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Archiv "HUNGERSTREIK: Ein Bastard" (17.04.1985)

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Schwarzweiß-Wiedergabe des Titelbildes von Heft 6/1985

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BRIEFE AN DIE REDAKTION

HUNGERSTREIK

Zu dem Artikel „Halbherzige Absage an Zwangsernährung"

von Norbert Jachertz in Heft 6/1985, Seite 305 ff.

Berliner Erfahrungen

Dem Bericht entnehme ich, daß einer weiten Öf- fentlichkeit immer noch unbekannt ist, was sich in Berlin während des terrori- stischen Hungerstreiks 1981 abspielte. Nicht nur die Ärzte, auch Justizbe- amte in verantwortlicher Position wurden von der Berliner Justizverwaltung (verantwortlicher Senats- rat Kurt Bung, SPD) in un- vorstellbarer Art und Weise schikaniert — und zusätz- lich von ihren Patienten, welche sich nicht einmal berühren ließen.

Die Verantwortlichen im Haftkrankenhaus mußten bis zur völligen körper- lichen und seelischen Er- schöpfung arbeiten. Das erste Opfer des Hunger- streiks war der 36jährige Sicherheitsbeauftragte der Untersuchungshaftanstalt Moabit. Er verunglückte im Juli 1981 tödlich als Fol- ge einer Überarbeitung während des Hunger- streiks (Aussage Professor Scholz, Justizsenator). Ein jüngerer Arzt erlitt infolge der Anspannung eine Psy- chose.

Dr. Volker Leschhorn selbst, Chefarzt des Haft- krankenhauses, wurde im Juli 1981 nach Tegel ver- setzt und damit zur Untä- tigkeit verdammt. Gleich- zeitig wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren ein- geleitet, so daß er nicht kündigen konnte. Er er- hängte sich am 11. Januar 1982.

Er, ursprünglich von allen Seiten, insbesondere der SPD, ermuntert, sich für seine terroristischen Ge- fangenen einzusetzen,

wurde nun von allen im Stich gelassen. Pfarrer Heinrich Albertz zum Bei- spiel, dem er tägliche Be- suche bei seinen Lieblin- gen ermöglicht hatte, schwang erst nach Lesch- horns Tod große Reden.

Und die terroristischen Ge- fangenen verboten ihren gehorsamen Angehörigen und Freunden sogar nach Leschhorns Tod, sich für seine Rehabilitierung ein- zusetzen, denn er gehörte zum „System".

Als zynisch muß ich es empfinden, wenn die rechtspolitischen Spre- cher der SPD von einer Fürsorgepflicht gegenüber terroristischen Gefange- nen sprechen. Für Dr. Jo- chen Vogel existiert ge- genüber den zahllosen so- zialen Gefangenen keine

Fürsorgepflicht. Auf seine Anordnung als Bundesju- stizminister wurden die Haftbedingungen gerade für Sozialfälle drastisch verschärft. In Berlin kam es außerdem seit der Er- mordung des Kammerge- richtspräsidenten von Drenkmann zu einer er- heblichen Verhärtung in der Rechtsprechung, wel- che früher nicht möglich gewesen wäre. So wurde sogar die Wegnahme eines Neugeborenen unmittel- bar nach der Geburt von

seiner stillenden nichtter- roristischen strafgefange- nen Mutter gegen den aus- drücklichen Rat der Ärzte von einer Berliner Richte- rin, Hänsel, 49. Strafvoll- streckungskammer, legali- siert. Dies wäre niemals gegenüber einer terroristi- schen Gefangenen prakti- ziert worden.

Der jüngste Hungerstreik hat eindeutig bewiesen, daß es bei diesen Aktionen nur um eines geht: terrori- stischen Anschlägen und einem heimtückischen Mord einen spektakulären Hintergrund zu geben.

In Berlin haben die terrori- stischen Gefangenen ge- genüber dem Normalvoll- zug Vorzugshaftbedingun- gen. Die Hungerstreiks sorgen zusätzlich dafür, daß nicht nur die Zeit der Ärzte und des Pflegeperso- nals, sondern auch die Auf- merksamkeit der Öffent- lichkeit von katastrophalen Haftbedingungen in wei- ten Vollzugsbereichen ab- gelenkt wird. Zum Bei- spiel: Seit Jahren keine Schul- und Berufsausbil- dung im Berliner Frauen- vollzug. Vier Todesfälle im

Männervollzug durch den Drogenhandel.

Um den Terrorismus wirk- sam zu bekämpfen und im

Interesse aller Gefangenen sollte bei einem neuerli- chen terroristischen Hun- gerstreik endlich die iri- sche Lösung befolgt wer- den.

. .. Der Gesetzgeber, der seit mehr als zehn Jahren das Thema Hungerstreik und Zwangsernährung in allerlei Gremien immer wieder beraten und von Wahl zu Wahl auf irgendei- ne lange Bank geschoben hat, verlagert es mit der Neuregelung des § 101 nun auf eine besonders humanitär gepolsterte Couch, wo es als ehrbar gekleidetes Kind der Justiz sich sonnen kann in den Wohlgerüchen des guten Willens der Politiker. Einen beruhigenden oder gar at- traktiven Anblick bietet dieses Gebilde gewißlich nicht. Das dürften auch die Sachverständigen verspürt haben, die sich im Dezem- ber 84 mit Vorschlägen zur Gesetzesänderung geäu- ßert haben. Sie waren sich allerdings darin einig, daß die bisherige gesetzliche Regelung unbefriedigend gewesen sei. Daß diese im Kern eigentlich unehrlich war, hat keiner zu sagen gewagt. Aber: um den Arzt als Prügelknaben wenig- stens ein klein wenig — oder sagen wir besser:

scheinbar — zu entlasten, ist man schließlich der Empfehlung des Prof.

Klaus Geppert von der F. U. Berlin gefolgt, die vorsieht, daß der Arzt „spä- testens bei Bewußtlosig- keit" des hungernden Ge- fangenen behandeln müsse.

Dieser Vorschlag nun ist voller Fallstricke. Das na- türlich nicht für den Ge- setzgeber. Nein! Aber für Dr. med.

Annemarie Wiegand Flotowstraße 6 1000 Berlin 21

Ein Bastard

1134 (61 Heft 16 vom 17. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BRIEFE AN DIE REDAKTION

den Anstaltsarzt und für je- den Arzt, der mit der Be- handlung eines Hungern- den konfrontiert wird. Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT bezeichnet deshalb in sei- nem Leitartikel diesen Vor- schlag als „konfliktträch- tig". Einige dieser Geset- zesmängel verdienen dar- um, besonders gekenn- zeichnet zu werden. Da ist zunächst einmal das Wört- chen „spätestens" in der Empfehlung des Profes- sors G. Im medizinischen Aktionsbereich repräsen- tiert es für den vorliegen- den Zusammenhang einen gefährlichen dehnbaren Begriff, weil es für das Tä- tigwerden des Arztes ei- nen nicht genau definier- ten bzw. kaum definierba- ren Zeitraum umschreibt.

Hieraus resultieren dann einklagbare Vorwürfe und Behauptungen, der Arzt habe zu früh oder zu spät

mit seiner Behandlung be- gonnen. Als besonderes Erschwernis ergibt sich die Wahrschäinlichkeit, daß die groteske Situation des Pendelns zwischen Be- wußtlosigkeit und Haftfä- higkeit provozierbar ge- macht wird .. .

Den Gesetzgeber scheint derlei nicht zu tangieren.

Das ist verständlich. Ver- setzt es ihn doch in die La- ge, den unmittelbar betrof- fenen Arzt zum Sünden- bock zu machen, wie die Erfahrung lehrt . . . Offen- sichtlich haben die Rechts- experten der verschiede- nen politischen Parteien im Rechtsausschuß des Bundesrates samt und sonders nur mit rabulisti- schem Kalkül reagiert, es hätte sonst nicht so viele Einerseits und Anderer- seits geben können, und vor allem nicht das ... ge-

nannte Fazit: „Die SPD stimmte ab, sie enthielt sich der Stimme."

Nach wie vor geht es also darum, daß die notwendi- ge gesetzliche Regelung eine klare Auskunft beson- ders auch für denjenigen bringt, der einen Hunger- streik beginnt. Wir wissen alle, daß es sich dabei um Erpressung mit Selbst- morddrohung handelt, die den Gesetzgeber ins Un- recht setzen soll, aber den Arzt trifft, weil es die Ge- setzgebung so attraktiv macht, das ärztliche Be- rufsethos zu mißbrauchen.

Diese Verflochtenheit von Ethos und Gesetzesman- gel produziert eine Gat- tung von Selbstmördern, die mit zwei Pistolen gleichzeitig agieren. Die eine ist auf den eigenen Kopf gerichtet, die andere auf den behandelnden

Arzt. Der Gesetzgeber kann dabei sein ethisch einwandfreies Mäntelchen behalten, es läßt ihn unter dem Terminus „Garan- tenpflicht" als höchst eh- renhaft erscheinen, wäh- rend der behandelnde Arzt in den Augen des Gefange- nen und dessen Umge- bung als unehrenhafter Gewaltmensch dasteht .. . Deswegen kann die nun- mehr offensichtlich be- schlossene, gesetzliche Neuregelung des § 101 nicht befriedigen. Sie setzt das ärztliche Berufsethos weiterhin dem Mißbrauch aus. Es darf aber nicht mehr möglich sein, daß ein Anstaltsleiter zu seinen Ärzten gesetzlich fundiert sagen kann: „Sie sind mir dafür verantwortlich, daß keiner stirbt." (DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT v. 17.

7. 75, S. 2123). Die ethisch einzig vertretbare gesetzli-

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BRIEFE AN DIE REDAKTION

che Lösung ist die in Eng- land seit dem 17. Juli 1974 bestehende. Um Gleich- wertiges zu realisieren, be- darf es keiner politischen Balanceakte. Der Gesetz- geber muß nur entschlos- sen sein, endlich einen Strich zu machen unter die parteipolitisch determi- nierten Rechthabereien.

Er braucht dabei seine so- genannte Fürsorgepflicht keineswegs in Frage zu stellen, wenn er sich der radikalen, englischen Lö- sung anschließt; denn vor- rangig gegenüber seiner Fürsorgepflicht ist doch wohl die Bekundung des freien Willens des hun- gernden Inhaftierten. Es dürfte also für den Gesetz- geber keine Schwierigkeit sein, der Willensbekun- dung eines Hungerstrei- kenden die Bedeutung ei- ner letztwilligen Verfügung zuzumessen, die mündlich

vor Zeugen zu Protokoll gegeben werden kann und die der Unterschrift des Hungernden nicht bedarf.

Wenn eine solche münd- liche Erklärung durch Schweigen verweigert wird, dann sollte die Proto- kollierung dieser Tatsache als Verweigerung jeglicher ärztlichen Behandlung gel- ten. Wenn dem Hungern- den im Zustand des Vollbe- sitzes seines Willens diese Situation durch Vorlesen eines Einheitstextes be- kanntgemacht ist, weiß er über die Auswirkungen seines Verhaltens Be- scheid, er weiß, womit er verbindlich zu rechnen hat. Es bedarf dann weder bei hungernden Terrori- sten noch bei sonstigen Häftlingen eines indirekten Druckes, und der Anstalts- direktor braucht auch ge- genüber seinen ihm unter- stellten Ärzten den Zeige-

finger nicht mehr zu erhe- ben.

Da der Gesetzgebungsakt ein politisch bestimmter Vorgang ist, sind wir auf Kenntnisreichtum und Ent- schlußkraft der jeweiligen Regierungsparteien ange- wiesen. Daß diese nun, mehr als zehn Jahre lang

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Als erfahrene Patientin kann ich ohne teure Gut- achten die Wurzel eines großen Übels packen. Daß die gesetzlichen Kranken- kassen gegenüber ande- ren Versicherungskonzer- nen finanziell immer

die notwendige Entschei- dung vor sich hergescho- ben haben, um im Jahre 1985 einen Bastard aus dem politischen Zauberka- sten zu holen, ist mehr als unverständlich ...

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schwächer werden, liegt nicht beim Arzt und Pa- tient, wie es Bundesmini- ster Norbert Blüm glauben will, sondern in deren Poli- tik und Gesetzgebung. Tat- sache ist, daß die Ver- kehrsunfallquoten steigen sowie Unfallflucht. Fast al- le diese Fälle gehen zu La- sten der gesetzlichen Krankenkasse und der da- mit konfrontierten Ärz- te ... Gerade bei Unfällen sind die Verletzungen und

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