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Archiv "Körperwelten: Pietätlose Erlebnisanatomie" (06.02.2004)

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P O L I T I K

A

A312 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 66. Februar 2004

G

unther von Hagens nennt seine

„Körperwelten“ eine Anatomie- ausstellung – das wirft Fragen auf:

Was ist Anatomie, was treibt ein Ana- tom? Die Anatomie hat die Aufgabe, die Struktur des menschlichen Körpers zu untersuchen und die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu kommunizieren: an Ärzte, Medizinstudierende – und an ein interessiertes Publikum. Kenntnisse der Anatomie sind notwendig, um die Funk- tionen und Krankheiten des Körpers zu verstehen. Die Anatomie ist daher das Fundament der modernen Medizin; sie ist die Grundlage des ärztlichen Handelns und des biologischen Verständ-

nisses der menschlichen Natur.

Ein Anatom, der an der Ver- breitung anatomischen Wissens interessiert ist, müsste die Aus- stellung „Körperwelten“ ei- gentlich begrüßen. Eine tiefere Analyse lässt jedoch nur den ei- nen Schluss zu: die Ausstellung aufs Schärfste abzulehnen. Herr von Hagens verstößt damit

eklatant gegen fundamentale inhaltliche Prinzipien und ethische Grundsätze der modernen Anatomie im 21. Jahrhundert.

Wie alle naturwissenschaftlichen Dis- ziplinen muss die Anatomie von der realen Natur ausgehen; sie muss den menschlichen Körper, so wie er ist, analysieren und zu verstehen versu- chen, um richtige und sinnvolle Er- kenntnisse zu gewinnen. Dies galt und gilt für alle, die Anatomie betreiben, seien es Lernende oder Lehrende. Um reale Erkenntnis zu gewinnen, darf das zu Untersuchende nicht vorab durch Gedanken und Aktionen des Unter- suchers oder Betrachters gedreht, ge- wendet und verzerrt werden. Der Ana- tom seziert und analysiert objektiv und ohne Voreingenommenheit. Seine ana- tomischen Betrachtungen bleiben je- doch heute – und das ist der wesentliche Fortschritt gegenüber den anatomi- schen Theatern vergangener Jahrhun- derte – nicht deskriptiv und statisch, sie werden in eine „Anatomie am Leben- den“ umgesetzt. Diese hat nicht nur die jahrhundertealte makroskopische Di- mension, sondern dringt weit auf die

Ebene einzelner Zellen und Moleküle als den Grundlagen normaler oder gestörter Körperfunktionen vor. Hier- durch wird anatomische Erkenntnis dy- namisiert und vermittelt nicht nur de- skriptiv und in einer Momentaufnahme die räumliche Dimension eines im Tod erstarrten menschlichen Körpers oder einer einzelnen Zelle, sondern auch – und das ist der wesentliche Erkenntnis- gewinn der modernen Anatomie – die zeitliche Dimension lebendiger Funk- tionen. Insofern ist die „Körperwelten“- Ausstellung unter fachlichen Gesichts- punkten ein alter Hut.

Der makroskopischen und mikrosko- pischen Anatomie am Lebenden, die letztlich das Ziel aller Anatomen ist, setzt Herr von Hagens seine „Erlebnisanato- mie“ in Plastination entgegen und insze- niert die Verstorbenen in Positionen, die Menschen in ihrer Todesstunde kaum einnehmen können. Begründet wird die- se Verzerrung damit, dass „Edutain- ment“, die Verbindung von Erziehung („education“) und Unterhaltung („enter- tainment“), notwendig sei, um Menschen zum Hinsehen und Lernen zu motivieren.

Nun weiß jeder, der um die Verbrei- tung und Weitergabe von Wissen bemüht ist, dass die Zuschauer und Zuhörer zu Anfang dieser Wissensvermittlung – in tabula rasa – den zu vermittelnden Inhal- ten nicht mit der gleichen Begeisterung und dem gleichen Enthusiasmus gegen- überstehen wie diejenigen, die das Wis- sen abgeben und verbreiten wollen. Di- daktische Prinzipien sind deshalb vonnö- ten. Diese müssen aber dem eigentlichen Anliegen, der Vermittlung von – in die- sem Fall – anatomischen (und zellbiolo- gischen!) Sachverhalten dienen und sich ihm selbstlos unterordnen; sie dürfen

sich nicht verselbstständigen und eine ei- gene Botschaft vermitteln, die mit dem eigentlichen Anliegen gar nichts mehr zu tun hat. Die „Erlebnisanatomie“ des Herrn von Hagens ist ein fundamenta- ler Verstoß gegen diese didaktischen Grundprinzipien. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, und eine gute Show führt nicht zwangsläufig dazu, Inhalte authentisch zu vermitteln.

Zweifellos bewegt sich die anatomi- sche Präparation in einer diffusen Grenz- zone zwischen Mensch und Material. Auf der einen Seite ist der lebende Mensch samt seinem Leib, über den er in aller Freiheit als Subjekt selbst verfü- gen soll und den niemand ande- res als er selbst zum Eigentum haben kann. Und auf der ande- ren Seite ist das fertig gestellte anatomische Präparat, das sehr wohl dazu genutzt wird und ge- nutzt werden darf, um Erkennt- nis zu gewinnen und Wissen zu vermitteln. Auf dem Weg des Leibes vom lebenden Körper zur toten Sache ist aber keine scharfe Grenze gezogen. Die Würde des Men- schen erlischt nicht mit dem Tode; so- wohl sein Andenken als auch sein toter Körper erheben Anspruch auf einen Umgang, den man gemeinhin als

„pietätvoll“ bezeichnet. Irgendwo auf dem weiteren Weg wird der Leib den- noch zur Leiche, die, wenn man sie nicht anatomisch bearbeitet, vollends verwe- sen würde – und der Eingriff des Anato- men, der das verhindert, macht den Kör- per endgültig zum Objekt und Präparat.

Wo in diesem Kontinuum endet die Verfügungsgewalt des ehemaligen Besit- zers des Körpers, wo beginnt der Körper, eine Sache zu sein? Nachdrücklich ist dafür zu plädieren, die Grenze möglichst weit zum Präparat hin vorzuschieben.

Denjenigen, die behaupten, dass die Ver- fügungsgewalt eines Menschen über sei- nen Körper mit dem Tod ende, dass es al- so rechtens sei, den Körper einer namen- losen asiatischen Schwangeren samt ihrem Fötus oder den eines hingerichte- ten chinesischen Menschen für anato- mische Zwecke zu verwenden – denen ist entgegenzuhalten, dass es nur ein klei-

Körperwelten

Pietätlose

Erlebnisanatomie

KOMMENTAR

(2)

Aut-idem-Regelung

Preisniveau von Generika gesunken

Bundesregierung zieht positive Zwischenbilanz.

B

egleitet vom Protest der Betroffe- nen – allen voran Ärzte und Arz- neimittelhersteller –, trat im Febru- ar 2002 die neue Aut-idem-Regelung in Kraft. Sie verpflichtet die Apotheker, ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arz- neimittel mit gleicher Wirkstärke und Packungsgröße und mindestens ver- gleichbarer Darreichungsform abzuge- ben, wenn der Arzt nicht selbst ein preis- günstiges Mittel verschreibt oder die Substitution ausdrücklich ausschließt.

Als preisgünstig gelten Arzneimittel im unteren Preisdrittel der Gruppe aus- tauschbarer Präparate. Die Bundesre- gierung versprach sich von dieser neuen Regelung, die die bisherige umkehrte, Einsparungen von rund 230 Millionen Euro jährlich. Die Kritiker befürchteten eine Beschneidung der ärztlichen The- rapiefreiheit und einen ruinösen Preis- wettbewerb der Generikahersteller. Da- nach wurde es still um aut idem.

Einsparziel in etwa erreicht

Jetzt hat die Bundesregierung einen Er- fahrungsbericht vorgelegt. Danach lag die Zahl der Packungen, die unter die Aut-idem-Regelung fallen, am 1. Okto- ber vergangenen Jahres bei rund 16 800.

Der Umsatz dieser Arzneimittel zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erreichte dem Bericht zufolge rund 4,26 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 78 Prozent am Gesamtumsatz des generikafähigen Arzneimittelmark- tes. Auf dem gesamten Festbetragsmarkt (neben wirkstoffgleichen gelten auch für -ähnliche und vergleichbare Arzneimit- tel Festbeträge) war das Preisniveau von Januar 2002 bis Oktober 2003 um rund vier Prozentpunkte rückläufig. Die Preis- senkungen für einzelne Arzneimittel, die unter die Substitutions-Regelung fallen, können allerdings deutlich größer sein,

so die Bundesregierung in ihrem Bericht.

Das liegt ihrer Ansicht nach daran, dass Hersteller von Präparaten, die häufig zu- lasten der Krankenkassen verordnet werden, die Preise auf oder unter die je- weilige Preisdrittellinie gesenkt haben, um eine Substitution ihrer Präparate zu verhindern. Die Aut-idem-Regelung ha- be offenbar den Preiswettbewerb bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln deutlich belebt, folgert der Regierungsbericht.

Über die tatsächlichen Einsparungen durch aut idem gehen die Annahmen auseinander. Der Regierungsbericht zi- tiert den Bundesverband der Arzneimit- telhersteller (BAH) mit 228 Millionen Euro errechneter Einsparungen, wäh- rend der Bundesverband der Betriebs- krankenkassen (BKK) auf 170 Millionen Euro für 2003 kommt. Für die Bundesre- gierung sind damit „die angestrebten fi- nanziellen Auswirkungen wahrscheinlich in etwa erreicht worden“. Außerdem sei der befürchtete Preisverfall bei Generika und die damit einhergehende wirtschaft- liche Überforderung betroffener Unter- nehmen nicht eingetreten. Der BAH sieht das anders. Die Aut-idem-Regelung sei „reines Abkassieren, bei dem die Arz- neimittel-Hersteller wieder überpropor- tional betroffen sind“. Dagegen hat der BKK Bundesverband darauf hingewie- sen, dass man höhere Einsparungen er- reicht hätte, wenn es den Herstellern nicht möglich gewesen wäre, insbesonde- re durch das Angebot höherpreisiger Ge- nerika und die Änderung von Packungs- größen die Berechnung des unteren Preisdrittels zu beeinflussen.

Dieses komplizierte Berechnungs- verfahren ist mit dem GKV-Moderni- sierungsgesetz obsolet geworden. Seit dem 1. Januar gilt, dass die Festbeträge für wirkstoffgleiche Arzneimittel auf das untere Preisdrittel gesenkt werden.

Die Apotheker sind aber weiterhin zur Substitution durch preiswertere Präpa- rate verpflichtet. Sie verhandeln derzeit mit den Kassen darüber, ob sie künftig das jeweils billigste Präparat einer Gruppe abgeben müssen. Eine derart strenge Regelung kann nach Ansicht der Apotheker zu Versorgungsengpäs- sen führen. Für den Arzt schränkt der Wegfall der Preisdrittellinien den Spiel- raum ein. Er muss künftig eine Substitu- tion immer explizit ausschließen, wenn er keine wünscht. Heike Korzilius P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 66. Februar 2004 AA313

ner Schritt vom Töten wegen eines Ver- brechens zum verbrecherischen Töten wegen eines Körpers ist. Die Grenze wurde in Deutschland während des Drit- ten Reiches sehr oft überschritten. Die Missachtung des Willens der Toten, die nie gefragt wurden, die ethische Be- liebigkeit von Hagens’ („andere Länder, andere Sitten“), die vollständige, schnel- le und möglichst stillschweigende Ver- dinglichung und Anonymisierung mensch- licher Leichname sind nicht nur pietät- los – vielmehr öffnen sie der Barbarei eine Einbruchspforte in die Welt der Lebenden.

Anatomie ist als medizinische Diszi- plin ethischen und moralischen Anfor- derungen unterworfen, wie sie unsere Gesellschaft heute zu Recht an die Ärz- teschaft stellt. Die Beziehung zwischen Anatom und Körperspender ist wie die- jenige zwischen Arzt und Patient. Aus dieser Grundeinstellung heraus haben die Anatomischen Institute in Deutsch- land in der Mitte der 60er-Jahre damit begonnen, ihren Bedarf an Körpern und Präparaten durch Spender zu decken, die noch zu Lebzeiten gegenüber den In- stituten in Form eines Testamentes ihre Bereitschaft zur Körperspende erklären.

Den Spendern bleibt die Verfügungsge- walt bis ins Grab und bis ans Präparat er- halten: Sie können entscheiden, ob Teile ihres Körpers zu Dauerpräparaten ge- macht werden; sie können entscheiden, ob ihre Körper vollständig oder in Teilen oder gar nicht beigesetzt werden sollen.

Am allerwichtigsten ist jedoch: Jeder kann frei entscheiden, ob sein Körper überhaupt in die Anatomie gelangen soll.

Diese Freiheit galt aber offenbar nicht für alle, deren Körper nun von Herr von Hagens reißerisch vermarktet werden, und die Tatsache, dass er sich selbst die Freiheit nimmt, seinen eigenen Körper (samt Hut) der Plastination zuführen zu wollen, macht die Sache nicht besser.Wir brauchen Anatomie-Kenntnisse – aber keine Körperwelten.

Prof. Dr. med. Horst-Werner Korf Geschäftsführender Direktor der Dr. Senckenbergischen Anatomie des Fachbereichs Medizin der

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

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