso hefti- ger waren die Reaktionen nach kriti- schen Veröffentlichungen in Nachrich- tenmagazinen wie dem „Spiegel“. Nun fürchten vor allem die praktisch tätigen Ärzte um ihr wichtigstes Therapeuti- kum: das Vertrauen der Patienten. In den USA und in Großbritannien disku- tieren Spezialisten mögliche Risiken und Nebenwirkungen des Problems seit längerem. Als Auslöser der Debatte gilt der Fall Jesse Gelsinger. Der 18-Jährige stellte sich 1999 für eine klinische Stu- die an der Universität von Pennsylvania

Arzneimittelforschung

Geht es nur um die Wahrheit?

Die Verflechtung von pharmazeutischer Industrie und akade-

mischer Wissenschaft wird immer enger. Experten fürchten um

die Unabhängigkeit der biomedizinischen Forschung.

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zur Verfügung. Er wollte damit unheil- bar kranken Kindern helfen. Jesse selbst litt an der ungefährlicheren Variante eines Erbleidens, das in seiner schwer- sten Ausprägung tödlich verläuft. Wäre das Experiment bei ihm geglückt, hätte es auch für die kleinen Patienten Hoff- nung auf Heilung gegeben.

Über die Risiken der Gentherapie, die bei ihm erstmals am Menschen er- probt werden sollte, glaubte sich der Teenager gut informiert.Was er und sei- ne Familie nicht wussten: Der Studien- leiter besaß Anteile an einem genthera- peutischen Unternehmen und hätte von einem positiven Ausgang des Versuchs vermutlich auch finanziell profitiert.

Vier Tage nach der Infusion genetisch veränderter Viren starb Jesse Gelsin- ger. Die anschließende Untersuchung ergab unerklärliche Versäumnisse bei der Aufklärung des freiwilligen Ver- suchskaninchens und eigenmächtige Änderungen des Vorgehens. Mit der Ethikkommission vereinbarte Hinweise auf Todesfälle im Tierversuch und be- kannte schwere Nebenwirkungen beim Menschen waren aus den Dokumenten, die Gelsinger zur Unterschrift vorla- gen, verschwunden. Außerdem wurden die Viren nicht, wie vorgesehen, in eine Vene injiziert, sondern direkt in die ge- schwächte Leber. Die Verantwortlichen sprachen von einem „Versehen“. Ein Einzelfall? Keineswegs. Nachforschun- gen der US-amerikanischen Gesund- heitsbehörden zeigten, dass es bei Gentherapiestudien zu sechs weiteren Todesfällen gekommen war, von denen die Forscher bisher keine Meldung gemacht hatten.

„Kognitionswirtschaft“

Um die Gentherapie ist es seitdem stil- ler geworden. Die immer enger werden- de Verbindung von medizinischer Wis- senschaft und Industrie bereitet Exper- ten jedoch zunehmend Kopfzerbrechen.

David Korn, Senior-Vizepräsident der Vereinigung der amerikanischen Col- leges,spricht von einem „Undeutlichwer- den der Grenzen, die einst in vernünfti- ger Weise die akademischen Interessen und Werte von denen der Handelswelt trennten“. Peter Sloterdijk, Philosoph und Sozialkritiker mit einem Hang zu

düsteren Zukunftsprognosen, befürch- tet gar eine „Kognitionswirtschaft, die zuletzt auch die vormals großartigsten Schöpfungen der europäischen Intelli- genzökologie, die Universitäten, zu mehr oder weniger schäbigen Agenturen eines globalisierten Ideengeldmarktes herabstufen wird“.

Die Entwicklung ist tatsächlich dra- matisch. In den USA, dem weltweit wichtigsten Pharmastandort, hat sich der Anteil industrieller Mittel an der Gesamtfinanzierung biomedizinischer Forschung in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt: von 32 Prozent im Jahr 1980 auf 62 Prozent im Jahr 2000. Einer aktu- ellen Untersuchung zufolge pflegt dort etwa ein Drittel der universitären Wis- senschaftler persönlich finanzielle Be- ziehungen zu industriellen Sponsoren.

Die möglichen Konsequenzen der engen Zusammenarbeit von Akademi- kern und Managern sind subtil und nicht allein durch Ärztetagsbeschlüsse oder durch einen „Benimmkodex“ der pharmazeutischen Industrie aus der Welt zu schaffen. „Es geht nicht um Korruption, sondern um Expertenmei- nungen und deren Glaubwürdigkeit und Transparenz“, betonte Müller-Oer- linghausen im Januar vor der Berliner Medizinischen Gesellschaft. Eine Zu- hörerin fragte kritisch nach: „Geht es nicht auch um die Wahrheit?“ Gerade damit scheint es jedoch nicht zum Besten bestellt zu sein. So fand eine Analyse von 61 industriegeförderten, publizierten Studien zu neuen Anti- phlogistika in keinem einzigen Fall ein für das getestete Präparat ungünstiges Ergebnis. Ein erstaunliches Resultat.

Viel zitiert wurde in den letzten Jah- ren auch eine Untersuchung zur Beur- teilung von Calciumantagonisten.Auto- ren, die den Einsatz der Wirkstoffe befürworteten, hatten zu 96 Prozent Verbindungen zu deren Herstellern.

Bei Forschern mit kritischer Einstel- lung waren es dagegen nur 37 Prozent.

Es ist nicht notwendig, Daten nachträglich zu manipulieren, um ein erwünschtes Ergebnis zu erhalten.

Schon das Studienprotokoll eines kon- trollierten doppelblinden Versuchs kann ein bestimmtes Resultat wahr- scheinlich machen. Die Dosierungen der beiden Arzneimittel müssen näm- lich miteinander vergleichbar sein, um

zu einem fairen Resultat zu kommen.

Wird das Testpräparat in einer relativ höheren Wirkstärke verabreicht als das Standardmedikament, ist das Ergebnis der Untersuchung vorhersagbar. Eben- so lässt sich durch eine relativ zu hohe Dosierung des Vergleichswirkstoffs eine scheinbar geringere Nebenwir- kungsquote des Testpräparats sugge- rieren. Hier bestehen also auch bei Befolgung aller modernen Regularien zur Studiendurchführung Manipulati- onsmöglichkeiten, die nicht selten bis über die Grenze des Vertretbaren hinaus genutzt werden.

Interessenkonflikte

Entspricht das Ergebnis einer Untersu- chung dennoch nicht den Vorstellungen der Auftraggeber, wird zuweilen kurzer- hand die Veröffentlichung verhindert.

Müller-Oerlinghausen hat derartiges selbst erlebt. Er fordert daher eine zen- trale Stelle, bei der alle laufenden Studi- en registriert werden. Ein Verschweigen unliebsamer Resultate wäre damit er- schwert – allerdings nur dann, wenn die- se Information den medizinischen Fach- kreisen auch zugänglich gemacht wird.

Fachzeitschriften sind inzwischen da- zu übergegangen, mögliche Interessen- konflikte bei klinischen Studien durch das Nennen der industriellen Sponso- ren aufzudecken. Mit fraglichem Er- folg. Für nicht wenige US-amerikani- sche Forscher ist diese Regelung sogar zu einem zynischen Wettbewerb gewor- den.Wer die meisten Interessenkonflik- te nennen kann, gilt demnach als beson- ders kompetente und einflussreiche Persönlichkeit in der Wissenschaft. In einem Fall sahen sich die Herausgeber eines angesehenen US-amerikanischen Journals allerdings zu einem redaktio- nellen Kommentar gezwungen: Die Verbindungen des Autors mit Herstel- lern der von ihm referierten Wirkstoffe seien so intensiv, dass der Platz nicht ausreiche, sie komplett aufzulisten.

Wie sich die Zeiten ändern. Max Weber betonte in seinem berühmten Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ im Jahr 1917: „Persönlichkeit auf wissen- schaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient.“ Was wohl Frau Yzer dazu sagen würde? Alexander Großkopf P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 272. Juli 2004 AA1945

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