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Archiv "Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und Familien" (06.06.1991)

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DEUTSCHES

Illar[1111=2111111.111

ÄRZTEBLATT

Helmut Remschmidt Psychotherapie

mit Kindern,

Jugendlichen und Familien

Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und Familien muß den Besonderheiten von Alter und Entwicklungsstand, Familienbezug sowie Bil- dungs- und Ausbildungssi- tuation Rechnung tragen. In moderner Form berücksich- tigt sie auch protektive Fakto- ren und Bewältigungsstrate- gien von Kindern und Ju- gendlichen. Man kann indivi- duumzentrierte von gruppen- zentrierten und familienzen- trierten Behandlungsmetho- den unterscheiden, die unter- schiedliche Indikationsge- biete haben. Ein Gebot der Stunde ist die Evaluation psychotherapeutischer Be- handlungsmaßnahmen, die sich auf drei Aspekte erstrek- ken: den Wirksamkeitsnach- weis, den Vergleich der Wirksamkeit und die Thera- pieprozeßforschung.

Klinik und Poliklinik

für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor:

Prof. Dr. med. Dr. phil. H. Remschmidt) der Philipps-Universität Marburg

1. Einleitung

Psychotherapie heißt Behand- lung mit psychischen Mitteln. Will man sie bei Kindern und Jugendli- chen anwenden, so muß sie einer Reihe von Gesichtspunkten Rech- nung tragen:

> dem entwicklungspsychologischen Aspekt: Bei allen kinder- und ju- gendpsychiatrischen Erkrankungen müssen Entwicklungsvorgänge und ihre Auswirkungen berücksichtigt werden. Denn sie bestimmen häufig die Symptomatik einer Störung und sind auch für die Therapie maßge- bend.

1> dem Familienbezug: Die Familie oder familienähnliche Gemeinschaft ist die engste Bezugsgruppe des Kin- des. Da Kinder stärker als Erwachse- ne von ihrer Umgebung abhängig sind, müssen sie und auch ihre Stö- rungen in diesem Kontext gesehen werden.

> der Bildungs- und Ausbildungssi- tuation: Neben der Familie spielen Bildungs- und Ausbildungsinstitutio- nen (Kindergarten, Schule, andere Fördereinrichtungen) für die Ent- wicklung von Kindern eine außeror- dentlich wichtige Rolle. Daher müs- sen sie auch im Hinblick auf die Aus- lösung und Behebung von Störungen einbezogen werden.

> den Risikofaktoren für Entwick- lungsvarianten, Störungen und Er- krankungen: Da sich manche dieser Risikofaktoren (besonders solche im sozialen Bereich) noch ändern las- sen, sollten sie frühzeitig identifiziert und, soweit möglich, im Rahmen ei- nes Behandlungsplanes eliminiert oder abgeschwächt werden.

> den protektiven Faktoren und der Prävention: Bei rechtzeitigem Ein- greifen ist es, gerade im Kindesalter, noch möglich, die Chronifizierung psychischer Erkrankungen zu ver- meiden oder im Sinne der Präventi- on einer Erstmanifestation vorzu- beugen. In beiderlei Hinsicht hat in den letzten Jahren ein Umdenken in- sofern stattgefunden, als man in stär- kerem Maße versucht, die protekti- ven Faktoren im einzelnen Patien- ten, seiner Familie und seinem Um- feld zu entdecken, um sie für die Be- handlung nutzbar zu machen.

> den Bewältigungsstrategien (Co- ping-Mechanismen): Die meisten psy- chisch kranken oder gestörten Kin- der und Jugendlichen entwickeln derartige Bewältigungsstrategien. Es gilt, diese im einzelnen Patienten und in der Familie zu entdecken, mit den Patienten weiterzuentwickeln und so für die Therapie nutzbar zu machen. Dieser Aspekt wird in unse- ren Behandlungseinrichtungen meist noch nicht hinreichend genutzt. Er ist aber von großer Bedeutung, nicht zuletzt deshalb, weil man hier bereits an Lösungswegen anknüpfen kann, die vom Patienten selbst entdeckt wurden.

2. Allgemeine Gesichts- punkte zur Indikations- stellung thera-

peutischer Maßnahmen

An die Behandlungsmethoden müssen folgende grundlegende An- forderungen gestellt werden (Rem- schmidt 1982, 1988):

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Methoden Pharmakotherapie Psychoanalyse Verhaltenstherapie Übungsbehandlung Kognitive Methoden Gesprächstherapie Imaginative Methoden

1. Sie müssen dem jeweiligen Stö- rungsmuster angemessen sein (Grundsatz der Spezifität). Dies be- deutet, daß verschiedene psychiatri- sche Störungen bei Kindern und Ju- gendlichen mit unterschiedlichen Methoden behandelt werden oder behandelbar sind. Die Spezifität der Methoden im Hinblick auf die Stö- rungen ist jeweils relativ. Welche Methode angewandt wird, richtet sich vielfach nach der Praktikabilität und der Wirksamkeit.

2. Sie müssen Modifikationen auf verschiedenen Altersstufen erlauben

(Grundsatz der alters- und entwick- lungsbezogenen Abwandlung).

3. Sie müssen in der Durchführung variabel und in unterschiedlichen Settings praktikabel sein, zum Bei- spiel im stationären Bereich, in der Ambulanz oder als „home treat- ment" (Grundsatz der Variabilität und Praktikabilität).

4. Ihre Wirksamkeit sollte nachge- wiesen sein, möglichst im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden (Grundsatz der Evaluation und der Effektivitätsprüfung). Dieser Grund- satz gilt sowohl für die somatischen Behandlungsmethoden als auch für die Psychotherapie. Was letztere be- trifft, so gibt es bislang noch wenige aussagekräftige und methodisch aus- gereifte Untersuchungen.

Leider sind diese Anforderun- gen bei einer großen Zahl bereits praktizierter Behandlungsmethoden nicht oder noch nicht verwirklicht.

3. Klassifikation der Behandlungsmethoden

Psychotherapeutische Behand- lungsmethoden müssen im Gesamt- kontext aller Behandlungsmaßnah- men gesehen werden. Wenn man das gesamte Spektrum an Behandlungs-

methoden betrachtet, so lassen sich diese nach verschiedenen Gesichts- punkten klassifizieren, zum Beispiel nach der angewandten Behandlungs- methode (wie Psychopharmakothe- rapie, funktionelle Übungsbehand- lung, Verhaltenstherapie, Psycho- analyse), nach dem jeweiligen Setting beziehungsweise Behandlungsbedin- gungen (zum Beispiel individuum- zentrierte Therapie, Familienthera-

Abbildung 1:

Klassifikation von Behandlungs- methoden

pie oder ambulante, stationäre oder teilstationäre Therapie) und nach den Störungsmustern, die behandelt werden sollen (zum Beispiel Angst- syndrome, Zwangssyndrome, schi- zophrene Psychosen).

In Abbildung 1 ist diese Dreitei- lung wiedergegeben. Sie verdeut- licht, daß im Hinblick auf ein be- stimmtes Störungsmuster eine be- stimmte Methode in einem festzule- genden Setting angewandt werden kann. Welche Methode in welchem Setting durchgeführt wird, sollte im Idealfall nach Maßgabe der empi- risch erwiesenen Wirksamkeit be- stimmt werden. Für die Bedürfnisse der Praxis hat sich eine Einteilung nach dem Setting oder den Thera- piemodalitäten als zweckmäßig er- wiesen.

Unter diesem Gesichtspunkt un- terscheiden wir im Hinblick auf psy- chotherapeutische Behandlungsme- thoden individuumzentrierte von fami- lien- und gruppenzentrierten Metho- den.

3.1 Individuumzentrierte Methoden

Zu ihnen zählen alle Verfahren, die schwerpunktmäßig am einzel- nen Patienten durchgeführt werden.

Hierzu gehören psychoanalytisch

orientierte Behandlungsmethoden, die Verhaltenstherapie, funktionelle Übungsbehandlungen (zum Beispiel Wahrnehmungstraining, psychomo- torische Übungsbehandlung), kreati- ve Methoden (zum Beispiel kata- thymes Bilderleben, Musiktherapie) und kognitive Therapieansätze, die zum Teil sehr verschiedenen theore- tischen Richtungen angehören. Indi- viduumzentrierte Behandlungsme- thoden haben ein nahezu universel- les Indikationsgebiet. Es ist nicht möglich, dieses im Rahmen eines kurzen Beitrages abzuhandeln. Es seien daher nur einige Grundsätze angeführt:

Zunächst muß festgehalten wer- den, daß zwischen den einzelnen an- geführten Methoden keine grund- sätzliche Unvereinbarkeit vorliegt.

Sie können durchaus kombiniert wer- den. Die Zeiten, in denen psychoana- lytisches Vorgehen und lerntheoreti- sche Therapieverfahren für unverein- bar gehalten wurden, sind vorbei, seit man weiß, daß alle Veränderungen letztlich auf Lern- und Umorien- tierungsprozessen beruhen (Porter 1968; Sloane und Mitarbeiter 1981).

Dennoch ist das psychoanalyti- sche Vorgehen dort besonders geeig- net, wo eine ausreichende Differen- zierung des Patienten vorhanden ist und die Symptomatik weniger um- schrieben, sondern eher diffus ver- A-2076 (60) Dt. Ärztebl. 88, Heft 23, 6. Juni 1991

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teilt ist (zum Beispiel Individuations- krisen, Zwangssymptomatik, Angst- neurosen).

Die Verhaltenstherapie hat ihre Domäne im Bereich habitueller, das heißt aufgrund abnormer Gewohn- heitsbildung entstandener Sympto- me und bei umschriebenen Störungs- mustern. Beispiele hierfür sind die Enuresis, habituelle Verhaltenswei- sen (Nägelbeißen, Haareausreißen, Jactatio, Tics), Phobien, manche psy- chosomatische Erkrankungen (zum Beispiel psychogene Eßstörungen, zum Teil Anorexia nervosa) und eine Vielzahl von Störungen, bei denen mit Hilfe der Verhaltensmodifikati- on bestimmte Symptome behandelt werden, ohne daß die Grundkrank- heit behoben wird (zum Beispiel Verhaltensmodifikation bei autisti- schen Syndromen, Oligophrenien oder Schizophrenien).

Groß ist auch das Indikationsge- biet der funktionellen Übungsbehand- lungen. Bei ihnen geht es vorwiegend um die Therapie umschriebener Ausfälle (zum Beispiel Legasthenie, Rechen-, Wahrnehmungs- und Kon- zentrationsstörungen) und um das Aufholen von Entwicklungsdefiziten bzw. -retardierungen (zum Beispiel in der motorischen und der Sprach- entwicklung). Funktionelle Übungs- behandlungen haben auch eine Rei- he sehr erwünschter Auswirkungen auf andere Bereiche, die nicht pri- mär als Indikationsgebiet angesehen werden. So kann zum Beispiel über eine Aktivierung psychomotorischer Abläufe das emotionale und soziale Verhalten in zum Teil erheblichem Ausmaß gefördert werden.

Kreative Behandlungsmethoden werden überall dort eingesetzt, wo aufgrund des Lebensalters und des Entwicklungsstandes oder aufgrund der Störung des Patienten ein direk- ter Zugang über eine verbale Psy- chotherapie nicht oder nur schwer möglich ist. Dies bezieht sich vor al- lem auf die im Vorschulalter und in den ersten Schuljahren angewand- ten, zum Teil sehr unterschiedlichen Formen der Spieltherapie. Kreative Methoden haben sich ferner bei kon- taktgestörten Kindern und Jugendli- chen, aber auch bei sehr stark intel- lektualisierenden Adoleszenten au- ßerordentlich bewährt. Sie lassen

sich ebenfalls mit großem Erfolg bei Psychosen des Kindesalters oder in der Adoleszenz als zusätzliche Be- handlungsmethoden neben der me- dikamentösen Therapie einsetzen.

Dies gilt insbesondere für die Musik- therapie.

Kognitive Therapieansätze (Ein- sichtstherapien) haben ihr Haupt- indikationsgebiet bei neurotischen Störungen. Sie erleben zur Zeit ei- nen großen Aufschwung, insbeson- dere bei depressiven Erkrankungen.

Auch hinsichtlich ihrer Evaluation sind Fortschritte erzielt worden.

3.2 Familienzentrierte Behandlungsmethoden

Im weitesten Sinne gehören hierzu die Familienberatung (Eltern- beratung), psychodynamisch orien- tierte Familientherapien, verhaltens- orientierte Methoden, die kinder- zentrierte Familientherapie und ver- schiedene Behandlungsmethoden des home treatment (Behandlung im Milieu).

Es steht außer Zweifel, daß die familienzentrierten Psychotherapie- methoden zu einer wesentlichen Be- reicherung im Behandlungsspektrum geführt haben. Sie haben vielfach zu einem neuen Verständnis psychi- scher Störungen und Erkrankungen beigetragen. Zugleich muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß die Indikation zu einem famili- enzentrierten Vorgehen sorgfältig unter Abwägung des jeweiligen Stö- rungsmusters und der Gesamtsituati- on gestellt werden muß. Hier hat sich der Therapeut vor allem zwei Fragen zu stellen:

1. Steht die Störung des Kindes di- rekt oder indirekt im Zusammen- hang mit dem Verhalten seiner El- tern oder der Familie im weiteren Sinne? Diese Frage läßt sich im all- gemeinen nach sorgfältiger Anamne- se und Diagnostik entscheiden, wenn man sich auf nachweisbare Zusam- menhänge konzentriert.

2. Wie stabil ist das Familiengleich- gewicht, und wie weit kann man in der Aufdeckung der Familienproble- matik gehen? Die zweite Frage zielt auf den Grundsatz ab, daß der The- rapeut nur das in Angriff nehmen darf, was er voraussichtlich auch be-

wältigen kann. Es ist unverantwort- lich, ein gewachsenes Familiengefü- ge (auch wenn es neurotisch struktu- riert ist) aufzubrechen ohne die Be- reitschaft, im Rahmen einer länger- fristigen Behandlung die daraus re- sultierenden Konsequenzen aufzu- fangen und zum Behandlungsgegen- stand zu machen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist hinsichtlich ih- rer Vorgehensweise schon immer fa- milienzentriert gewesen. In keinem anderen Fachgebiet hat die Familie je diese Rolle gespielt. Es wird in Zukunft aber darauf ankommen, je- ne familienzentrierten Behandlungs- methoden aufzugreifen und fortzu- entwickeln, die auf bewährten Prin- zipien beruhen und die vorwiegend von der Störung des Kindes aus- gehen, weshalb wir auch von der kinderzentrierten Familientherapie sprechen.

3.3 Gruppenzentrierte Behandlungsmethoden

Zu ihnen zählen offene Grup- penpsychotherapien (analytischer oder nichtanalytischer Vorgehens- weise), zielgerichtete Gruppenpsy- chotherapien (zum Beispiel Selbst- behauptungstraining, Gruppenthe- rapie bei kontaktgestörten oder ag- gressiven Kindern), autogenes Trai- ning in Gruppen, die Gruppenspiel- therapie und Elterngruppen ver- schiedener Zielrichtungen.

Die Gruppenbehandlungen ha- ben längst Eingang in unseren Alltag gefunden. Sie haben sich in folgen- den Bereichen bewährt: als offene Gruppenpsychotherapie in der Ado- leszenz (bei sehr verschiedenen Stö- rungen, insbesondere bei den häufi- gen Identitätskrisen), als zielgerich- tete Gruppentherapien bei kontakt- gestörten Jugendlichen, aber auch bei sehr aggressiven und ungesteuer- ten Kindern. Gruppenspieltherapien im Kindesalter sind bei einer Viel- zahl von Störungen angebracht, ebenso das autogene Training, bei dem man eher die Kontraindikatio- nen als die Indikationen erwähnen sollte. Solche sind: hypochondrische Befürchtungen und übermäßige So- matisierungstendenzen, zu junge Kinder (wirksame Anwendung erst nach dem 8. Lebensjahr) sowie

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Gruppenunfähigkeit aus verschiede- nen Gründen (zum Beispiel bei schweren Angstzuständen und ag- gressiven Verhaltensweisen).

4. Grundsätze zur Indikationsstellung

Wichtige Grundsätze, die bei je- der Indikationsstellung bedacht wer- den müssen, sind:

4.1. Sorgfältige Diagnostik vor dem Stellen einer Therapie- indikation

Es ist eigentlich selbstverständ- lich, daß die erste Voraussetzung für die Abwägung der Therapieindikati- on eine sorgfältige Diagnostik ist. Sie muß ärztlicherseits erfolgen, durch psychologische Zusatzuntersuchun- gen ergänzt werden und bereits auf eine mögliche Behandlung ausge- richtet sein. Letzteres wird häufig mit dem Begriff der therapierelevan- ten Diagnostik umschrieben. Viel- fach wird der psychiatrischen Dia- gnostik vorgeworfen, sie stehe kaum im Zusammenhang mit der später er- folgenden Therapie. Heute wird je- doch in vielen Kliniken der Tatsache Rechnung getragen, daß neben der klinisch-psychiatrischen Diagnose auch jene Elemente mit erfaßt wer- den, die für die Formulierung von Therapiezielen wichtig sind (zum Beispiel Entwicklung, Intelligenz, Familiensituation). Dieser Notwen- digkeit tragen auch manche Klassifi- kationsschemata Rechnung.

4.2. Differentielle Anpassung der Therapiemethode an das Störungsmuster

Kinder- und jugendpsychiatri- sche Therapie muß auf verschiedene Methoden zurückgreifen können.

Die Indikation erfolgt im Idealfall nach Maßgabe des empirischen Wis- sens über die Wirksamkeit einer Be- handlungsform. Leider ist diese For- derung im Hinblick auf viele Störun- gen und Behandlungsmethoden be- ziehungsweise ihre jeweilige Zuord- nung noch nicht erfüllt. An zwei Bei- spielen läßt sich das Prinzip jedoch verdeutlichen: So werden monosym-

ptomatische Phobien und Tierpho- bien am besten verhaltenstherapeu- tisch behandelt. Die Erfolge sind nachgewiesen und empirisch abgesi- chert (Rachman und Bergold 1970).

Individuationskrisen in der Adoles- zenz wird man aber nicht verhal- tenstherapeutisch, sondern eher psy- choanalytisch orientiert behandeln, da ihre Symptome sehr uneinheitlich und zugleich umfassender sind, so daß ein lerntheoretischer Zugang zu- mindest sehr schwierig ist (Rem- schmidt 1979).

4.3. Abstimmung aller

Therapiemaßnahmen auf Alter und Entwicklungsstand

Diese sehr einleuchtende Forde- rung ist im praktischen Vorgehen oft schwer zu erfüllen. Jeder Therapeut muß sich aber Gedanken darüber machen, ob die von ihm in Aussicht genommene Behandlungsmethode dem Alter und Entwicklungsstand seines Patienten angemessen ist.

4.4. Sorgfältige Abwägung des jeweils besten Settings (Therapiemodalität) für die Therapie

Hierbei geht es um die Entschei- dung, ob eine ambulante oder statio- näre Therapie, eine Therapie im häuslichen Milieu („home treat- ment"), eine individuumzentrierte, familienzentrierte oder gruppenzen- trierte Behandlung für den jeweili- gen Patienten und sein Störungsmu- ster am zweckmäßigsten sind.

Die Entscheidung dieser Frage hängt aber auch von der Kooperati- onsbereitschaft der Eltern ab. Denn, ohne eine solche läßt sich zum Bei- spiel eine Behandlung im häuslichen Milieu, aber auch eine ambulante Behandlung, kaum sinnvoll und mit Aussicht auf Erfolg durchführen.

4.5. Integration verschiedener Behandlungsmaßnahmen in einen Therapieplan

Vielfach ist die Psychotherapie nicht die einzige durchgeführte Be- handlungsmaßnahme. Vielmehr ent- stehen schon durch die Berücksichti- gung des familiären und schulischen

Umfeldes meist eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die auf ein The- rapieziel hin koordiniert und struk- turiert werden müssen. Diesem Ziel dient ein Therapieplan. Therapie- pläne sind am besten im Rahmen der stationären Behandlung erprobt. Es ist aber erforderlich, daß sie ebenso im ambulanten und im teilstationä- ren Bereich und im Rahmen des

„home treatments" erstellt, durchge- führt und nach Maßgabe des Thera- pieverlaufs auch modifiziert werden.

Die Erstellung des Therapieplanes hat auch für den Therapeuten eine große Bedeutung im Sinne einer Klärung und Übersichtlichkeit des therapeutischen Vorgehens.

5. Evaluation psycho- therapeutischer Be- handlungsmaßnahmen

Die Evaluation psychotherapeu- tischer Behandlungsmaßnahmen ge- hört zu den schwierigsten Aufgaben der Therapieforschung. Denn es geht dabei nicht um die Evaluierung bereits vorhandener, gesetzmäßig ablaufender Vorgänge, sondern um die Überprüfung von Tatsachen und Vorgängen, die durch den psycho- therapeutischen Prozeß erst hervor- gebracht oder geschaffen werden.

Damit ist allerdings schon eine hö- here Form der Psychotherapiefor- schung gemeint, die über die Evalua- tion von Effekten hinausgeht. In die- sem Sinne führt Grawe (1987) aus:

„Psychotherapeutisch relevante Tat- sachen sind vor allem solche, die sich auf die Wirkung, Wirkungsweise und Indikation psychotherapeutischer Methoden beziehen. Sie entstehen erst durch die Anwendung dieser Methoden und existieren als Tatsa- chen im wissenschaftlichen Sinne erst dann, wenn sie durch geeignete objektive Methoden als solche gesi- chert wurden".

Nach Grawe (1987) befindet sich die Psychotherapieforschung

„gegenwärtig erst im Übergang von einem vorwissenschaftlichen Stadi- um zu einer empirisch fundierten Alltagswissenschaft: Es gibt im Be- reich der Psychotherapie viele ‚Er- klärungen' (psychotherapeutische Theorien) und relativ wenig gesi- A-2080 (64) Dt. Ärztebl. 88, Heft 23, 6. Juni 1991

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Therapiemethode

Pat.-Störung Umgebung

Therapeut.

Prozess

Erfolg/

Misserfolg

Zeit Evaluationskriterien

Abbildung 2: Die zentrale Rolle des therapeutischen Prozesses innerhalb des psychothe- rapeutischen Geschehens

cherte, das heißt allgemein als solche akzeptierte Tatsachen" (Seite 2). In Anlehnung an Grawe (1987) sind in der Psychotherapieforschung folgen- de Aspekte zu berücksichtigen:

5.1. Wirksamkeitsnachweis Hier geht es darum, ob eine be- stimmte psychotherapeutische Be- handlungsmethode überhaupt den Nachweis ihrer Wirksamkeit antreten kann. Hierzu ist sie zunächst zu defi- nieren und an einzelnen Patienten und Patientengruppen zu erproben.

Um den Wirksamkeitsnachweis zu führen, müssen entsprechende Me- thoden der Veränderungsmessung angewandt werden, die sich auf für den Therapieerfolg relevante Verän- derungsbereiche beziehen.

5.2. Vergleich der Wirksamkeit Bei Wirkungsvergleichen kommt es darauf an, ob eine Therapieform ei- ner oder mehreren anderen Thera- pieformen bei einer definierten Stö- rung überlegen ist. Es geht mit ande- ren Worten um die Frage, wie sich un- terschiedliche Psychotherapieformen bei bestimmten Patienten oder Pa- tientengruppen in quantitativer oder qualitativer Form unterscheiden.

Um derartige Untersuchungen durchzuführen, ist es notwendig, die einzelnen Therapieformen zu defi- nieren bzw. unter übergeordneten Gesichtspunkten zusammenzufas- sen. Die Psychotherapieforschung im Kindes- und Jugendalter steht hier noch ganz in den Anfängen.

5.3. Therapie-Prozeßforschung Daß der therapeutische Prozeß, also der kontinuierliche Informati- onsaustausch zwischen dem Patien- ten und dem Therapeuten, zu den zentralen Variablen einer Therapie gehört, ist nicht neu. In der analyti- schen Psychotherapie standen die Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung von Anfang an im Mittelpunkt des Geschehens.

Nachdem jedoch die bislang durchgeführte Outcome-Forschung in der Psychotherapie zu einem ge- wissen Endpunkt gekommen ist, hat sich in den letzten Jahren ein Wan-

del zur psychotherapeutischen Pro- zeßforschung vollzogen. Ihr liegt die Überzeugung zugrunde, daß die psy- chotherapeutischen Veränderungen in ihrem prozessualen Ablauf am be- sten verstanden werden können.

In Abbildung 2 ist in einem einfa- chen Schema die zentrale Rolle des therapeutischen Prozesses innerhalb, der Evaluation einer psychothera- peutischen Behandlung wiedergege- ben. Unterschieden werden insge- samt fünf Bereiche, die durch eine Reihe von Variablengruppen ge- kennzeichnet sind: zunächst die The- rapiemethode (zum Beispiel Verhal- tenstherapie, analytische Psycho- therapie), sodann der Bereich Pa- tient — Störung — Umgebung. Hierbei geht es um eine genaue Kennzeich- nung des Patienten (zum Beispiel Persönlichkeit, Störungsmuster), aber ebenso auch um die Einbezie- hung seiner familiären oder sonsti- gen Umgebung. Der therapeutische Prozeß umfaßt im Rahmen einer Einzeltherapie die Interaktion zwi- schen Patient und Therapeut mit al- len relevanten Merkmalen (zum Bei- spiel verbaler und nichtverbaler In- formationsaustausch), beim Bereich Erfolg/Mißerfolg geht es im wesentli- chen um die Effektivitätsbeurteilung der Maßnahme als solcher oder im Vergleich zu anderen Maßnahmen.

Alle drei für die Therapie rele- vanten Bereiche müssen anhand de- finierter Evaluationskriterien einge- schätzt werden.

6. Psychothera-

peutisches Vorgehen und Humanität

Manche Psychotherapiemetho- den nennen sich humanistisch. Ab- gesehen davon, ob dieser Anspruch von ihnen eingelöst wird, muß als Grundsatz der Humanität angesehen werden, dem Patienten mit einer be- stimmten Störung die jeweils beste und aussichtsreichste Behandlungs- methode zur Verfügung zu stellen.

Wenn man diesem Grundsatz nach- kommen will, muß man aber auch wissen, welches die jeweils beste Be- handlungsmethode ist; und dies kann nur durch eine sorgfältige The- rapieforschung ergründet werden.

Diese verantwortungsvolle Aufgabe kann keineswegs der subjektiven An- schauung einzelner überlassen wer- den. In diesem Sinne umschließt der Grundsätz der Humanität auch, die Therapieforschung nach Kräften und in einer für den Patienten ak- zeptierbaren Form zu fördern. Der Grundsatz der Humanität erfordert aber auch, den Patienten und ihren Familien nicht Behandlungsmetho- den vorzuenthalten, die man entwe- der nicht beherrscht oder die zwar gute Erfolge aufweisen, aber dem ei- genen Konzept von Therapie wider- sprechen. Nicht jeder Therapeut kann alles behandeln, und nicht je- der Therapeut überschaut alle prak- tizierten Behandlungsmethoden, ih-

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Die kontinuierliche Dekompression juveniler Knochenzysten

re Indikationen und ihre Erfolge.

Humanität in der Therapie läßt sich auch nicht darauf reduzieren, daß sich der Patient in der Therapie wohlfühlt. Nicht selten müssen in der Behandlung Grenzen gesetzt und Maßnahmen durchgeführt wer- den, gegen die der Patient sich zu- nächst wehrt. Hier ist es gerade nicht human, den momentanen Wünschen des Patienten wider besseres Wissen nachzugeben. Schließlich ist es ein.

Gebot der Humanität in der Thera- pie, individuelle und statistische Be- trachtungsweise zugunsten des Pa- tientenwohles zu vereinigen und Therapie und Therapieforschung zu versöhnen nach dem Motto der Tavi- stock-Klinik: „Keine Therapie ohne Forschung, keine Forschung ohne Therapie."

Literatur

Grawe, K.: Verborgene Wahrheiten über die Wirkungen von Psychotherapien — eine Analyse des Ergebnisstandes der Psychotherapiefor- schung unter differentiellem Aspekt. Manu- skript, Bern 1987

Porter, R. (Ed.): The role of learning in psy- chotherapy. Churchill, London 1968

Rachman, S., Bergold, J. B.: Verhaltensthe- rapie der Phobien. Urban & Schwarzenberg, München 1970

Remschmidt, H.: Adoleszentenkrisen und ihre Behandlung. In: Specht, F., Gerlicher, K., Schütt, K. (Hrsg.): Beratungsarbeit mit Jugend- lichen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1979

Remschmidt, H.: Indikationen und Grenzen der Psychotherapie in der Kinder- und Jugend- psychiatrie. In: Heimchen, H., Linden, M., Rü- ger, U. (Hrsg.): Psychotherapie in der Psychia- trie. Springer, Berlin—Heidelberg—New York 1982

Remschmidt, H.: Gesichtspunkte zur Indika- tionsstellung therapeutischer Maßnahmen. In:

Remschmidt, H., Schmidt, M. H. (Hrsg.): Kin- der- und Jugendpsychiatrie in Klinik und Praxis, Bd. I, Thieme, Stuttgart—New York 1988

Sloane, R. B., Staples, F. R., Cristol, A. H., Yorkston, N. J., Whipple, K.: Psychotherapy ver- sus Behavior Therapy. Harvard University Press, Cambridge 1975

Anschrift des Autors:

Professor Dr. med.

Dr. phil. Helmut Remschmidt Klinik für Kinder- und Jugend- psychiatrie der Philipps-Universität Hans-Sachs-Straße 6

W-3550 Marburg

Neben der Kürettage gelten für den Fall rezidivierender juveniler Knochenzysten die Resektion und.

Knochen- oder Knochenersatz-In- terposition als Therapie der Wahl.

Ätiologie und Pathogenese die- ser tumorähnlichen Erkrankung wa- ren lange umstritten. Seit den Unter- suchungen von Cohen und Chigira ist die venöse Abflußbehinderung (venous obstruction) mit Anstieg des Druckes im Zysteninnenraum als ur- sächlich anzunehmen.

Die publizierten Behandlungs- methoden von Chigira (Einbringen von Kirschner-Drähten) und Scag- lietti (bis zu sechsmal durchgeführte Punktionen und Instillationen von Steroiden) können als kausal hin- sichtlich der Drucknormalisierung angesehen werden.

Der Abfluß des unter Druck ste- henden Zysteninhaltes muß durch die Zystenwand erfolgen. Nach Punktion mit großlumiger Kanüle verschließt sich die knöcherne Läsi- on oder Perforation rasch; bei der Kirschner-Draht-Methode kommt es zum baldigen Verschluß nach Ent- fernung der Drähte.

Die Überlegungen der Autoren zur Verbesserung der Therapie führ- ten zu folgendem Vorgehen: Der vorzeitige Corticalisverschluß kann durch das Einbringen von Schrauben mit zentraler Perforation verhindert werden. Verwendung finden hierzu sogenannte Lochschrauben mit ei- nem Gewindedurchmesser von 7,0 mm und einer Gewindelänge von 10 oder 16 mm. Die zentrale Perforati- on erlaubt das Durchführen eines Spießes von 1,5 mm Stärke.

Operationstechnik

Die Knochenzyste wird „spar- sam" freigelegt, bei schwieriger Lo- kalisation unter Zuhilfenahme des Bildwandlers. Fenstern der dünnen Corticalis. Der Zystenraum wird kü- rettiert mit gleichzeitiger Beseiti- gung aller Septen, so daß ein einzi- ger Zystenraum verbleibt. Das ge- wonnene Gewebe — Corticalis, Mem- bran, Zysteninhalt — wird zur feinge- weblichen Untersuchung gesandt.

Etwa mit einem Abstand von 3 cm zum Corticalisfenster, das sich wie- der spontan verschließt, wird eine kurze Lochschraube von außen ein- gebracht, so daß die Schraubenspit- ze im Zysteninnenraum zu liegen kommt. Die Schraube ist auf ihren sicheren Halt in der Corticalis hin zu überprüfen. In Abhängigkeit von der Narkoseform können die Kinder am Abend des Operationstages das Krankenhaus verlassen.

Berichtet wird über die ersten sechs Patienten mit einem Durch- schnittsalter von zehn Jahren. Vier- mal war der proximale Humerus, zweimal das proximale Femur be- troffen. Nach durchschnittlich neun Monaten waren alle Zystenrezidive radiologisch ausgeheilt, im längsten Fall nach elf Monaten. Durch- schnittlich 13 Monate nach Einbrin- gen wurden die Schrauben entfernt.

Komplikationen, insbesondere Rezi- dive oder Refrakturen wurden nicht gesehen.

Resümee

Beinhalten die resezierenden Verfahren neben dem größeren ope- rativen Aufwand hauptsächlich die Gefahr der Wachstumsfugenschädi- gung und Probleme an den Entnah- mestellen der Autoplastik, so er- scheinen die Dekompressionen in acht- bis zwölfwöchigen Abständen für die kleinen Patienten nicht kom- fortabel. Die hier erstmals beschrie- bene Methode der kontinuierlichen Drainage des unter Druck stehenden Zysteninhaltes in die umgebenden Weichteile ist logisch, risikoarm, er- folgreich und für den Patienten we- nig belastend. Die Forderung nach aufwendig-radikalen Operationen dieser stets gutartigen Veränderun- gen kann nicht länger aufrechterhal- ten werden. ekr

Ekkernkamp, A., G. Muhr, A. Lies: Die kontinuierliche Dekompression. Ein neuer Weg in der Behandlung junger Knochenzy- sten, Unfallchirurg 93 (1990) 539-543.

Dr. A. Ekkernkamp, Chirurgische Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftli- chen Krankenanstalten Bergmannsheil, Gilsingstraße 14, W-4630 Bochum 1.

A-2084 (68) Dt. Ärztebl. 88, Heft 23, 6. Juni 1991

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