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Archiv "Freiheit und Geld" (01.04.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Ärzteschaft sei jedoch nicht bereit zuzulassen, daß das Prinzip der leistungsgerechten Vergütung der kassenärztlichen Tätigkeit kurzfri- stig über Bord geworfen werde.

Bei einer Podiumsdiskussion be- richtete Dr. Hanse, Vorstandsmit- glied im Bundesverband der Phar- mazeutischen Industrie, hinsicht- lich der Berliner Beschlüsse zur Kostendämpfung sei bislang ledig- lich die Einschränkung von Ärzte- musterlieferungen genehmigt wor- den. Daß dadurch möglicherweise auf die Kassen zusätzlich finanziel- le Belastungen zukommen könn- ten, die schwerlich abschätzbar sind, warf der Frankfurter AOK-Di- rektor Hans Georg Kraushaar ein.

Sicherlich sei manche kostenlo- se Arzneimittelverschreibung über den Gebrauch von Ärztemustern erfolgt. Dr. Hanse wies dann noch darauf hin, daß bisher 40 pharma- zeutische Firmen im Bundesgebiet die Bereitschaft zu verstehen gege- ben haben, ihre Preise im Jahr 1976 stabil zu halten.

Ministerialdirigent Wolfgang Kartte (Bundeswirtschaftsministerium) er- klärte, die Regierung habe sich das Ziel gesetzt, Maßnahmen zu größe- rer Transparenz des Arzneimittel- marktes zu treffen, um dadurch zur Kostendämpfung beizutragen. In diesem Zusammenhang gab er be- kannt, daß zur „Roten Liste" von seinem Ministerium Preisverglei- che zusammengestellt werden, um den Ärzten die Möglichkeit einzu- räumen, kostenbewußter Ver- schreibungen vorzunehmen. Auf die Selbstverantwortung der Ärzte- schaft wies der 2. Bundesvorsitzen- de des Kassenarztverbandes, Dr.

med. Bernhard Lingnau (Hamburg), hin, der in einem Fazit feststellte:

Der Arzt befindet sich in einer Schlüsselposition, der er sich be- wußt sein muß.

Für Kostentransparenz

Im Anschluß an eine Vorstandssit- zung des Deutschen Kassenarzt- verbandes befürwortete Bundes- vorsitzender Dr. Walther bei einem

Deutscher Kassenarztverband

Gespräch mit Pressevertretern in Frankfurt am Main Maßnahmen für eine Kostentransparenz auch in der Sozialversicherung. Um dem Sozialversicherten das Ausmaß der für ihn ausgeführten Leistungen of- fenzulegen, sollte am Ende eines Quartals eine Durchschrift der Ab- rechnungsziffern für den einzelnen Patienten der jeweils zuständigen Krankenkasse zugeleitet werden.

Dort habe der Versicherte dann die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen, ohne daß Ausgaben für Porto oder Schreibkosten entstünden. Dr.

Walther fügte hinzu, grundsätzliche Bedenken gegen diesen Vorschlag könnten nicht erhoben werden, da ja auch jeder Privatversicherte eine spezifizierte Rechnung erhal- te. GM

ZITAT

Freiheit und Geld

„... Eine der großen Tragö- dien unseres ärztlichen Beru- fes ist es, daß die Freiheit immer mit dem Geld ver- wechselt worden ist. Es wird wohl allen klar, daß unsere berufliche Freiheit allmäh- lich, Zoll für Zoll, ausgehöhlt wird von Politikern, die, wie der alte Fabius, die offene Feldschlacht vermeiden und lieber heimlich vorgehen. Es könnte sein, daß wir eine hi- storische Entwicklung erle- ben, die wir nicht aufhalten können, aber ich glaube, wir sollten es wenigstens versu- chen. Eine der wichtigsten Aufgaben für Ärzte ist zur Zeit, deutlich zu machen, daß es uns nicht ums Geld geht, sondern um die Freiheit bei der Ausübung der Heilkunde;

und daß diese Freiheit auf lange Sicht für den Patienten sogar noch wichtiger ist als für uns."

J. E. Utting, Abteilung für An- ästhesie, Universität Liver- pool, in „Lancer, 31. Januar 1976

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Die

Himmelsreisen der Schamanen

Fasten von Medizinmännern in Amerika

Eugen Heun

Fortsetzung und Schluß

Bei Kariben in Holländisch-Guyana dauerte nach Fr. Andres (1938) der Einweihungskurs für Medizinmän- ner vierundzwanzig Tage. Während dieser Zeit wechselten dreimal 24 Stunden, die nachts singend und tanzend, bei Tag in der Hängemat- te verbracht wurden, mit drei Un- terrichtstagen, an denen die Prüf- linge tagsüber nichts zu essen be- kamen, abends aber Tabaksaft, Ta- kinisaft und Kasiriwein tranken.

Dazu wurden Tabakblätter gekaut und Zigarren geraucht. Erregend wirkte wohl auch auf die Prüflinge, daß jeder von einem ihm zugeteil- ten Mädchen mit roter Farbe be- malt wurde, um den Geistern wohl- gefällig zu erscheinen. Der Kurs gipfelte in der Hervorrufung einer Ekstase, die als „Himmelsreise"

bezeichnet wird. Der eine oder an- dere Proband erlebte allerdings nur Übelkeit und lag zum Schluß totenähnlich am Boden, womit die Prüfung nicht bestanden war.

Wer bei den Kariben am Unterlauf des Maroni-Ffusses in Surinam Schamane werden will, muß nach Peter Kloos (1971) zunächst einen Auszug von der Rinde des Takini- Baumes trinken. Danach tritt ein fieberartiger Zustand ein, was als Wirkung von Geistern verstanden wird. Der Novize bleibt acht bis

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Fasten von Medizinmännern

vierzehn Tage isoliert und wird von seinem Lehrer unterrichtet. Verbo- ten sind während dieser Zeit alle Produkte von der Kuh und das Fleisch von Affen, von Armadillos, von Jaguar und vom Kaiman.

Nach der Initiation ist noch für drei Tage das Fleisch von Großwild ver- boten, fürs ganze Leben das vom Rind und vom Schwein. Der Scha- mane meidet insbesondere das Fleisch der Tierart, die sein Schutzgeist ist.

Von den Waika am oberen Orinoko berichtet die deutsch-venezolani- sche Ärztin Inga Goetz (Caracas 1970): Während vieler Mond-Mona- te hat der Meisterschamane die Novizen in allen Riten geschult;

seit einem Monat wird nur morgens und abends je eine Banane — mit Stäbchen gegessen und Wasser durch Röhrchen gesaugt. Der Novi- ze muß die rituellen Gesänge erler- nen, um die Spezies-Geister ver- schiedener Pflanzen- und Tierarten anzurufen. Dazu blasen sich die Novizen das Schnupfpulver Epena gegenseitig in die Nase, wonach ein Rauschzustand eintritt. Nur so kann der Schamane die Jekura- Geister anrufen und mit ihrer Hilfe Kranke heilen. Während der Lehr- zeit wird sexuelle Abstinenz gefor- dert, da sonst kein „Geist" zu dem Novizen kommen würde. Wer aber erst mal von einem Geist ergriffen sei, dem könne Geschlechtsver- kehr nicht mehr schaden. Tatsäch- lich fördert sexuelle Abstinenz in Verbindung mit Fasten die Bewußt- werdung kollektiv-seelischer Inhal- te, die bei analytischer Behandlung zum Dauerbesitz werden.

Wer bei den Kamarakoto in Vene- zuela Medizinmann bzw. Schamane werden will, muß von einem amtie- renden „piache" angenommen sein. Dann werden zwei bis drei Jahre Nahrungsbeschränkung und sexuelle Abstinenz gefordert; es darf nur so viel gegessen werden, wie unbedingt notwendig ist, um das Leben zu erhalten. Dabei ma- gern die Novizen stark ab, sie neh- men regelmäßig Tabaksaft und an- dere Rauschmittel, was in dieser Kombination sicher besonders ein-

Auch eine Frau kann „Medizinmann"

werden, sofern sie die nötigen Voraus- setzungen erfüllt (aus Th. Maler: Hei- lung und Hypnose, Expose für eine Buchpublikation)

greifende Wirkungen hat, von Zivi- lisationsmenschen aber wohl kaum ertragen würde. Zeigen doch Fa- stenerfahrungen, daß selbst einige Zigaretten schlecht vertragen wer- den und höchstens Übelkeit bewir- ken.

Bei Nachkommen der Chibcha, ei- nes einst mächtigen Staatsvolks in Ostkolumbien, gibt es noch Prie- ster, die zugleich Kranke behandeln.

Anwärter auf dieses Amt müssen schon früh ein zwölfjähriges Trai- ning beginnen. Während dieser Zeit ist die Ernährung rein pflanz- lich, sie besteht teilweise nur aus gekochtem Mais einmal abends, was ein Fasten bei Tag bedeutet

— vielleicht wie bei anderen Völ- kern, solange die Sonne scheint, darf „sie das Essen nicht sehen".

Ferner wird viel Wachen und Schweigen geübt, was die innere Konzentration fördert. Magisch und daher auch suggestiv kann man verstehen, daß zur „Reinigung" öf-

ters Skarifizierungen der Haut vor- genommen werden, es gibt aber auch wirkliche Reinigung durch Entschlackung und neurohormona- le Umstimmung.

Von Indianern der tropischen Schneegebirge in Nord-Kolumbien berichtet der Ethnologe Gustav Bo- binder 1925, daß die Anwärter zum Medizinmann in einer Hütte isoliert wurden; verboten war ihnen der Genuß von Fleisch, Eiern, Zwiebeln und Salz, ebenso Agaven-Bier. Je- der Verstoß wurde mit neuntägi- gem Nahrungsentzug, vom bußfer- tigen Novizen aus gesehen — mit Fasten, bestraft. Die Lehrzeit dauer- te neun bis fünfzehn Jahre und ver-

längerte sich mit jedem Verstoß.

Auch diese langfristige Diätetik ist geeignet, die Beflissenen einerseits aus gewissen Alltagsbindungen zu lösen, andererseits höheren Ver- pflichtungen zu unterwerfen.

Die Quijos-Indianer in Ost-Ekuador sind schon seit Jahrhunderten Christen. Gleichwohl gibt es, wie der Ethnologe Udo Oberem 1956 feststellte, noch eine überlieferte Ausbildung zum Medizinmann (sa- gra); sie beginnt schon im Alter von zehn bis zwölf Jahren und dau- ert zwei bis drei Monate. Allerdings sollen diese jungen Medizinmänner sich später öfters noch bei den be- nachbarten Jivaro Rat holen. Wäh- rend der Ausbildungszeit ist die Nahrung auf einige gekochte Bana- nen oder ein halbes Ei pro Tag be- schränkt; erlaubt sind nur noch kleine Vögel, die von den Novizen mit dem Blasrohr erlegt werden.

Ein Fasten, wovon Oberem spricht, ist das aber nicht, sondern negati- ve und positive Magie der aller- dings stark beschränkten Ernäh- rung. Die Novizen müssen jeden Abend eine tiefschwarze Tabakbrü- he trinken, später einen Auszug aus der Liane banisteria caapi, um Visionen zu erhalten. Darin er- scheinen „Pfeile", die andere „sa- gra" als Schwarzmagier abge- schleudert haben, um Krankheit und Tod zu bringen. Der tüchtige

„sagra" fängt diese „Pfeile" ab oder entfernt sie — in Gestalt von klei-

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze . Notizen Fasten von Medizinmännern

nen Gegenständen — geschickt manipuliert aus dem Körper des Kranken.

Bei einem „brujo" (spanisch: He- xenmeister) im Hochland von Ekuador stellte H. D. Disselhoff 1938 fest, daß es sich bei genann- ten „Pfeilen" um kleine Chonta- holz-Lanzen handelt, wie sie von Medizinmännern der Jivaro benutzt werden. Die „Pfeile" der Visionen haben also ihre objektive Entspre- chung. Weiterhin erfuhr der ge- nannte Ethnologe, die Ausbil- dungszeit zum „brujo" dauere mehrere Monate und gehe in einer abgelegenen Schlucht vor sich, wo der Novize nachts in heißen Quel- len baden muß. Während der Aus- bildungszeit sind Fleisch, Capsi- cumpfeffer und Knoblauch sowie Alkohol und Rauchen verboten.

Besonders entwickelt ist das Medi- zinmannwesen bei den Jivaro im östlichen Peru, die als Kopfjäger und Hersteller von „Schrumpfköp- fen" Berühmtheit erlangten. Nach Feldstudien des finnischen Ethno- logen Rafael Karsten (1955) muß der Novize zunächst „hart gegen böse Geister gemacht" werden und dazu einen „Gift-Pfeil", der ihm von seinem Lehrer in den Mund gegeben wird, in sich auf- nehmen. Das wirke erst in längerer Zeit und sei gefährlich, ja könne den Tod herbeiführen, wenn der Novize nicht, wie es heißt, fastet und andere Vorsichtsmaßregeln beachtet; so ist jeder Geschlechts- verkehr verboten. Während der er- sten fünf Tage muß der Novize sei- ne Nahrung auf grüne Bananen be- schränken, in großen Mengen nimmt er aber Tabakwasser durch Mund und Nase zu sich, außerdem trinkt er ein narkotisches Getränk, aus einer giftigen Lianenart berei- tet. Nach den ersten fünf Tagen wird dem Novizen das Haar ge- schnitten, zur Abwehr von „bösen Geistern", was auch als Triebzäh- mung verstanden werden kann.

Ein wirkliches Fasten ist das nicht, sondern eine — allerdings sehr be- schränkende negative Magie der Ernährung. Auch nach Einführung in sein Amt darf der Medizinmann

Medizinmann-Rassel auf Kwakiutl (aus JAMA 196 [1966] Seite 700). Fotos (3):

Prof. Dr. med. H. Schadewaldt, Institut für Geschichte der Medizin, Universität Düsseldorf

nicht alles essen, er beeinflußt sich in anderer Beziehung auch positiv magisch. Folgende Speisen sind erlaubt:

1. der kleine Nachtaffe, weil der Medizinmann vor allem nachts und im Dunkeln arbeitet, wie ja auch manche Psychotherapeuten ausge- sprochene Nachtarbeiter sind, 2. der Spindelaffe, weil dieses Tier sehr intelligent und flink ist, wie es auch der Medizinmann sein muß, 3. eine Art Wels „nacumbo", weil dieser Fisch sehr scharfe Flossen hat ähnlich den Stacheln, wie sie der Medizinmann verwendet, 4. eine Art Schildfisch, der sich an Steinen festsaugt, wie der Medizin- mann die Krankheit aus dem Kör- per saugt.

Bevorzugt ist daneben ebenso das Fleisch des Spechtes, weil dieser Vogel die Stämme der Bäume ab- klopft und horcht, wo der Wurm sitzt. Wer diese magischen An- schauungen für bloßen Aberglau- ben hält, möge bedenken, daß sie autosuggestiv wirken.

Über seinen Werdegang berichtete ein Medizinmann der Jivaro dem amerikanischen Zahnarzt Harry B.

Wright 1946 folgendes: Er hatte von Jugend an schlecht für das üb- liche Leben getaugt und war von seinen Spielgefährten immer her- umgeschubst worden, er hatte auch seltsame Träume, in denen er sich mit „Geistern" unterhielt, und wurde daraufhin von einem Medi- zinmann in die Lehre genommen;

er durfte während der Ausbildungs- zeit weder Fleisch noch Fisch es- sen und nachts nicht schlafen.

Sonst habe ihn sein Lehrer ge- schlagen, ihm Tabakrauch in den Mund geblasen und Tabaksaft in die Nase gegossen. Wenn er schließlich in eine Art Betäubung gefallen sei, habe ihn der Lehrer wiederbelebt, indem er ihn schlug und ihm Tabaksaft in den Mund spuckte. Auf die Frage nach dem Zweck dieser Prozeduren antwor- tete der Jivaro: Gehen weiße Dok- toren zur Schule, oder werden sie als Doktor geboren? Ferner: Es ist schlecht, wenn ein Doktor Krank- heit nicht aushalten kann, wie kann er Leute gesund machen, wenn er nicht weiß, wie schlimm es ist, krank zu sein.

Was dieser Medizinmann als Vor- aussetzungen für sein Amt nennt, ist zunächst eine gewisse Veranla- gung, nach unseren Begriffen eine Psychopathie oder Neurose mit ei- ner gewissen Lebensuntüchtigkeit.

Der berichtende Jivaro war aber körperlich gut gebaut, ja sein Foto in dem Buch von Wright zeigt be- sonders edle Züge. Als sittlich im europäischen Sinne kann man die Praxis des Medizinmannes aller- dings nicht bezeichnen, ist er doch nicht nur „curandeiro" (Heiler), sondern auch „feiticeiro", d. h.

Zauberer. Der Medizinmann hat aber moralische, d. h. soziale, Ver- pflichtung seinem Stamm gegen- über, aus dessen kollektivem Glau- ben er lebt und handelt. Die weite- re Voraussetzung für sein Amt, das seltsame Träumen in der Ju- gend, hat der Medizinmann mit dem berufenen Psychotherapeuten ge- meinsam, während die Verbindung mit „Geistern" einer besonderen

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Fasten von Medizinmännern

Abhängigkeit von unbewußten Komplexen entspricht. Schließlich muß auch der moderne Psycho- therapeut lernen, sein Leiden zu er- tragen, und sich besonderen Prü- fungen unterwerfen.

Der Jivaro-Medizinmann, den Harry Wright beobachtete, verbrachte oft ganze Tage und Nächte mit der Vorbereitung seiner Prozeduren, er nahm keine Nahrung zu sich, faste- te also im strengen Sinne, lebte se- xuell enthaltsam und sprach auch mit niemandem. Eine solche dreifa- che Askese ist zweifellos geeignet, die innere Konzentration zu för- dern, die Verbindung mit „Gei- stern" bzw. unbewußten Komple- xen zu verstärken und die Sugge- stivkraft zu steigern. Viel wird da- bei vom Medizinmann gefordert und entschieden mehr als von westlichen Psychotherapeuten;

leichter hat er es aber insofern, als er, wie Wright bemerkt, nicht viele Stunden darauf zu verwenden braucht, um eine innere Beziehung zu seinem Patienten herzustellen.

Der Medizinmann ist kollektiv ge- stützt, er praktiziert in seiner eige- nen Gemeinde und ist mit dem Le- bensgeschehen eines jeden aufs engste vertraut; auch weiß der pri- mitive Patient von Jugend an, daß er der Medizinmann ist, an den man sich in allen Lebensnöten wendet. Insofern allerdings der Zauberer auch schwarze Magie treibt, ist seine leibhaftige Existenz gefährdet; wurde doch schon man- cher Zauberer von den eigenen Stammesgenossen umgebracht, wenn er des üblen Zaubers ver- dächtig war oder Heilbehandlun- gen schlecht ausgingen.

Wer bei den Cashinowa in der Pro- vinz Amazonas (Brasilien) Schama- ne werden will, muß sich zunächst einer Geißelung unterziehen, damit

„böse Geister" ausgetrieben wer- den; er wird zugleich ermahnt, nie- mals Wildfleisch, süßen Maniok und Yams zu essen, da sonst magi- sche Kräfte verlorengehen wür- den. Der Schamane beschränkt seine Kost auf Bananen, Erdnüsse und Kürbis, Fleischbrühe und Fi- sche. Vor Anruf der Geister trinkt

er den Saft von Schößlingen ver- schiedener Palmarten, wonach ein rauschartiger Zustand eintritt.

Die Kamayurä am oberen Xingu- Fluß in Zentralbrasilien machen nach Mark Münzel (1967/68) vom 8. bis 15. Lebensjahr verschiedene Ab- schließungsperioden mit starken Nahrungsbeschränkungen durch.

Wer Medizinmann (payö) werden will, unterzieht sich einer zweiten, besonders strengen Initiation; er muß einen in Goldplättchen enthal- tenen Schutzgeist (mamaö) zu- sammen mit Tabakrauch und Taku- peä-Öl verschlucken, um danach ohnmächtig zu werden und wieder aufzuwachen. Im Rahmen kompli- zierter Riten erlebt der junge Payö Sterben und Wiederauferstehen, was ihn zur Ausübung seines Am- tes befähigen soll.

Bei den Mojo in Ost-Bolivien ist der Jaguar-Kult besonders charak- teristisch. Männer, die vom Jaguar verletzt wurden, bilden eine beson- dere Gruppe vcin Schamanen. Zur Bestätigung als solche müssen die Anwärter den Verzehr von Fleisch, Fisch und Pfeffer sowie alkoholi- sche Getränke und sexuellen Ver- kehr meiden; jeder Verstoß würde vom Jaguar gerächt. Die Novizen ziehen sich tageweise in ein Kult- haus zurück, um dort streng zu fa- sten. Amtierende Schamanen tun das auch für die Gemeinschaft in Notzeiten, worin der sozial ethi- sche Charakter des Fastens er- scheint, was magische Abwehr von Geistern nicht ausschließt.

Wer bei den Kaskiha im Chaco Pa- raguays Medizinmann werden will, muß zunächst eine Woche lang fa- sten, d. h., er darf nichts essen und nichts trinken, was in dem heißen Klima besonders eingreifend ist.

Danach sind während zweier Tage morgens und abends drei Süßkar- toffeln und Wasser erlaubt. Dann folgt wieder eine Woche ohne Nah- rung und Getränke mit anschlie- ßenden zwei Diättagen genannter Art.

Besonders streng fand H. von Bek- ker 1924 die Anforderungen bei

den Lengua im Chaco. Wer dort Medizinmann werden wollte, mußte vier bis sechs Wochen lang fasten, danach ebenso lange pflanzliche Kost befolgen und das Fasten wie- derholen. So ging es weiter im Wechsel sechs Monate lang. Das hat natürlich erhebliche Wirkungen körperlicher und seelisch-geistiger Art. Es erfolgt eine allgemeine Sen- kung des Triebniveaus, die Kon- zentration wechselt von außen nach innen, es kommt zu Regres- sion und Introversion, die Sugge- stibilität wird erhöht und Autosug- gestion erleichtert. Träume werden gefördert bzw. besser behalten.

Das Fasten begünstigt den Kontakt mit dem Unbewußten, beim Medi- zinmann mit „Geistern", worauf der Schamane angewiesen ist.

Bei den Yamana auf Feuerland, die inzwischen fast ausgestorben sind, wurde früher nur Medizinmann, wer eine Berufung durch einen Traum erhalten hatte. Dann aber folgte, wie Martin Gusinde noch beobachten konnte, in abgelegener Hütte eine strenge Schulung, wo- mit erhebliche Einschränkungen der Bewegung, des Schlafes und der Nahrung verbunden waren. Mit einigen Miesmuscheln und wenig Wasser mußten sich die Prüflinge wochenlang zufriedengeben. Aber schon in den dreißiger Jahren klagten die Yamana, daß es nicht mehr so gute Medizinmänner gebe;

das komme von dem vielen und guten Essen, davon würden Körper und Geist schwerfällig, und die Träume seien nicht mehr so häufig und lebhaft. Auf Träume ist aber auch der neuzeitliche Psychothera- peut angewiesen, bei sich selbst wie bei Patienten. Zu einer Lehr- analyse sollte ein Lehrfasten kom- men, um so ein wertvolles Erbe von Medizinmännern und Schama- nen mit neuzeitlichen Erkenntnis- sen zu verbinden und zahlreiche Kranke wirkungsvoller zu behan- deln.

Anschrift der

Witwe des Verfassers:

Käte Heun

Burger Landstraße 12 6348 Herborn

974 Heft 14 vom 1. April 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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