DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
as Timing war, so scheint's, perfekt: Unmit- telbar vor der Karlsruher Therapiewoche stellte der AOK-Bundesverband der Öf- fentlichkeit im Fernsehen — schon das verrät die publizi- stisch-politische Zielsetzung — eine sogenannte Dokumenta- tion zum „Pharma-Kodex"vor, und am Montag der The- rapiewoche hatte ein Spre- cher des AOK-Bundesverban- des in Karlsruhe Gelegenheit, die mit dieser „Dokumenta- tion" angeheizte Polemik ge- gen die Pharmaindustrie, ge- gen die Ärzteschaft und ge- gen die ganze medizinische Presse zu „vertiefen".
Man traute seinen Augen und Ohren nicht: Derselbe Inter- essenverband, der kürzlich mit „AOK-Marketing-Leitli- nien" aufsehenerregend auf den Plan trat, bläst zu einer Attacke auf das Marketing der Industrie, insbesondere gegen deren Insertion in ärzt- lichen Zeitschriften; derselbe Interessenverband, der — so wörtlich — „die Schaltung von PR-Anzeigen und die Veröf- fentlichung von Artikeln in wichtigen Organen der jewei- ligen Standespresse" („ge-
AOK: Macht oder Image?
kaufte" etwa?) in seinem eige- nen Marketing-Konzept vor- sieht, diffamiert pauschal das Transparenteste aller Medien der Werbung: die Anzeigen.
Angriffsobjekt Nummer eins, das DEUTSCHE ÄRZTE- BLATT — die privaten Medi- zinblätter mögen sich freuen —, dürfe künftig keine Anzeigen mehr aufnehmen, denn diese seien alles in allem — in pole- mischer Verallgemeinerung von Einzelfällen — irrefüh- rend, unlauter, voller Fehler, voller Täuschung. Und der Arzt erliege ihr. Kurz gesagt:
Der AOK-Bundesverband und sein Sprecher versuchten quasi, den Eindruck zu er- wecken, als seien die Pharma- hersteller lauter Räuber, die Ärzte und Medizinjournali- sten lauter willfährige Räu- berbräute.
Zugestanden: Der Bundesver- band der Ortskrankenkassen
ringt um ein besseres Image.
Und für das Image der AOK sollte er durchaus werben können, wie es der sozialen Marktordnung in unserer frei- heitlichen Gesellschaft ent- spricht, auch im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT. Aber der AOK-Verband sollte sich entscheiden, was für ein Image er sich zulegen will, das eines sympathischen Un- ternehmens mit guten und modernen Leistungen, bei den Kunden und den Ärzten angesehen (lauter wohlklin- gende Wörter aus dem AOK- Marketing-Konzept) oder das eines fast verzweifelt um mehr Macht kämpfenden Marktführers.
Der AOK-Sprecher in Karlsru- he optierte für das letztere;
seine Strategie zielte darauf,
„die Politik" zu veranlassen, die Pharmaindustrie in Zwangsverträge mit den Krankenkassen einzubinden.
Mit solchen Verträgen könn- ten dann Kassen-Funktionäre wie der apostrophierte letzt- lich auch bestimmen, was der Arzt künftig zu lesen be- kommt und was nicht. Image- Bildung wirklich im Sinne der AOK? roe
E in großer wissenschaft- licher Kongreß wird ir- gendwann in den näch- sten Monaten in der Bundes- republik, und zwar in Mainz, stattfinden; eigentlich war er für Southampton geplant: der 11. Weltkongreß der Interna- tionalen Vereinigung für prä- und protohistorische Wissen- schaften (IUPPS). Dies ist des- halb erwähnenswert, weil diese Vereinigung damit ein Signal dafür setzt, daß die Freiheit des wissenschaft- lichen Erfahrungs- und Mei- nungsaustauschs über allen politischen Pressionen zu ste- hen hat.
Die Vorbereitungen in South- ampton waren schon weit ge- diehen, als plötzlich die Stadt- verwaltung, eine Lehrerge- werkschaft, ein Studentenver-
Freiheit der Wissenschaft
band und noch ein privater Verein merkten, daß auch südafrikanische Prä- und Pro- tohistoriker kommen, ja sogar sprechen würden. Finanzmit- tel und Raumzusagen wurden zurückgezogen!
Die beiden englischen Vor- standsmitglieder traten dar- aufhin zurück, und der Vor- stand beschloß den neuen Ta- gungsort. Mitglieder aus ver- schiedenen Ländern, auch aus der Bundesrepublik Deutschland, hatten zuvor wissen lassen, daß sie, falls
die südafrikanischen Kolle- gen ausgeschlossen würden, auch absagen würden. Ge- troffen hätte dieser Ausschluß übrigens gerade Mitglieder der Universitäten Witwaters- rand und Kapstadt, Hoch- schulen, die seit Jahren alles tun, um in ihrem Bereich die Apartheid zu überwinden.
„Eine grausame Methode, mit mutigen Menschen umzuge- hen", urteilte „Nature" dar- über in ihrer ausführlichen Berichterstattung.
Ärzte kennen das Problem.
Bekanntlich hat die WHO ihre Beziehungen zum Weltärzte- bund abgebrochen, als die (nichtstaatliche) südafrikani- sche Ärzteorganisation ihm wieder beitrat. Die Frühhisto- riker aber haben ein histori- sches Beispiel gegeben. bt
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 37 vom 10. September 1986 (1) 2405