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Archiv "NEMESIS: Klar unterscheiden" (05.02.1982)

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Hinweise Anregungen FORUM

NEMESIS

Zu dem Aufsatz „Reflexionen über die sogenannte Nemesis der Medizin" von Dr. med. Jo- seph Garcia in Heft 28/1980, Seite 1769:

Klar unterscheiden

Joseph Garcia hat eine sehr überzeugende, bele- sene und in diesem Sinne sehr humanistische Vertei- digung des medizinischen Handelns vorgetragen. In Anbetracht der aggressi- ven Kritik, der die Medizi- ner in jüngster Zeit, aber auch schon früher — Mo- Höre, Proust, Shaw — aus- gesetzt waren, sind Reak- tionen wie dieser Artikel zu erwarten und auch wün- schenswert. Doch gibt es mindestens zwei Gründe, warum unsere Aussagen im Rahmen der Medizin- ethik nicht mehr wohlwol- lend diffus, sondern scharf, logisch und präzise formu- liert werden müssen:

CO Das Feld der Medizin- ethik ist eine Hochburg der Nicht-Mediziner, insbeson- dere der Philosophen, So- ziologen und auch solcher Hybriden wie „Medizinethi- ker" und „Soziokulturali- sten", geworden. Wichtige Publikationen (Journal of Medicine and Philosophy, Philosophy and Medicine Series, Journal of Medical Ethics, Hastings Center Re- port) werden nur in gerin- gem Maße von Medizinern mitgestaltet. Man ist sich sogar bewußt, daß Ärzte keine ausreichende Ausrü- stung für diese intellektuel- le Arena besitzen. Dies al- lein zwingt alle Mediziner, mit mehr Wissen und Logik die Probleme der Medizin- ethik anzugehen.

C Medizin wird immer mehr technisiert, theologi- siert und konsumiert. Tech-

nisierte Medizin bedeutet, daß uns in zunehmendem Maße komplizierte Appara- turen zur Verfügung ste-

hen, deren Aussagekraft oft unsere Möglichkeiten übertrifft, die gewonne- nen Informationen diagno- stisch einzuordnen oder therapeutisch zu verwer- ten. Für die Therapie wie- derum stehen uns techni- sche und pharmakologi- sche Mittel zur Verfügung, die gewisse klinische Pro- bleme lösen, andere aber iatrogen aufwerfen. Sym- ptome können punktuell beseitigt werden, ohne die Wünsche der Patienten oder den Sinn des Gesche- hens zu berücksichtigen.

Theologisierte Medizin heißt, daß heute Wertorien- tierung in Medizin oder Ge- sundheit die Wichtigkeit der Religion in der Axiolo- gie der Menschen in indu- strialisierten Ländern über- nommen hat (1). Ange- strebt wird nicht mehr das Heilige, sondern das Heile.

Somit wird, im übrigen, lin- guistisch Gerechtigkeit ge- schaffen, denn „Heilig"

stammt aus dem Germani- schen „hailiz", das sich un- ter dem Christentum zu Heilig, in der Englischen Sprache zu „Health" ent- wickelte. Konsumierte Me- dizin bedeutet, daß der Kontakt der Menschen mit ärztlichem Wirken und Pharmakologie ständig in- tensiver wird und, wie bei allen Konsumgütern und Dienstleistungen, immer mehr von den Betroffenen bestimmt werden möchte.

Garcia spricht hier von Pseudobedürfnissen, was zum einen schon eine star- ke Wertung beinhaltet, zum anderen nicht stichhaltig ist: Wird ein Bedürfnis vom Betrachter als falsch — pseudo — beschrieben, so heißt es nicht, daß der Be- troffene selbst sich nicht doch bedürftig fühlt. Da Bedürfnisse einen subjekti- ven Zustand beschreiben, kann keine objektive Wer- tung erfolgen. Man kann zwar bemängeln, daß die soziokulturellen Umstände Bedürfnisse aufkommen lassen, deren Realisation

nicht möglich ist, oder man kann Verantwortung ge- genüber auftretenden Be- dürfnissen abgrenzen. Sie als Pseudobedürfnisse ab- zukanzeln bedeutet, die

Mühlen der Medizinkritiker zu ölen.

Medizin

und Gesundheitswesen Garcia trifft den Kern der Polemik über Nemesis (2) oder Hybris (3) der Medizin, wenn er bemängelt, man unterscheide nicht zwi- schen „Medizin im engeren Sinne" und „Gesundheits- wesen mit präventiver Me- dizin". Nur muß diese Un- terscheidung nicht nur er- kannt, sondern klar demar- kiert werden. Die Beschrei- bung „Medizin im engeren Sinne" verführt zur Annah- me, daß die Enge dieses Sinnes willkürlich und zu scharf gehalten werden könnte. Vielleicht sollte man lieber medizinisches Handeln als Krankheitsbe- kämpfung definieren und es dem sogenannten Ge- sundheitswesen, als Han- deln zur Erhaltung der Ge- sundheit, gegenüberstel- len.

Die griechische Mythologie ehrt Asklepios als den Gott der Medizin, seine Tochter Hygieia als Göttin der Ge- sundheit. Diese Unter- scheidung ist nicht willkür- lich: Medizin beschäftigt sich mit Krankheiten, also mit Individuen, auch wenn sie manchmal aus strategi- schen Gründen die Be- kämpfung einer großen Zahl von Erkrankten oder Gefährdeten durch Groß- planung — also sozialmedi- zinisch — angeht. Ziel ist aber immer, Menschen von Krankheiten zu befreien.

Auf die Fragen, wann Krankheit vorliegt, wann medizinische Hilfe benötigt oder erwünscht ist und ob Krankheitsbekämpfung sinnvoll und effizient ist, kann hier nicht eingegan- gen werden.

Das Gesundheitswesen hin- gegen beschäftigt sich mit der Gesundheitserhaltung, wobei die Definition von Ge- sundheit immer und aus- schließlich soziokulturell bestimmt wird. Die Erhe- bung von Mittelwerten und Abweichungen von mor- phologischen und funktio- nellen Daten, oder die Auf- stellung von Verhaltensmu- stern, führt zu einem Ideal von gebündelten Normen, das man Gesundheit nennt.

Bei der Kritik des ärztlichen Tuns soll immer klar unter- schieden werden, ob es sich um eine medizinische Aktion zur Bekämpfung von Krankheit handelt, oder ob biologische Ideal- vorstellungen den Impuls für ein soziales Handeln geben, daß als Gesund- heitspolitik mehr mit Politik

— und dies soll nicht ab- schätzig verstanden wer- den — als mit Gesundheit zu tun hat. Nur andeutungs- weise soll hier daran erin- nert werden, daß Frank im 18. Jahrhundert ein Werk über „medicinische Poli- zey" verfaßte, in dem das Regieren — politeia — durch medizinisches Handeln be- stätigt wurde. Hiermit legte er die Grundlagen des öf- fentlichen Gesundheitswe- sens und schloß sich dabei der herrschenden Ansicht an, daß Medizinpolizei ein Instrument im Dienste von Regierenden und Staat sei (4, 5). Ein Zitat von Virchow ist diesbezüglich ebenfalls bezeichnend: „Die Medizin ist eine soziale Wissen- schaft, und die Politik ist weiter nichts, als Medizin im Großen." Gemeint war, kennt man das Werk Vir- chows, das Gesundheits- wesen, nicht die „Medizin im engeren Sinne." (6) Gerade die Weltgesund- heitsorganisation (WHO) verdeutlicht diesen Punkt in ihrer Definition: „Ge- sundheit ist ein Zustand vollkommenen körperli- chen, geistigen und sozia- len Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von >

8 Heft 5 vom 5. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Nemesis in der Medizin

Krankheiten und Gebre- chen." Ein politisches Pro- gramm also, dessen Erfül- lung, Mängel, Kosten oder überhaupt Erstrebenswer- tes mit dem medizinischen wenig genug zu tun hat, so daß man sich hier als Arzt weder in • der Kritik ange- sprochen fühlen muß, noch in der Wertung und Pla- nung mehr Mitsprache- recht als andere hat.

Arzt-Patient-Beziehung Die Arzt-Patient-Bezie- hung, schreibt Garcia, sei das zentrale Problem der Medizin im engeren Sinne.

Wohl nicht ganz, denn das Kernproblem der Medizin ist der Patient schlechthin, d. h. der Kranke. Und für den Kranken ist sein Arzt zwar wichtig, aber nicht das zentrale und einzi- ge Problem. Beziehungen zu anderen krankheitsbe- kämpfenden Mitarbeitern — konsiliarische Ärzte, Kran- kenschwestern, -Pfleger, -Gymnastiker, Sozialhelfer, Psychotherapeut — oder In- stitutionen (Krankenhaus, -Kasse), Angst vor Techni- schem oder Eingreifen- dem, beruflicher Ausfall, Lebensangst, familiäre Auf- nahme des Krankseins, Wertverschiebungen im existentiellen Bereich, u. v. a. sind ebenso Proble- me, die den Kranken vor- dergründig beschäftigen.

Dies alles sind Erfahrun- gen, die die Arzt-Patient- Beziehung vom Zentrum des Blickfeldes etwas ver- rücken. Das zentrale Pro- blem der Medizin, und schon gar das der Philoso- phie der Medizin, ist die Beziehung des Menschen zu seiner Krankheit (7).

Nicht bestreitend, daß die Arzt-Patient-Beziehung ei- nen sehr wichtigen Stellen- wert im Phänomen Krank- heit einnimmt, muß heute anerkannt werden, daß die- se Beziehung weder selbst- definitorisch noch unum- stritten ist. Garcia sagt es nicht explizit, aber aus sei-

ner Beschreibung heraus vermutet man, wenn er von

„Charisma zum Heilen"

spricht, daß hier die her- kömmliche Arzt-Patient- Beziehung gemeint ist, wo der Arzt über der Sache stehend, nach bestem eige- nen Gewissen den notlei- denden Patienten behan- delt. Mittlerweile haben aber einige Stimmen ver- sucht, die Arzt-Patient-In- teraktion etwas differen- zierter zu sehen, und es gibt mindestens zwei Theo- rien, die je drei Modelle von Arzt-Patient-Beziehung be- schreiben (8, 9). Von Ein- zelheiten abgesehen, ha- ben diese Vorstellungen dies gemeinsam, daß sie ein Machtgefälle zwischen Arzt und Patient beschrei- ben, wobei im paternalisti- schen Modell der Arzt be- stimmt, der Patient sich passiv zur Behandlung stellt, im technischen Mo- dell der Arzt dem Patient Information und Dienstlei- stung anbietet und nach Wunsch erteilt, im Ver- tragsmodell Arzt und Pa- tient miteinander Verpflich- tungen, Grenzen und Rechte der Interaktion aus- handeln. Im paternalisti- schen Modell ist das Machtgefälle maximal, der Patient überläßt dem Arzt alle Entscheidungen. Im technischen Modell ist der Arzt nur noch durch seine Expertise, aber nicht durch sein Entscheidungsvermö- gen, dem Patienten überle- gen, während im Vertrags- modell beide Partner gleichgestellt sind und mit- einander die Genesungsak- tion planen und durch- führen.

Hier soll, wiederum, keine Wertung dieser drei Model- le angestrebt werden. Auch soll das Problem nur kurz gestreift werden, ob Gleichwertigkeit zwischen einem notleidenden Men- schen und einem leistungs- fähigen Helfer überhaupt möglich ist. Nicht wegzu- diskutieren ist, daß diese verschiedenen Formen der

Beziehung analysiert wer- den müssen, zumal mit zu- nehmendem Konsumbe- wußtsein, erhöhter Prozeß- freudigkeit, Demokratisie- rung von Beziehungen und Strukturen sowie Verschär- fung der Kritiken, eine pa- ternalistische Arzt-Patient- Beziehung nicht vorweg als existierend oder wün- schenswert erklärt werden kann.

Metamedizinisches Kurze Stellungnahme zu

der angeblichen Verwir- rung von Begriffen, die die Termini Medizin und Sozia- les vergeschwistern: Gar- cia kann kaum annehmen, daß die überaus breite aka- demische Front der Sozio- logen, Philosophen und Sozialmediziner nicht wis- se, wovon sie redet. Sozio- logie der Medizin beschäf- tigt sich mit den gesell- schaftlichen Beziehungen der Medizin als soziale In- stitution, ist also ein Zweig der Soziologie, dessen Ob- jekt die Medizin ist. Sozio- logie in der Medizin, oder Medizinsoziologie, hinge- gen beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Ein- flüssen auf das Krank- und Gesundsein, ist also ein Zweig der Soziologie, der sich mit denselben Proble- men beschäftigt, wie es die naturwissenschaftliche Medizin tut, nur eben aus der sozialen Perspektive gesehen. Die Sozialmedi- zin wiederum ist ein Zweig der Medizin, dessen prag- matisches Ziel es ist, Krankheit zu bekämpfen und Gesundheit zu fördern, und zwar auf gesellschaftli- cher Ebene, also soziale Maßnahmen anstrebend, die der Krankheitsbekämp- fung dienen.

Garcias Artikel erzählt von manchen Kulturvölkern, die das Problem der Arzt- Patient-Beziehung durch eine „Medizinische Deon- tologie, bzw. medizinische Ethik" zu lösen gewußt ha-

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Leserdienst

Hinweise • Anregungen

Felden ® und Felden® 20 Zusammensetzung

1 Kapsel Felden enthält 10 mg Piroxicam.

1 Kapsel Felden 20 enthält 20 mg Piroxi- cam.

Anwendungsgebiete:

Entzündliche, degenerative und schmerzhafte Erkrankungen, insbeson- dere des Bewegungsapparates, wie chronische Polyarthritis, Arthrosen, Spondylitis ankylosans (Morbus Bechte- rew), Schulter-Arm-Syndrom, Ischialgien, Entzündungen der Sehnen, Sehnen- scheiden und der Schleimbeutel, akuter Gichtanfall, posttraumatische und post- operative Schmerzzustände.

Gegenanzeigen:

Bekannte Überempfindlichkeit gegen- über Piroxicam; akutes Magen- bzw.

Zwölffingerdarmgeschwür oder entspre- chende gastrointestinale Anamnese. Die Anwendung von Felden während der Schwangerschaft, Stillzeit und bei Kin- dern wird nicht empfohlen, da dies- bezüglich noch keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen.

e c,enn:

Gastrointestinale Nebenwirkungen erfor- dern nur selten einen Therapieabbruch.

In geringem Umfang können Knöchel- Ödeme auftreten. Nur vereinzelt wird eine Erniedrigung des Hämoglobinwertes und des Hämatokrits oder eine Erhöhung der Serumtransaminasen bzw. des Blutharn- stoffspiegels beobachtet. Patienten mit eingeschränkter Leber- und Nierenfunk- tion sollten entsprechenden Kontrollen unterzogen werden. Felden kann Tätig- keiten, die höhere Aufmerksamkeit erfor- dern, beeinträchtigen; dies gilt vor allem im Zusammenhang mit Alkohol.

Wechselwirkungen:

Bei gleichzeitiger Einnahme von Felden mit stark an Plasmaeiweiß gebundenen Medikamenten, wie Antikoagulantien vom Cumarintyp, sollte eine sorgfältige ärztliche Überwachung und eventuelle Dosisanpassung erfolgen.

Dosierung:

Im allgemeinen lx täglich 1 Kapsel Fel- den 20 (bzw. 1 x täglich 2 Kapseln Felden) während oder nach einer Mahlzeit mit reichlich Flüssigkeit. Die Dosierung bei akutem extraartikulärem Rheumatismus und akuter Gicht sowie Hinweise zur Anwendungsdauer sind der Gebrauchs- information bzw. dem Arztprospekt zu entnehmen.

Handelsformen und Preise:

Packung mit 20 Kapseln Felden

zu 10 mg DM 24,--;

Packung mit 50 Kapseln Felden

zu 10 mg DM 52,40;

Packung mit 20 Kapseln Felden 20

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HEINRICH MACK NACHF.

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10 Heft 5 vom 5. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Hinweise Anregungen

Nemesis in der Medizin

ben. Welche Völker sind das? Mit Medizinethik be- schäftigen sich Amerika- ner, Engländer und Hollän- der viel intensiver als wir hier in der Bundesrepublik Deutschland, wo mit Si- cherheit zu wenig ge- schieht. Aber weder haben irgendwelche Kulturvölker Anspruch auf Lösung von medizinethischen Proble- men erhoben, noch sollte sich die deutsche Ärzte- schaft darüber Vorwürfe machen, daß sie diese Lö- sungen auch noch nicht gefunden hat.

Ethik ist Problemstellung, nur sehr selten, wenn über- haupt, Lösung. Ist ein ethi- sches Problem „gelöst", so existiert es nicht mehr, und die Ethik wird hinfällig, in- dem sie zur Moral als Sit- tenvorschrift wird. Übri- gens, Deontologie und Ethik sind nicht Synonyme, denn Ethik ist die Wertana- lyse des Handelns, wäh- rend Deontologie eine ethi- sche Lehre darstellt, die davon ausgeht, daß wir aus einer Pflicht heraus han- deln. Solche Begriffe wie Deontologie, Teleologie, Ethik, Moral gehören aller- dings zur Grundausrü- stung des „ethisch solide ausgebildeten Arztes".

Ethik ist normativ, nicht deskriptiv. Spätestens seit Hume wissen die Philoso- phen, daß von der Be- schreibung der physikali- schen Welt sich keine nor- mativen Verhaltensregeln logisch ableiten lassen, daß vom Sein kein Sollen entstehen kann. Dies zu versuchen ist in der Phi- losophiegeschichte, aber auch jüngst in der Ethikde- batte, als der „naturalisti- sche Fehlschluß" bekannt geworden (10, 11).

Über dieses schwerwiegen- de philosophische Problem kann man nicht hinwegfe- gen mit Behauptungen wie die Garcias, es gäbe eine

„solide wissenschaftliche Ethik". Wenn wir solche

in sich widersprüchlichen Denkkategorien benutzen, disqualifizieren wir uns ge- genüber denen, die, wie oben angedeutet, das Feld der Medizinethik erobert haben, und machen es der Ärzteschaft schwer, glaub- haft an diesem Dialog teil- zunehmen. Wer heute Me- dizinethik ernst nimmt, darf es Kreuzrittern wie Illich nicht allzu leicht machen, denn wie Garcia richtig sagt, sie haben nicht immer Unrecht, aber dort, wo sie irren, müssen die Medizi- ner logisch, sachkundig und informiert zu berichti- gen versuchen.

Literatur

(1) Szasz, T.: The Theology of Me- dicine, Oxford: Oxford University Press 1979 — (2) Illich, I.: Medical Nemesis, New York: Bantam Book 1977 — (3) Horrobin, D. F.: Medical Hubris, Edinburgh: Churchill Livingstone 1978 — (4) Frank, J. P.:

System einer vollständigen medi- cinischen Polizey, Mannheim 1779

— (5) Rosen G.: Die Entwicklung der sozialen Medizin, in: Seminar:

Medizin, Gesellschaft, Geschichte, Hrsg. H.-U. Deppen, M. Regus, Frankfurt: Suhrkamp 1975, p. 74 — (6) Virchow, R.: Die öffentliche Ge- sundheitspflege, Medicinische Re- form 5 (1848), 21 — (7) Spicker, S.

F.: Terra Firma and Infirma Specie:

From Medical Philosophical An- thropology to Philosophy of Medicine, The Journal of Medicine and Philosophy 1 (1976), 104 — (8) Veatch, R. M.: Models for Ethical Medicine in a Revolutionary Age.

Hastings Center Report 2 (1972), 5

— (9) Szasz, T., Hollender, M. H.:

The Basic Models of the Doctor- Patient Relationship, A.M.A. Ar- chives of Internat Medicine 97 (1956), 585 — (10) Moore, G. E.:

Principia Ethica, Cambridge (1903)

—(11) Frankena, W. K.: Der natura- listische Fehlschluß, in: Seminar:

Sprache und Ethik, Hrsg. G. Gre- wendorf, G. Meggle, Frankfurt:

Suhrkamp 1974.

Dr. med. Michael Kottow Oberarzt

Charlottenklinik für Augenkranke Elisabethenstraße 15 7000 Stuttgart 1

Einige Realitäten

Es liegt mir fern, die geist- vollen und sympathischen Ausführungen des Herrn Kollegen Garcia kritisieren zu wollen. Sondern ich möchte sie nur durch eini- ge Realitäten ergänzen dürfen. Herr Garcia hat an sich durchaus recht mit der notwendigen Differenzie- rung der Medizin in eine kurative, eigentliche Heil- kunde und in das amtliche Gesundheitswesen. Letzte- res ist vor allem Hygiene und Präventivmedizin und damit Gesundheitspolitik, so wie Rudolf Virchow sie verstand, wenn er sagte, Politik sei Medizin im Gro- ßen. Leider ist aber die ku- rative Medizin durch die Umwandlung der Bis- marckschen Sozialversi- cherung in ihre heutige Ge- stalt noch viel mehr zur ei- gentlichen Politik gewor- den. Allein schon dadurch, daß sie das Honorar, den Jahrhunderte alten Ehren- sold des Arztes, und damit eine Schlüsselbeziehung zum Patienten, in einen ei- nerseits vom Patienten un- abhängigen, andererseits aber vom Arzt bestimmten und ihm garantierten Tarif- lohn umgewandelt hat, um den seit Jahrzehnten ge- handelt und gestritten wird, und der überdies eine Quelle öffentlicher Polemik geworden ist. Auch die im Gefolge der naturwissen- schaftlichen Aufklärung er- folgte Popularisierung der Medizin durch die Literatur und vor allem durch die modernen Medien aller Art, und damit „Profanierung"

(Diepgen) der Medizin ha- ben zusammen mit der Kreation eines Partner- schaftsverhältnisses mit dem Patienten, und nicht zu vergessen, einschlägi- ger Rechtsprechung, dafür gesorgt, daß mit wenigen Ausnahmen das herkömm- liche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht mehr besteht, wenn dies auch allerseits abge-

stritten wird, sondern sich mehr und mehr in ein Miß- trauensverhältnis umwan- delt. Charisma, auch wenn vorhanden, kann zumeist nicht mehr wirksam wer- den, weil sowohl beim Arzt als auch beim Patienten der dazu nötige starke Glaube zur Wirksamkeit der Therapie, insbesondere der medikamentösen, und der Wille zur Wirkung, feh- len. Charisma ist heute auch gar nicht mehr ge- fragt, weil der heutige Mensch mehr auf Technik setzt. Alle heute ventilier- ten Verkünstelungen der Ausbildung können aus ei- nem Lohnempfänger ir- gendwelcher Art keinen richtigen Heil- oder Haus- arzt alter Art mehr machen.

Diese früheren Hausärzte sind übrigens auch ganz schön alt geworden. Wenn es stimmt, daß die heutigen Nachfahren — es sind wohl die „praktischen Ärzte" ge- meint — die höchste In- • farktrate haben — innerhalb welchen Bereiches? —, dann stimmt wohl etwas anderes nicht: entweder die Diagnose oder die Risi- kobewertung. Es trifft auch sicher zu, daß man nicht mit ethischen Grundsätzen geboren wird. Doch muß man sie in frühester Ju- gend aufgenommen ha- ben, und zwar von Vorbil- dern. Dazu gehört auch ei- ne intakte Familie mit El- tern, die ihrerseits solche Grundsätze in ihrer eige- nen Kindheit aufgenom- men haben. Wo sollen sie also herkommen, da es we- der Vorbilder noch intakte Familien mehr gibt? Wir stehen außerdem vor fol- gender Realität: In der Be- völkerung des Deutschen Reiches um die Jahrhun- dertwende (1900) betrug die Zahl der auf einen Arzt entfallenden Einwohner:

2045. Am 1. 1. 1979 betrug die Zahl der Einwohner der Bundesrepublik Deutsch- land, die auf einen Arzt ent- fielen, nur noch 401, also ein Fünftel. Aber diese >

12 Heft 5 vom 5. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A/B

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