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Archiv "Interessenvertretung der Ärzte (III): Sog in die Hauptstadt" (26.11.1999)

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bwarten ist vorerst Trumpf“ – so lautete vor zwei Monaten zu- sammengefaßt die Haltung der Spitzenverbände im Gesundheitswesen zum Berlin-Umzug. Viele Kisten wur- den seitdem nicht gepackt. Doch die Sogwirkung der Hauptstadt nimmt zu.

„Wir haben uns auf Berlin einge- stellt“, sagt Hans-Jörg Freese von der Pressestelle der Bundesärztekammer (BÄK). Seit dem Sommer finden de- ren Pressekonferenzen vor allem in Berlin statt. Freese ist im Oktober in die Hauptstadt gezogen. Sein Büro liegt im Haus der Kaiserin-Friedrich- Stiftung nahe der Charité und damit in dem Bezirk, der allmählich zum Synonym fürs Politik- und Medien- viertel wird: Berlin-Mitte. Die BÄK und ihre eigentliche Pressestelle sind noch in Köln, doch innerhalb der nächsten fünf Jahre soll die Kammer nach dem Willen des Vorstandes um- ziehen. Geplant ist, rasch eine Art Brückenkopf in Berlin zu installieren.

Mehr Zeit für alles

Auch der Vorstand der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat entschieden, daß die Organisation in den nächsten fünf Jahren umziehen wird. Anfang 2000 soll es in Berlin- Mitte einen Ableger der Pressestelle geben, und zwar in der Reinhardt- straße 34. Dorthin ist im Frühjahr be- reits die Berliner Außenstelle der KBV übergesiedelt. Die Pressestelle in Köln bestätigt, daß von der Haupt- stadt eine gewisse Sogwirkung aus- geht. Die Fachjournalisten erreiche man im Rheinland gut, nicht aber die Tagespresse. Um sich ein realistisches Bild der Vorlieben für Veranstaltungs-

orte zu verschaffen, wurde auf dem jüngsten Symposium der KBV eine Fragebogenaktion unter den Journali- sten gestartet.

In dem Altbau in der Berliner Reinhardtstraße 34 sind darüber hin- aus Außenstellen der Kassenzahnärzt- lichen Bundesvereinigung, der Bun- desvereinigung Deutscher Apothe- kerverbände (ABDA) und des Govi Verlags untergekommen. Zudem sitzt hier der Bundesverband der Freien Berufe e.V. (BFB). Unter seiner Regie wurde das Haus am 27. Oktober einge- weiht. Damit feierte der BFB zugleich sein 50jähriges Bestehen. Der Präsi- dent, Dr. med. Ulrich Oesingmann, sagte, die Nähe zur Politik sei wichtig:

„Nähe hat entsprechend der jeweili- gen Situation etwas Wärmendes oder – bei schlechtem Gewissen – auch et- was Unbequemes. Beides ist gewollt.“

Weitere Mieter sind das Deutsche Ärzteblatt und die Vertretung der Ärzteschaft am Regierungssitz, bisher bekannt als „Bonner Büro“. Dieser Name fällt trotz der Auflösung der Stelle in Bonn und der Übersiedlung ihres Leiters, Rechtsanwalt Stefan Gräf, immer noch häufig. Er verfolgt das politische Geschehen, hält BÄK und KBV über Gesetzesvorhaben auf dem laufenden und vermittelt als so- genannter Lobbyist zwischen Ärzte- schaft und Politik. Hat sich seine Ar- beit verändert? Gräf will sich so kurz nach dem Umzug noch nicht festlegen.

„Man braucht viel mehr Zeit für al- les“, bestätigt er allerdings die Wahr- nehmung vieler Neu-Berliner.

Das Bundesgesundheitsministe- rium hat seinen Sitz noch in Bonn. Ein Teil der Beamten und die gesamte Presseabteilung, zusammen rund 70 Mitarbeiter, arbeiten jedoch seit Som-

mer in Berlin-Mitte. Pressesprecherin Sabine Lauxen findet den Komplett- umzug der Pressestelle sinnvoll, unter anderem deshalb, weil eine Spreche- rin oder ein Sprecher aus dem Hause Fischer dreimal pro Woche vor der Bundespressekonferenz Rede und Antwort stehen muß.

In diesem Verein haben sich rund 800 deutsche Korrespondenten zusam- mengeschlossen. Er ist im Sommer nach Berlin übergesiedelt, die „Bun- desstadt“ Bonn wurde Außenstelle.

Paßt aber der Modebegriff „Medien- hauptstadt“ wirklich? Bärbel Petersen A-3030 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 47, 26. November 1999

Das Bundesgesundheitsministerium ist in Bonn geblieben, je- doch mit einer größeren Dienststelle in der Hauptstadt ver- treten. Weil sie die Sogwirkung Berlins fürchten, haben sich zehn Personal- und Betriebsräte von Institutionen des Gesund- heitswesens zur „Initiative Politikschwerpunkt Gesundheit Rhein-Ruhr“ zusammengeschlossen. Es sind die des Bundes- ministeriums für Gesundheit, der Krankenkassen-Verbände, der KBV, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der BÄK und der Bundeszahnärztekammer. Sie verlangen, daß das Ministerium und die Verbände des Gesundheitswesens im Rheinland bleiben. Rie/Foto: Ullstein/Bach

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Interessenvertretung der Ärzte (III)

Sog in die Hauptstadt

Bundesärztekammer und Kassenärztliche

Bundesvereinigung wollen erst in einigen Jahren umziehen – die Medien sind jedoch schneller.

Sabine Rieser

A

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findet ihn zutreffend. Sie ist Pressesprecherin von „Partner für Berlin“, einer Marketing- gesellschaft, die im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe tätig ist. Petersen zählt auf: In Berlin erscheinen zehn Tages- zeitungen, eine Wochenzei- tung und elf Stadtmagazine.

Wer das Radio anschaltet, hat die Wahl zwischen 35 Pro- grammen. Die ARD hat in der Nähe des Reichstags ein Studio eröffnet, das ZDF, die Deutsche Welle und SAT 1 sind gut vertreten, andere Fernsehanstalten ebenfalls.

„Für Nachrichtenjourna- listen ist Berlin ein Schlaraf- fenland.“ Das findet Frank Rafalski, Leiter des Berliner Büros der Deutschen Presse- Agentur. In der Hauptstadt häuften sich Veranstaltun- gen und Pressekonferenzen.

„Man hat derzeit den Ein- druck, daß jeder Verband un- bedingt ein Großereignis in Berlin veranstalten will“, meint auch Dr. Ralf Neu- bauer, stellvertretender Chef- redakteur der Welt. Es werde aber manche Enttäuschung geben, wenn angesichts der vielen gleichzeiti- gen Termine die Resonanz ausbleibe.

Wie das im Schlaraffenland so ist: man ist leicht übersättigt. Das Hauptproblem seiner Redaktion sei, sagt Rafalski, „mit der Flut von Ein- drücken und Informa-

tionen zurechtzukommen“. Täglich erreichten sie rund 1 500 Faxe mit Hinweisen auf Veranstaltungen, Pres- semitteilungen und anderes – dreimal so viel wie früher in Bonn und Berlin zusammen. Rafalski, Petersen und Neubauer refererierten in der vergan- genen Woche bei einem „Media Cof- fee“, veranstaltet von einer dpa-Un- ternehmensgruppe zum Thema „An- kunft in Berlin – Pressearbeit im Auf- bruch?“ Diskutiert wurde, ob Politik und Verbände in Berlin ihre Medien- arbeit anders gestalten und wie sich die Medienlandschaft ändert. Dazu gibt es ernste Einschätzungen und heitere Anekdoten.

Die Süddeutsche Zeitung berich- tete neulich, der Nachwuchs in der Bundespressekonferenz sei leicht zu identifizieren: Er lasse entgegen den Spielregeln gerne sein Handy an. Die Mitarbeiter mancher Sender hängten sich im Reichstag mit Mikrofon und Kamera in ein Gespräch unter vier Augen zwischen einem seriösen Parla- mentsberichterstatter und einem Ab- geordneten – und fragten dann, wer das überhaupt gewesen sei. Nicht alles ist also lustig an den neuen Verhältnis- sen. In der Bundespressekonferenz wurde kürzlich ernst über die Behin- derungen von Journalisten im Reichs- tag debattiert. Vielleicht sei es nur Unsicherheit des neuen Personals, hieß es. Viele Journalisten meinten da- gegen, es handele sich um Versuche, die Medien so weit wie möglich aus dem Parlament fernzuhalten. Bundes- tagspräsident Wolfgang Thierse, den einige persönlich dafür

verantwortlich machen, ließ das de- mentieren.

Und immer wieder die Sinnfrage:

Mußte die Regierung nach Berlin?

Müssen so viele Medien hinterher und nun auch Verbände? Die Befürworter meinen: Ja, weil der, der Einfluß neh- men will, nah an der Politik bleiben muß. Die Gegner argumentieren, gute Sacharbeit könne man auch an- derswo leisten und den Rest durch Pendelei bewältigen. Hinter den Ar- gumenten stecken meist persönliche Vorlieben. Die einen sehen den Um- zug als berufliche Chance oder kön- nen Veränderung gebrauchen. Die anderen wollen nicht weg aus dem Rheinland und/oder sehen keine be- ruflichen Vorteile. Das alles trifft auch für die Institutionen im Gesundheits- wesen zu und für „ihre“ Presse.

Die Neuen in Berlin werden je- denfalls seit Wochen beäugt, be- schrieben und ermutigt. Der Tages- spiegel brachte im September eine halbe Seite über das neue Leben des Friedel Drautzburg, jahrelang promi- nenter Wirt in Bonn, seit zwei Jahren ein solcher am Bahnhof Friedrich- straße in der „Ständigen Vertretung“.

Drautzburg, bekennender Umzugs- gegner, ist seit kurzem Vater einer kleinen Tochter, die eine Mutter aus dem Brandenburgischen hat. Für sei- ne Gäste hat er vielerlei Trost parat, denn in der „StäV“ hängen zahllose Erinnerungsstücke an die Zeit am Rhein. Er hat zudem herausgefun- den, daß seine neue Nachbarschaft früher mal „Rheinisches Viertel“

hieß – zumindest als nach dem Ende des Krieges 1871 viele Verwaltungs- beamte aus dem Rheinland an die Spree zogen. Wer nicht jeden Tag in die Kneipe will, dem bietet der Bon- ner Generalanzeiger Trost: Er schal- tete Anzeigen „Bonns beste Seiten je- den Morgen in Berlin“ und informier- te, wo das vertraute Blatt zu bekom- men sei.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-3030–3031 [Heft 47]

Anschrift der Verfasserin Sabine Rieser Reinhardtstraße 34 10117 Berlin

A-3031 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 47, 26. November 1999 (31)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

In der Reinhardtstraße 34 leitete Dr. med. Wilhelm Mühsam bis 1936 eine Augenklinik. Sie wur- de ihm von seinem Lehrer Prof.

Julius Hirschberg übergeben.

Dieser gründete 1877 das Zen- tralblatt der Augenheilkunde und schrieb eine Geschichte der Au- genheilkunde, durch die er Welt- ruhm erlangte. Hirschberg opfer- te sein Vermögen im Ersten Welt- krieg für Kriegsanleihen und sah sich als alter Mann gezwungen, seine Bibliothek einer japani-

schen Universität zu verkaufen, die ihm im Gegen- zug eine Rente zahlte. Mühsam, sein Nachfolger, war als Jude von der Willkür der Nationalsozialisten be- troffen. Anfang 1933 erklärten sie die Tätigkeit von

Kassenärzten „nichtarischer“ Ab- stammung für beendet, eine ähnliche Regelung galt ab Herbst für private Kassen. 1936 vermie- tete Mühsam die Augenklinik vermutlich zwangsweise an die Charité und arbeitete in seiner Wohnung weiter. Er starb mit 65.

Das Klinikgebäude wurde ab 1942 von der Gestapo genutzt, ab 1943 von der SS. Zu DDR- Zeiten gehörte es zur Charité.

(Die Geschichte der Familie Müh- sam hat Christoph Hamann re- cherchiert, Studienrat in Berlin und mit historischen Projekten befaßt. Die Darstellung geht auf seine Arbeit und Informationen der Julius-Hirschberg- Gesellschaft zurück.) Rie/Foto: Dieter Oelschner

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