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FDP
Liberale Signale
W
ährend sich die großen Volksparteien mit wahl- politischen Aussagen zur Sozial- und Gesundheitspoli- tik noch zurückhalten, eröffnet die FDP mit einem Reformkon- zept für die gesetzliche Kranken- versicherung (GKV) den Bundes- tagswahlkampf. Was bislang mit Rücksicht auf den größeren Koali- tionspartner noch stromlinienför- mig formuliert worden war, wird jetzt in aller Deutlichkeit offen- bart:Zumindest für den gesund- heitspolitischen Sprecher der Li- beralen, den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bun- destages, Dr. Dieter Thomae MdB, soll die gesamte Kranken- versicherung völlig umgekrempelt werden. Das Sachleistungssystem aus Bismarcks Zeiten müsse durch das Kostenerstattungsverfahren ersetzt werden; dies wird als eine
„ideologische Trennlinie" in der gesamten Gesundheitspolitik be- zeichnet. Das Sachleistungs-/Na- turalleistungssystem lasse keinen
individuellen Versicherungsschutz und kaum Wahlfreiheiten zu. Die- ses tragende Organisationsprinzip sei schuld daran, daß mit bürokra- tischen Reglementierungen ver- sucht werde, die Mündigkeit von Versicherten und Leistungser- bringern zu untergraben und rigi- de Kontrollmechanismen zu ver- hängen. Die dadurch notwendig werdende staatliche Interventi- onsspirale müsse endlich gestoppt und durch sich selbst steuernde, mehr marktwirtschaftliche Me- chanismen abgelöst werden.
Flexibilität im Leistungs-, Beitrags- und Vertragsrecht lautet die Devise der FDP-Oberen. Des- halb solle die dirigistische Kosten- dämpfung durch Preiswettbewerb der Versicherungsträger ersetzt werden. Notwendig sei auch eine Verbreiterung der Finanzierungs- basis. Klare Zielvorgabe der FDP sei es, an die Stelle der Beiträge
„Preise" für Versicherungsleistun- gen treten zu lassen. Geringver- diener müßten bei stabilen Bei- tragsbemessungsgrenzen staatli-
che Zuschüsse nach dem Wohn- geldprinzip erhalten. Konsequen- terweise fordert die FDP, daß der bisherige Arbeitgeber-Anteil zur Krankenversicherung voll auf das Entgelt umgebucht wird und so für den Faktor Arbeit voll sichtbar wird (bei entsprechender Reduk- tion der Einkommensteuer). Die FDP verspricht sich dadurch ein steigendes Interesse der Versi- cherten an einem kostengünstigen Versicherungsschutz.
Sachleistungen und Kassen- arztrecht will die FDP für Gering- verdiener freilich beibehalten.
Kostenerstattung mit flexiblem Vertragsrecht und Wahlfreiheiten sollen hingegen für alle Besserver- dienenden gelten. In diesem Sek- tor sollten auch die von den Kran- kenkassen favorisierten „Ein- kaufsmodelle" zum Zuge kom- men. Die Kassen sollten das Recht erhalten, bestimmte Lei- stungen „einzukaufen" und ab- wählen zu können. Freilich soll die freie Arztwahl dadurch nicht eingeschränkt werden . . . HC
Teenager
Vor und zurück
B
ei den Bemühungen, die Zahl der Teenager- Schwangerschaften in Großbritannien zu senken, zeich- nen sich ein Fortschritt und ein Rückschritt ab. Bisher fürchteten viele junge Mädchen, besonders wenn sie noch nicht 16 Jahre alt waren, daß ein Arzt, den sie um Beratung über Kontrazeptiva bit- ten, möglicherweise die Eltern in- formieren würde. In einer gemein- sam abgefaßten Richtlinie habendeshalb nun die für ethische Fra- gen maßgebenden ärztlichen Or- ganisationen festgestellt, daß auch in diesen Fällen für den Arzt die absolute Verschwiegenheitspflicht gilt.
Dies ist der Fortschritt. Und nun der Rückschritt: In Großbri- tannien gibt es spezielle Bera- tungsstellen für Jugendliche unter dem Namen „Brooks Advisory Centre" (das Wort „Familienpla- nung" vermeidet man lieber, denn
an eine solche Planung im wörtli- chen Sinne denken die jungen Leute ja am wenigsten). Die Zen- tren unterliegen ebenso der Ver- schwiegenheitspflicht. Moralapo- stel-Gruppen haben seit mehr als einem Jahr damit begonnen, eini- ge dieser Zentren zu bedrohen, Wachen aufzustellen und die Ju- gendlichen, die die Einrichtungen besuchen, zu fotografieren. Gegen solche Praktiken gibt es bisher noch kein Mittel. bt Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 5, 4. Februar 1994 (1) A-237